Actio libera in causa und Rauschtat: Unterschied zwischen den Versionen

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Bezüglich der Tat des Max klafft eine Strafbarkeitslücke, die von der Rechtsprechung über die Figur der „Actio libera in causa“ (a.l.i.c.) geschlossen worden ist. Dieser Ausweg ergibt sich aus folgender Überlegung:
 
Bezüglich der Tat des Max klafft eine Strafbarkeitslücke, die von der Rechtsprechung über die Figur der „Actio libera in causa“ (a.l.i.c.) geschlossen worden ist. Dieser Ausweg ergibt sich aus folgender Überlegung:
Zwar kann Max mangels Schuldfähigkeit kein Vorwurf zur Zeit des Zuschlagens gemacht werden. Der Vorwurf besteht aber darin, dass er sich gerade deshalb betrunken hat, um im Zustand der Schuldunfähigkeit eine Körperverletzung zu begehen. Zur Zeit des Sich-betrinkens aber war Max stocknüchtern und daher schuldfähig. Auf diesen Zeitpunkt stellt die Rechtsfigur der „Actio libera in causa“ ab. Technisch-dogmatisch bedeutet das, dass Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit nach wie vor zum Zeitpunkt des Zuschlagens geprüft werden. Die Frage der Schuld wird aber auf den Zeitpunkt zurückprojiziert, in dem sich Max durch Beginn des Trinkens in den Zustand der Schuldunfähigkeit versetzt hat. Und damals lag die Schuldfähigkeit klar vor. Die a.l.i.c. knüpft den Schuldvorwurf nicht an die spätere Bedingung – hier das Niederschlagen des Oskar –, sondern an die frühere Bedingung – hier das Sichbetrinken mit dem Ziel, Oskar niederzuschlagen. Das Sichbe-trinken kann nun nicht hinweggedacht werden, ohne dass damit der spätere Erfolg entfiele. Im Zeitpunkt des Setzens dieser Bedingung war Max aber noch schuldfähig.
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Zwar kann Max mangels Schuldfähigkeit kein Vorwurf zur Zeit des Zuschlagens gemacht werden. Der Vorwurf besteht aber darin, dass er sich gerade deshalb betrunken hat, um im Zustand der Schuldunfähigkeit eine Körperverletzung zu begehen. Zur Zeit des Sich-betrinkens aber war Max stocknüchtern und daher schuldfähig. Auf diesen Zeitpunkt stellt die Rechtsfigur der „Actio libera in causa“ ab. Technisch-dogmatisch bedeutet das, dass Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit nach wie vor zum Zeitpunkt des Zuschlagens geprüft werden. Die Frage der Schuld wird aber auf den Zeitpunkt zurückprojiziert, in dem sich Max durch Beginn des Trinkens in den Zustand der Schuldunfähigkeit versetzt hat. Und damals lag die Schuldfähigkeit klar vor. Die a.l.i.c. knüpft den Schuldvorwurf nicht an die spätere [[Bedingung]] – hier das Niederschlagen des Oskar –, sondern an die frühere Bedingung – hier das Sichbetrinken mit dem Ziel, Oskar niederzuschlagen. Das Sichbe-trinken kann nun nicht hinweggedacht werden, ohne dass damit der spätere Erfolg entfiele. Im Zeitpunkt des Setzens dieser Bedingung war Max aber noch schuldfähig.
 
Beispiel 2: Auch Jüppchen ist, wie Max, im Zeitpunkt der Tat volltrunken und daher schuldunfähig (§ 20 StGB). Auch bei ihm kommt eine Maßregel der Besserung und Sicherung gemäß § 64 StGB nicht in Betracht, da Jüppchen zum ersten Mal in seinem Leben Alkohol getrunken hat, mithin von einem Hang zum Alkohol nicht gesprochen werden kann.
 
Beispiel 2: Auch Jüppchen ist, wie Max, im Zeitpunkt der Tat volltrunken und daher schuldunfähig (§ 20 StGB). Auch bei ihm kommt eine Maßregel der Besserung und Sicherung gemäß § 64 StGB nicht in Betracht, da Jüppchen zum ersten Mal in seinem Leben Alkohol getrunken hat, mithin von einem Hang zum Alkohol nicht gesprochen werden kann.
 
Die bestehende Strafbarkeitslücke schließt nunmehr § 323 a Abs. 1 StGB (Rauschtat). Zwar ist das bloße Sichbetrinken in Deutschland straflos (anders in manchen skandinavischen Ländern), die Strafbarkeit des Sichberauschens setzt aber ein, wenn der Täter im Zustand der Volltrunkenheit eine rechtswidrige Tat begeht, also Tatbestand und Rechtswidrigkeit der sog. Rauschtat – das Unrecht eben – vorliegen.
 
Die bestehende Strafbarkeitslücke schließt nunmehr § 323 a Abs. 1 StGB (Rauschtat). Zwar ist das bloße Sichbetrinken in Deutschland straflos (anders in manchen skandinavischen Ländern), die Strafbarkeit des Sichberauschens setzt aber ein, wenn der Täter im Zustand der Volltrunkenheit eine rechtswidrige Tat begeht, also Tatbestand und Rechtswidrigkeit der sog. Rauschtat – das Unrecht eben – vorliegen.

Version vom 19. November 2017, 18:25 Uhr

(lat.: Handlung, die frei von der Ursache ist) – Sie ist eine Rechtsfigur des Strafrechts, mit der die Lücke geschlossen werden soll, die dadurch entsteht, dass der Täter sich gerade deshalb betrunken hat, um im Zustand der Schuldunfähigkeit ein Delikt zu begehen. Das System der Schuldfähigkeit führt grundsätzlich zu befriedigenden Ergebnissen, da wegen der Zweispurigkeit des Strafrechts keine Lücken auftreten (Strafen neben Maßnahmen der Besserung und Sicherung). Es lassen sich für ganz bestimmte Fallkonstellationen eben doch empfindliche Lücken im Strafschutz vor rechtswidrigen Taten Schuldunfähiger feststellen:


Beispiel 1: Max hat wahnsinnige Wut auf Oskar, da dieser ihm die schöne Gabriela ausgespannt hat. Max, sonst ein Feind des Alkohols und von Natur aus schüchtern, trinkt sich Mut an, um Oskar zusammenzuschlagen. Veilchenblau schlägt er Oskar den rechten Schneidezahn aus.

Beispiel 2: Jüppchen trinkt zum ersten Mal in seinem Leben Alkohol und dies gründlich. Im Vollrausch gerät er mit Oskar in Streit und schlägt ihm auch noch den linken Schneidezahn aus.

Für Max und Jüppchen kommt jeweils Körperverletzung gem. § 223 StGB in Betracht. Tatbestand und Rechtswidrigkeit sind gegeben. Schwere Körperverletzung gem. § 226 StGB scheidet aus, da ein Verlust der Vorderzähne nicht als dauernde Entstellung angesehen werden kann, weil beim heutigen Stand der zahnmedizinischen Prothetik niemand dauernd ohne diese Zähne zu leben braucht. Beide Täter waren aber „bei Begehung der Tat“ (§ 20 StGB), d.h. konkret bei der Handlung, volltrunken und damit infolge einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung, die zu einer fehlenden Steuerungsfähigkeit führte, nicht schuldfähig. Es ist aber zu fragen, ob beide Täter wirklich straflos bleiben sollen, ob sich also das Gesetz so einfach umgehen lässt. Beispiel 1: Der an sich naheliegende Ausweg, über den schuldunfähigen Max wenigstens eine Maßregel der Besserung und Sicherung (Entziehungsanstalt) zu verhängen, kommt zwar generell, hier aber gerade nicht zum Tragen. Da Max ein Feind des Alkohols ist, kann von einem Hang, alkoholische Getränke im Übermaße zu sich zu nehmen – was § 64 StGB ausdrücklich voraussetzt –, nicht die Rede sein. Über Max keine Strafe zu verhängen, erscheint aber deshalb ungerecht, weil er die Körperverletzung noch im nüchternen Zustand geplant und in die Wege geleitet hat. Wer einen anderen straflos umbringen will, dem könnte man keinen besseren Rat geben, als sich zu betrinken und die Tat im Zustand der Volltrunkenheit zu begehen, ein kriminalpolitisch unmögliches Ergebnis – ein Freibrief für Straftaten.

Bezüglich der Tat des Max klafft eine Strafbarkeitslücke, die von der Rechtsprechung über die Figur der „Actio libera in causa“ (a.l.i.c.) geschlossen worden ist. Dieser Ausweg ergibt sich aus folgender Überlegung: Zwar kann Max mangels Schuldfähigkeit kein Vorwurf zur Zeit des Zuschlagens gemacht werden. Der Vorwurf besteht aber darin, dass er sich gerade deshalb betrunken hat, um im Zustand der Schuldunfähigkeit eine Körperverletzung zu begehen. Zur Zeit des Sich-betrinkens aber war Max stocknüchtern und daher schuldfähig. Auf diesen Zeitpunkt stellt die Rechtsfigur der „Actio libera in causa“ ab. Technisch-dogmatisch bedeutet das, dass Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit nach wie vor zum Zeitpunkt des Zuschlagens geprüft werden. Die Frage der Schuld wird aber auf den Zeitpunkt zurückprojiziert, in dem sich Max durch Beginn des Trinkens in den Zustand der Schuldunfähigkeit versetzt hat. Und damals lag die Schuldfähigkeit klar vor. Die a.l.i.c. knüpft den Schuldvorwurf nicht an die spätere Bedingung – hier das Niederschlagen des Oskar –, sondern an die frühere Bedingung – hier das Sichbetrinken mit dem Ziel, Oskar niederzuschlagen. Das Sichbe-trinken kann nun nicht hinweggedacht werden, ohne dass damit der spätere Erfolg entfiele. Im Zeitpunkt des Setzens dieser Bedingung war Max aber noch schuldfähig. Beispiel 2: Auch Jüppchen ist, wie Max, im Zeitpunkt der Tat volltrunken und daher schuldunfähig (§ 20 StGB). Auch bei ihm kommt eine Maßregel der Besserung und Sicherung gemäß § 64 StGB nicht in Betracht, da Jüppchen zum ersten Mal in seinem Leben Alkohol getrunken hat, mithin von einem Hang zum Alkohol nicht gesprochen werden kann. Die bestehende Strafbarkeitslücke schließt nunmehr § 323 a Abs. 1 StGB (Rauschtat). Zwar ist das bloße Sichbetrinken in Deutschland straflos (anders in manchen skandinavischen Ländern), die Strafbarkeit des Sichberauschens setzt aber ein, wenn der Täter im Zustand der Volltrunkenheit eine rechtswidrige Tat begeht, also Tatbestand und Rechtswidrigkeit der sog. Rauschtat – das Unrecht eben – vorliegen.

§ 323 a StGB besteht aus zwei Elementen: Zum einen aus der Berauschung. Sie ist die tatbestandsmäßige Handlung, welche rechts-widrig und schuldhaft, vorsätzlich oder fahrlässig, sein muss. Zum anderen aus der Rauschtat. Es muss im Rausch irgendeine rechtswidrige Tat begangen worden sein, durch die sich die abstrakte Gefährlichkeit des Rausches konkret manifestiert hat.

Da bei Jüppchen sämtliche Voraussetzungen des § 323 a StGB erfüllt sind, ist er wegen Rauschtat zu bestrafen. Der Grund für die Bestrafung des Jüppchen liegt darin, dass er sich bis zur Gemeingefährlichkeit betrunken hat und diese sich in einer rechtswidrigen Tat realisiert hat. Man darf sich also straflos betrinken, aber in diesem Zustand keine rechtswidrige Straftat begehen. (Für Ordnungswidrigkeiten kommt § 122 OWiG in Betracht.)