Die Fälle der Anfechtung in § 123 Abs. 1 1. Alt. und 2. Alt. BGB sind dadurch gekennzeichnet, dass bei ihnen Wille und Erklärung des Erklärenden deswegen auseinanderfallen, weil der Vertragspartner oder ein Dritter auf den Willen des Erklärenden Einfluss nimmt und so bewirkt, dass dieser eine Erklärung abgibt, die er tatsächlich nicht abgeben will. Es handelt sich daher ebenfalls um gesetzlich geregelte Fälle von Willensmängeln. Damit soll die Freiheit der Willensentschließung geschützt werden

Schließlich besagt das Tatbestandsmerkmal „arglistig“, dass der Täuschende mit Vorsatz gehandelt haben muss. Vorsatz bedeutet Folgendes: Er muss „wissen und wollen“, dass er seinen Vertragspartner täuscht, dieser sich daraufhin irrt und aufgrund des Irrtums eine Willenserklärung abgibt, die er ohne den Irrtum so nicht abgegeben hätte. 

Eine Drohung liegt vor, wenn jemand ein zukünftiges Übel in Aussicht stellt und – im Gegensatz zur bloßen Warnung – dabei erklärt, auf den Eintritt des Übels Einfluss zu haben.

 

Beispiel: Nach einem Verkehrsunfall verlangt der geschädigte Felix Flott von dem Unfallgegner Rudi Rasant, der den Unfall verschuldet hat, dass dieser ein Schuldanerkenntnis unterschreibe. Er droht damit, ansonsten

Daraufhin unterschreibt Rudi das Schuldanerkenntnis.

 

In beiden Beispielsfällen liegt eine Drohung vor, weil sowohl die Schläge als auch die Aufdeckung der Alkoholfahrt durch die Polizei für Rudi ein zukünftiges Übel darstellen, dessen Eintritt (nach seinen Worten) von Felix‘ Willen abhängt. 

 

Diese  Drohung  muss  für  die  Abgabe  der  Willenserklärung kausal gewesen  sein.  Das heißt, dass die Erklärung trotz Vorliegens einer Drohung nicht anfechtbar ist, wenn der Erklärende sie ohnehin abgegeben hätte. In den Beispielsfällen kann Rudi demnach seine Erklärung nicht anfechten, wenn er ohnehin die Absicht hatte, sie zu unterschreiben, etwa weil er als Alleinschuldiger des Unfalles dies für moralisch angebracht hielt. 

 

Schließlich ist die erforderliche Widerrechtlichkeit zu erörtern. Der Bedrohte muss nämlich nach dem Gesetzeswortlaut „widerrechtlich durch Drohung“ zur Abgabe seiner Willenserklärung bestimmt worden sein. Hierbei ist zwischen drei Fallgruppen zu unterscheiden: Der Drohende handelt widerrechtlich, wenn

 

 

In Beispiel a. besteht ein Anfechtungsgrund, weil das eingesetzte Mittel der Schläge widerrechtlich ist (§ 223 StGB; § 823 Abs. 1 BGB): Der vorangegangene Unfall gibt Felix nicht das Recht, durch körperliche Gewalt den Zweck der Anerkennung eines bestehenden Anspruches zu erzwingen. Der mit der Drohung angestrebte Zweck ist nicht widerrechtlich, weil Rudi den Unfall verschuldet hat und daher verpflichtet ist, den Schaden zu ersetzen (§§ 7 StVG, 823 Abs. 1 BGB).

In Beispiel b. besteht ein Anfechtungsrecht nicht, weil Felix – wie jeder Unfallbeteiligte – berechtigt ist, den Hergang des Unfalles durch die Polizei ermitteln und festhalten zu lassen. Das Mittel ist genauso rechtmäßig wie der Zweck der Drohung.

Eine widerrechtliche Mittel-Zweck-Relation läge vor, wenn Felix mit der Einschaltung der Polizei für den Fall gedroht hätte, dass Rudi eine längst fällige Darlehensschuld nicht sofort zurückzahlt. Auch hier sind zwar Mittel und Zweck der Drohung, für sich betrachtet, jeweils rechtmäßig, die Verbindung jedoch nicht, da die Darlehensrückzahlung in keinerlei Zusammenhang zum Unfall steht.

Für beide Fallgruppen dieses Abschnittes gilt noch Folgendes: Auch im Falle der Anfechtung wegen Täuschung oder Drohung gem. § 123 Abs. 1 BGB tritt die rückwirkende Nichtigkeit gem. § 142 Abs. 1 BGB nur ein, wenn die oben für die Irrtumsfälle ausführlich dargelegten weiteren Voraussetzungen vorliegen. So muss eine Anfechtungserklärung (§§ 143 Abs. 1, 142 Abs. 1, 133, 157 BGB) abgegeben werden und zwar wirksam dem Anfechtungsgegner gegenüber (§ 130 Abs. 1 BGB), dessen Person anhand der Vorschriften des § 143 Abs. 2 bis 4 BGB zu ermitteln ist. Abweichendes gilt lediglich für die Anfechtungsfrist.