Das Wesen der Urkundsdelikte besteht in dem Missbrauch der Form der Beurkundung im Rechtsverkehr. Jedes Urkundsdelikt stellt einen Angriff gegen das öffentliche Vertrauen in die Möglichkeit und gegen die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Urkundenbeweises dar. Träger des durch § 267 ff. StGB geschützten Rechtsgutes, nämlich der Rechtsverkehr, spezieller, der Beweisverkehr, ist die Allgemeinheit, die unverzichtbar darauf angewiesen ist, dass stofflich fixierte Erklärungen ein wirksames Beweismittel bilden. Die Gesamtheit der am Rechtsverkehr teilnehmenden Bürger ist deshalb an der Integrität der Urkunden als Beweismittel interessiert.

Diese drei Alternativen des § 267 StGB haben jeweils das Merkmal der Urkunde sowie das der Täuschungsabsicht (zur Täuschung im Rechtsverkehr) gemeinsam, unterscheiden sich aber durch die unterschiedlichen Tathandlungen.

  1. Tatbestandsmerkmal: Urkunde

Beispiel 1: Schuldner Schuld (S) schuldet Gläubiger Glaub (G) 1.500 Euro aus einem Darlehen. S zahlt an G 500 Euro zurück. G überreicht S eine Quittung, in der es heißt: „Habe heute von Herrn Schuld den Betrag von 500 Euro dankend erhalten. Unterschrift: Glaub“. S setzt in diese Quittung vor die Ziffer 500 Euro eine 1 ein, um damit in dem bevorstehenden Rechtsstreit die vollständige Zahlung seiner Schuld nachweisen zu können.

Beispiel 2: Student Jupp Schmitz radiert in einer „kölschen Kneipe“ sechs der durch den Wirt auf dem Bierdeckel markierten 15 Striche aus, um nur neun Bier bezahlen zu müssen. Bei der Abrechnung zahlt er auch nur neun Bier (Jupp soll noch nicht schuldunfähig sein nach 15 Bieren !).

 

Eine Urkunde ist jede verkörperte menschliche Erklärung, die im Rechtsverkehr geeignet (objektiv) und bestimmt (subjektiv) ist, für ein Rechtsverhältnis Beweis zu erbringen und die ihren Aussteller bezeichnet oder zumindest für die Beteiligten erkennbar werden lässt. Sie ist gemeinsames Tatbestandsmerkmal der drei Alternativen des § 267 StGB und damit Gegenstand der Urkundenfälschung. Die äußerst wichtige Definition umfasst drei Funktionen, die erfüllt sein müssen, damit eine Urkunde im strafrechtlichen Sinn vorliegt. Zunächst muss es sich um eine verkörperte, d.h. stofflich fixierte, menschliche Erklärung handeln (Verkörperungsfunktion). Weiterhin muss diese Erklärung im Rechtsverkehr geeignet und bestimmt sein, Beweis zu erbringen (Beweisfunktion). Letztlich muss der Aussteller der Erklärung als Garant der Erklärung bezeichnet oder zumindest erkennbar sein (Garantiefunktion).

Eine Urkunde wirkt dadurch, dass sich aus ihr verkörperte menschliche Gedanken – mögen sie Willenserklärungen, Zeugnisse oder Gutachten sein – entnehmen lassen.

Den Gegensatz bilden die sog. Augenscheinobjekte, wie die Narbe am Körper des Verletzten, der Kugeleinschlag in der Wand, Fingerabdrücke und Fußspuren. Sie dienen zum Beweis einer Tatsache kraft ihrer Lage, Beschaffenheit oder Eigenschaft, nicht aber aufgrund einer Gedankenerklärung. Auch technische Aufzeichnungen wie der Gaszähler, der Kilometerzähler, der Fahrtenschreiber, elektronische Kameras bei der Radarkontrolle, Elektrokardiographen usw. sind besondere Augenscheinobjekte, die keine menschliche (Gedanken-) Erklärung verkörpern. Die Fälschung solcher technischen Aufzeichnungen und die Fälschung beweiserheblicher Daten werden zur Lückenschließung in §§ 268, 269 StGB erfasst. Als Urkunden kommen vor allem Schriftstücke in Betracht, z.B. Verträge, Quittungen und Ausweispapiere. Zur Verkörperung der Erklärung können aber auch andere Stoffe als Papier benutzt werden, wie z.B. Blech beim Autokennzeichen, Stahl bei der Motornummer oder das Fell für das Brandzeichen einer Kuh des Bauern B, wodurch das Rind zur „galoppierenden Urkunde“ wird. In Betracht kommt jedes Material, das eine Erklärung mit einer gewissen Dauerhaftigkeit festhalten kann. Daran fehlt es bei einem Testament, das Jupp nach einer Liebesnacht mit Emma in den Sand von Arenal (Mallorca) schreibt, weil der Wind oder die nächste Welle die Erklärung vernichtet (anders vielleicht im ewigen Eis!). Dem Begriff der Urkunde ist allerdings das optisch-visuelle Verständnis ihres Inhaltes wesentlich, weshalb Tonbändern, Kassetten und CD’s die Urkundeneigenschaft fehlt.

 

Für den Urkundsbegriff ist die Beweiseignung und Beweisbestimmung für den Rechtsverkehr essentiell. Zunächst ist es für jede Urkunde wesentlich, dass sie geeignet sein muss, durch ihren Inhalt etwas Rechtserhebliches auszusagen, d.h. allein oder in Verbindung mit anderen Beweismitteln entweder den Beweis oder die Glaubhaftmachung einer rechtserheblichen Tatsache zu vermitteln. Die Beweiseignung beurteilt sich allein nach objektiven Kriterien. Darüber, ob eine verkörperte Erklärung ihrem Inhalt nach Beweis erbringen kann, entscheidet nicht der einseitige Wille des Urhebers der Erklärung oder desjenigen, der an der Erklärung ein Beweisinteresse hat. Einer Urkunde kommt vielmehr entweder kraft Gesetzes oder kraft Herkommens oder kraft einer Vereinbarung der Beteiligten die Urkundseigenschaft zu.

Beispiel: Erblasser Emil hat in einem maschinengeschriebenen Testament seinen Freund Jupp als Alleinerben eingesetzt. Nach dem Erbfall findet sein Sohn Otto das Papier, streicht Jupp aus und setzt sich selbst als Erben ein.

 

Bei nichtigen Urkunden kann es an der Beweiseignung fehlen, wenn die Unwirksamkeit der Erklärung infolge Verletzung wesentlicher Formvorschriften für den Rechtsverkehr offenkundig ist. Hier ist das Testament wegen Verstoßes gegen § 2247 BGB evident formnichtig, so dass es objektiv nicht zum Beweis geeignet ist. Anders ist es bei einem formnichtigen Grundstücksvertrag gem. §§ 311 b Abs. 1 S. 1, 125 BGB, da dieser wegen der Heilungsmöglichkeit über § 311 b Abs. 1 S. 2 BGB seine objektive Eignung für den Rechtsverkehr behält.

 

Darüber hinaus muss die Urkunde zum Beweis einer rechtserheblichen Tatsache nicht nur geeignet, sondern auch bestimmt sein. Hinter dem Gegenstand muss also ein Bezeugungswille stehen. Ein Bezeugungswille ist vorhanden, wenn ein Beweisinteressent mit dem Gegenstand eine Tatsache beweisen will und diesen Willen in dem Gegenstand zum Ausdruck bringt. Der Bezeugungswille kann auch erst später mit dem Gegenstand verbunden werden. Es handelt sich dann um die sog. „Zufallsurkunden“, die erst in dem Augenblick zur Urkunde werden, in welchem jemand nach außen erkennbar seinen Bezeugungswillen kundtut.

 

Beispiel: Hobbymaler Salvatore hat aus Renommiergehabe einen Picasso kopiert, mit dem Künstlerzeichen „Pi“ versehen und sich dieses Bild ins Wohnzimmer gehängt. Anlässlich einer Party bietet John Ross 100.000 Dollar für das Werk des „Meisters“. Salvatore verkauft das Bild.

 

Hier folgt die vorhandene Beweisbestimmung für den Rechtsverkehr erst nachträglich durch die Annahme des Kaufangebotes. In diesem Moment entsteht nunmehr die Urkunde (Malzeichen mit Bild).

 

Die in einer Urkunde liegende Erklärung setzt begrifflich voraus, dass nicht nur die bloße Tatsache einer Aussage, sondern auch die Person des Aussagenden zumindest erkennbar ist. Jede Urkunde schöpft als persönliches Beweismittel ihren Beweiswert aus der Person des Ausstellers.

 

In den Ausgangsfällen handelt es sich bei der Quittung des Glaub ebenso um eine Urkunde wie bei dem Bierdeckel des Wirtes. Die Quittung ist ein schriftliches Empfangsbekenntnis über die Leistung eines Geldbetrages, bestimmt und geeignet, die Zahlung zu beweisen. Ihre Bedeutung liegt gerade darin, dem Schuldner ein Beweismittel für die Leistung des geschuldeten Gegenstandes in die Hand zu geben. Schließlich ist durch die Unterschrift des Glaub auch der Aussteller ausdrücklich bezeichnet. Folglich ist die Quittung gesetzlich als Urkunde anerkannt (vgl. §§ 368 BGB, 775 Nr. 4 ZPO). Die Striche auf dem Bierdeckel sind Beweiszeichen für die Anzahl der geschlossenen Verträge über die gelieferten Getränke. Die Bedeutung für den Rechtsverkehr liegt darin, dass die Striche unter Kontrolle von Gast und Wirt im Geschäftsverkehr gerade zum Beweis objektiv geeignet und auch subjektiv bestimmt sind, die Zahl der getrunkenen Biere zu dokumentieren. Der Aussteller, nämlich der Wirt, ist zwar nicht bezeichnet, aber als Garant für die Beteiligten kraft Herkommens erkennbar; das reicht aus. Folglich ist der Bierdeckel eine Urkunde.

 

Als Anregung zum Selbststudium:

Vgl. BGHSt 12, 108 (verneint, kein Aussteller erkennbar)

Vgl. BGHSt 17, 297 (bejaht)

Vgl. BGHSt 1, 120; 2, 51 (verneint, weil sie nur über Inhalt und Fassung ihrer Vorlage berichten soll und ihr Urheber für die Richtigkeit der Wiedergabe nicht garantiert; es fehlt an der Beweisbestimmung)

Vgl. OLG Hamm NJW 73, 1809 (bejaht, da sie eine eigene schriftliche Erklärung des Ausstellers verkörpert, der Durchschriften gerade zu dem Zweck anfertigt, mehrere Stücke als Beweismittel zur Verfügung zu haben)

Vgl. BGHSt 5, 291; 24, 141 (verneint, da auch sie nicht die Erklärung selbst enthält und daher nicht beweiskräftig ist)

Vgl. RGSt 52, 179 (bejaht)

Vgl. BGHSt 16, 95; 18, 66 (bejaht)

 

  1. Die Tathandlungen der Urkundenfälschung

 

 

Eine Urkunde ist unecht, wenn sie geistig nicht von demjenigen stammt, der in ihr als Aussteller bezeichnet ist.

Beispiel: Täter T füllt einen Scheck des Otto Schmitz aus und unterschreibt mit Otto Schmitz.

 

Entscheidend für die erste Variante des § 267 StGB ist, dass die Urkunde über die Identität des Ausstellers täuscht. Der rechtsgeschäftliche Verkehr wird auf Otto Schmitz hingewiesen, der in Wahrheit nicht hinter der urkundlichen Erklärung steht. Dabei kommt es nicht auf die Richtigkeit des Erklärten an.

 

Beispiel: T ficht einen Vertrag mit der unwahren Behauptung an, er sei arglistig getäuscht worden und unterschreibt die Anfechtungserklärung mit seinem eigenen Namen.

 

Es liegt keine unechte Urkunde vor, denn T hat nicht über die Identität des Ausstellers getäuscht, sondern über die inhaltliche Wahrheit. Die Urkunde ist echt, es handelt sich lediglich um eine „schriftliche Lüge“, die grundsätzlich straflos ist (anders bei öffentlichen Urkunden; vgl. § 348 StGB, s.u.). Eine inhaltlich unwahre Urkunde kann also echt sein!

 

Eine Verfälschung einer Urkunde liegt vor, wenn einer vorhandenen echten Urkunde ein anderer Inhalt gegeben wird.

Beispiel: Täter T fügt dem Scheck des Otto Schmitz über 1.000 Euro eine Null hinzu, so dass er jetzt über 10.000 Euro lautet.

 

Hierzu genügt jede Änderung des gedanklichen Inhalts einer echten Urkunde, durch die der Anschein erweckt wird, als habe der Aussteller die Erklärung in der Form abgegeben, die sie durch das Verfälschen erlangt hat.

Verfälschen bedeutet also die nachträgliche Abänderung der Beweisrichtung der Urkunde.

 

Dies erfordert, dass dem zu Täuschenden die Urkunde zugänglich gemacht wird und diesem so die Möglichkeit der Kenntnisnahme gegeben ist. Gebrauch machen bedeutet die Präsentation der unechten oder verfälschten Urkunde. Es ist nicht erforderlich, dass der zu Täuschende die Urkunde tatsächlich wahrgenommen oder eingesehen hat. Schuld und Jupp Schmitz haben in den Ausgangsfällen jeweils eine echte Urkunde verfälscht. Durch Änderung des angegebenen Betrages in der Quittung bzw. durch das Ausradieren der Striche auf dem Bierdeckel haben sie den jeweiligen Urkunden eine andere Beweisrichtung gegeben. Während vor-her eine Zahlung von 500 Euro bzw. der Abschluss von 15 „Bierverträgen“ bezeugt wurde, weisen die Quittung und der Bierfilz nun Zahlung von 1.500 Euro bzw. nur noch neun „Bierverträge“ aus.

 

  1. Täuschungsabsicht bei § 267 StGB

 

Die einzelnen Tathandlungen müssen zur Täuschung im Rechtsverkehr vorgenommen werden, sog. Täuschungsabsicht. Dabei handelt es sich um ein der Zueignungsabsicht (§ 242 StGB) und Bereicherungsabsicht (§ 263 StGB) vergleichbares subjektives Tatbestandselement. Täuschungsabsicht erfordert, dass der Getäuschte zu einem rechtserheblichen Verhalten veranlasst werden soll. Geht es dem Täter dagegen lediglich um eine Täuschung im privaten oder gesellschaftlichen Bereich, so will er nicht im Rechtsverkehr täuschen.

Beispiel: Der alternde Playboy Reiner ändert in seinem Personalausweis sein Geburtsdatum, um aus Gefallsucht bei der schönen, reichen Witwe Bolte zehn Jahre jünger zu erscheinen.

 

Der Personalausweis ist der klassische Fall einer Urkunde; auch ist seine Beweisrichtung nachträglich verändert, mithin verfälscht worden. Es fehlt jedoch die Täuschungsabsicht für § 267 StGB, da Reiner lediglich die Gunst der schönen Witwe erringen will, also nur der privat-gesellschaftliche Bereich betroffen ist. Anders wäre es, wenn Reiner durch die Manipulation Witwe Bolte zur Heirat veranlassen wollte. (Natürlich darf man nach dem Personalausweisgesetz keine Personalausweise manipulieren, klar!)

 

Schuld und Schmitz haben im Ausgangsfall die Quittung bzw. den Bierdeckel verfälscht, um entweder in dem bevorstehenden Rechtsstreit Zahlung von 1.500 Euro zu beweisen und die Abweisung der Klage des Glaub zu erreichen oder den Wirt zur Abrechnung von nur neun Bier zu veranlassen. Die Tathandlungen geschahen also jeweils zur Täuschung im Rechtsverkehr. Rechtswidrigkeit ist gegeben; ein Rechtfertigungsgrund liegt nicht vor. Die Tat ist auch dann rechtswidrig, wenn dem Täter das Recht, welches er mit der Urkundenfälschung verfolgt, zusteht. Hätte Schuld statt 500 Euro tatsächlich 1.500 Euro gezahlt und Glaub lediglich aus Versehen nur 500 Euro quittiert, so wäre das Vorgehen des S dennoch rechtswidrig. Für die Schuld ist Vorsatz erforderlich. Der bedingte Vorsatz (Dolus eventualis) genügt im Gegensatz zur Täuschungsabsicht. Schuld und Schmitz haben jeweils vorsätzlich gehandelt.

Beide sind nach § 267 Abs. 1 2. Alt. StGB zu bestrafen.

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