Diskussion

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In jeder juristischen Diskussion müssen Sie in der Regel aus dem Stegreif argumentieren. Dabei hilft Ihnen sowohl bei abwehrender als auch bei angreifender Argumentation die sogenannte Standpunktformel. Mit dieser 5-Punkte-Standpunkt-Formel haben Sie für jeden Beitrag einen „kleinen roten Faden“, mit dem Sie Ihre Gedanken ordnen können: Eselsbrücke: S.A.L.Z.A.! 1. S-tandpunkt oder „Meine Meinung on the top“. „Meiner Meinung nach ist ... „ 2. A-rgumente „Denn“: 1. ..., „Denn“: 2. ..., „Denn“: 3. ...“ 3. L-ebendige Beispiele „Ich möchte das deutlich machen an zwei Beispielen“ Beispiel: ..... 2. Beispiel: ..... 4. Z-usammenfassung „Also ... “ 5. A-ufruf „Wir sollten vielleicht einmal überlegen, ob ...“

In jedem Referat, in jeder Wortmeldung oder jeder Fachdiskussion kommt es darauf an, sich auszudrücken. Natürlich spielt der Ausdruck auch in der  Hausarbeit oder  Klausur eine große Rolle. Das Referat oder der mündliche Redebeitrag ist jedoch der Ort, wo alle Ausdrucksmittel eingesetzt werden können und müssen. Dabei kommt der verbalen Sprache allein nicht die entscheidende Bedeutung zu. Auch die nonverbale Sprache mittels des Körpers wird als ein wesentliches Ausdrucksmittel eingesetzt. Das geschieht meist unbewusst. Es sich als Student bewusst zu machen, ist daher von großer Bedeutung. Rechnet man zu den nonverbalen Kommunikationsmöglichkeiten den stimmlichen und emotionalen Ausdruck hinzu, so wird klar, dass die verbalen Argumente durchaus nicht die einzige Rolle spielen. Entscheidend ist nicht nur, was man sagt, sondern auch, wie man es sagt, und womit man es sagt. Alle juristischen Referenten und studentischen Diskutanten sollten an den Satz denken: „Deine Argumente hör ich wohl, allein deine Stimme und dein Körper sprechen so stark dagegen.“ Vergessen Sie beim Argumentieren also die Körpersprache nicht! Seit einigen Jahren gibt es eine eigene Wissenschaft von der Körpersprache, die Kinesik. Man sollte die hier vorgenommenen Einteilungen nicht überbewerten, aber einige Punkte sind für Ihre Argumentationskunst doch beachtens- und bedenkenswert. Wenige kurze Stichwörter:

Stimme: Man möge seine eigene Stimme kritisch beobachten, am besten durch Befragung anderer oder durch den Test mit einer Videoaufnahme, und sie mit der Stimme geschulter Sprecher in Funk oder Fernsehen vergleichen. Dabei werden sich Besonderheiten zeigen – die eigene Stimme ist schrill oder dünn, man spricht Dialekt oder nuschelt. Sprache: Man sollte nicht wie ein typischer Jurist argumentieren. Niemals sollte man in Referaten oder mündlichen Diskussionen jenes juristische Sprachritual zelebrieren, das aus einer in der dritten Person vorgetragenen Misshandlung abstrakter, unverständlicher oder unklarer Hauptwörter besteht. Mit anderen Worten, man sollte natürlich sprechen, d.h. „ich“ statt „man“ sagen, von Fällen ausgehen statt von Rechtsbegriffen, die eigenen Argumente durch Beispiele, Vergleiche und Bilder anschaulich machen. (Juristensprache) Emotio: Emotionen sind unter Juristen zwar verpönt. Aber nichts ist verfehlter als das. Emotionen sind erstens unvermeidlich und zweitens ein höchst wirksames Gesprächsmittel. Emotionen müssen gezeigt, und dieses Zeigen muss von manchen trainiert werden. Auch hier kann allgemein nur der Rat gegeben werden, natürlich zu sein. Der emotionale Ausdruck hängt besonders mit dem sprachlichen Ausdruck eng zusammen. Hier stehen vor allem folgende Mittel zur Verfügung: Tempo: Man erzeugt Spannung, reißt den Anderen mit, lässt ihm keine Zeit, Gegenargumente zu sehen oder zu entwickeln. Melodie: Man teilt Gefühle mit und erweckt sie durch Wechsel von Lautstärke und Stimmlage, Tonfall und Einsatz von Pausen. Dynamik: Man spricht mit Nachdruck und Durchschlagskraft oder zweifelnd und grüblerisch, je nach dem, ob man überzeugen oder Meinungen erschüttern will. Gestik: Zu den verdrängten Emotionen der Juristen gesellt sich auch eine vielfach verdrängte Gestik. Aber ganz verdrängen lässt sie sich eben nicht. Das Ergebnis ist ohne Kenntnis von der Kraft der Gestik eine unnatürliche, unsichere und unpassende, ja manchmal peinliche Gestik. Man erklärt: „Lassen Sie mich das Problem in seiner ganzen Breite entfalten“ – und verschränkt dazu die Hände. Man sagt: „Ich fasse zusammen“ – und breitet die Arme aus. Auch hier kann kein Katalog von Regeln gegeben werden. Hilfreich ist wiederum nur die Selbstbeobachtung (learning by doing) und die Be-obachtung Anderer bei ihren Referaten (learning by looking). Dabei ist zu bedenken, dass der Gestus funktional sein sollte, d.h. dem jeweiligen Redebeitrag angepasst und nicht etwa eine dirigierende Begleitbewegung zur Sprachmelodie. Alle Begriffsarbeit besteht darin, zu trennen und wieder zu verbinden – Dinge, die man sehr gut auch in die Luft zeichnen kann. Gesten sollten nicht übertrieben sein, aber auch bei uns Juristen nicht unterdrückt werden, denn das Repertoire an gestischen Ausdrucksmitteln ist reich. Hier liegen viele Möglichkeiten, die man sich bewusst erschließen kann. Blickkontakt: Man sollte den Anderen beim Argumentieren ansehen und bei näherem Zuhören den Augenkontakt mit Einzelnen suchen. Jeder Redebeitrag richtet sich an Individuen. Die Rede-Grundstruktur ist eben immer dialogisch. Man muss einzelne Personen erreichen und dazu muss man sie ansehen. Aber man bedrohe sie nicht. (Früher war das Anstarren eine Vorstufe des Auffressens) Ein zu starrer Blick wird vermieden, wenn man dem Anderen bei Entfernungen über 1,50 m zwischen die Augen und bei Entfernungen darunter in ein Auge blickt, wobei man natürlich zwischen beiden Augen abwechselt. Der Augenkontakt ist ein wesentliches Mittel, um Zuhörer argumentativ zu erreichen und festzuhalten. Juristen vergessen das häufig, weil sie damit beschäftigt sind, in Aufzeichnungen zu wühlen. Ab und zu blitzt dann misstrauisch die Brille auf, ob noch alle da sind. Man kann nicht nicht kommunizieren! Selbst wenn man alle Argumentationsbeiträge ablesen würde. Ohne Gestik, Mimik und Blickkontakt würde man eine Botschaft signalisieren, nämlich: „Ich habe Angst vor euch; ich kann nicht frei argumentieren; ich beherrsche das Thema nicht (!); hoffentlich ist bald alles vorbei, egal wie.“ (Referat)

Mit unfairen Tricks, Schnickschnackrhe-torik, Diskutantenhokuspokus oder Überrumpelungsstrategien hat das alles nichts zu tun, nur mit einer strukturierten Vorgehensweise und Diskussionstechnik.

Als Argumentationsarten kann man drei Grundtypen (r.e.p.) unterscheiden und bewerten, nämlich: 1. Die rationale Argumentation: ihre Basis sind Fakten; ihre Mittel sind Fälle, Tatsachen, Zahlen, Statistiken; ihr Ziel ist der Verstand.

2. Die ethische Argumentation: ihre Basis sind Werte; ihre Mittel sind Begriffe, Grundsätze, Normen, Moral; ihr Ziel ist das Gewissen.

3. Die plausible Argumentation: ihre Basis sind Einsichtigkeiten; ihre Mittel sind Erfahrungssätze, Pauschalurteile, Zitate; ihr Ziel ist das Gefühl.

Alle drei Argumentationstypen sind für die Argumentationskunst notwendig. Fakten und Werte spielen häufig zusammen. Fakten bilden den Ausgangspunkt aller Werte; Werte wiederum eröffnen die Möglichkeit, Fakten miteinander zu vergleichen. Einsichten und Empirie schließlich dienen der Abkürzung von Endlosdiskussionen. Alle drei Grundtypen können aber auch missbraucht werden. Das liegt bei der Plausibilitätsargumentation (Überrumplung) und bei ethischen Argumenten (Moral, Religion) auf der Hand. Es trifft aber auch leider für rationale Argumente zu, und hier sogar im besonderen Maße. Nichts kann wirkungsvoller manipuliert werden als eine Statistik oder ein Zitat. Wer Zahlen verwendet, beruft sich auf die nackte Realität, ohne dass seine Angaben in der mündlichen Fachdiskussion sofort nachprüfbar sind. Man kann ja hier sogar unverschämt lügen und damit selbst Experten schachmatt setzen. Auch ein Zitat ist nicht jederzeit frei nachprüfbar. Mit Zitaten kann man Argumente totschlagen, Gleiches gilt im Übrigen für die „herrschende Meinung" und die „ständige Rechtspre-chung". Man könnte jede juristische Diskussion (natürlich auch jede andere) beispielhaft verwenden, um diese drei Grundtypen der Argumentation zu suchen und nachzuweisen. Auch ihnen werden Sie bald ständig begegnen. Sie sollten diesen Nachweis immer wieder, auch etwa bei der Lektüre von BGH-Entscheidungen, bewusst suchen und üben, wobei zu bedenken ist, dass die drei Grundtypen sich häufig überschneiden.