Meinungsstreit

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Die Juristerei ist reich an Meinungsstreiten. Deren Darlegung und Darstellung sollte daher beherrscht werden. Die reine Darstellung der nackten Rechtslage genügt bei einem Problem in keinem Fall einer wissenschaftlichen Leistung, gleichgültig, ob Sie eine Klausur oder eine Hausarbeit schreiben oder ein Referat vorbereiten. Sie müssen darüber hinaus bei einer Streitfrage die Rechtslage immer auch kritisch bewerten und Stellung beziehen zu einzelnen Problemen und Ansichten. ( wissenschaftliches Arbeiten) Es ist in wissenschaftlichen Arbeiten unumgänglich, sich mit Meinungen („Theorien“) auseinanderzusetzen. Kontroverse Rechtsfragen müssen Sie argumentativ bewältigen und entscheiden! Dabei ist es ein Irrglaube, bei wissenschaftlichen Arbeiten gehe es darum, eine möglichst große Zahl von objektiven, subjektiven und gemischt objektiv-subjektiven Theorien darlegen zu müssen nach dem Motto: „Je mehr Meinungsstreitigkeiten, desto besser die Note.“ Vor bloßem „Theoriegeklapper“ ist dringend zu warnen. Das Ausschütten von streitigen Rechtsfragen ohne Anbindung an ein Tatbestandsmerkmal oder den Fall lässt Ihre wissenschaftliche Arbeit mit Sicherheit misslingen. Ein Meinungsstreit darf aber nur dann für die Entscheidung aufbereitet werden, wenn die Lösung von der Entscheidung der Rechtsfrage abhängt. Eine Erörterung über die Relevanz des Streitstandes („Relevanzprüfung“) für Ihre Arbeit darf sich in der Arbeit selbst nicht finden – diese Prüfung spielt sich nur in Ihrem Kopf ab: Ist die kontroverse Rechtsfrage bedeutungslos für Ihre Arbeit, gehört sie nicht in die Arbeit; hängt die Lösung von der Entscheidung des Meinungsstreites ab, dann ergibt sich das aus Ihrer Darstellung von selbst. Daraus muss eindeutig hervorgehen, warum Sie sich für eine der Ansichten entscheiden. Sich hinter der „herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung“ zu verstecken, ist keine tragfähige Begründung. Eine „herrschende Meinung“ (h.M.) muss in der Quantität der Belege erkennbar werden. Eine einzelne BGH-Entscheidung genügt keinesfalls, schon gar nicht, wenn die andere Ansicht (a.A.) mit zehn Zitaten dokumentiert wird. Eine „allgemeine Meinung“ (allg.M.) braucht nicht in ganzer Breite zitiert zu werden. Es genügt: „Stellvertretend nur ...“ – „Für viele ...“ – „Zuletzt ...“ – „Dagegen erkennbar nur ...“ Übrigens: Eine „M.M.“ ist keine „Mindermeinung“, sondern die „Meinung der Minderheit“. Sie ist nicht minderwertig, sondern in der Minderheit. Rechtsansichten müssen in der Hausarbeit immer in Fußnoten durch Zitate belegt werden! (Zitiertechnik) Dabei ist die Darstellung des Rechtsstreits im Spiegel der Meinungen von Ihrer eigenen Stellungnahme deutlich zu trennen, es darf keine Verwischungen geben. Wichtig ist auch, dass Sie nicht dem falschen Glauben aufsitzen, mit der Behauptung sei es in einer wissenschaftlichen Arbeit getan. Sie müssen begründen! Notwendig ist immer die Begründung, das Argument (lat.: arguere, behaupten, deutlich machen, beweisen). Auch ein noch so schönes BGH-Zitat ersetzt nicht Ihre eigene Begründung! Ihre Meinung ist gefragt, nicht nur die des BGH! Sie müssen argumentativ überzeugen! (Argumentation) Stoßen Sie also bei einem Tatbestandsmerkmal auf ein Rechtsproblem, müssen Sie dieses herausschälen, indem Sie nun erörtern, warum hier „etwas“ streitig ist. In einem solchen Fall finden sich immer mindestens zwei Ansichten, die sich widersprechen; oft kommt noch die „berühmte“ dritte, vermittelnde Meinung hinzu (objektive Theorie; subjektive Theorie; gemischt objektiv-subjektive Theorie). Haben Sie zahlreiche unterschiedliche Meinungen, sollten Sie diese bündeln und zusammenfassen.

Am besten geht man bei der Darstellung eines Meinungsstreits in drei Schritten vor:

Der erste Schritt: Worum dreht sich der Streit? Wo ist im Sachverhalt der Aufhänger? Einzelmeinungen werden geschildert und der Sachverhalt jeweils danach (!) bewertet. Ergebnis des Meinungsstreits führt zu unterschiedlichen Lösungen.

Den zweiten Schritt bereitet man wie folgt auf: An die Spitze kommt die „feindliche“ Meinung, der man sich nicht anschließen will. These (Streitsatz) vorstellen und begründen. Sachverhalt darunter subsumieren. Ergebnis für den Fall. Es folgt die „sympathischere“ Meinung, der man sich anschließen könnte, aber konkret nicht anschließen will. These vorstellen und begründen. Sachverhalt darunter subsumieren. Ergebnis für den Fall. Im dritten Schritt folgt die „eigene“ Meinung, der man folgen will:

Hier schließt man nun ab: Kritikpunkte vortragen gegen die „feindlichen“ und die „sympathischeren“, aber abzulehnenden Ansichten. Deutlich machen, warum man diesen Meinungen nicht folgen will. Ausführen, warum man der „eigenen“ Meinung den Vorrang einräumt. Ergebnis vorstellen und nach dieser Weichenstellung im Gutachten weitermarschieren. Das gilt allerdings nur, wenn die Meinungen im konkreten Fall unterschiedliche Subsumtionsergebnisse nach sich gezogen haben. Ein Meinungsstreit bedarf nur dann der Entscheidung, wenn die verschiedenen Ansichten zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Auch setzen umfangreiche Erörterungen zu Streitständen, die nicht ergebnisrelevant sind, falsche Schwerpunkte und sind nicht selten überflüssig. Warum einen Streit austragen, wenn alle dafür oder dagegen sind, es also gar keinen „Streit“ um „Meinungen“ gibt? Es war dann nur eine Scheinweiche. Wenn aber die verschiedenen Auffassungen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, muss man sich entscheiden, da den unterschiedlichen Meinungen im Regelfall unterschiedliche Lösungswege folgen. Ist das Problem relevant und damit entscheidungserheblich, müssen Sie erkennen lassen, dass Sie sich eine eigene Meinung zu dem Problem- und Streitstand gebildet haben. Sie müssen darlegen, warum Sie die eine Meinung überzeugender finden als die andere. Wenn Sie sich ohne eigenes Argument nur einer Meinung anschießen und sich aus dem Problemfeld stehlen, verlieren Sie gar eine Note bei einer Hausarbeit.

So machen Sie es richtig! 1. Problemaufriss – Geortetes Rechtshindernis – Aufhänger im Sachverhalt 2. Geordnete Darstellung der Einzelmeinungen mit Argumenten „Nach der objektiven Theorie ...“ ... „Argumente A + B“ … „Ergebnis für den Fall: …“ „Nach der subjektiven Theorie ...“ ... „Argumente C + D“ … „Ergebnis für den Fall: …“ „Der BGH folgt einem Mittelweg ...“ ... „Argumente E + F“ … „Ergebnis für den Fall: …“ 3. Ergebnis des Meinungsstreits Alle Meinungen führen zum gleichen Ergebnis: Keine Entscheidung! Meinungen führen zu unterschiedlichen Ergebnissen: Stellungnahme Schwächen und Stärken der objektiven Theorie Schwächen und Stärken der subjektiven Theorie Schwächen und Stärken der Rechtsprechung Eigene Stellungnahme: „Der Mittelweg des BGH ist vorzugswürdig, weil ...“

Die Argumente sollten nach ihrer Überzeugungskraft angeordnet werden. Hier bieten sich zwei Wege der Darstellung an: Sie beginnen mit dem stärksten Argument und enden mit dem schwächsten. Gefahr: die Adressaten werden zunächst gepackt, dann enttäuscht! Sie beginnen mit dem schwächsten Argument und enden mit dem stärksten. Gefahr: Ihre Adressaten werden gelangweilt und verstimmt. Zu empfehlen ist es, mit starken Argumenten zu beginnen und die schwächeren im Schatten der Eingangsargumentation folgen zu lassen. Gut ist es, wenn Sie die Argumente der Gegenseite abtun können als: unzulässig, in sich widersprüchlich, unbeachtlich, grob unbillig, absurd (wider die Vernunft). Geschickt ist es, jeweils einem Pro-Argument das passende Contra-Argument entgegenzustellen, statt die Pro- und Contra-Argumente jeweils en bloc zu präsentieren, da die Aufnahmefähigkeit und das Erinnerungsvermögen begrenzt sind. Trennen Sie Ihre Ansicht unbedingt von dem eigentlichen Meinungsstreit als eigene selbstständige Stellungnahme. Sie stellen das Problem dar, geben den Meinungsstreit wieder und beziehen Stellung. Dabei müssen Sie jede Theorie und jedes Argument klar und vernünftig, nachvollziehbar und präzise formulieren, damit man Ihnen folgen kann. Ohne gelungene Leitfragen, Überleitungen und Zusammenfassungen wird Ihre Arbeit eine Fahrt ins Blaue, da man nicht erkennt, wo die Reise hingeht und vor allem nicht, an welchem Ort der Reise Sie sich gerade befinden. Wenn Sie etwa eine Reisegruppe von Köln nach Hamburg begleiten, geht es nun einmal nicht über Koblenz. Sämtliche Ausführungen zu Oberhausen, Essen, Dortmund und Bremen sind wichtig, nicht aber Einzelheiten zu Koblenz. Man darf Ihren Gedankengang nie in Zweifel ziehen und muss am Ende Ihrer Argumentationsroute das Gefühl haben, nur zustimmen zu können (falls Sie nicht bewusst, z.B. in einem Referat, zum Widerspruch auffordern). Ein Gedanke muss deshalb auf dem vorangegangenen aufbauen, ohne dass Sie einen „Gedankensprung über Koblenz“ begehen dürfen.