Juristensprache

Aus Jura Base Camp
Wechseln zu: Navigation, Suche

Die Juristensprache ist ein wichtiges Element des Staates, weniger im Sinne eines Bauelementes wie die drei staatsrechtlichen Definitionsmerkmale Staats-volk, Staatsgebiet, Staatsgewalt, sondern mehr im Sinne eines Lebenselementes, wie das Wasser für den Fisch oder die Luft für den Vogel. Staatliches Leben vollzieht und vollzog sich immer in sprachlicher Kommunikation – früher mehr durch gesprochene, heute durch geschriebene Sprache. Gerade unsere Demokratie bedarf des sprachlichen Forums für ihren Wettstreit – mehr noch für ihre gesetzgebende Einigung. Dazu muss man allerdings „seinen“ Staat verstehen. Das gilt insbesondere für die Verfassung, das Gesetz, den Antrag, das Gesuch, die Anzeige, den Beschluss, den Bescheid, den Verwaltungsakt, das Urteil und die Anhörung. Der Jurist tritt immer über Sprache in Kontakt mit der Welt, meist im geschriebenen, aber auch im gesprochenen Wort. Deshalb muss er sie beherrschen. Der erste Blick auf die Juristensprache ist häufig für den Anfänger schockierend. Man hält sie für trocken, humorlos, antiquiert, abstrakt, geschraubt und gedrechselt, gestelzt und hölzern! Gustav Radbruch, ein berühmter Jurist, hat die Juristensprache ganz im Gegensatz zu der studentischen Anklage wegen ihrer Klarheit als „kurz und bündig“ gerühmt:

„Die Rechtssprache ist kalt: sie verzichtet auf jeden Gefühlston; sie ist barsch: sie verzichtet auf jede Begründung; sie ist knapp: sie verzichtet auf jede Lehrabsicht. So entsteht die selbstgewählte Armut des Lapidarstiles.“

Man könnte böswillig hinzufügen: „... und sie ist arrogant-elitär: sie verzichtet auf jede Verständlichkeit“.

§ 184 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) besagt mit vier(!) Wörtern: „Die Gerichtssprache ist deutsch.“ Treffend ist die von Studenten mit dieser Norm erhobene Anklage, die Gerichtssprache sei eben nicht deutsch, da das dort gesprochene oder niedergeschriebene Wort kein normaler Mensch, der der deutschen Sprache mächtig ist, verstehe. Somit fehle die öffentliche Kontrolle, die damit beabsichtigt sei. Man kann sich manchmal wirklich nicht des Eindrucks erwehren, es bestehe zwischen den Prozessbeteiligten die ungeschriebene Übereinkunft, die Gesetzes- und Gerichtssprache sowie die Urteilsdiktion müssten deshalb so kompliziert sein, damit der Laie sie nicht durchschaue. Die Angeklagten, Kläger und Beklagten, Antragsteller und auch Zeugen verstehen häufig im Gerichtssaal tatsächlich nicht, was da zwischen Anwälten, Staatsanwälten und Richtern, Notaren und Rechtspflegern eigentlich „abgeht“. Urteile und Beschlüsse vermitteln manchmal den Eindruck, sie seien nicht für die Parteien, sondern vielmehr für die höheren Instanzgerichte geschrieben, um zu zeigen, was der auf eine Beförderung schielende Verfasser so alles „drauf“ hat. So wie die Gesetzestexte wirken auch diese Texte nicht selten völlig unverständlich und vergittert.

Die juristische Sprachkunst als „Barriere“ gegen die Laien und die Öffentlichkeit zu bezeichnen, die geschraubte und abstrakte Gesetzessprache als Grund für die „Volksferne“ des Bürgerlichen Gesetzbuches, die Urteils- und Beschlusssprache als „Selbstbefriedigung“ der Richter und Rechtspfleger oder als „Visitenkarte“ für die Obergerichte, insgesamt das Juristendeutsch als „Scheidewasser“ für den juristisch Gebildeten von dem juristisch Ungebildeten aufzuführen, erscheint so abwegig nicht. Aber bevor man darüber ein abschließendes Urteil fällen kann und die geheimnisumwitterte Fachsprache der Juristen wegen ihrer angeblichen Skurrilität und Verschrobenheit der Lächerlichkeit oder allgemeinen Verdammung preisgibt, lohnt es sich, erst einmal zu ihren Quellen zurückzugehen und ihre Funktion ins Visier zu nehmen.

So, wie es in allen Spezialbereichen unserer hochkomplizierten und komplexen, arbeitsteiligen Welt passiert ist, in der Medizin, Chemie, Philosophie, Wirtschaft, Technik, so hat sich auch in der Juristensprache eine eigene Sprache entwickelt. Es ist eine Fachsprache, die sich durch Unverständlichkeit gegenüber demjenigen auszeichnet, der außerhalb von ihr steht, der nicht über das durch zwei Staatsexamina erworbene Passepartout für diesen Kreis der Erleuchteten verfügt. Das kann man bedauern, aber nicht ändern! Komplizierte Probleme bekommt man dann eben leichter in den Griff, kann sie vielleicht manchmal mit der normalen Umgangssprache überhaupt nicht lösen. Die Flut des neuen Spezialausdrucksgutes ist so groß, dass es schier unmöglich ist, auch nur annähernd die täglich vorkommenden Fremd- und Spezialwörter zu beherrschen, zu wissen, was sie bedeuten, wie sie geschrieben oder ausgesprochen werden, ob sie der Allgemeinsprache, Spezialfachsprache oder Fremdsprache angehören, wo ihre etymologische Ursprünglichkeit liegt und vieles mehr. (Fremdwörter) Aber – so könnte man einwenden: Das sei ja alles schön und gut für die „normalen“ Fachsprachen der naturwissenschaftlichen oder philosophischen Experten, dürfe aber keinesfalls für die Juristensprache gelten. Denn: Die Juristensprache müsse die Öffentlichkeit informieren, damit sie die Kontrolle über die Staatsgewalten Regierung, Parlament und Gerichte ausüben könne (Art. 20 Abs. 2 Grundgesetz: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“). Das könne das Volk aber nicht, wenn es die Gesetze und Urteile nicht verstehe, die doch in seinem Namen gefällt wurden. Das Gesetz, das sich im Wort verkörpere und Gesetzesmacht bedeute, müsse von seinen Adressaten eben auch beim Wort genommen werden können. Vieles scheine nicht für den Laien geschrieben, sondern für den Beamten, Rechtspfleger, Richter und Anwalt. Diese seien aber eigentlich gar nicht Adressaten der Gesetze oder Urteile, sondern der normale, der Rechtsgewalt unterworfene Bürger. Ein Gesetz, aus dem der Bürger seine Rechte erfahren solle (im Übrigen auch seine Pflichten), verkümmere zu einem technischen Instrumentarium, wenn mit ihm nur noch eine ganz bestimmte Berufskaste umgehen könne. (Jurist als Beruf) Genauso müsste es sein! Die Macht unseres demokratischen Rechtsstaates ist Rechtsmacht. Die Rechtsmacht aber ist in der Tat nichts anderes als Macht gewordenes Wort im Gesetz. Das Wort des Gesetzes ist das Medium, durch das unsere Demokratie die Herrschaft über sich freiwillig beugende Rechtsgenossen (uns Bürger) übernimmt. Der Rechtsstaat ist die Herrschaft der Gesetze – nicht der Menschen. Das ist seine Legitimationsidee. Die Verbalisierung des Staates in den Worten des Gesetzes hat nun aber ihren Preis! Der Staat muss dadurch notwendig an Transparenz und Anschaulichkeit verlieren. Der Verbalismus des Gesetzes ist nun eben einmal abstrakt, blutarm, papieren. Das Gesetz spricht in Wörtern und Worten, die der Einzelne nur schwer versteht – das bildliche Symbol, die Begründung, das Beispiel, das Gefühl sind verschwunden. Eben Radbruch: kalt, barsch, knapp.

Das Gesetz muss eine klare Botschaft haben, eine bestimmte Anweisung treffen. Der Herrschaftsadressat muss wissen, was er zu tun oder zu lassen hat. Es richtet sich an alle und enthält für alle die gleiche Aussage. Diese aber muss nachvollziehbar sein, das ist sein Anspruch! Dieser Funktion des Gesetzes entsprechen leider nicht immer sein Stil und Inhalt. Die Auslegung fällt den späteren Anwendern in der Juristerei zur Last. Die oft von Studenten angeprangerten sprachlichen Schwächen eines Gesetzes haben häufig in dem Zwang des Gesetzgebers zur größtmöglichen Ausschaltung des rein Subjektiven, Emotionalen, Lehrhaften, Individuellen und Konkreten ihren Grund (s.o. Gustav Radbruch). Man kann nur raten, sich möglichst schnell an Stil und Ausdruck des Gesetzes zu gewöhnen, indem man sämtliche Gesetze, mit denen man am Anfang Umgang pflegt, immer wieder laut nachliest und sich so in ihrer Diktion trainiert. Man kann nun einmal von einem hochmodernen Gesetzgeber keine volkstümliche, jedermann verständliche, warmherzige Sprache mehr erwarten. Eine gemeinsame Ebene, auf der sich der juristische Ausdruck mit dem Ausdruck des Volkes treffen würde, hat es nie gegeben.

Man tröste sich mit dem alten französischen Dichter Mirabeau, der gesagt haben soll: „Stilgebung und Mehrheitsbeschlüsse sind zwei Begriffe, die brüllen, wenn sie sich begegnen.“ Er hatte Recht! Sarkastisch könnte man formulieren: „Lies das Gesetz! Du bist betroffen – die meisten Fragen bleiben offen.“ Nun zu den Quellen: Die „berüchtigte“ Sprache der Juristen geht zurück auf die lateinische Sprache, in der das römische Recht verfasst war, welches wiederum die Grundlage des Bürgerlichen Gesetzbuches ist. Das römische Recht fand im germanischen Rechtsraum freudige Aufnahme. Es brachte in seinem Gefolge die lateinische Sprache und die lateinische Schrift mit nach Deutschland. Die ganze juristische Literatur und Wissenschaft waren lateinisch. Es war in den juristischen Kreisen „in“, sich ausschließlich auf Latein zu verständigen. Als sich Latein im 19. Jahrhundert langsam verabschiedete, verschwand zwar die lateinische Sprache, ihr Stil aber blieb genauso, wie sich die lateinischen Fremd- und Fachausdrücke in der Juristerei einnisteten (Latein im Recht). Die dem Latein innewohnenden Verschachtelungen pflegen bei uns den Vorwurf der Unverständlichkeit der Juristensprache heraufzubeschwören. Grammatikalisch verbogen, gestelzt und gekünstelt, viel zu abstrakt und zu wenig anschaulich. Das gilt nicht nur für den alten Gesetzgeber, sondern gleichermaßen für den „modernen“. Für die Gesetze speziell gilt, dass das geschriebene Wort aus dem gesprochenen Wort hervorgeht. Denn im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren – so sollte es jedenfalls sein – entsteht das Gesetz aus freier Rede und Gegenrede. Der Name „Parlament“, der sich ableitet vom französischen „parler“, d.h.: reden, bedeutet in seinem ursprünglichen Verständnis nichts anderes als: Rede, Gegenrede, Besprechung, Versammlung, Beratung. Die Herrschaft des modernen Staates vollzieht sich also wesentlich im Medium des Wortes. „Staat im Wort“ könnte man das bildhaft beschreiben in der doppelten Bedeutung dieses Satzes. Der Staat als lebendige Erscheinung der demokratischen Wirklichkeit:

Der Staat lebt einerseits im Wort, er verkörpert sich im Wort. Der Staat muss andererseits zu seinem Wort stehen; man muss sich unbedingt auf ihn verlassen können.

Das Gesetz muss in der Lage sein, auf die unendliche Vielzahl möglicher Fälle, geboren aus der jeweiligen modernen Zeit, angemessen und elastisch reagieren zu können. Die Gesetzessprache ist eine Fachsprache. Bei einer solchen wird es immer das Problem der Unverständlichkeit, der Ungenauigkeit und der Unvollständigkeit geben. Aber in der Juristerei sollte man dies so weit wie möglich minimieren.

„Elementare Voraussetzung der Demokratie ist, dass die Entscheidungsverfahren der Hoheitsgewalt ausübenden Organe und die jeweils verfolgten politischen Zielvorstellungen allgemein sichtbar und verstehbar sind, und ebenso, dass der wahlberechtigte Bürger mit der Hoheitsgewalt, der er unterworfen ist, in seiner Sprache kommunizieren kann.“

So das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung BVerfGE 89, 155 (185). Dem ist nichts hinzuzufügen!