Bei einem untauglichen Versuch handelt es sich um einen Irrtums-fall (➞ Irrtum): subjektiver Tatbestand (Vorstellung: „Ich will töten“) und objektiver Tatbestand (Wirklichkeit: „Ich kann gar nicht“) fallen auseinander. Dabei liegt zwischen Tatbestandsirrtum und untauglichem Versuch ein Spiegelungsverhältnis vor.

 

Ein solcher untauglicher Versuch ist nach unserer Rechtsordnung strafbar. Das ergibt sich aus § 23 Abs. 3 StGB: Nur bei offensichtlich untauglichem Versuch kann die Strafe gemildert werden; sog. „Unverstandsklausel“.

 

Ist der Täter der irrigen Meinung, dass das, was er verwirklichen will, strafbar sei, spricht man von einem sog. „Wahndelikt“.

Dabei besteht nun zwischen Verbotsirrtum und Wahndelikt ein Spiegelungsverhältnis.

 

Ein Wahndelikt liegt nicht nur dann vor, wenn der Täter irrig glaubt, gegen ein nicht existierendes Strafgesetz zu verstoßen (so im Beispiel 3), sondern auch dann, wenn er einen Sachverhalt irrigerweise unter ein bestehendes Strafgesetz (§ 142 StGB) subsumiert.

Man spricht also von einem Wahndelikt, wenn der Täter sein nicht unter ein Strafgesetz fallendes Handeln aufgrund eines Irrtums über die Existenz eines Strafgesetzes oder über den Geltungsbereich eines Strafgesetzes für strafbar hält.

Beispiele:

  1. Jupp erschießt den vermeintlich schlafenden Otto, der in Wirklichkeit bereits tot ist.
  2. Jupp, der Otto erschießen will, benutzt ein Gewehr, dessen Reichweite viel zu gering ist; die Kugel schlägt 30 Meter vor Otto in den Boden.

(Ähnlicher Fall: Max, der aus der Garderobe einen Mantel stehlen will, erwischt versehentlich seinen eigenen.)

  1. Ehemann Jupp, der Ehebruch für strafbar hält, schläft mit seiner Geliebten Ottilie.
  2. Jupp, der betrunken mit seinem Auto im Straßengraben landet, verlässt die Unfallstelle, um einem Alkoholtest zu entgehen. Er glaubt irrig, wartepflichtig zu sein, obwohl kein Dritter am „Unfall“ beteiligt war, da die Polizei „alles aufklären“ müsse. Er denkt: Lieber das Risiko einer Unfallflucht (§ 142 StGB), als die Sicherheit der Verurteilung wegen Trunkenheit (§ 316 StGB).
  3. Emma ist Alleinerbin (§ 1922 BGB) ihres Onkels Felix, der allerdings Testamentsvollstreckung angeordnet hat (vgl. § 2211 Abs. 1 BGB). Sie nimmt heimlich ein zum Nachlass gehörendes Briefmarkenalbum weg in der irrigen Meinung, die Nachlassgegenstände seien für sie solange „fremd“, wie sie wegen der Testamentsvollstreckung nicht über das Album verfügen könne.

 

In den Beispielen 1 und 2 könnte jeweils ein versuchter Mord gem. §§ 211, 22, 23 StGB in Betracht kommen (im Klammerfall: versuchter Diebstahl). Der Tatbestand ist nicht vollendet, der ➞ Versuch ist strafbar. Fraglich ist der Entschluss. Entschluss bedeutet Vorsatz. In beiden Fällen glaubt Jupp allerdings irrig, einen Menschen töten zu können. Vorstellung und Wirklichkeit fallen auseinander; zum einen deshalb, weil das Objekt (Mensch) untauglich ist, zum anderen deshalb, weil das Mittel (Gewehr) untauglich ist. In den Fällen, in denen von
vornherein feststeht, dass die auf die Tatbestandsverwirklichung abzielende Ausführungshandlung aus tatsächlichen Gründen objektiv nicht zur Vollendung führen kann, egal ob das Objekt (Beispiel 1) oder das Mittel (Beispiel 2) untauglich ist, spricht man von einem „untauglichen Versuch“. Der Entschluss, d.h. der Vorsatz, liegt bei Jupp vor, da das, was er will und sich vorstellt, bei Durchführung das vollendete Delikt ergeben hätte. Jupp ist in den Beispielen 1 und 2 wegen (untauglichen) Versuchs eines Mordes strafbar.

 

In den Beispielen 3 und 4 liegen die Dinge etwas anders.

Im Beispiel 3 liegt zunächst ein Irrtum vor. Die irrige Meinung des Jupp, dass das, was er verwirklichen will, strafbar sei (Ehebruch), ist kein Tatentschluss i.S. des § 22 StGB. Jupp erfindet gewissermaßen im Geiste einen nicht existierenden „Ehebruchstatbestand“.

Im Beispiel 4 liegt gleichermaßen ein Irrtum vor. Jupp ist der irrigen Meinung, dass er „wartepflichtig“ i.S. des § 142 StGB sei, obwohl ein Feststellungsinteresse eines Unfallbeteiligten (ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal) gar nicht vorhanden ist. Da Jupp jedoch irrig angenommen hat, dass er wartepflichtig sei, weil § 142 StGB auch ein Aufklärungsinteresse der Polizei schütze, könnte man an einen untauglichen Versuch (§ 142 Abs. 2 StGB) denken. Ein Tatentschluss i.S. des § 22 StGB liegt aber nur dann vor, wenn das, was sich Jupp vorstellt und will, bei Durchführung das vollendete Delikt ergäbe. Die irrige Meinung des Täters, dass das, was er verwirklichen will, strafbar sei, ist kein Tatentschluss i.S. des § 22 StGB, sondern ein Wahndelikt. Nun hat Jupp nicht wie im Fall 3 irrig geglaubt, gegen ein Strafgesetz zu verstoßen, das es gar nicht gibt; denn Unfallflucht ist ja sehr wohl strafbar. Er hat vielmehr irrig geglaubt, dass das, was er verwirklichen will, unter ein bestehendes Strafgesetz, nämlich § 142 StGB, falle. Er hat bei unzutreffender Parallelwertung in der Laiensphäre den strafrechtlichen Normgehalt zu weit ausgedehnt, hat also die Tragweite der Strafrechtsnorm des § 142 StGB verkannt und ihn auf ein polizeiliches Aufklärungsinteresse erweitert, was die Norm aber gar nicht schützen soll. Damit lag kein Tatentschluss i.S. der §§ 142 Abs. 1, 2, 22, 23 StGB vor. Jupp beging mithin keinen untauglichen Versuch einer Verkehrsunfallflucht, sondern ein strafloses Wahndelikt. Jupp „erfindet“ im Geiste folgenden nicht existierenden Verkehrsunfallfluchtparagraphen: „Wer sich vom Unfallort entfernt, obwohl kein Feststellungsinteresse, aber ein polizeiliches Aufklärungsinteresse vorliegt …, wird bestraft.“

Auch im Beispiel 5 liegt ein strafloses Wahndelikt vor. Emma hat das normative Merkmal „fremd“ über seine Tragweite „im Eigentum eines Dritten“ hinaus auch auf eine mangelnde Verfügungsbefugnis des Eigentümers ausgedehnt, also einen nicht existierenden Diebstahlstatbe-stand „erfunden“. Emma hatte keinen Tatentschluss. Das, was sie sich vorstellte und wollte, konnte niemals einen Diebstahlstatbestand erfüllen, also lag ein Wahndelikt vor.

 

Zur Abgrenzung (siehe „Spiegelungsdiagramm“):

Ein untauglicher Versuch liegt vor, wenn der Täter das Delikt trotz der Untauglichkeit des Mittels oder der Untauglichkeit des Objekts theoretisch vollenden könnte. Ein Wahndelikt liegt vor, wenn der Täter Strafgesetze „erfindet“, die es entweder gar nicht gibt oder deren normative Tatbestandsmerkmale sein Verhalten nicht abdecken, es also auch theoretisch niemals zu einem Delikt kommen könnte.

Ein Tatbestandsirrtum liegt vor, wenn der Täter ein Delikt begeht, das er nicht begehen will. Ein untauglicher Versuch liegt vor, wenn der Täter ein Delikt begehen will, das er im konkreten Fall nicht begehen kann, aber sonst begehen könnte.

Ein Verbotsirrtum liegt vor, wenn der Täter Unrecht begeht, das er nicht begehen will. Ein Wahndelikt liegt vor, wenn der Täter Unrecht begehen will, das er nicht begehen kann und auch nicht begehen könnte.

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