Notwehrexzess

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Entschuldigungsgrund gem. § 33 StGB, der bestimmt, dass der Täter straffrei bleibt, wenn er die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken (asthenische Affekte, gr.: kraftlose Gemütsbewegungen) überschritten hat. Ungeklärt ist nach wie vor, ob das neutrale Merkmal „Grenzen der Notwehr überschreitet“ (es heißt weder „die Grenzen der erforderlichen Verteidigung“ noch heißt es „die zeitlichen Grenzen des Angriffs“) sowohl den intensiven Notwehrexzess erfasst, wenn also der Täter die Abwehr intensiver gestaltet hat, als es zur Brechung des Angriffs erforderlich gewesen wäre, als auch den extensiven Notwehrexzess, wenn also der Täter das Merkmal der Gegenwärtigkeit des Angriffs zu weit ausdehnt.

Die Rechtsprechung schließt § 33 StGB beim extensiven Notwehrexzess zu Recht aus. Eine gleiche Behandlung sei nicht sachgerecht, weil die genannten Affekte „Verwirrung, Furcht oder Schrecken“ in dem Täter zu einem Erregungszustand führe, in dem die Angst vor einer Gefahr die Augen verschließe, so dass er sich keine Gedanken über die Abwägung der Mittel mache. Dieser zu spontanem, unüberlegtem Handeln führende psychologische Prozess ist aber nur für den intensiven Exzess symptomatisch. Auch gilt § 33 StGB nicht für die kraftvollen Gemütsbewegungen wie Zorn, Wut oder Hass (sthenische Affekte).

Beispiel 1: S stellt dem Judokämpfer T von hinten ein Bein, so dass T stürzt. Dann wirft sich S auf T, schlägt auf ihn ein und beginnt, ihn am Hals zu würgen. T zieht in panischer Angst um sein Leben ein Messer und verletzt S durch einen Lungenstich schwer, obwohl er sich mit Judogriffen leicht hätte verteidigen können. Beispiel 2: Der schöne B beleidigt den mit seiner Exfreundin am Tisch der Disco sitzenden H schwer mit den Worten: „Du impotenter Dummtöner“; danach wendet er sich dem Ausgang zu. H springt auf, nimmt seinen Stuhl und schlägt diesen über Bs schöne Locken.

Tatbestandlich liegt für T und H jeweils gefährliche Körperverletzung vor, da Messer und Stühle Qualifikationsmerkmale i.S. des § 224 StGB sind. Fraglich ist, ob die Täter durch Notwehr – § 32 StGB – gerechtfertigt sind. Bei T liegt zwar ein gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff seitens des S vor. Jedoch hat T das erforderliche Maß der Verteidigung überschritten. Somit scheidet Notwehr aus. Bei H liegt zwar ein rechtswidriger Angriff vor. Dieser war jedoch nicht mehr gegenwärtig, da B durch sein Verhalten eindeutig zu erkennen gegeben hatte, dass der Angriff abgeschlossen war. Die Ehre des H war beeinträchtigt, ohne dass neue Beleidigungen zu erwarten gewesen wären. Auch hier muss Notwehr folglich ausscheiden. T und H handelten daher jeweils rechtswidrig. Damit wären T und H also strafbar, und zwar wegen vorsätzlicher gefährlicher Körperverletzung, da sie die Erforderlichkeit der Verteidigung überschritten (T) bzw. die Gegenwärtigkeit des gegnerischen Angriffs missachtet (H) haben, somit § 32 StGB zu ihren Gunsten nicht eingreifen kann. Jedoch: ● Im Beispiel 1 spricht man von einem sog. intensiven Notwehrexzess (lat.: intendere = verstärken, anspannen), wenn also der Täter die Abwehr intensiver gestaltet, als es zur Brechung des Angriffs erforderlich ist (Überdehnung des Merkmals der „Erforderlichkeit“). ● Im Beispiel 2 liegt ein sog. extensiver Notwehrexzess vor (lat.: extendere = ausdehnen), wenn also der Täter sich darüber hinwegsetzt, dass der Angriff nicht mehr ge-genwärtig ist (Überdehnung des Merkmals der „Gegenwärtigkeit“).


Hätten T und H bewusst und gewollt, also vorsätzlich, einen intensiven oder extensiven Notwehrexzess begangen, wären sie jeweils strafbar wegen gefährlicher Körperverletzung. Diese „konsequente“ Beurteilung modifiziert nun § 33 StGB, indem er bestimmt, dass der Täter straffrei bleibt, wenn er die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschritten hat. Die indifferente Formulierung „... so wird er nicht bestraft“ wird von der h.M. dahingehend interpretiert, dass es sich um einen Entschuldigungsgrund handelt. Die genaue Formulierung müsste also lauten: „... handelt ohne Schuld“. Dies deshalb, weil psychische Ausnahmesituationen in der Person des Täters die Schuld bei einer Notwehrüberschreitung so weit mindern, dass ausnahmsweise auf den Schuldvorwurf verzichtet werden kann. Daneben führt aber auch die „Notwehrprobe“ zu dieser systematischen Einordnung des § 33 StGB als Entschuldigungsgrund: Wenn die Notwehrüberschreitung anders als die Notwehr nur entschuldigt und nicht rechtfertigt, dann kann sich nämlich der durch den Exzess Angegriffene seinerseits mit Notwehr (ein rechtswidriger Angriff liegt dann ja vor) verteidigen. Aus den dargelegten Überlegungen lässt sich der Schluss ziehen, dass T über § 33 StGB entschuldigt ist, da ihm persönlich nicht vorgeworfen werden kann, dass er in seiner Verwirrung stiftenden panischen Angst die Verhältnismäßigkeit der Mittel nicht mehr richtig abgewogen und somit das gehörige Maß der Verteidigung überschritten hat, während H der Entschuldigungsgrund des § 33 StGB bei seinem extensiven Notwehrexzess nicht zur Seite stehen kann.