Gerichte

Aus Jura Base Camp
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Wahrscheinlich ist es der größte Fortschritt der Menschheit, die Selbstjustiz durch die Einführung von neutralen Instanzen, eben durch Gerichte, ersetzt zu haben. Damit „gewinnt“ nicht der Stärkere oder Schnellere, sondern (im Regelfall) der, der „Recht“ hat. Die Gerichte garantieren also das „Recht“ und damit – hoffentlich ‑ die „Gerechtigkeit“. Man sollte sie als Jurastudent möglichst früh in ihrer Funktionalität kennen gelernt und ihre Räumlichkeiten einmal in Augenschein genommen haben. Man braucht sie, weil sich Menschen aus egoistischen Gründen nicht an „Recht und Gesetz“ halten, oder weil unklar bleibt, wie Gesetze konkret angewendet werden sollen, was ihre Regelungsinhalte sind, oder weil einige sie für nicht sinnvoll halten. Die Grundregel ist: Gerichte gibt es, weil es Streit gibt, den man in einer zivilisierten Gesellschaft nicht mit der Faust (Faustrecht), Axt (Steinzeit) oder dem Revolver (Wildwest) austrägt. Die Menschen können auf drei Ebenen Streit bekommen. (Jurastudium) Zum Einen auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts, weil der Staat etwas von seinem Bürger oder der Bürger etwas von seinem Staat will. Das ist Aufgabe der Finanzgerichte (Steuern), Sozialgerichte (Sozialleistungen: Hartz IV, Rente) und Verwaltungsgerichte (grob gesagt: der Rest des öffentlichen Rechts).

Die zweite Ebene, auf der man Streit bekommen kann, ist die private, der Streit mit seinem Mitbürger, der dem anderen Bürger gleichberechtigt gegenüber steht. Wir nennen diese Ebene Privatrecht.

Und zum Dritten auf dem Gebiet des Strafrechts, weil sich Bürger nicht an die Regeln zum Schutze bestimmter im StGB zusammengestellter Rechtsgüter gehalten haben.

Mit dem Privatrecht und dem Strafrecht beschäftigen sich vorwiegend die 730 Amtsgerichte in Deutschland! Die Amtsgerichte sind das Rückgrat der deutschen Justiz! Zunächst fällt einem bei dem Begriff „Amtsgericht“ immer der Strafrichter ein. Das führt dazu, dass die meisten mit dem Gericht nichts zu tun haben wollen. Mehr als vier Jahre Freiheitsstrafe oder Geldstrafen darf ein Strafrichter beim Amtsgericht nicht verhängen. Außer mit der „kleineren“ bis „mittleren“ Kriminalität ist das Amtsgericht noch mit anderen vielfältigen Problemen hoch beschäftigt.

Machen wir einen kleinen Rundgang vor Ihrem Praktikum: Sie haben einen Handwerker bestellt, der gepfuscht hat. Sie wollen die Rechnung deswegen nicht bezahlen, dieser ist aber uneinsichtig und verklagt Sie auf Zahlung. Schon sind Sie als Beklagter in einen Rechtsstreit verwickelt. Sie haben einen Verkehrsunfall erlitten, an dem Sie völlig schuldlos sind. Die gegnerische Versicherung will nicht zahlen. Es wird Ihnen nichts anders übrig bleiben, als zu klagen. Dieses Mal sind Sie Kläger. Ihr Vermieter will mehr Miete, Sie sind der Ansicht, schon jetzt zu viel zu zahlen. Wenn Sie sich nicht einigen, müssen Sie den Streit vorm Amtsgericht austragen, übrigens unabhängig vom Streitwert. Sie lehnen sich lächelnd zurück; Ihnen kann wenigstens das nicht begegnen, weil Sie Eigentümer einer Wohnung sind. Und der Streit mit den anderen Eigentümern über die Reparatur des Daches? Eine Sache für das Amtsgericht. Ach, Ihre Eltern sind Eigentümer eines freistehenden Einfamilienhauses und meinen, wenigstens sie bräuchten einen solchen Streit nicht zu befürchten? Abgesehen von dem schon erwähnten Streit über Handwerkerrechnungen, der natürlich auch ihnen blühen kann, stellen Sie sich vor, das Nachbargrundstück wird von einem ansonsten friedfertigen Mitbürger gekauft, der einer alten Tradition seiner Familie folgend um Punkt Mitternacht für eine Stunde das Alphorn bläst. Ich kann Ihnen versichern, das wird Ihre Eltern auf Dauer stören. Ihre Bitten werden zwar höflich entgegen genommen, bleiben aber fruchtlos. Was wird geschehen? Sie ahnen es schon, sie klagen vor dem Amtsgericht auf Unterlassung. Das Amtsgericht urteilt in Zivilsachen nicht nur, es sorgt auch dafür, dass den Urteilen gefolgt wird. Es geschieht nicht selten, dass ein armer Kläger mit viel Mühe ein Urteil erstreitet und nun davon ausgeht, der Beklagte, der ab sofort der Schuldner ist, werde nunmehr auch der Verpflichtung des Urteils folgen und zahlen. Der denkt aber gar nicht daran. In diesen Fällen muss der Kläger, der nunmehr Gläubiger heißt, die Zwangsvollstreckung betreiben. Vollstreckungsgericht ist das Amtsgericht. Sie können dort den Gerichtsvollzieher beauftragen, der ein beim Amtsgericht tätiger Beamter ist. Dieser vollstreckt dann in bewegliche Sachen des Schuldners, die zuerst gepfändet und dann versteigert werden. Die Pfändung erfolgt durch Anbringung eines Pfandsiegels, allgemein „Kuckuck“ genannt. Übrigens, wissen Sie eigentlich, woher dieser Begriff stammt? Noch zu Kaisers Zeiten zeigte das Pfandsiegel den Reichsadler, den der Volksmund dann umtaufte. Die Zwangsvollstreckung kann auch dadurch erfolgen, dass Forderungen des Schuldners gepfändet werden, z.B. Arbeitseinkommen. Ist der Schuldner Eigentümer eines Grundstücks, kann auch dieses zugunsten des Gläubigers verwendet werden, durch die Zwangsverwaltung oder –verstei-gerung. Wie auch immer, das Amtsgericht ist zuständig, wenn eine Geldforderung vollstreckt werden muss. An diesen Beispielen wird deutlich, dass die Vielfalt des Lebens und der darin verborgenen Konflikte jeden Bürger schnell in Kontakt mit dem Gesetz, meist mit dem Amtsgericht, bringen kann. Wenn eine Ehe scheitert, wird vom Amtsgericht über die Scheidung und alle daraus folgenden Sachen durch den „Familienrichter“ entschieden. Er spricht nicht nur die Scheidung aus, er legt auch den Unterhalt und den Versorgungsausgleich (Verteilung der in der Ehe erworbenen Rentenansprüche) fest und regelt das Sorgerecht über die minderjährigen Kinder. Auch bei einer intakten Ehe kann das Amtsgericht als Familiengericht tätig werden, z.B. wenn die Eheleute Gütertrennung vereinbaren, wird das Güterrechtsregister dort geführt. Dem Familiengericht obliegen auch alle Entscheidungen, die zum Wohl eines Kindes erforderlich werden, gleich ob ehelich oder nichtehelich, wenn die Erziehungsberechtigten die elterliche Sorge nicht ausüben können. Es kann den Erziehungsberechtigten sogar die elterlich Sorge oder Teile hiervon (z.B. Aufenthaltsbestimmungsrecht) entziehen und auf einen anderen übertragen. Wenn erforderlich, kann das Amtsgericht sich auch sonst um höchstpersönliche Angelegenheiten kümmern, dieses Mal als Vormundschaftsgericht. Nicht selten wird beim Vormundschaftsgericht die Einrichtung einer Betreuung beantragt. Es würde jetzt zu weit führen, Ihnen die Einzelheiten des Verfahrens zu erklären. Zumindest gilt: „Kann ein Volljähriger auf Grund einer psychischen Krankheit, oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht selbst besorgen, so bestellt das Vormundschaftsgericht auf seinen Antrag oder von Amts wegen für ihn einen Betreuer, § 1896 Abs. 1 BGB. Ist der Betreuer dann bestellt, hat dieser unter Aufsicht des Vormundschaftsgerichts die ihm übertragenen Angelegenheiten zu besorgen. In diesem Zusammenhang ist auf eine Berufsgruppe hinzuweisen, von der die meisten Bürger noch nicht gehört haben, die der Rechtspfleger. Bei den Gerichten entscheiden nicht nur Richter, sondern in vielen Bereichen Rechtspfleger. Das gilt insbesondere bei den Amtsgerichten. Er begegnet Ihnen unter anderem beim Vormundschaftsgericht, wo er die Betreuer bestellt und diese auch überwacht. Sie denken „Betreuung betrifft mich doch nicht, ich bin Anfang zwanzig und voller Dynamik“. Auch Sie sind gefährdet. Sie sind dynamisch und lieben Risikosportarten. Was ist, wenn es dabei zu einem Unfall kommt und Sie schwere Verletzungen erleiden? Schon die Teilnahme am Straßenverkehr kann jederzeit zu Verletzungen führen, die uns außerstande setzen, die Dinge des täglichen Lebens zu regeln, insbesondere die rechtlichen. Hat z.B. niemand eine Vollmacht über Ihr Konto, kann auch niemand Ihre finanziellen Angelegenheiten regeln. Zur Vorsorge ist an eine sog. Betreuungsvollmacht zu denken, in der Sie regeln können, wie die Betreuung ausgestaltet und wer Ihr Betreuer werden soll. Allgemein geläufig ist der Satz: „Sterben bringt Erben“, erst die Lachenden und dann die Krachenden. Auch wenn es nicht zum Krach kommt, müssen viele Dinge geregelt werden. Fast immer benötigt der Erbe einen Erbschein. Diesen erteilt das Amtsgericht, dieses Mal als Nachlassgericht. Mit dem Erbschein kann man den Nachweis führen, dass man tatsächlich auch Erbe ist. Deswegen muss man erst dem Gericht nachweisen, dass man den Verstorbenen beerbt hat, allein oder neben anderen Miterben. Erbe kann man werden, indem man mit dem Erblasser verwandt ist oder von diesem durch Testament dazu bestimmt worden ist. Es gibt auch Fälle, in denen jemand vermögend verstorben ist, ohne dass sich ein Erbe feststellen lässt. Auch hier greift das Amtsgericht als Nachlassgericht ein, indem es einen Nachlasspfleger bestellt. Dieser hat nicht nur den Nachlass zu verwalten, sondern auch nach Erben zu suchen. Das kann eine umfangreiche Reise in die Vergangenheit bedeuten. Bei Nachlasspflegschaften über große Vermögen werden die Pfleger nicht nur von den auch hier tätigen Rechtspflegern überwacht, sondern zusätzlich auch von Richtern oder Rechtspflegern, die nicht im Nachlass tätig sind. Es gibt durchaus auch die gegenteiligen Fälle. Erben sind vorhanden, es ist nur keine Erbschaft (Vermögen) da. Dieser Satz ist inhaltlich nicht ganz richtig, ein „Erbe“ oder Nachlass, wie das Gesetz dies nennt, ist immer vorhanden, auch Schulden erbt man. Der Erblasser hat zum Schluss noch flott gelebt und sein Vermögen mit einer jugendlichen Geliebten durchgebracht. Bei allem Respekt, für Sie als Erbe ist das schlecht, weil nicht nur das Vermögen perdu ist, er hat auch noch Schulden gemacht, die Sie als sein einziger Abkömmling erben. Aber auch hier hilft das Amtsgericht. Vor diesem können Sie das Erbe ausschlagen. Sie müssen sich aber beeilen. Nachdem Sie von Ihrer Erbenstellung erfahren haben, haben Sie sechs Wochen Zeit. Und was geschieht eigentlich, wenn jemand verschollen ist? Sie fragen, warum überhaupt etwas geschehen soll, dieser Mensch ist eben nicht mehr greifbar. Stellen Sie sich vor, Sie sind Erbe des Verschollenen und dieser hat ein großes Vermögen, das Sie bekämen, wenn er denn tot wäre. Eben, das können Sie aber nicht nachweisen. Die richtige Adresse ist auch hier das Amtsgericht. Dort können Sie beantragen, dass der Verschollene für tot erklärt wird. Das Amtsgericht kümmert sich aber nicht nur um verschollene Personen, sondern auch um verschollene Inhaber von Rechten, z.B. einer Hypothek, oder um verlorene Wertpapiere im weitesten Sinn. Im Aufgebotsverfahren können sie Rechtsinhaber ausschließen und verlorene Wertpapiere für kraftlos erklären lassen. Herr Müller will eine Handelsgesellschaft, sei es als Einzelkaufmann, OHG, KG, GmbH oder AG gründen, eine Genossenschaft, einen Verein? Herr Hoffmann will Eigner eines Rheindampfers werden? Es wird nicht ohne Amtsgericht gehen. Denn hier werden die Handelsregister geführt, in welche GmbH, Genossenschaft sowie Verein einzutragen sind und der Schiffseigner registriert wird. Das Gericht überprüft, ob die Mindestvoraussetzungen für die Gründung der jeweiligen Handelsgesellschaft der Genossenschaft oder des Vereins erfüllt sind und ob die rechtliche Ausgestaltung ordnungsgemäß ist. Das dient der Sicherheit im Wirtschaftsverkehr. In diese Register hat jedermann ein Einsichtsrecht. Das geht heute sogar über das Internet. Vielleicht wollen Sie sich später selbst ein Haus kaufen. Am Amtsgericht kommen Sie auch hier nicht vorbei. Die Rechte an Grundstücken sind in Grundbüchern verbrieft. Diese Register werden beim Amtsgericht geführt, dieses Mal in seiner Eigenschaft als Grundbuchamt. Jeder Wechsel eines Eigentümers, jede Belastung des Grundstücks mit einem Recht (z.B. mit einer Hypothek), jede Löschung eines solchen Rechts müssen hier eingetragen werden, nur dann wird die Rechtsänderung wirksam. Die Löschung eines Rechts geschieht im Übrigen dadurch, dass dieses rot unterstrichen, „gerötelt“ wird. Wenn Ihnen also jemand erzählt, er stehe als Eigentümer eines Grundstücks im Grundbuch, er sei sogar rot unterstrichen, wissen Sie künftig, was Sie davon zu halten haben. Sind die Zeiten schlecht und geht der Firma Schmitz „die Luft“ aus - vornehm heißt das, sie wird insolvent, im Volksmund, sie geht Pleite - dann muss sie, um nicht straffällig zu werden, die Durchführung des Insolvenzverfahrens (früher hieß das Konkurs) beantragen, dies ebenfalls beim Amtsgericht. Es war jetzt viel von „Anträgen“ und „beantragen“ die Rede. Sie fragen, wie und wo Sie Anträge stellen sollen. Das Amtsgericht hat hierfür eine Rechtsantragstelle, die Ihnen dabei hilft. Aber keine Missverständnisse, diese Stelle erteilt keine Rechtsberatung, wie häufig angenommen wird, sie hilft lediglich, indem sie den Sachverhalt aufnimmt und den Antrag, die begehrte Rechtsfolge, formuliert. Hier können Sie im Übrigen auch Ihren Austritt aus der Kirche erklären. So, im Wesentlichen wissen Sie jetzt, womit sich ein Amtsgericht beschäftigt. Es gibt noch weitere Gebiete (z.B. Landwirtschaftssachen), die hier bearbeitet werden, aber irgendwo muss auch Schluss sein. Sie sollten das Amtsgericht aber jetzt noch einmal ansehen. Das geschieht mit anderen Augen, nachdem Sie wissen, was in diesen Mauern entschieden wird, die kleinen und großen menschlichen Schicksale, sei es im Guten oder im Bösen. Es sind aber nicht die Mauern, die diese Entscheidungen treffen, es sind die Menschen, die in den Gerichten arbeiten, Frauen und Männer als Richter und Rechtspfleger, als Geschäftsstellenverwalter und Schreibkräfte, als Gerichtsvollzieher und Wachtmeister. Sie alle werden benötigt, um dem Bürger, wenn es denn einmal sein muss, zu helfen.

Dieser kleine Ausflug zeigt, dass das Amtsgericht das Gericht für die Dinge des Alltags ist. Es ist viel näher bei den Bürgern, als diese zumeist ahnen. Über den Strafrichter hinaus, gibt es große Bereiche des Lebens, in denen das Amtsgericht tätig werden kann. Wenn man hier vom „Strafrichter“ spricht, bezeichnet dieses die Funktion, die er ausübt, wie man denn auch vom „Familienrichter“ oder „Zivilrichter“ spricht. Die richtige Dienstbezeichnung lautet für den Richter, der am Amtsgericht tätig ist, aber in allen Fällen „Richter am Amtsgericht“. Sie sollten Ihre Scheu vor dem Amtsgericht ablegen. Und wenn Sie mal vorbeikommen, schauen Sie unbedingt mal rein.

Noch eins: Sie wenden völlig zu Recht ein, Sie hätten von Fällen gehört, in denen sich ein Land- oder Oberlandesgericht mit einem Zivilrechtsstreit beschäftigt habe, ja sogar der Bundesgerichtshof. Und was ist mit den Arbeitsgerichten? Wenn sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber wegen des Arbeitsverhält-nisses streiten, ist das zweifellos eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit. Wegen der Besonderheiten dieser Materie hat der Gesetzgeber hier eine spezielle Gerichtsbarkeit eingerichtet, die Arbeitsgerichte. Auch Oberlandesgericht und Bundesgerichtshof sind einfach zu erklären. Es handelt sich um Instanzgerichte. Diese können unter bestimmten Voraussetzungen angerufen werden, um die Entscheidungen der Vorinstanz zu überprüfen. Aber die Landgerichte? Das sind Zwitterwesen. Einerseits sind sie in Zivilsachen – aber auch in Strafsachen – in erster Instanz tätig, andererseits sind sie Berufungsgerichte für amtsgerichtliche Entscheidungen. In Zivilsachen hängt es vom Wert ab, über den gestritten wird. Bis zu 5.000 € ist das Amtsgericht in erster Instanz zuständig, darüber das Landgericht; in Strafsachen entscheidet das Landgericht in sogenannten großen Strafkammern über die „schwere“ Kriminalität mit Strafen von vier Jahren an bis zu lebenslang.