Mutmaßliche Einwilligung: Unterschied zwischen den Versionen

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Rechtfertigungsgrund, der angenommen wird, wenn keine Möglichkeit besteht, die rechtlich zulässige Einwilligung des Betroffenen einzuholen, die Würdigung der Sachlage aber ergibt, dass der Verletzte als vernünftiger Mensch seine Zustimmung erteilt haben würde, da die Handlung in seinem mutmaßlich vorhandenen Interesse liegt. ([[Einwilligung]])
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Rechtfertigungsgrund, der angenommen wird, wenn keine Möglichkeit besteht, die rechtlich zulässige Einwilligung des Betroffenen einzuholen, die Würdigung der Sachlage aber ergibt, dass der Verletzte als vernünftiger Mensch seine [[Zustimmung]] erteilt haben würde, da die [[Handlung]] in seinem mutmaßlich vorhandenen Interesse liegt. ([[Einwilligung]])
 
   
 
   
 
Beispiel: Raser wird als Unfallopfer ohnmächtig im Krankenhaus eingeliefert. Der diensthabende Arzt Dr. Müller führt sofort die dringend erforderliche und medizinisch indizierte Operation durch und amputiert ein Bein. Raser wird gerettet.
 
Beispiel: Raser wird als Unfallopfer ohnmächtig im Krankenhaus eingeliefert. Der diensthabende Arzt Dr. Müller führt sofort die dringend erforderliche und medizinisch indizierte Operation durch und amputiert ein Bein. Raser wird gerettet.
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Zwar liegt keine wirksame Einwilligung seitens der allein einwilligungsbefugten Sorgeberechtigten vor. Dennoch ist das Handeln des Dr. Müller gerechtfertigt
 
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● entweder über [[Notwehr]] (Verweigerung der Einwilligung stellt einen rechtswidrigen Angriff dar)
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● oder aber mutmaßliche Einwilligung des Familienrichters (Verweigerung stellt Sorgerechtsmissbrauch dar – Folge ergibt sich aus § 1666 BGB).
 
● oder aber mutmaßliche Einwilligung des Familienrichters (Verweigerung stellt Sorgerechtsmissbrauch dar – Folge ergibt sich aus § 1666 BGB).

Aktuelle Version vom 20. November 2017, 19:43 Uhr

Rechtfertigungsgrund, der angenommen wird, wenn keine Möglichkeit besteht, die rechtlich zulässige Einwilligung des Betroffenen einzuholen, die Würdigung der Sachlage aber ergibt, dass der Verletzte als vernünftiger Mensch seine Zustimmung erteilt haben würde, da die Handlung in seinem mutmaßlich vorhandenen Interesse liegt. (Einwilligung)

Beispiel: Raser wird als Unfallopfer ohnmächtig im Krankenhaus eingeliefert. Der diensthabende Arzt Dr. Müller führt sofort die dringend erforderliche und medizinisch indizierte Operation durch und amputiert ein Bein. Raser wird gerettet.

Da die Voraussetzungen der mutmaßlichen Einwilligung vorliegen, ersetzt die mutmaßliche Einwilligung die wirkliche Einwilligung. Danach ist Dr. Müller straflos. Dem „Prinzip des mutmaßlich vorhandenen Interesses“ wird das „Prinzip des mutmaßlich mangelnden Interesses“ gleichgestellt. Die mutmaßliche Einwilligung greift also auch dann ein, wenn ein schutzwürdiges Erhaltungsinteresse des Betroffenen fehlt.

Beispiel: Azubi Jupp entnimmt der Ladenkasse zehn einzelne Geldstücke für den Automaten und legt gleichzeitig einen entsprechenden Geldschein zurück.

Zwei Fälle zu einer Diskussion:

Beispiel 1: Die 3-jährige Barbara benötigt eine lebenserhaltende Operation. Die Eltern, die einer Sekte angehören, die mit Bluttransfusion verbundene operative Eingriffe ablehnt, verweigern die Einwilligung. Dr. Müller operiert dennoch.

Zwar liegt keine wirksame Einwilligung seitens der allein einwilligungsbefugten Sorgeberechtigten vor. Dennoch ist das Handeln des Dr. Müller gerechtfertigt ● entweder über Notwehr (Verweigerung der Einwilligung stellt einen rechtswidrigen Angriff dar) ● oder über Notstand (Kollision zwischen Leben des Kindes und Erziehungsrecht der Eltern) ● oder aber mutmaßliche Einwilligung des Familienrichters (Verweigerung stellt Sorgerechtsmissbrauch dar – Folge ergibt sich aus § 1666 BGB).

Beispiel 2: Bundesligaspieler Steinert trifft bei einem groben Foul den Oberschenkel des gegnerischen Mittelstürmers Leinen und reißt ihm mit dem Stollen eine 10 cm tiefe Fleischwunde.

Auch im Sport kommt der Einwilligung bei Wettkämpfen (Boxen, Fußball, Fechten) eine immer größere Bedeutung zu. Leinen hat durch seine Beteiligung am Spiel mögliche Verletzungen in Kauf genommen und damit konkludent eingewilligt, jedenfalls soweit die Sportregeln eingehalten sind. Darüber hinaus umfasst die Einwilligung aber auch mögliche Verletzungen durch leicht fahrlässige Regelverstöße, die auf Übereifer und unvollkommene Spieltechnik zurückzuführen sind. Dagegen erstreckt sich die Einwilligung nicht – wie hier – auf grob fahrlässige Verstöße gegen die Spielregeln (schon gar nicht auf vorsätzliche).