Was der Gesetzgeber darf, wenngleich nicht tun sollte, nämlich sich geheimnisvoll und dunkel ausdrücken, dürfen Sie in Ihrer Klausur nicht. Sie müssen es besser machen als die „Mütter und Väter“ des Gesetzes. Umgekehrt wird es Ihnen aber nicht immer gelingen, im Handumdrehen ein gedankliches juristisches Abstraktum in ein anschauliches Konkretum zu verwandeln. Trotzdem müssen Sie sich um eine aussagekräftige, klare und gute Sprache bemühen. 

 

Sechs warnende Tipps:

  1. Schreiben Sie nicht zu wissenschaftlich-nüchtern! 

 

Obwohl unsere Sprache über einen bewundernswerten Reichtum verfügt, kann es trotzdem sein, dass Sie wissenschaftliche Begriffe und Fremdwörter benutzen müssen. Ein bestimmtes Fremdwort sagt eben manchmal über einen Begriff eine feine Nuance mehr aus als das deutsche Wort, entwickelt erst die besondere Note des Begriffs. Dennoch gilt grundsätzlich: Den Gebrauch von Fremdwörtern sollte man nicht übertreiben, die deutschtümelnde Abneigung gegen sie aber überwinden. 

Sie müssen sich auch nicht vornehmen, Ausdrücke zu vermeiden, die nur unter Juristen verwendet werden. Es ist zwar ziemlich gewiss, dass es schlechthin nichts Juristisches gibt, was mit Ausdrücken der Volkssprache nicht deutlich gemacht werden kann. Aber ohne Fachausdrücke werden und sollen Sie gar nicht auskommen, da man anderenfalls keine juristische Klarheit gewinnt. Der juristische Fachausdruck verdichtet sehr häufig einen bestimmten Gedanken zur handlichen Formel. Wie jede andere Wissenschaft hat auch die Jurisprudenz ihr eigenes Sonderwortgut, ihre eigene „griechisch-lateinisch-abstrakte“ Sprachenwelt. ( Latein im Recht) Warum sollte man die „Kausalität“ nicht Kausalität nennen, statt: das „Beruhen auf“, wenn alle die Kausalität Kausalität nennen?

 

  1. Drücken Sie sich nicht zu breit aus!

Die sprachliche Verknappung Ihres Textes ist allein wegen der Begrenzung der Seitenzahl und der begrenzten Bearbeitungszeit in Klausuren äußerst wichtig. 

Ihre korrigierenden Leser haben eine Vorliebe für Knappheit und eine Abneigung gegen „Breite“, weil es ihnen Zeit spart. Auch Sie müssen eine solche Vorliebe für Knappheit entwickeln, weil die Wirkung Ihrer Erkenntnisse mit der Länge Ihrer Ausführungen abnimmt. Das ist das Prinzip der abnehmenden Reizwirkung: dem Hungrigen schmeckt das dritte Brot nicht mehr so gut wie das erste. Knappheit verleiht Ihrer Arbeit eine strenge und vornehme Form. „Das Gute ist zweimal so gut, wenn es kurz ist“ (Gracian). Das liegt auch daran, dass sich der knappen Darstellung so angenehm folgen lässt. 

Man muss allerdings unterscheiden zwischen sprachlicher Knappheit und sachlicher Knappheit. 

Alles Überflüssige und Entbehrliche sollten Sie weglassen und alles Notwendige nur einmal sagen: Diese einfache Regel müssen Sie beherrschen. Das Breitschreiben kann den Gedanken töten! Das Geheimnis der tödlichen Langeweile in der Wissenschaft besteht darin, alles zu sagen!

 

„Es war einmal eine kleine Idee, – ein armes schmächtiges Wesen – da kamen drei Studis des Weges, o weh, und haben sie aufgelesen. Der eine macht einen Satz daraus, das hielt die kleine Idee noch aus, der zweite eine Tirade – da wurde sie schwach und malade; der dritte wollt‘ sie verwenden zu einem Buch in drei Bänden – dem starb sie unter den Händen“.

Die Knappheit findet allerdings ihre Grenze dort, wo sie, wie in der Stichwortsprache, Unklarheit hervorruft.

 

  1. Drücken Sie sich nicht zu dunkel aus!

Sie müssen in Ihren Arbeiten dringlichst darauf achten, nicht missverstanden zu werden. Ihr „Klausurenkunstmittel“ ist die Klarheit. Der Schlüssel zur Klarheit ist die Ordnung. Sprachliche Ordnung heißt, dass Ihr sprachlicher Ausdruck so ablaufen muss wie Ihr Gedanke.

 

  1. Drücken Sie sich nicht zu verschachtelt aus! 

Es gibt zwei Arten majestätischer Wortprozessionen: den Schachtelsatz und den Kettensatz. Beim Schachtelsatz sind die einzelnen Satzglieder ineinander verkeilt, beim Kettensatz meist mit „und“ aneinandergehängt (im Kettensatzstil können Sie ein ganzes Buch schreiben). Vor beiden Arten von Bandwurmsätzen müssen Sie fliehen! Den einfachen Satz müssen sich die Juristen allerdings schwer erkämpfen. Sie neigen nämlich dazu, sprachlich „gegen unendlich“ zu formulieren. Die Satzmonumente sind bei jungen Studenten auch deshalb so beliebt, weil „unser“ BGH und „unsere“ großen juristischen Denker sie so gerne „bauen“. Dem Klausuranden,  wie auch dem Hausarbeitenschreiber, wird der Bandwurmsatz übel genommen als Zuchtlosigkeit im Denken. Der Dozent reagiert sauer: „Der Student ist nicht imstande, einen Gedanken zu Ende zu denken; er fällt sich immer selbst ins Wort, schiebt jeden Einfall einfach dazwischen, und ich soll jeden angefangenen Gedanken im Kopf behalten. Danke, nein!“ 

 

  1. Vergewaltigen Sie nicht die Grammatik! 

Verb bleibt Verb, und Substantiv bleibt Substantiv. „Ich kam, sah und siegte“, schrieb Cäsar an seine Frau und nicht etwa: „Nach durchgeführter Ankunft und Besichtigung der vorgefundenen Verhältnisse war die Erringung des Sieges möglich.“ Die Seele des Satzes ist sein Verb – bei den Juristen stirbt es. Wenn man die Handlung in ein Hauptwort zwingt und ein farbloses Zeitwort (sein, werden) anfügt, wird der Satz schlaff und langweilig. Die „Hauptwörterei“ entspringt einer Schwäche: Wenn man etwas unklar lassen oder seine Gedanken aus mangelndem Mut abschwächen will, wählt man möglichst abstrakte Hauptwortbildungen und künstlich angefertigte „verbale“ Hauptwörter auf die Endungen -ung, -heit, -keit. Beispiele: „Zwecks Kennzeichnung des zum Verkauf zu stellenden Fleisches erfolgt die Anbringung von Geburtsdatierungen an demselben“, statt: „Verkäufliches Fleisch ist mit den Geburtsdaten des Tieres zu kennzeichnen“. „Verfristung infolge Verunfallung“ statt: „Infolge eines Unfalls konnte die Frist nicht eingehalten werden“. ( Klausurenformulierungshilfen)