(lat.: Erdichtung) Von einer gesetzlichen Fiktion spricht der Jurist bei einer Gleichsetzung zweier gänzlich verschiedener Tatsachen. Es ist eine bewusst gesetzte widerspruchsvolle oder falsche Annahme eines Sachverhalts. Die Formulierung lautet: „Gilt als“.
Beispiele:
- Nach § 1923 Abs. 1 BGB kann nur Erbe sein, wer vor dem Erbfall geboren ist. Nach § 1923 Abs. 2 BGB „gilt“ als vor dem Erbfall geboren (obwohl noch nicht geboren), wer zum Zeitpunkt des Erbfalls (Tod) noch nicht lebte, aber bereits erzeugt war.
- Nach § 892 Abs. 1 S. 1 BGB „gilt“ der Inhalt des Grundbuchs grundsätzlich als richtig, selbst wenn er falsch sein sollte.
- Nach § 894 ZPO „gilt“ eine Willenserklärung als abgegeben mit Rechtskraft des Urteils, obwohl sie nie abgegeben worden ist.
Während bei einer Vermutung die vermutete Tatsache wahr, aber auch unwahr sein kann (§ 1006 Abs. 1 S. 1 BGB vermutet, dass der Besitzer einer Sache auch ihr Eigentümer ist), kann das, was fingiert wird, niemals der Wahrheit entsprechen. Deshalb ist eine Fiktion unwiderleglich, eine Vermutung grundsätzlich durch Gegenbeweis widerlegbar.
In der Alltagssprache ist das anders als in der Rechtssprache.
Beispiel: „Sabine gilt als hervorragende Tennisspielerin“.
Die Alltagssprache bejaht die Aussage als Realität, während die Rechtssprache sie als „real“ verneint und nur so tut, „als ob“ es real sei. „Gilt als“ ist in der Rechtssprache eine unwiderlegbare Unterstellung, ein „Wir tuen so, als ob …“. Die Alltagssprache drückt das Gegenteil aus: „Es ist so …“.