Gesetzgebungsverfahren

Aus Jura Base Camp
Wechseln zu: Navigation, Suche

Gesetze fallen nicht vom Himmel! Sie sind von Menschen gemacht in einem komplizierten, verfassungsmäßig vorgeschriebenen Verfahren. Ihr Geburtsakt ist im Grundgesetz genauestens festgelegt und das Kind „Gesetz“ hat viele Väter und Mütter, die jedes Wort wohlüberlegt „gesetzt“ haben. Wie die Gesetze entstehen, muss der wissen, der mit ihnen arbeiten und sie verstehen will, aber auch, wer, wie viele Studierende, ihre Sprache und ihren Stil kritisieren will. (Juristensprache)

Die Geburt eines Gesetzes resultiert aus einem „9-Punkte-Schwangerschaftsprogramm“:

1. Als erstes bedarf es eines politischen Impulses. Ein solcher Impuls kann kommen z.B. aus den Umweltverbänden, der Wirtschaft, den Arbeitgeberverbänden, aus Gewerkschaften, den Parteien oder Kirchen. Diese Anregungen werden kanalisiert durch deren Vertreter und die sie aufnehmenden Medien und münden dann über die Parteien in das Initiativrecht des Parlaments, in die Arbeitskreise der Fraktionen, in Parteitagsbeschlüsse oder Beamtengruppen der Ministerien.

2. Was folgt, ist die Faktenanalyse, d.h. die Ermittlung der tatsächlichen Situation durch Anhörungen von Experten. Das Verfahren ist geregelt in den Geschäftsordnungen der Ministerien und des Bundestages. Grundfragen sind: Ist das Gesetz überhaupt erforderlich? Welche Alternativen bestehen? Welche Kosten fallen an? Ist das Gesetz politisch durchsetzbar? (Mehrheit erreichbar?)

3. Wird eine dieser Fragen negativ beschieden, so landet die Initiative in der „Schublade“. Kommt man zu einem positiven Ergebnis, so wird ein Referentenentwurf gezimmert oder es folgt ein Kabinettsbeschluss durch die Regierung. Nunmehr werden grob die Rahmenbedingungen abgesteckt. Überprüft wird die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz. Die Gesetzgebungszuständigkeit zur Durchführung des Normsetzungsverfahrens und zum Erlass der Norm für den Bund oder die Länder wird geprüft und festgelegt. Es wird überlegt, welche der übrigen Gesetze an die zu erlassende Rechtsnorm angepasst werden müssen.

4. Was nun folgt, ist die Ausgestaltung der Norm, man nennt das auch: Gesetzestechnik. Welchen Umfang soll das Gesetz haben? Soll es sich um ein vollständiges Gesetz mit Einzeltatbeständen und Detailregelungen handeln? Oder will man sich auf eine Generalklausel, vage Rechtsbegriffe, Ermessensermächtigungen beschränken (Abwälzung auf die Richter und Verwaltungsbehörden)? Kann man das Gesetz durch Verordnungsermächtigungen gem. Art. 80 GG (nachlesen!) möglicherweise entlasten? Welchen Aufbau soll das Gesetz erhalten? Einen allgemeiner Teil und einen besonderer Teil oder nur Spezialtatbestände mit Generalklauseln als Auffangtatbeständen? Klarheit verschaffen über Voraussetzungen (Tatbestandsmerkmale) und Rechtsfolgen. Das Konditionalprogramm entsteht! Auf Vermeidung von Widersprüchen zu anderen Gesetzen achten!

Anpassung an andere Gesetze oder Aufhebung von anderen Gesetzen (Schlussteil) erwägen. Übergangsvorschriften schaffen!

5. Dann wird die Durchsetzbarkeitskontrolle vorgenommen. Klare [[Anspruchsgrundlagen müssen geschaffen werden. Die Zuständigkeiten werden genau festgelegt. Vollstreckungsmöglichkeiten werden eingeräumt. Die Gesetze werden mit Straf- und Bußgeldvorschriften bewehrt.

6. Danach mündet alles in die Praxisbewährung. Viele Normalfälle, aber auch Zweifelsfälle und Grenzfälle werden überprüft, Planspiele durchgeführt, Modelle und Diagramme erstellt. Die Experten versuchen, an alles zu denken! Es wird von dem „Einzelfall“ auf die „Norm“ geschlossen. Soll der „Grenzgänger-fall“ noch erfasst werden oder nicht mehr? Der Gesetzgeber muss also den Weg der „umgekehrten Subsumtion“ beschreiten, anders als in einem Gutachten. Die Ergebnisse fließen ein in Korrekturen, Ausnahmenormen und Härteklauseln. Die negative Folge ist, dass die ursprünglich klare Struktur des Gesetzes nicht selten verwässert wird.

7. Nun kommt es zur sprachlichen Fassung. Klarer, verständlicher, durchsichtiger Stil (hier ist der Ansatz für studentische Kritik). Geschlechtsneutrale Begriffe verwenden. Bei Begriffen, die sich nur auf bestimmte Funktionen beziehen (Eigentümer, Käufer, Mieter, Bürger, Richter, Leser, Student) und nicht den einzelnen Menschen meinen, sollte es bei der männlichen Form bleiben (grammatisches Geschlecht). Die Schrägstrichtechnik, auch bezeichnet als Tandemformel (Antragsteller/in), ist leider ebensowenig aussprechbar wie das Anfügen von In-Suffixen (AntragstellerInnen). Die Addition (Antragsteller und Antragstellerin) erscheint schwerfällig und zu lang.

8. Endlich ist man beim endgültigen Normsetzungsverfahren, welches im Grundgesetz geregelt ist in den Artikeln 76, 77 und 78 GG.

9. Jetzt muss das Gesetz sich bewähren. Nach einer gewissen Zeit erfolgt die Erfolgskontrolle (Evaluation) des neuen Gesetzes. Neben den Verfassungsorganen Bundestag und Bundesrat wirken die Interessenverbände bei der Geburt entscheidend mit, sog. Lobbyisten („Lobby“ = Wandelhalle im engl. Parlament), die offen oder versteckt, verbal oder nonverbal, ehrenhaft oder unehrenhaft, mit Druck, goldenen Handschlägen oder Versprechungen versuchen, Einfluss auf das Gesetz zu gewinnen, um Vorteile für sich herauszuschlagen, zumindest Nachteile abzuwehren. Die Gesetzgeber versuchen immer, möglichst viele dieser Interessen, aber natürlich auch ihre eigenen, unter einen Hut zu bekommen. Aus diesem Versuch des Interessenausgleichs resultieren dann häufig die weichen Kompromissformeln, welche die Anwendung des Gesetzes und seine Verständlichkeit erschweren. Ist das Gesetz aber endlich geboren, so entfaltet es seine volle „Kraft“, nachdem es „in Kraft getreten ist“. Jeder Verwaltungsangestellte, Beamte oder Richter, der in die Rechts- oder Freiheitssphäre eines freien Bürgers eingreifen will, darf selbst nicht frei sein. Er bedarf dazu der Ermächtigung durch das Gesetz (Vorbehalt des Gesetzes = Kein Handeln ohne Gesetz). Er darf sich nur im Rahmen des Gesetzes bewegen (Vorrang des Gesetzes = Kein Handeln gegen das Gesetz). Willkür und subjektives Wollen und Wünschen des staatlichen Rechtsanwenders dürfen keinen Einfluss gewinnen, damit eben nicht Menschen, sondern Gesetze herrschen. Das ist der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Nach seiner Geburt trennt sich das Gesetz von den Vorstellungen und Motiven seiner gesetzgebenden Eltern – die Nabelschnur ist durchgeschnitten. Das Gesetz gewinnt Objektivität. Objektivität heißt: Es wird zu einer Erscheinung der außerhalb des erkennenden Subjekts (Mensch) und unabhängig von dessen Bewusstsein existierenden Wirklichkeit. In seiner Objektivität, in der sich das Gesetz von seinen Schöpfern trennt, liegt eine Analogie zum Kunstwerk, das vom Meinen und Wollen des Künstlers ebenfalls unabhängig wird und aus sich heraus zu seinem Betrachter, Hörer oder Leser spricht oder tönt. Die Grundlage für das Gesetz ist das Wort. Nicht, was unsere Abgeordneten bei dem Geburtsakt meinen oder wünschen, zählt, sondern das, was sich im Wort verkörpert. Über ihre geäußerten Motive wird nicht, über ihre wahren Motive schon gar nicht abgestimmt. Der Wortlaut stand zur Abstimmung an. Daraus folgt der oft gelesene Satz: „Das Gesetz ist klüger als der Gesetzgeber.“