Texte juristisch erarbeiten

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Beim wissenschaftlichen Arbeiten muss man unendlich viele Texte lesen! Lesen ist ein Vorgang der Informationsaufnahme. Das Lesen hat große Vorteile. Man kann das Tempo selbst bestimmen und zurückblättern. Man kann den Text überfliegen, ihn diagonal durchstreifen oder Zeile für Zeile mit dem Finger durcharbeiten. Im Vordergrund steht bei juristischen Fachtexten das Bestreben, möglichst schnell und wirkungsvoll die Einsicht in einen Problem- bzw. Themenzusammenhang sicherzustellen. Dies ist eine durchaus erlernbare Kunstfertigkeit.

Bevor bei einer Hausarbeit die eigentliche Materialsuche beginnt, liegen bereits einige „heiße“ Problem-Quellen aus der ersten und zweiten Arbeitsphase der Themenfixierung und klausurenmäßigen Konfrontation mit dem Fall vor. Sobald Klarheit über die eigentlichen Probleme der Arbeit besteht („Was wollen die von mir?“), kann mit der intensiven Sammlung von geeigneter Literatur und wichtigen Informationsquellen aus der Rechtsprechung begonnen werden. Bei der Erarbeitung juristischer Texte sind hauptsächlich drei Fragen wichtig:

1. Wie soll gesucht werden? 2. Was soll gesucht werden? 3. Wo soll gesucht werden?

Auf die Frage nach dem „Wie-wird-wo-was-gesucht-Prozess“ kann man ein Verfahren empfehlen, das den Namen Schneeballsystem trägt. Man beginnt mit dem Kurzkommentar „Palandt“ oder „Schönke-Schröder“ für den oder die „Problem-Paragraphen“ seiner Arbeit, die sich bei der Klausurskizze als „schwierig“ herausgestellt haben. Dort finden sich dann weitere Großkommentarangaben, die wiederum Ausgangspunkt für den Fortgang des Suchprozesses in Rechtsprechung und Rechtsliteratur sind. Man muss nicht die gesamte Literatur und Rechtsprechung mit gleichbleibender Intensität lesen. Mit einer neuen Lesetechnik wird man sich in der Kunst des Querlesens üben. Man wird lernen, bekannte Thesen, Strukturen, Probleme und Argumente in dem neu zu lesenden Text nur noch aufzuspüren. Im Ergebnis wird man schon bald Literatur und Rechtsprechung in einem Bruchteil der Zeit erfassen, statt den jeweiligen Text vollständig und damit auch vieles Überflüssige lesen zu müssen. Andererseits gilt aber auch: Bedeutende oder schwierige Fundstellen muss man mehrmals lesen, um sie zu verstehen und ganz zu erfassen. Man muss sicherstellen, die relevanten Gedankengänge vollständig erfasst zu haben und allen wichtigen Zusammenhängen nachgegangen zu sein. Bei ganz wichtigen Textstellen sollte man langsam Wort für Wort auf sich wirken lassen und das „Zeigefingerlesen“ praktizieren, indem man mit dem Zeigefinger Wort für Wort und Zeile für Zeile das Lesen begleitet. Bei der Darstellung eines Meinungsstreits stellt man schnell fest, dass die Anzahl der Ansichten zu Beginn unüberschaubar groß erscheint. Tatsächlich vertreten aber viele ein und dieselbe Ansicht, nur eben mit anderen Worten. Man sollte immer bei einem Rechtsproblem bleiben und nicht ständig zwischen einzelnen Rechtsproblemen hin und her springen. Schon in einem relativ frühen Stadium sollten einzelne Probleme mit den Meinungen der einzelnen Autoren zusammengefasst und, wenn möglich, zeitnah abgeschlossen werden. Es hat sich als sinnvoll erwiesen, deutlich zwischen den Arbeitstechniken: Literatur- und Rechtsprechungssichtung, Literatur- und Rechtsprechungssammlung und Literatur- und Rechtsprechungsauswertung zu trennen. Damit sollte einem bewusst werden, dass erstens nicht sofort alle Entscheidungen und alle Literatur gesammelt werden sollen und zweitens, dass nicht Alles im Detail gelesen und ausgeschlachtet werden kann. Vielmehr bezieht sich die Sichtung auf das Stadium der Vorarbeiten: die eigentliche Sammlung und Auswertung führt der Student erst beim Exposé der Arbeit durch. Es sind oft zahlreiche Urteile, Monographien, Kommentare und Aufsätze zu lesen (Literatur). Eine vollständige Sammlung wäre am Anfang unökonomisch, weil man noch gar nicht abschätzen kann, was für die Arbeit wichtig ist und weil man damit unweigerlich den Überblick verlöre. Deshalb sollte man sich in einem ersten Arbeitsschritt darauf beschränken, nur die grundlegende Kommentar-Literatur zu lesen und danach erst den weiteren Literatur-Sammlungsgang zu ordnen. Zunächst reicht es, einen Überblick über den Text gewinnen; die Einzelheiten können dann später in einen sinnvollen Zusammenhang gestellt werden.

Es empfiehlt sich folgende Vorgehensweise:

1. Überblick gewinnen Eine gute Methode dazu besteht darin, die Grobgliederung des Textes durch ein strukturiertes Schaubild (Baumdiagramm!) darzustellen. 2. Texte umformulieren in eigene Texte und Fragen formulieren Die Formulierung eigener Texte und Fragen gelingt umso besser, je mehr Vorwissen da ist, an das angeknüpft werden kann. Eine sehr einfache Möglichkeit besteht im Umformulieren von Überschriften und Leitsätzen in die eigene Sprachkultur. Eine weitere Möglichkeit ist es, nach den wichtigen Aussagen des Kapitels oder Abschnitts zu fragen oder die Leitsätze der Gerichtsentscheidungen in Fragen umzumünzen. 3. Erstes Textlesen Beim Lesen des Fachtextes beginnt der eigentliche Weg der Informationsaufnahme. Sein Motto: Vom Buch in den Kopf! Dabei handelt es sich um ein gezieltes, systematisches, aktives Suchen von Antworten auf die zuvor gestellten Fragen. Man muss versuchen, die Hauptaussage je Abschnitt zu finden (Zeigefingerlesen), den Text in Schaubildern zu visualisieren (Baumdiagramm). Unbekannte Ausdrücke wird man nachschlagen, Schlüsselwörter in ihren Definitionen suchen und ganz besonders kritisch die Argumentation des Verfassers oder des Gerichts unter die Lupe nehmen. 4. Nachfragen stellen Nun wird der Text weggelegt und kurz und bündig gefragt, ob der Text tatsächlich zum Referats- oder Hausarbeitsthema und seiner Problematik passt oder nicht. Hat die Lektüre einen tatsächlich weitergebracht oder nur aufgehalten? Zur Beantwortung dieser Frage sollte man den Fachtext in Stichworten mit eigenen Formulierungen aufschreiben oder eine Rekapitulationsskizze anfertigen (Leitfaden). 5. Zweites Textlesen Hat der Text nun das Sieb „Passt oder passt nicht“ durchlaufen und passt er, sollte man die Stichwortliste oder Rekapitulationsskizze als eine Art Hypothese über den Gehalt des Fachtextes betrachten, die jetzt bei einer zweiten Lektüre überprüft wird. Man stellt fest, dass man beim zweiten Lesen des Textes vieles, das beim ersten Lesen unverständlich geblieben war, auf Anhieb versteht, weil man den Gesamtzusammenhang und den Sinn erschlossen hat. Diese Hilfe hat beim ersten Lesen gefehlt. Jetzt sollte man sich auch klar machen, dass der gelesene Text eine individuelle Fremdinterpretation ist und aussagt, zu welchen wissenschaftlichen Ergebnissen und Erkenntnissen das spezielle Gericht oder der spezielle Verfasser gelangt sind, nicht aber, was als Erkenntnisstand „der Wissenschaft“ gelten kann. Das ist ein himmelweiter Unterschied! Auch muss man beim zweiten Lesen auf dem Hintergrund der eigenen Gedanken nun den eigenen Zugang zu dem Text finden. Deshalb sollte man erst jetzt Anstreichungen, Markierungen und Randnotizen anbringen (gilt nur für Fotokopien und eigene Bücher!). Denn erst jetzt weiß man, worauf es ankommt. Das Anstreichen hat den Zweck, sich für später die Orientierung im Text zu erleichtern. Anstreichen oder unterstreichen sollte man nur: treffende Formulierungen typische Aussagen als Anker für tiefere Überlegungen Wörter oder Passagen als Stichworte für den Inhalt eines ganzen Textabschnitts. Alles anzustreichen, heißt Nichts anzustreichen! Randnotizen können Querverweise zum gelesenen Text, Hinweise auf andere Texte oder eigene Aufzeichnungen enthalten – alles, was zur Erschließung des Textes dienlich ist. 6. Exzerpieren (lat.: excerpere, Auszug herstellen) Die Mehrzahl der Texte, die man für seine Arbeit lesen muss, werden wahrscheinlich in Fotokopie vorliegen. Dürfen bestimmte Bücher nicht ausgeliehen werden, dann ist es nötig, die Ergebnisse der Lektüre separat im juristischen Seminar oder der Bibliothek aufzuzeichnen: Zitate herausschreiben, die einem gefallen, und darauf achten, direkt die Quelle mit exakter Seitenzahl zu notieren, Hauptlinien der Gedankenführung mit eigenen Worten skizzieren, Hinweise auf andere Literatur notieren, Kommentare – eigene oder die anderer Autoren – aufschreiben. Da das Exzerpieren eine sehr zeitaufwendige Angelegenheit ist, sollte man nichts Überflüssiges herausschreiben und immer an den denken, der einmal etwas damit anfangen soll, nämlich an sich selbst!