Jurist als Beruf

Aus Jura Base Camp
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Knapp zweihunderttausend Juristen in Deutschland aus den unterschiedlichsten Disziplinen (ÖffR, Strafrecht, Zivilrecht, Steuerrecht, Medienrecht, Freiwillige Gerichtsbarkeit ...), in den unterschiedlichsten Professionen (Richter, Rechtsanwalt, Staatsanwalt, Rechtspfleger, Amtsanwalt, Finanzbeamter, Syndikus, Vorstand ...), auf den verschiedensten Tätigkeitsfeldern arbeitend (streitentscheidend, streitschlichtend, streitvermeidend), sind zusammengefasst unter der Benennung „Jurist“. Was verbindet sie alle? Zum einen, dass sie sämtlich eine gemeinsame Juristenspra-che sprechen, die abstraktesten Abstrakta beherrschen, eine einheitliche Ausbildung durchlaufen, dadurch einen gewissen Korpsgeist entwickelt haben und gemeinsame zeremonielle und prozessuale Rituale in Behörden, Gerichten und Verwaltungen betreiben. Wesentlicher ist aber, dass sie beeindruckt und beherrscht sind von Methodiken und Ordnungssystemen, von einer ganz speziellen, nur ihnen eigenen gutachtlichen Arbeitsweise und ihren geheimnisvollen „subsumierenden“ Denkstrategien. Dies alles werfen sie wie Netze über die Gesetze, das Leben, ihr Arbeiten, ihr Denken, Sprechen und Schreiben und fangen darin alle, aber auch alle Fälle. (Gutachten Subsumtion)

Die bestaunenswerte Fähigkeit des Juristen ist es, aus einem zwar riesengroßen, aber doch endlichen Reservoir an Gesetzen unter Benutzung einer relativ kleinen Anzahl von methodischen Regeln (Gutachten-, Subsumtions-, Auslegungsmethoden) eine unendliche Zahl von Fällen zu lösen. Sie lieben das „Klein-Klein“, das Trennende, das haargenaue Unterscheiden nach ihrem Motto: „Jeder Fall ist anders!“ Die Gesetze werden zerlegt, zerdacht, aber auch wieder im Schlusssatz ihres heiligen Gutachtens zusammengefügt.

Im öffentlichen Ansehen ist ihr Berufsbild nicht einheitlich. Einerseits gelten die Juristen als autoritätshörig, weil sie immer von der Autorität „Gesetz“ abhängig seien, haarspalterisch, weil sie einem das Wort im Munde herumdrehen könnten, was sie bei ihren Gesetzesinterpretationskunststücken und Argumentationstricks geübt hätten, wertfrei, weil sie sich jedem neuen Gesetz schnell anpassten, ohne Moral, Kultur, Religion oder Parteigrundsätze zu achten, pessimistisch, weil sie immer schon den Konflikt mit Gegner und Gesetz antizipierten und bei Verträgen immer an das Scheitern statt an den Bestand dächten, arrogant, weil sie ständig alles besser wissen wollten. Andererseits sagt man ihnen nach, sie seien gesetzestreu, weil sie sich an Recht und Gesetz ausrichteten, gute Rhetoriker, weil sie gelernt hätten, ihren Standpunkt und den des Gesetzes zu vertreten und argumentativ zu verteidigen, neutral, weil sie keiner Instanz unterworfen und nur der Freiheit des Einzelnen verpflichtet seien, optimistisch, weil sie wüssten, dass das Gesetz Freiheit, Recht und Gleichheit im Einzelfall immer schaffen könnte, arrogant, weil sie zwar die Besser- und Bescheidwisser seien, aber nur deshalb, weil sie nun einmal aufgrund ihrer Gesetzeskunde besser Bescheid und vieles besser wüssten.

Zunächst muss man immer der Tatsache eingedenk sein, dass es den „Juristen“ als Beruf bis auf die drei Klassiker: Richter, Staatsanwalt, Rechtsanwalt gar nicht gibt. Das Berufsbild ist unscharf und diffus. Der streng einheitlichen Ausbildung folgt eine völlig uneinheitliche, aber juristisch vielfältige Berufswelt. Die Palette ist weit bunter als die ziemlich eindeutig eingefärbten Berufe: Arzt, Lehrer, Pfarrer oder auch Betriebswirt. Mit diesen Berufsbezeichnungen verbindet sich eine fest umrissene Vorstellung. Ganz anders bei dem Beruf „Jurist“. Dieser kann verschiedenen Professionen nachgehen: Als Richter: Die Befähigung zum Richteramt erlangt nach § 5 DRiG (Deutsches Richtergesetz), wer ein rechtswissenschaftliches Studium an einer Universität mit der ersten juristischen Staatsprüfung und einen anschließenden Vorbereitungsdienst (Referendariat) mit der zweiten juristischen Staatsprüfung abschließt. Laut Artikel 92 und 97 GG ist die rechtsprechende Gewalt den Richtern anvertraut, die unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen sind. Der Richter ist damit an keinerlei Weisungen gebunden und nur seinem Gewissen verantwortlich, unversetzbar und unabsetzbar. Er muss entscheiden, versuchen, eine intersubjektive Verbindlichkeit in seinen Urteilen herzustellen, wenn möglich auch noch zu überzeugen und Rechtsfrieden herzustellen. Als Staatsanwalt: Der Aufbau der Staatsanwaltschaft ist in § 141 ff. GVG (Gerichtsverfassungsgesetz) geregelt. Sie ist streng monokratisch und hierarchisch organisiert, die Beamten der Staatsanwaltschaft haben den dienstlichen Weisungen ihrer Vorgesetzten nachzukommen. Der Staatsanwalt ist Beamter, also versetzbar und weisungsgebunden, der Richter ist Richter. Der „Staatsanwalt“ ist sicher der juristische Beruf, der in der Öffentlichkeit die kontroversesten Meinungen auslöst. Einerseits wird er als unbarmherziger Strafverfolger gefürchtet, andererseits als Vertreter von Recht und Ordnung gewünscht. Als Rechtsanwalt: Er ist gem. § 1 BRAO (Bundesrechtsanwaltsordnung) ein unabhängiges Organ der Rechtspflege. Jeder, der die Befähigung zum Richteramt nach § 5 DRiG erworben hat, kann den Antrag auf Zulassung zum Rechtsanwalt stellen. Zur Zeit (1.1.2011) bewegen wir uns in der Bundesrepublik auf die Zahl von fast 160.000 zugelassenen Rechtsanwälten zu. (Jeder 500. Bundesbürger ist Rechtsanwalt.) Für den Rechtsanwalt ist als dienstleistender Freiberufler der Umgang mit und das Verhältnis zu seinen Mandanten von herausragender Bedeutung, da sein Einkommen von deren Zufriedenheit abhängig ist. Als Notar: Gem. § 1 BNotO (Bundesno-tarordnung) werden Notare als unabhängige Träger eines öffentlichen Amtes „für die Beurkundungen von Rechtsvorgängen und andere Aufgaben auf dem Gebiete der vorsorgenden Rechtspflege in den Ländern“ bestellt. Anders als der Rechtsanwalt ist der Notar kein Vertreter einer Partei, sondern unparteiischer Betreuer aller Beteiligten. Er ist nicht freiberuflich tätig, sondern nimmt staatliche Aufgaben in Form eines öffentlichen Amtes wahr. Seine Mitwirkung und die Form seiner Mitwirkungshandlung sind jeweils gesetzlich ausdrücklich vorgeschrieben. Sie sollen dazu beitragen, dass Rechtsklarheit herrscht und Fehler bei Geschäften von endgültiger oder weitreichender Bedeutung, z.B. bei Testamenten, Gesellschaftsverträgen oder Grundstücksübertragungen, vermieden werden. Voraussetzung auch für diesen Beruf ist die Befähigung zum Richteramt. Darüber hinaus wird eine Bedürfnisprüfung von der Landesjustizverwaltung durchgeführt, um eine Notarschwemme im jeweiligen Bundesland (wie etwa bei den Rechtsanwälten) zu vermeiden. Als Verwaltungsjurist: Er hat kaum ein typisches Berufsbild. Das öffentliche Recht besteht aus unzähligen, von einander unabhängigen Bereichen, die wegen ihrer vermeintlichen Unüberschaubarkeit schon in der Ausbildung resignierende Seufzer, wenn nicht gar Ablehnung hervorrufen. Dementsprechend vielfältig sind die Einsatzmöglichkeiten für Juristen, die mit bestandenem Assessorexamen auch die Befähigung zum höheren allgemeinen Verwaltungsdienst erworben haben. Beispiele für Beschäftigungsbehörden auf staatlicher Ebene sind die Innenministerien von Bund und Ländern, Landesregierungen, Sondereinrichtungen wie Finanzverwaltung, Bundeswehr, Arbeits- und Sozialverwaltung. Auf der kommunalen Ebene kommen als Dienstherren die Gemeinde-, Stadt- und Kreisverwaltungen und alle übrigen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts in Betracht. Viele Verwaltungsgesetze räumen den betreffenden Behörden einen Entscheidungsspielraum ein, z.B. „kann“ eine bestimmte Genehmigung erteilt werden, im Gegensatz zu „muss“. Die Verwaltungsjuristen sorgen insoweit für den zweck- und rechtmäßigen Gebrauch von Ermächtigungsnormen für hoheitliches Handeln. Die freie Wirtschaft bietet dem Juristen ein vielfältiges, z.T. von den Anforderungen her sehr unterschiedliches Tätigkeitsfeld. Als Arbeitgeber kommen Wirtschaftsunternehmen jeder Art und Größe in Betracht, die einer dauernden rechtlichen Beratung und Interessenwahrnehmung bedürfen. Der Jurist arbeitet als Justitiar in der hauseigenen Rechtsabteilung oder arbeitsrechtlich ausgerichteten Personalabteilung und beschäftigt sich im wesentlichen mit den durch Art und Aufgabenstellung des Unternehmens entstehenden Rechtsfragen. Er ist in der Position eines innerbetrieblichen Hausanwalts, der nur noch einseitig die Interessen eines einzigen Klienten, nämlich seines Unternehmens, wahrnimmt. In der Hauptsache handelt es sich um eine beratende Tätigkeit für den Arbeitgeber. Justitiare werden besonders von Banken, Versicherungen, Verbänden, wie Arbeitgeber- und anderen Berufsverbänden, sowie Gewerkschaften gesucht.

Neben dem Volljuristen gibt es im Justizwesen den Diplom-Rechtspfleger. Maßgebend für die Stellung des Rechtspflegers ist das RPflG (Rechtspflegergesetz). Der Aufgabenkreis des Rechtspflegers umfasst nach § 3 RPflG vorwiegend Bereiche der freiwilligen Gerichtsbarkeit und der Zwangsvollstreckung: so das Grundbuchwesen, die Registersachen, die Immobiliar-zwangsvollstreckung, die Forderungspfändung, Vormundschafts-, Betreuungs- und Nachlasssachen. Daneben sind dem Rechtspfleger einzelne Aufgaben auf dem Gebiet des Zivil- und Strafprozesses und im Rahmen der Strafvollstreckung übertragen. Er hat als sog. „Spezialist der freiwilligen Gerichtsbarkeit“ eine richterähnliche, sachlich unabhängige Stellung. Seine erforderlichen Kenntnisse erwirbt er in einem Studiengang an einer Fachhochschule. Dieses Studium steht der Verantwortung entsprechend, die dem Rechtspfleger mit der Übertragung ehemals vom Richter wahrgenommener Geschäfte erwächst, auf einem besonders hohen Niveau. Die sorgfältige und gründliche Ausbildung auf wissenschaftlicher Grundlage dauert mindestens 3 Jahre. Sie könnte mit ihrem beispielhaftem Wechsel von Theorie und Praxis Modellcharakter für eine neue Juristenausbildung haben.

Übrigens: Juristische Berufe sind „globalisierungssicher“. Deutsches Recht lässt sich nicht nach China auslagern, und indische Juristen können kein deutsches Recht.