Willensmängel

Aus Jura Base Camp
Version vom 20. November 2017, 19:59 Uhr von Admin (Diskussion | Beiträge) (Die LinkTitles-Erweiterung hat automatisch Links zu anderen Seiten hinzugefügt (<a rel="nofollow" class="external free" href="https://github.com/bovender/LinkTitles">https://github.com/bovender/LinkTitles</a>).)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Wechseln zu: Navigation, Suche

Jedes Rechtsgeschäft, insbesondere also jeder Vertrag, besteht zumindest aus einer oder mehreren Willenserklärungen. Dabei spiegelt im Normalfall die abgegebene Willenserklärung genau den tatsächlichen Willen des Erklärenden wider. Dies ist aber nicht selbstverständlich, vielmehr kann die Willenserklärung sog. Willensmängel aufweisen. Von einem Willensmangel spricht man ganz allgemein dann, wenn der Wille des Erklärenden nicht mit dem objektiven Inhalt seiner Erklärung übereinstimmt. Der Verkäufer nennt z.B. für seine Ware versehentlich einen falschen Preis. Hier fallen Wille und Erklärung auseinander – ein Willensmangel. Um die sehr verschiedenen Fälle möglicher Willensmängel erfassen zu können, muss man sich klar machen, welche Schritte auf Seiten des Erklärenden im Einzelnen erfolgen müssen, damit eine Willenserklärung zustande kommt. Die Willenserklärung hat einen langen und beschwerlichen Weg hinter sich, ehe sie ihr Ziel – den Rechtserfolg herbeizuführen – findet.

Beispiel: Student R will an der Hochschule Jura studieren. Weil dort die Vorlesungen teilweise schon um 7.30 Uhr beginnen und weil sein alter Wecker unzuverlässig ist, schließlich auch weil er schon morgens gerne Hardrock-Musik hört, entschließt sich R, sich einen Radiowecker im Geschäft des Z zu kaufen.

Zerlegen wir die Genealogie der Willenserklärung in ihre Entstehungsphasen: Zunächst entsteht bei dem (später) Erklärenden aus zumeist mehreren Motiven (Beweggründen) die Absicht, eine bestimmte Rechtsfolge herbeizuführen. Wir bezeichnen dies als die Phase der Willensbildung. „7.30 Uhr Vorlesung; alter Wecker unzuverlässig; Hardrock macht munter; ...“ Danach erfolgt die ganz konkrete Entschlussfassung als Produkt des Willensbildungsprozesses: „Ich will mir einen Funk-Wecker der Marke X zum Preise Y bei Händler Z kaufen.“ Sodann muss die zur Erreichung der erstrebten Rechtsfolge notwendige Erklärung abgegeben werden, wodurch die Willenserklärung zustande kommt. Es erfolgt die Umsetzung des inneren, konkreten Willens (Geschäftswille) nach außen. R erklärt im Geschäft: „Ich möchte diesen Wecker kaufen“ und zeigt auf ein als Einladung zur Abgabe von Angeboten harrendes Ausstellungsstück. Schließlich muss diese empfangsbedürf- tige Willenserklärung noch wirksam werden, also rechtlich existent, meist durch Zugang gem. § 130 Abs. 1 BGB. Z muss das Angebot also wahrgenommen haben.


Auf dieser Strecke vom Motiv bis zum Zugang kann nun alles gut gehen: Motiv und Wille und Erklärung decken sich. Wir sprechen in dieser Konstellation von einer fehlerfreien oder mangelfreien Willenserklärung. Auf dieser Strecke kann aber auch einiges schief gehen: Motiv und Wille und Erklärung decken sich nicht; sie fallen auseinander. So kann es sein, dass die Beweggründe (Motive), auf die der Erklärende sich stützt, in Wahrheit so, wie von ihm angenommen, gar nicht zutreffen, dass also schon bei der Willensbildung ein Willensmangel auftritt. In dem dargestellten Beispiel kann sich etwa später herausstellen, dass R doch nicht zur Hochschule geht, dass seine Freundin schon einen Radiowecker für ihn als Geschenk zum bevorstehenden Geburtstag gekauft hat, dass der alte Wecker mit neuen Batterien doch noch einwandfrei funktioniert. Den schon bei der Willensbildung entstandenen Willensmangel nennt man Motivirrtum. Diesen Motivirrtum schmeißen Sie sofort aus Ihren weiteren Überlegungen heraus! Er ist grundsätzlich irrelevant! Der Rechtsverkehr muss vor solchen Irrtümern im Vorfeld – aus der Welt der Beweggründe – geschützt werden. Wo käme der Geschäftsverkehr hin, wenn sich jemand von seiner Erklärung lösen könnte, nur weil seine Vorstellungen nicht in Erfüllung gegangen sind. In den weiteren dargestellten Phasen – nämlich bei der Erklärung des Geschäftswillens – sind drei völlig unterschiedliche Arten von Willensmängeln denkbar: So kann zum einen die Abweichung der Erklärung von dem wahren Willen des Erklärenden unbewusst erfolgen, nämlich u.a. dann, wenn der Erklärende die Willenserklärung so, wie er sie tatsächlich abgegeben hat, gar nicht abgeben wollte. R weiß gar nicht, dass er etwas erklärt, das er nicht erklären will. Wille und Erklärung fallen unbewusst auseinander. R möchte einen gelben Wecker kaufen, er zeigt aber aus Versehen auf einen roten. Zu dieser Fallgruppe gehören der Inhaltsirrtum und der Erklärungsirrtum gem. § 119 Abs. 1 BGB. (Irrtumsanfechtung) Möglich ist aber auch, dass der Erklärende bewusst mit seiner Erklärung von seinem Willen abweicht, also genau weiß, was er sagt, die Rechtsfolge, die hieran geknüpft ist, tatsächlich aber gar nicht erreichen will. R weiß, dass er etwas erklärt, das er nicht erklären will. Um seinen großen Durst zum Ausdruck zu bringen, bestellt der erschöpfte Radfahrer R in einer Gartenwirtschaft scherzhaft „1 Fass Bier“. Hier liegt kein Irrtum des Radlers R über den Inhalt seiner Erklärung vor, weil er tatsächlich die Bestellungvon 1 Fass Bier zum Ausdruck bringen will. Der Willensmangel liegt vielmehr darin, dass er zwar das Fass „bestellen“, es aber gleichwohl nicht erhalten will. Wille und Erklärung fallen bewusst auseinander. Ein aufgetretener Willensmangel kann also dem Erklärenden auch bewusst sein gem. §§ 116, 117, 118 BGB. (Geheimer Vorbehalt Scheingeschäft Scherzerklärung) Schließlich können Willensmängel auf unrechtmäßige Eingriffe dritter Personen in die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit zurückzuführen sein.

Der Autohändler täuscht R über die Unfallfreiheit des gekauften „Mondeo“. Der Käufer K zwingt den Verkäufer V durch Androhung von Schlägen, den Preis des „Mondeo“ um 50 % zu reduzieren.

Dies sind die Fälle der arglistigen Täuschung und der rechtswidrigen Drohung gem. § 123 BGB. Das BGB behandelt diese Fälle leider recht unterschiedlich: Mal sind die Willenserklärungen wirksam, mal unwirksam und mal wirksam, aber „anfechtbar“. Ein kunterbuntes Allerlei! (Anfechtung) Also: Die Verfasser des BGB hatten Regelungen für vier Fallgruppen von Willensmängeln zu treffen und haben sie getroffen: ● Motivirrtum, unbeachtlich ● Unbewusstes Auseinanderfallen von Wille und Erklärung, § 119 BGB, anfechtbar ● Bewusstes Auseinanderfallen von Wille und Erklärung, §§ 116, 117, 118 BGB, grds. unbeachtlich ● Rechtswidrige Eingriffe Dritter in die Willensfreiheit, § 123 BGB, anfechtbar