Urkundenfälschung – Von Fall zu Fall

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Fall 1: Der Jurastudent R fühlt sich den Examensklausuren nicht gewachsen. Er vereinbart mit A, der vor einem Jahr das Examen mit großem Erfolg bestanden hat, dass A in den Klausurenterminen für R die Aufsichtsarbeiten schreiben soll. So geschieht es. A leistet auch die vorgeschriebene Unterschrift mit dem Namen des R.

Es ist zunächst zu prüfen, ob Aufsichtsarbeiten Urkunden sind. Die Arbeiten lassen erkennen, wie sich ihr Verfasser die Lösung der in der Arbeit aufgetretenen Rechtsprobleme vorstellt. Es handelt sich somit um verkörperte Gedankenerklärungen. Die Arbeiten dienen zur Feststellung der Rechtskenntnisse des Verfassers. Sie sind daher auch geeignet und bestimmt, rechtserhebliche Tatsachen zu beweisen. Der Aussteller ist schon durch die Unterschrift erkennbar. Auch ohne Unterschrift kann eine Urkunde vorliegen. Entscheidend ist, dass die Prüfungskommission weiß, wer der Verfasser ist; die Zeichnung mit einer Kennziffer würde also ausreichen. Damit sind alle Merkmale einer Urkunde gegeben. A müsste weiterhin eine unechte Urkunde hergestellt haben. Eine Urkunde ist unecht, wenn sie geistig nicht von dem stammt, der als ihr Aussteller bezeichnet ist. Bezeichnet ist R, der wahre Aussteller ist aber A, also liegt eine Identitätstäuschung über den Aussteller vor. Der aus den Examensarbeiten ersichtliche Aussteller R hat weder die Arbeiten selbst hergestellt (so die frühere Körperlichkeitstheorie) noch können die verkörperten urkundlichen Erklärungen dem R als geistigem Urheber zugerechnet werden (Geistigkeitstheorie). Anders wäre die Lage in folgendem Fall, um Ihnen die „Geistigkeitstheorie“ zu illustrieren.

Fall 2: Der Auszubildende Max quittiert im Auftrage seines Prinzipals Peter eine Warenkommission mit dem Namen „Peter“.

Geht man mit der alten Definition an den Fall heran, die lautet: „Eine Urkunde ist unecht, wenn sie nicht von dem Aussteller stammt“, so handelte es sich um eine unechte Urkunde (Körperlichkeitstheorie). In die moderne Definition ist nun aber das Wort „geistig“ eingefügt worden (Geistigkeitstheorie). Damit entsteht eine echte Urkunde, wenn die verkörperte Erklärung rechtlich aufgrund einer wirksamen Stellvertretung als Erklärung des Namensträgers „Peter“ anzusehen ist. Bei rechtlich zulässiger Vertretung (§ 164 ff. BGB) schließt die Einwilligung des vertretenen Namensträgers in die Unterzeichnung mit seinem Namen das Merkmal „unecht“ aus; die Urkunde stammt dann „geistig“ von „Peter“ selbst. Nicht Max als Schreiber, sondern Peter als geistiger Urheber hat die echte Urkunde hergestellt. Das gilt aber dann nicht, wenn eigenhändige Unterschrift gesetzlich vorgeschrieben ist (vgl. etwa § 2247 BGB) oder – wie im Fall 1 – im Rechtsverkehr vorausgesetzt wird (Examensarbeit!). Hier ist eine Stellvertretung des Namensträgers bei der Unterzeichnung rechtlich unzulässig. A stellt also trotz des Einverständnisses des R eine unechte Urkunde her.

Fall 3: Der Ehemann M hat gegen seine Ehefrau F auf Scheidung geklagt. Er findet einen harmlosen Brief des Freundes seiner Frau. Um den Eindruck ehewidriger Beziehungen seiner Frau zu diesem Freund zu erwecken, setzt er einige „schöne“ Sätze hinzu, um seine Unterhaltszahlungen zu reduzieren (vgl. § 1579 Nr. 6 BGB).

Der Brief enthält verkörperte Gedankenerklärungen, die nach der Ergänzung durch den Ehemann auf rechtserhebliche Tatsachen hinweisen, nämlich ehewidrige Beziehungen zwischen der Ehefrau und dem Freund ansprechen. Rechtserheblich sind Tatsachen immer dann, wenn sie auf Umstände hinweisen, die für die Entstehung, Erhaltung, Veränderung oder Aufhebung von Rechten oder Rechtsverhältnissen Anhaltspunkte geben. Da auch der Unterhaltsanspruch ein Recht ist, welches aufgrund der negativen Härteklausel des § 1579 BGB bei einem intimen Verhältnis mit einem Dritten begrenzt oder aufgehoben werden kann (vgl. BGHZ FamRZ 83, 670), kommt der Tatsache ehewidriger Beziehungen für die Erhaltung, Begrenzung oder Aufhebung dieses Rechts wesentliche Bedeutung zu. Der Brief wurde erst dadurch zu einer Urkunde, dass der Ehemann einige „schöne“ Sätze hinzufügte und so sein Beweisinteresse nach außen hin kundtat. Deshalb hat der Ehemann keine echte Urkunde verfälscht, sondern eine unechte Urkunde hergestellt. M handelte, um bei Gericht seiner vollen Unterhaltspflicht zu entgehen, also zur Täuschung im Rechtsverkehr.

Fall 4: Der Ehemann ist in Untersuchungshaft genommen worden. Aus dem Gefängnis schreibt er an seine Frau: „Erteile Dir Generalvollmacht für die Besorgung meiner Angelegenheiten. Dein Willi.“

Liegt eine Urkunde vor? Fraglich ist, ob das Schreiben den Aussteller erkennen lässt. Der Aussteller des Briefes ist nicht für jedermann erkennbar. Es genügt jedoch, wenn er für die in Betracht kommenden Beteiligten identifiziert werden kann.

Fall 5: T will B ärgern. Er schreibt ihn auf offener Postkarte wie folgt an: „Im Hinblick auf Ihre bevorstehende Insolvenz bin ich bereit, Ihr Unternehmen preisgünstig zu kaufen. Unterschrift: Ein Bürger der Stadt, der es gut mit Ihnen meint.“

T hat bewusst den Eindruck vermieden, seine Erklärung stamme von einer bestimmten Person. So lässt sich seiner Erklärung ein Aussteller nicht entnehmen. Es handelt sich um einen Fall offener Anonymität, bei dem keine Urkunde vorliegt. Gleiches würde in Köln für den berühmten „Jupp Schmitz“ gelten.

Fall 6: Um den hohen Preis für die CD-Kassette seiner Lieblingsgruppe „P O P“ nicht zahlen zu müssen, vertauscht der Fan Felix das Preisschild von 10,80 Euro mit dem Preisschild eines Sonderangebotes von 3,80 Euro.

Fraglich ist, ob es sich bei der CD-Kassette mit dem Preisschild um eine Urkunde handelt. Das Preisschild alleine enthält keine Gedankenerklärung, da es keinen aus sich selbst heraus verständlichen Erklärungswert aufweist; der Angabe lediglich des Geldbetrages kann ein Gedanke nicht entnommen werden. Eine Gedankenerklärung beinhaltet das Preisschild aber in seiner räumlich-festen Verbindung mit der Kassette. Diese zusammengesetzte Einheit enthält die verkörperte menschliche Erklärung, dass diese Kassette den auf dem Preisschild ausgewiesenen Geldbetrag kostet. Die Eignung und Bestimmung dieser Gedankenerklärung zum Beweis einer rechtserheblichen Tatsache ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Einmal erklärt der Aussteller durch das Ausstellen der ausgezeichneten Ware seine Bereitschaft, in rechtsgeschäftliche Verhandlungen über die Ware zu dem ausgezeichneten Preis einzutreten (lat.: [[invitatio ad offerendum = Einladung zum Abschluss eines Vertrages). Zum anderen ist der Aussteller aufgrund der Preisauszeichnungsverordnung verpflichtet, die zum Verkauf ausgestellte Ware mit einem Preisschild zu versehen. Die Preisauszeichnung ist daher auch geeignet und bestimmt, Beweis dafür zu erbringen, dass er die ihm obliegende Preisauszeichnungspflicht erfüllt hat. Die Preisauszeichnung der Kassette ist insgesamt zum Beweis rechtserheblicher Tatsachen geeignet und bestimmt. Aufgrund der auf dem Preisschild enthaltenen Angabe des Ausstellers ist auch der Aussteller bezeichnet, selbst bei Fehlen einer Ausstellerbezeichnung für die Beteiligten (Verkäufer und Käufer) zumindest erkennbar.

Das Preisschild stellt also in seiner festen Verbindung mit der Kassette eine sog. zusammengesetzte Urkunde dar. (Die gleiche Problematik taucht auf bei einem Auto. Auto: alleine keine Urkunde; polizeiliches Kennzeichen: alleine auch keine Urkunde; Auto + Kennzeichnen = Urkunde). Dadurch, dass Felix den Zusammenhang gelöst hat, hat er jeweils eine Urkundenvernichtung gem. § 274 StGB bzgl. der Kassette für 10,80 Euro und der Kassette für 3,80 Euro begangen. Durch das Aufkleben des Preisschildes von 3,80 Euro auf die Ware für 10,80 Euro hat er weiterhin eine unechte Urkunde hergestellt, da er über die Identität des Ausstellers getäuscht hat. Die zusammengesetzte Urkunde stammt von Felix, während sie scheinbar vom Warenhaus herrührt. Mithin ist der Tatbestand des § 267 Abs. 1 1. Alt. StGB erfüllt, da Felix auch gegenüber dem Kassierer den Eindruck hat erwecken wollen, die Kassette sei von dem Inhaber mit diesem Preis ausgezeichnet worden – also zur Täuschung im Rechtsverkehr –um einen Kaufvertrag über die Kassette zu einem Preis von 3,80 Euro abzuschließen. Ob es tatsächlich zu einer Täuschung gekommen ist, ist irrelevant, da bereits die Täuschungsabsicht im Moment der Herstellung des Falsifikats (lat.: Fälschung) ausreicht. Sollte Felix die Kasse passiert haben, so liegen weiterhin ein Gebrauchmachen von der unechten Urkunde (§ 267 Abs., 1 3. Alt. StGB) und ein Betrug gem. § 263 StGB vor.

Fall 7: Der Großneffe Bernhard des Erblassers Eugen bewog den ihm bekannten Rechtspfleger Meier auf der Nachlassabteilung des Amtsgerichts Köln, nicht den gesetzlichen Erben Otto (Neffe des Erblassers), sondern fälschlich ihn als Alleinerben im Erbschein (vgl. § 2353 BGB) auszuweisen. Meier stellt aus Gefälligkeit einen unrichtigen Erbschein auf Bernhard aus.

Meier ist nicht wegen § 267 StGB strafbar, da keine Tathandlung dieser Bestimmung eingreift. Er hat nämlich weder über den Aussteller getäuscht (1. Alt.) ‑ Aussteller ist nämlich tatsächlich der [[Rechtspfleger des Amtsgerichts Köln ‑, noch hat er nachträglich die Beweisrichtung abgeändert (2. Alt.), vielmehr ist der Inhalt der Urkunde von Anfang an unwahr. Während die Urkunde normalerweise keinen Schutz im Hinblick auf ihre inhaltliche Wahrheit genießt, die schriftliche Lüge also grundsätzlich straflos ist, hat der Gesetzgeber speziell die öffentlichen Urkunden (Legaldefinition in § 415 ZPO) auch vor der schriftlichen Lüge geschützt. Gemäß § 348 StGB (Falschbeurkundung im Amt) ist der beurkundende Amtsträger (vgl. § 11 StGB) strafbar, wenn er eine schriftliche Lüge in der von ihm hergestellten echten Urkunde beurkundet. Da es sich bei dem Erbschein um eine öffentliche Urkunde handelt und die Beweiskraft des Erbscheins sich gerade auch auf die (unrichtige) Einsetzung des Erben erstreckt (vgl. §§ 2366, 2367 BGB), hat Meier rechtswidrig und schuldhaft den Tatbestand des § 348 StGB erfüllt. Bernhard ist wegen Anstiftung gem. §§ 348, 26 StGB strafbar (Mittäterschaft scheidet aus, da Bernhard kein Amtsträger ist).

Fall 8: Bernhard bewirkt durch falsche Angaben, dass Rechtspfleger Meier ihn gutgläubig als Alleinerben im Erbschein einsetzt.

Meier hat objektiv und rechtswidrig den Tatbestand des § 348 StGB erfüllt. Ihm fehlt jedoch der Vorsatz, fahrlässige Falschbeurkundung im Amt ist nicht strafbar. Meier ist straflos. Bei Bernhard liegt an sich der Wille eines mittelbaren Täters (vgl. § 25 Abs. 1 2. Alt. StGB) vor; doch ist mittelbare Täterschaft bei § 348 StGB als Amtsdelikt nicht möglich, da Bernhard nicht die Amtsträgerqualifikation besitzt. Auch [[Anstiftung zu § 348 StGB muss ausscheiden, da die Anstiftung gem. § 26 StGB eine tatbestandliche, rechtswidrige und vorsätzliche Haupttat voraussetzt und dieser Vorsatz bei dem beurkundenden Meier fehlt. Eine versuchte Anstiftung scheitert daran, dass § 348 StGB kein Verbrechen ist (vgl. §§ 30, 12 StGB). Diese Lücke, die sich wegen der nicht möglichen mittelbaren Täterschaft und Anstiftung ergibt, schließt der weitschweifig gefasste § 271 StGB (mittelbare Falschbeurkundung). Auch bei dieser Bestimmung geht es wie bei § 348 StGB nicht um die Echtheit von Urkunden (Ausstellertäuschung liegt nicht vor), sondern um deren inhaltliche Wahrheit (schriftliche Lüge bei öffentlichen Urkunden). Öffentliche Urkunden, die eine besondere Bedeutung für den Rechtsverkehr haben, werden auch vor mittelbaren Angriffen in Bezug auf ihren Wahrheitsgehalt geschützt. Bernhard ist demnach strafbar nach § 271 StGB. Der Wortlaut des § 271 StGB ließe sich im Übrigen als Gedächtnisstütze wie folgt reduzieren: „Wer bewirkt, dass in öffentlichen Urkunden eine schriftliche Lüge beurkundet wird, wird ... bestraft.“