Ein Problem der ➞ Juristerei ist die spannende Frage, ob es von Richtern geschaffenes „Richter-Recht“ gibt. Rechtsnormen umfassen nur ganz abstrakt allgemeinverbindliche Regelungen zwischen allen Parteien (lat.: inter omnes). Gerichtliche Urteile und Beschlüsse ordnen dagegen Rechtsfolgen in ihrem Entscheidungsausspruch (Tenor) ganz konkret an. Dieses Urteil oder dieser Beschluss gilt nur für den Einzelfall und ist nur für die Parteien dieses Verfahrens verbindlich (lat.: inter partes). Der ➞ Richter erzeugt deshalb kein ➞ Recht, sondern wendet Recht an (anders § 31 Abs. 2 BVerfGG und § 47 Abs. 4 VwGO für das Bundesverfassungsgericht bzw. für die Oberverwaltungsgerichte). Das Problem des Richterrechts betrifft nun die Fälle der sog. Rechtsfortbildung, in denen Richter ihre Entscheidungen nicht allein mit einem klaren Gesetzeswortlaut begründen können, sondern darüber hinausgehende, auch wertende Überlegungen anzustellen haben. Die Ergebnisse der richterlichen Rechtsgewinnung von der ➞ Auslegung über die ➞ Analogie bis zur Gesetzeskorrektur im Wege der Rechtsfortbildung haben keinen Rechtsnormcharakter. Dafür spricht, dass selbst grundlegende Leitsätze der Gerichte nicht allgemein verbindlich sind, also nicht „inter omnes“ gelten. Andere Gerichte können anders entscheiden. Selbst das Gericht, das den Leitsatz aufgestellt hat, kann seine Rechtsprechung ändern. Höchstrichterliche Urteile sind kein Gesetzesrecht und erzeugen keine damit vergleichbare Rechtsbindung. Von ihnen abzuweichen, verstößt grundsätzlich nicht gegen Art. 20 Abs. 3 GG. Ihr Geltungsanspruch über den Einzelfall hinaus beruht allein auf der Überzeugungskraft ihrer Gründe sowie der Autorität und den Kompetenzen des Gerichtes.

Gemeint ist unter Richterrecht also immer die Rechtsfortbildung durch die Gerichte bei der ➞ Auslegung von Gesetzen. Im strafrechtlichen und im zivilrechtlichen Studium (besonders im Arbeitsrecht) wird man mit solchermaßen entwickelten Rechtsfiguren konfrontiert werden, welche die vom Gesetzgeber übersehenen und manchmal bewusst offengelassenen entscheidungsrelevanten Fragen in so manchen Fällen ausfüllen.

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