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Klausuren

Klausurenschreiben zu erlernen, ist das praktische Ziel des juristischen Studiums, nämlich ein methodisch geleitetes, wissensbasiertes, handwerkliches Falllösen. Dabei gilt: Sie schreiben Ihre Klausuren nicht für sich, sondern für einen anderen! Deshalb legen Sie Ihre Arbeit auf den Korrektor hin an, wählen Sie eine Sprache und Form, die einer positiven Kommunikation mit ihm dienen. Sie müssen sich Ihren Korrektor durch eine ansprechende Aufmachung und Sprache „einkaufen“. Denken Sie daran, dass Ihr „Benoter“ ein geplagter Mensch ist, der schon viele schlechte Arbeiten gelesen hat, übel gelaunt und enttäuscht über sich oder die Studenten sein kann, sich seit Stunden mit unleserlich geschriebenen, schlecht oder gar nicht gegliederten Elaboraten herumschlägt und verärgert über so viel „juristischem Unsinn“ sitzt. „Hoppla – was ist denn das?“ Jetzt kommt er zu Ihrer Arbeit, die bereits durch Form, Stil, Gliederung und Sprache anspricht. Ihre pragmatische Taktik muss darin bestehen, ihn aus seiner traurigen beruflichen Situation als Korrektor herauszureißen und mit Ihrem Produkt für sich einzunehmen. 

Auch bei Klausuren gilt: „Verkaufen will gelernt sein!“ Überzeugen Sie ihn! Begeistern Sie ihn! Begeisterte und überzeugte Dozenten geben gute Noten

 

Studentenaufschrei: „Juristische Klausurenkontrollen sind Teufelei. Wie der aufschlussreiche Begriff schon lautet: Klausuren stellen‘ erinnert so verdammt an ‚Fallen stellen‘. Sie sind nur wirklichkeitsfremde Fiktionen, Exotenfälle, Imitationen des Lebens. Zeremonien zum Training, sich selbst als alleiniges Arbeitsmittel zu empfinden,  folglich unmoderne Anti-Team-Trainer. Juristische Klausuren sind Einpauker in die herrschende Meinung, damit Anpassungsinstrumente in gefängnisähnlicher, erstickender Umgebung mit patroullierenden Aufpassern in Klausuren- und Seminarsälen. Juristische Klausuren werden auch noch ohne Kommentare geschrieben, sind damit literatur- und wissenschaftsfeindlich.“ 

 

Ist wirklich etwas so Arges an einer Klausur, oder ist sie mehr verrufen als schlimm? Wir werden sehen, ob es sichere Beweisgründe für eine solche „Klausurenteufelei“ gibt. Seien Sie nicht vor der Zeit unglücklich, da jene Dinge, die Sie mit Entsetzen erfüllen (schlechte Noten), vielleicht niemals eintreffen werden. Allerdings muss man sich intensiv auf das erste „Rendezvous“ mit ihr vorbereiten! Optimale Klausuren schreiben kann nur, wer weiß, wie man sie schreibt, warum man sie schreibt, wie man sie komponiert und wie sie bepunktet werden. Einführungen in das juristische Klausurenschreiben können ohne gleichzeitige Einführung in das juristische Klausurenerstellen und Klausurenbenoten eigentlich nicht gedacht werden. ( Beurteilung juristischer Leistungen)

  • Nur wer weiß, wie eine Klausur komponiert wird, kann in ihren Höhen und Tiefen mitspielen!
  •  Nur wer weiß, welche Gütekriterien für eine gelungene Klausur maßgebend sind, wird sich um diese Maßstäbe bemühen! 
  • Nur wer weiß, welche Gründe das Klausurenschreiben dominieren, wird sich vom sklavischen Auswendiglernen emanzipieren! 

Ein Student, der keine Ahnung von den grundlegenden Regeln für die Strukturierung eines juristischen Sachverhalts, für eine komprimierte Lösungsskizze, von den Kriterien der Bewertung, von der Genealogie der Note, von der äußeren Form, der Klausurensprache, von dem Zeitdruck, von der Technik (Kunstgriffe) und Taktik (planvolles Vorgehen) des Klausurenschreibens hat, kann diese Aufgabe unmöglich bewältigen. Er wird stattdessen von seinen Ängsten überwältigt und scheitert. Schnell ist die Chance einer guten Klausur verspielt. Eine gute Idee, die nur im Kopf oder auf dem Konzeptpapier geblieben ist, findet keine Anerkennung. Ein Klausurenproblem darf nie etwas sein, auf das man erst nach Abgabe der Arbeit kommt. 

 

Klausuren gelingen fast mit naturwissenschaftlicher Gesetzmäßigkeit, wenn man ein streng geordnetes Verfahren einhält, um

  • die einschlägigen juristischen Probleme         
  • auf dem richtigen methodischen Weg,
  • in der richtigen Zeit,
  • am systematisch richtigen Platz, 
  • im richtigen Stil,
  • vollständig darzustellen.

Das Prädikatsexamen ist die Summe dieser jurastudentischen Künste.

Dann heißt es: „Verfasser präsentiert eine fehlerfreie Arbeit in Inhalt, Stil und Aufbau – sehr gut“. Methode, Wissen, Technik, Verstand und Gedächtnis reichen sich in der Klausur immer die Hand.

 

Die Informationen für dieses Gelingen und wie man sich auf eine Klausur vorbereitet und wie man mit ihr umgeht, wie sie konzipiert, nach welchen Kriterien sie korrigiert wird und welche Gründe sie dominieren, sind überlebenswichtig. In der Klausur kann man verdammt allein sein – und da kommt es darauf an, wer da allein ist!

 

Da Ihr Dozent unmöglich alle behandelten Vorlesungs- und Unterrichtsinhalte zum Gegenstand der Klausurarbeit machen kann, ist er notgedrungen gezwungen, sich auf kleine Teile des Stoffes zu beschränken. Damit ist jede Klausur nur eine Stichprobe. 

Viele Jungklausuranden leiden unter der Tendenz, handwerkliches Können, Form und Stil zugunsten der materiellen Inhalte zu ignorieren. Sie wenden den juristischen Inhalten und den die Inhalte dominierenden theoretischen Lehrbüchern eine übermäßige Aufmerksamkeit zu und übersehen die Tatsache, dass juristische Klausurenprodukte zwar aus talentierten Geistern, aber auch mit formal geschulten handwerklichen Händen gelöst werden. Klausuren unterliegen einer langen Tradition, die der Student befolgen muss, allenfalls noch modifizieren, aber niemals provokant beiseite schieben darf. Korrektoren entwickeln gerade bei Verstößen gegen Form und Stil einer Klausur manchmal eine fröhliche Mordlust. Erst kommt die Konvention, sprich die Form. Dann kommt die Kreativität, sprich der Inhalt. Das alles kann man lernen! In der Juristerei verhält es sich anders als in den Naturwissenschaften: In einer medizinisch-biologischen Klausur teilte der Dozent die Aufgabentexte aus. Nach minutenlangem Gemurmel sagte eine mutige Studentin: „Aber, Herr Professor, das sind doch dieselben Fragen wie vor zwei Jahren; daran haben Sie nichts geändert!“ Darauf der Dozent: „Stimmt! Aber die Antworten haben sich geändert!“ – Das kann Ihnen in der Juristerei so leicht nicht passieren!

Bei jeder Klausurenlösung haben Sie ein  Gutachten zu erstellen. Das ist das A und das O: 

  • StGB: „ Er könnte …“ (Anfang ) – „Er hat …“ (Ende). 
  • BGB: „Sie könnte … verlangen …“ (Anfang) – „Sie kann … verlangen …“ (Ende). 

Bei der Erstellung jedes Gutachtens sollten Sie auf diesem Wege von A nach O nacheinander folgende Schritte zum erfolgreichen Gelingen gehen:

 

  1. Schritt: Die Arbeit am Sachverhalt – Worum geht’s?
  2. Schritt: Die Aufarbeitung der Aufgabenstellung – Was wollen die von mir?
  3. Schritt: Die Suche nach der Antwortnorm – Wer will was, von wem, woraus? – Wer hat sich weswegen, wodurch strafbar gemacht?
  4. Schritt: Die Anfertigung der Lösungsskizze 
  5. Schritt: Das Schreiben der Endfassung 
  6. Schritt – Die Arbeit am Sachverhalt
  • Am Anfang steht das mehrmalige und besonders sorgfältige Durchlesen Ihres Sachverhalts. Der zu begutachtende Lebensausschnitt – der Sachverhalt, „Ihr Fall“ – muss in allen Details im Gedächtnis haften. Er ist das „Maß aller Dinge“. Wer vom falschen Sachverhalt ausgeht, begeht einen schweren Fehler, einen schwereren, als wenn er ihn falsch löste. 
  • Eine besondere Gefährdung geht vom „ähnlichen Fall“ aus. Je mehr Sie Fallbearbeitungen geübt haben, umso größer ist die Versuchung, den gegebenen Fall mit bekannten Fällen zu vergleichen. Dies führt dazu, dass der Sachverhalt nur oberflächlich gelesen wird, da man ihn ja „kennt“. Sie unterliegen einem Kurzschluss und tappen unweigerlich in die Klausurenfalle, die eine juristische Todsünde darstellt: Sie lösen eine andere Aufgabe als die Ihnen gestellte. Solche Verstöße werden von allen Prüfern und Korrektoren scharf geahndet, und die Klausur ist regelmäßig nicht mehr zu retten! Dass man eine Anspruchsgrundlage nicht findet, ein Gesetz falsch auslegt oder einen Straftatbestand unrichtig anwendet, ist leicht zu verstehen und jedem Prüfer wohlvertraut. Jeder Student ist allerdings fest davon überzeugt, dass ihm die Vergewaltigung des Sachverhalts niemals passieren könnte – und doch! Es kommt häufiger vor, als man sich vorstellen kann. Das liegt zum einen daran, dass jeder von uns immer schon Erfahrungen mit Dingen und Begriffen gemacht hat, welche bei ihm zu einer ganz speziell-individuellen Begriffsverwendung führten, die nunmehr in seinem Vor- oder Wortverständnis vorhanden ist. Durch diese Vorprägung auf ein Dispositionsfeld besteht die Gefahr, dass man Dinge überliest oder hineinliest oder Wörter falsch liest, die in dem Sachverhalt gar nicht oder nicht so stehen oder nicht so zu interpretieren sind. Zum anderen beruht die Fehlinterpretation des Sachverhalts auf dem psychologischen Erfahrungswert, den alle Richter Tag für Tag erleben müssen, nämlich dass derselbe Vorgang bei verschiedenen Zeugen zu nicht annähernd korrekten Beschreibungen führt. Ein Sachverhalt und zwei Studenten: zwei Sachverhalte!
  •   Neben dieser fahrlässigen Verdrehung des Sachverhalts gibt es noch die vorsätzliche „Sachverhaltsquetsche“. Man stutzt sich den Sachverhalt auf das Maß seines Könnens zurecht, quetscht so lange, bis alles weg ist, was man nicht kann oder man interpretiert in den Sachverhalt hinein, was man kann, aber was nicht drin ist. Todsünde!! Passend machen, wenn er nicht passt! Das geht beim Sachverhalt nicht. Genauso verheerend ist es, Ihrer Arbeit zunächst eine Vorbemerkung zum Sachverhalt voranzustellen, die Sie vielleicht sogar mit einer Kritik am Aufgabenersteller beginnen!
  •   Haben Sie Zweifel am Sachverhalt oder ist dieser „mehrdeutig“, dann legen Sie ihn aus. Das müssen Sie in Ihrer Ausarbeitung aber deutlich hervorheben. Auslegungskriterium ist dabei die soziale Anschauung des täglichen Verkehrs, also die allgemeine, vernünftige Lebensauffassung. Orientieren Sie sich bei der Auslegung an der Putzhilfenformel: „Wenn ich Putzhilfe Emma fragen würde, was würde sie antworten?“ Also: Auslegen vor dem Horizont der Lebensnormalität. Was „Mehrdeutigkeit“ heißt, können Sie sich am folgenden Beispiel merken: Vor zweieinhalbtausend Jahren befragte der Lyderkönig Krösus das Orakel von Delphi, was geschähe, wenn er den Grenzfluss nach Persien überschreite und erhielt zur Antwort: „Du wirst ein großes Reich zerstören“. Wie die ganze Welt des Mittelmeerraumes war eben auch das Orakel von Delphi von der Unüberwindlichkeit des Königs Krösus überzeugt. Als dann die Perser Krösus und seine Heere vernichtend schlugen, war man in Delphi froh über die Mehrdeutigkeit der Worte, die bis heute die Sage nährt, das Orakel habe mit seiner Prophezeihung „natürlich“ das eigene Reich des Krösus gemeint. 
  • Schon während des Durchlesens markieren Sie sich wichtige Passagen, Daten oder Fakten. Dies sollte beim zweiten Lesen des Sachverhalts geschehen, da man beim ersten Lesen dazu neigt, zu viel zu unterstreichen. Deshalb schütten Sie kein gelbes Tintenfass über den Sachverhalt. Alles markieren heißt: nichts markieren. „Markieren“ bedeutet hier „hervorheben“, „sich abzeichnen“ und nicht „vortäuschen“, „so tun, als ob“. Aber was sollen Sie markieren? So mancher Klausurenersteller ist bemüht, in der „Trickkiste Klausur“ Probleme zu verstecken, also Sachverhaltsvarianten so zu verschlüsseln, dass der Klausurand bei der Subsumtion, dem Zur-Deckung-Bringen von Sachverhaltsausschnitt und Tatbestandsausschnitt, über sie hinwegsieht, sie nicht entschlüsselt. Primitivbeispiel: „Der Käufer Max Schmitz, der am 7.7.19.. geboren ist, …“ Der Ersteller hofft, dass viele Klausurenschreiber (nicht) entdecken, dass sich aus der Angabe des Geburtsdatums bei der Subsumtion unter das Merkmal „Kaufvertrag“ Probleme des Minderjährigen-rechts (§ 108 ff. BGB) auftun. Diese Fallgruben gilt es, ausfindig und durch Markierungen deutlich zu machen! Installieren Sie Problemmelder für Klausuren. Der Sachverhalt enthält alle für Ihre Falllösung notwendigen Angaben. Fristen, Daten, Uhrzeiten verlangen (fast) immer Fristberechnungen, wörtliche Zitate aus Verträgen oder Urkunden schreien nach Auslegung anhand der §§ 133, 157 BGB.
  • Beim zweiten Durchlesen legen Sie sich einen Merkzettel an für die Fülle Ihrer Gedanken und guten Einfälle, die während des Fallstudiums auf Sie einstürmen. Aber tun Sie es erst, nachdem Sie die Aufgabenstellung verinnerlicht haben! Sie können Ihre Ideen auch direkt in oder an den Aufgabentext schreiben. Nur fixieren sollten Sie sie! Nichts ist ärgerlicher, als nach der Klausur auf die Frage eines „lieben“ Kommilitonen „Hast du auch die Irrtumsanfechtung bejaht?!“ sich selbst eingestehen zu müssen, beim ersten Durchlesen auf Anhieb den Inhaltsirrtum erkannt, diesen aber bei der Ausarbeitung vergessen zu haben. Das passiert leider häufiger und hängt ganz einfach mit einer im Laufe des Schreibens eintretenden partiellen Denkblockade zusammen. Während man zu Beginn der Arbeit noch jedem Gedanken gegenüber offen ist, den Fall gewissermaßen im 360°-Umfang sieht, schränkt sich der Blick immer weiter ein und verengt sich auf einen Problemsektor von 90°. Die restlichen 270° sind verdrängt, blockiert. 
  • Es empfiehlt sich auch dringend, die geschilderte Fall-Architektonik einmal durch die Brille des Klausurenerstellers zu betrachten. Der Klausurenersteller sucht sich drei bis fünf Probleme und steckt diese wie der Zauberer seine Kaninchen in den Sachverhaltszylinder. Diese Kaninchen gilt es bei der Sachverhaltsanalyse zu finden und in der späteren Lösung zu einer Synthese zu führen. 
  • Der Mensch ist ein Augentier! Machen Sie sich diese Feststellung zunutze! Arbeiten Sie sich den Fall grafisch auf. Aktivieren Sie Ihr räumliches Vorstellungsvermögen und machen Sie sich die Architektonik Ihres Falles sichtbar. Bei mehr als zwei Personen im Sachverhalt macht sich jeder gute Jurist eine Skizze. Zeichnen Sie sich die bestehenden rechtlichen Beziehungen auf ein gesondertes Blatt und belegen Sie die Verbindungslinien mit den einschlägigen Grundparagraphen. Solche „grafischen Pfeildiagramme“ erleichtern es als nichtverbale Elemente, eine fremde Darstellung (Sachverhalt) auf einen Kern zu reduzieren und darauf eine eigene Darstellung aufzubauen. Die Sprache Ihres Falles versteckt nicht mehr die Personen und Gegenstände, sondern der Fall muss seine Figuren und Handlungen bildhaft freigeben. 
  • Daneben fertigen Sie sich eine chronologische Tabelle, in welche Sie alle Daten des Falles in historischer Reihenfolge eintragen. Bewährt hat sich auch ein Zeitstrahl, auf dem die Zeitpunkte mit Stichworten abgetragen werden. Nicht jeder Klausurenersteller ist so freundlich und schildert den Sachverhalt chronologisch, sondern beabsichtigt gerade, dass Sie zeigen und beweisen, mit zeitlich ungeordneten Schilderungen zurechtzukommen oder gegen die Zeit zu denken. ( Chronologie)
  • Erst wenn der Fall genauestens bekannt ist, seine eingeschlossenen Personen, Daten und Abläufe freigelegt sind, versuchen Sie es mit einem Brainstorming. In der juristischen Klausur ist man sehr stark auf sein Gedächtnis angewiesen. Externe Speicher stehen allein in Form der Gesetzessammlung „Schönfelder“ zur Verfügung. Nicht alles, was zum Sachverhalt rechtlich passt, hat man sofort parat. Man schließt die Augen und konzentriert sich. Mit Hilfe eines solchen „Gehirnsturms“ kramt man alles aus dem internen Speicher „Langzeitgedächtnis“ auf den „Arbeitsspeicher“ hervor, was im Sachverhalt eine Rolle spielen könnte. Endergebnis ist eine Problemsammlung! 
  • Juristische Klausuren weisen oft bestimmte, immer wiederkehrende Strukturen auf. Die Gliederungen dieser Arbeiten ähneln sich daher. Das hat den Vorteil, dass sich solche Standardgliederungen und Standardeinleitungen üben lassen. Es birgt jedoch die Gefahr in sich, eine zwar präsente, aber nicht passende Standardstruktur zu wählen. Um den Standardstrukturen, den Schemata, entsprechen zu können, muss man auch ein wenig von ihrem Geist verstanden haben. Anderenfalls klappert nur noch die Gebetsmühle, bei der dem „Schema“ sein Gegenüber, der „Inhalt“, im Grunde völlig egal ist. Das darf nicht passieren! Trotz dieser Gefahr (man muss sich ihrer nur bewusst sein!) ist es zweckmäßig, anhand von Schemata die Struktur der Arbeit anzugehen. Der Gebrauch von Schemata schließt in der konkreten Klausuren-situation nicht aus, einen abweichenden Aufbau und divergierende Gewichtungen vorzunehmen. Wenn Sie in Zweifel geraten, ob ein Schema und wenn ja, welches gerade für diesen Sachverhalt am zweckmäßigsten gewählt oder verworfen werden sollte, dann wenden Sie sich an die einzige Instanz, vor der sich alle Gliederungen, Schemata, Standardstrukturierungen, Sachverhaltsinterpretationen oder Klausurenmodelle zu verantworten haben: Ihre Logik! Es gibt – jedenfalls im Klausurensaal – keine Instanz über Ihrer Vernunft! 
  • Sie können davon ausgehen, dass der Dozent ebenfalls den Sachverhalt gut kennt, dass nur „dieser“ Fall zur Begutachtung ansteht. Lassen Sie deshalb jedwede Sachverhaltswiederholung weg. Auch nicht mit eigenen Worten (Ausnahme: tatsächliche Auslegungsprobleme)! Schon die Erwähnung des Wortes „Sachverhalt“ in Wendungen wie „laut Sachverhalt“, „gem. Sachverhalt“ ist überflüssig und deshalb falsch.

 

Wichtige Zusammenfassung:

  • Sachverhalt mehrfach lesen! Mit dem Zeigefinger Zeile für Zeile!
  • Bei mehr als zwei Personen eine Skizze zeichnen!
  • Bei mehr als zwei Daten eine chronologische Tabelle anlegen!
  • Keine „Sachverhaltsquetsche“ betreiben! Die im Sachverhalt vorgegebenen Tatsachen können Sie nicht manipulieren. Sie sind das „Maß aller Dinge“!
  • Geäußerte Rechtsauffassungen sind irrelevant. Der Sachverhalt gibt die Fakten, das Recht schulden Sie. 

  Notfalls Sachverhalt nach der allgemeinen Lebenserfahrung auslegen.

  Untechnische, laienhafte, häufig in Anführungszeigen gesetzte Ausdrücke beachten! Sie sind ein Indiz für einen Problemschwerpunkt.

  Jede Sachverhaltsangabe ist wichtig, jede!  

  Keine Kritik am Sachverhalt“! Meist ist der Korrektor der Ersteller.

  Unterstellungen sind unzulässig.

  Hinweise „aus dem Mund“ der Parteien sind zwar unverbindlich, stellen aber oft eine verkappte Starthilfe dar.

  „Den Fall kenn ich ja“, gibt es nicht. Jeder Fall ist anders.

  Markieren Sie wichtige Passagen, aber schütten Sie kein gelbes Tintenfass aus. Markieren heißt „hervorheben“, nicht „vortäuschen“.

  Den Fall mehr durch die Brille des Erstellers betrachten. Was will er mir mit dieser Wendung juristisch abverlangen?

 

  1. Schritt – Die Aufarbeitung der Aufgabenstellung („Was wollen die von mir?“)
  • Die Aufgabenstellung ist der Magnet, an welchem sich das Klausurenfeld (die Fallteilchen) auszurichten hat. Mit ihr wird das Ziel Ihrer juristischen Arbeit festgelegt. Sie ist das Bindeglied zwischen Lösung und Sachverhalt. Es ist ein weitverbreitetes Übel, Wissen ohne Aufgabenbezug auszubreiten. In BGB-Klausuren sind immer nur Anspruchsgrundlagen i.S.v. § 194 BGB zu begutachten, in StGB-Klausuren (fast) immer nur Tatbestände des Besonderen Teils des StGB. Inhalt Ihres Gutachtens dürfen nur Erörterungen sein, die mit der Fallfrage korrelieren. Man will nicht wissen, was Sie abstrakt alles wissen, sondern nur das, was Sie konkret zu der Aufgabenstellung wissen. Von der falschen Aufgabe auszugehen, ist tödlich! Denn Sie beantworten eine Frage, die gar nicht gestellt ist! Die Fragestellung stellt auch klar, was Sie nicht (!) zu bearbeiten haben, also die Begrenzung der Fallfrage. Fehlt es an einer ausdrücklichen Frage, müssen Sie sich selbst fragen, zwischen welchen Personen des Sachverhalts Interessengegensätze bestehen und wer gegen wen sinnvolle Ansprüche geltend machen kann.
  • Selten bedarf die Aufgabenstellung einer Interpretation: „A fragt nach seinen Ansprüchen gegen B“. Hier ist nicht sofort einsichtig, was A von B genau will. Sie müssen sich auf Grund der Sachverhaltsanalyse fragen, welche Anspruchsziele A sinnvollerweise verfolgen will: Schadenersatz, Herausgabe, Erfüllung. Erst nach Ermittlung dieser Ziele kann nach den Ansprüchen gefragt werden.
  • Es gibt auch Fragen, die öffnen sich wie ein „Mehrfachsprengkopf“. Das gilt insbesondere für die allgemeinste, aber allergemeinste Frage aller Fragen: „Wie ist die Rechtslage?“ Darin stecken inhaltlich mehrere Fragen: Alle akuten, aber auch potentiellen Begehren müssen Erörterung finden. Sie müssen sämtliche Ansprüche überprüfen, die vernünftigerweise in Betracht kommen, d.h. nur abseitige Anspruchsgrundlagen bleiben unerörtert.
  • Die Aufgabenstellungen „Wie ist die Rechtslage?“ und „Wie haben sich die Beteiligten strafbar gemacht?“ müssen Sie aufgliedern in Fragen, die eine Antwortnorm zulassen, da die Ausgangsfragen dies eben nicht tun!

Aufgliederungstyp a: Aufgliederung nach Anspruchsstellern bzw. Tätern

Aufgliederungstyp b: Aufgliederung nach Rechtsfolgen (Schadenersatz, Erfüllung)

Aufgliederungstyp c:  Aufgliederung nach Sachverhaltskomplexen oder Handlungsabschnitten

Sie müssen so weit untergliedern, bis auch diese Gesamtfragen auf unsere Urformeln „Wer will was von wem woraus?“ und „Wer hat sich weswegen wodurch strafbar gemacht?“ zurückgestutzt sind. Im BGB kann das bei „Drei-Personen-Stücken“ bis zu sechs Beziehungen führen: A ./. B; A ./. C; C ./. B; C ./. A; B ./. A; B ./. C.

  „Ändert sich etwas, wenn …?“ Aufpassen bei Abwandlungsfragen! Wichtigste Prüfungsfrage für Sie: Welcher Teil des Sachverhalts soll dabei unverändert bleiben, welche Teilstücke sollen abgeändert werden? Grundsatz: Die Abwandlung zielt regelmäßig nur auf ein Problem! Sie sollen Ihren Lösungsweg unter diesem Problemaspekt überdenken. Also: Ihr Lösungsweg setzt an der Stelle Ihres Gutachtens neu an, an der sich möglicherweise etwas ändert. Dafür reicht es aus, dass Sie die Begründung modifizieren.

 

  1. Schritt – Die Suche nach der Antwortnorm 

Die Fallfrage geht immer auf  „Sein oder Nichtsein“ einer Rechtsfolge. Der Paragraph, der die gesuchte Rechtsfolge (zunächst) abstrakt enthält, ist die Antwortnorm. Sie enthält das Konditionalprogramm der Tatbestände und Rechtsfolgen der Anspruchsgrundlagen des BGB und der Tatbestände und Rechtsfolgen des besonderen Teils des StGB, die ausschließlich die Ausgangspunkte jeder juristischen Falllösung sind. Das muss immer so sein, weil nur diese Tatbestände als Antwortnormen die im jeweiligen Aufgabenteil des Falles begehrte Rechtsfolge – wenn auch nach irren Umwegen mit Stapeln von Papier – mit „ja“ oder „nein“ beantworten können. Sie stellen Voraussetzungen auf (Wenn) und enthalten eine Rechtsfolge (Dann), die sich auf das zivilrechtliche oder strafrechtliche Verhalten der Personen des zu beurteilenden Falles bezieht. Im Privatrecht heißt die Antwortnorm: Anspruchsgrundlage; im Strafrecht: Straftatbestand

  • Was ist eine Antwortnorm? Eine Antwortnorm ist eine Rechtsnorm meist des BGB oder StGB, die, wenn ihre Tatbestandsmerkmale sämtlich vorliegen, selbst und direkt die Frage des Falles beantwortet. 
  • Woran erkennt man eine Antwortnorm? An den Formulierungen auf der Rechtsfolgenseite: „… ist verpflichtet“, „… hat herauszugeben“, „… haftet für“, „… hat einen Anspruch“, „… kann verlangen“ – „… wird bestraft“.
  • Wo findet man eine Antwortnorm? Regelmäßig im Gesetz, seltener in einer von anderen schon vorgedachten Analogie („Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung des Anspruchs fehlt. Zu fragen ist, ob …“), ganz selten in Hausarbeiten im Richterrecht (z.B. im Arbeitsrecht), nie im Gewohnheitsrecht.
  • Vorsicht bei der Anwendung von Antwortnorm-Prüfungs-Schemata, diesen sturmerprobten Helfern! Die notwendige Abweichung vom Schema ist häufig die Falle der Aufgabensteller.
  • Keine Aufbaufragen zu den Antwortnormen aufwerfen im Text! Hinter Aufbaufragen verstecken sich regelmäßig Logik- oder Sachfragen. Die Rangfolge der Antwortnormen und deren Tatbestandsmerkmale im BGB und StGB ist stets von der Logik oder dem materiellen Recht vorgegeben. Ist das ausnahmsweise nicht so, dann gibt es auch keine Rangfolge. Jedenfalls dürfen Sie zum Aufbau niemals Ausführungen machen: Der Aufbau spricht durch den Aufbau.

Die in einer Antwortnorm des BGB oder in einem Tatbestand des StGB enthaltene Rechtsfolge darf auch nach der Subsumtion für Sie niemals das „letzte Wort“ sein. Vielmehr steht die gefundene Rechtsfolge immer unter dem Vorbehalt, dass keine weiteren vernichtenden, hindernden, hemmenden, rechtfertigenden, entschuldigenden, beschränkenden oder erweiternden Gegen-, Ausnahme-, Gegen-Gegen-Normen eingreifen. Klausuren sind immer (!) so konstruiert, dass nicht eindeutig ist, ob der Tatbestand einer Antwortnorm gegeben ist oder nicht. Die Lösung eines Falles ergibt sich (fast) nie aus nur einer, vielmehr (fast) immer aus dem Zusammenspiel mehrerer Paragraphen. Dabei kann sich das Zusammenspiel nicht nur aus der Umgebung der Antwortnorm ergeben, sondern es kann sich durch das ganze BGB oder StGB ziehen. ( Schemata für die Klausuren)

Die gefundene Rechtsfolge der Antwortnorm ist also zunächst immer nur vorläufiger Natur. Das macht ja das Gutachten so spannend! Das „(Gesamt-)Gesetz“, nach dem sich die Entscheidung Ihres Falles richtet, ist nicht identisch mit Ihrer gefundenen Antwortnorm. Es ist ein systematisches Netzwerk mehrerer aufeinander bezogener und ineinander verflochtener „(Einzel-) Paragraphen“. Das BGB und das StGB sind jeweils ein Gefüge von Rechtsnormen, in denen, wie in einem Organis-mus, die einzelnen „Organe“, die einzelnen „Paragraphen“, unterschiedliche Funktionen haben, um dem Körper „Gesetz“ in sinnvoller Ordnung zu dienen. 

 

  1. Schritt – Die Anfertigung der Lösungsskizze

Vor der Klausurenendfassung müssen Sie eine skizzenhafte Durchprüfung vornehmen. Jeder Ihrer Prüfungsschritte sollte in eine Lösungsskizze einfließen. Die erstellte Lösungsskizze ist der Dreh- und Angelpunkt Ihrer Klausur. Alles Material, das angefallen ist, sollte einem Gliederungspunkt zugeordnet werden, um sich später in einer endgültigen Lösung widerzuspiegeln.

Es ist ausgeschlossen, sofort mit der Reinschrift zu beginnen. In der Klausurenaufsicht beobachtet man immer wieder Studenten, die schon nach zwanzig Minuten ohne jedwede Lösungsskizze beginnen, das Gutachten niederzuschreiben. Man fragt sich, wie das möglich ist. Ein juristisches Genie muss am Werke sein, oder die Lösung der Aufgabe ist kinderleicht. Beides trifft nicht zu. Vielmehr hat sich der Student eine falsche Klausurtaktik angewöhnt und handelt grob fahrlässig zu seinem Nachteil. Eine gute Note ist nur dem verheißen, der seine Klausurstrategie dahin schult, der Gutachtenniederschrift den Arbeitsgang Gutachtenskizze vorzuschalten.

Nicht wenige halten das Anfertigen einer Lösungsskizze für Zeitverschwendung oder meinen, die Ausformulierung der Lösung sei zeitlich nur zu schaffen, wenn recht bald mit der Niederschrift der Endfassung begonnen werde. Diese Auffassungen sind falsch. Sie berücksichtigen nicht die Vorteile des Arbeitsvorgangs „Lösungsskizze“. 

Die Gefahr, inhaltlich die Kontrolle über Ihre Klausur zu verlieren, ist durch die Lösungsskizze von vornherein gebannt. Zeitlich und sachlich sind Sie der Bestimmende. Ihr Arbeitsstil führt das Geschehen. Und Sie wissen: Bei der nächsten Klausur wird es wieder so sein! Dank Ihrer Lösungsskizze! Die Betonung liegt hier allerdings eindeutig auf: skizzenhaft. Sie haben keine Zeit, die Klausur zweimal zu schreiben! Aber ohne Lösungsskizze ist Ihre Klausur eine Fahrt ins Blaue. Sie dient der Erstellung eines Ordnungsrahmens und – was wichtiger ist – dem richtigen Aufbau und der Schwerpunktbildung. Man kann dem Problem der Schwerpunktbildung nicht dadurch ausweichen, dass man alles in epischer Breite erörtert. Wie schon erwähnt, versteckt jeder Klausurenersteller (Zauberer) in dem Sachverhalt (Zauberzylinder) mehrere Probleme (Kaninchen), auf deren Lösung es ihm entscheidend ankommt. Das sind die Schwerpunkte! Das Wort „entscheidend“ ist wortwörtlich zu nehmen – hier entscheidet sich die Note! Es ist in der Tat eine der wichtigsten strategischen Überlegungen beim Abfassen der endgültigen Lösung, ob und wo man seine „Joker“ (Schwerpunkte) setzt. Das kann man aber erst entscheiden, wenn man den Fall sorgfältig geprüft hat. Probleme, die Sie auf den ersten Blick für „relevant“ gehalten haben, entpuppen sich nicht selten als Scheinprobleme und müssen als Schwerpunkte verworfen werden. Allerdings sollten Sie nicht die ganze Klausur vor der Reinschrift schon so durchdenken, dass Sie, eingezwängt in Ihre Lösungsskizze, Gefangener Ihres Aufrisses werden. 

Nicht selten kommen wichtige Gedanken erst beim Schreiben. Manche (z.B. Kleist) behaupten gar, denken könne man nur beim Formulieren, nicht vorher, weshalb man eine Klausur vor dem Schreiben nicht durchdenken könne. Dem ist aber nicht so, weil man bei der Erstellung der Lösungsskizze auch formuliert, wenn auch nicht ausformuliert schriftlich, so doch gedanklich skizziert. Richtig ist, dass man sich Freiheiten lassen muss, um plötzlichen Eingebungen, Ideen und Strömungen Raum geben zu können. Aber niemand wird etwas dagegen ins Feld führen können, dass man die Arbeit in ihre wesentlichen Bestandteile zerlegt, diese ordnet und strukturiert, die Probleme markiert, wenn auch nicht unbedingt schon löst, Lösungsmöglichkeiten gegeneinanderstellt, Argumente und Definitionen sammelt und festhält, sowie einen Fahrplan und ein Programm aufstellt. 

 

  • Aufbau – Ihr Gutachten bedarf eines logischen Aufbaus. In letzter Konsequenz bedeutet dies: Sie müssen am Anfang wissen, was am Ende steht. Schon deshalb verbietet sich ein Abfassen des Gutachtens Schritt für Schritt, sozusagen von Erleuchtung zu Erleuchtung. Denn im Verlauf des Gutachtens könnte sich ergeben, dass falsche Lösungswege beschritten wurden. Sofort entstehen Darstellungs- und Zeitprobleme, dazu die Ungewissheit, ob das jetzt Verworfene mit all seinen Konsequenzen restlos ausgemerzt ist. Eine Korrektur der Lösungsskizze geht schneller von der Hand, weil das Kind noch nicht in den zeitaufwendigen „Brunnen der Gutachtenniederschrift“ gefallen ist. 

Die abgeschlossene Lösungsskizze gewährt auch die schnellere und stringentere logische Überprüfung des Lösungsgangs. Auf ihrer Grundlage gerät die Darstellung insgesamt geordneter, klarer, zielgerichteter. Stellenweise lässt sich über Aufbaufragen streiten. Nicht immer gibt es eine unumstößliche Logik in der Darstellungsweise. Jedoch auch dann ist es förderlich, wenn Sie sich vorweg für einen Weg entschieden haben. 

Oftmals liest man im Gutachten eine Begründung für den Aufbau, den der Verfasser legitimieren will. Dahinter verbirgt sich nicht selten Unsicherheit. Es geschieht aber auch, wenn klar ist, welches der nächste Schritt zu sein hat. Dem Korrektor wird mitgeteilt, was nunmehr aus welchem Grund zu prüfen ist. Solche Passagen sind überflüssig. Der richtige oder vertretbare Aufbau ergibt sich aus sich selbst. Es ist zu prüfen: ohne Ankündigung. Derartige Überflüssigkeiten lösen sich auf, wenn das Gutachten auf der vorgedachten Spur seines stichwortartigen Entwurfes verläuft. 

Überhaupt sind viele Arbeiten gefüllt mit Gedankenanläufen, bevor der Gedanke präzise präsentiert wird. Man darf nicht verlangen, dass der Verfasser immer sofort auf den Punkt kommt. Aber häufige unangemessene Breite ist ein Indiz dafür, dass der Verfasser sich ohne Lösungsskizze bis zu seinem Endergebnis vorgetastet hat. 

Eine Äußerlichkeit ist der stärkste Beweis:

Die besten Arbeiten sind selten die längsten!

  • Schwerpunktbildung – Damit aufs Engste verknüpft, ist die für eine wirklich gelungene Arbeit notwendige Schwerpunktbildung. Diese ist nur möglich, wenn der gesamte Lösungsweg überblickt wird. Erst dann ist sicher erkennbar, welches die Hauptprobleme sind und wo es geboten ist, nach allen Seiten abwägend streng im Gutachtenstil zu schreiben. Die unproblematischen Teile der Lösungsstrecke absolviert man knapp im Feststellungsstil. Den meisten Klausurbearbeitungen fehlt die Schwerpunktbildung. Diese ist nötig, weil jede Klausuraufgabe in der Erwartung – und Hoffnung! – gestellt wird, dass mindestens zwei oder drei Hauptprobleme erkannt, abgearbeitet und überzeugend oder zumindest vertretbar gelöst werden. 

Bei vielen Arbeiten wird alles als gleich behandelt, manchmal sogar Unproblematisches breit, Problematisches marginal: die Zuständigkeiten auf zwei Seiten, das materielle Hauptproblem in zwei Sätzen. Auch für dieses Phänomen ist Ursache, dass auf die Vorarbeit der Lösungsskizze verzichtet oder ihr zeitlich und inhaltlich nicht genügend Raum gegeben wurde. Freilich erfordert die Schwerpunktbildung auch Mut und Können. Die Gleichbehandlung von Unproblematischem und Problematischem beruht auf der Angst und Unsicherheit, möglicherweise falsch zu gewichten. 

  • Hilfsgutachten – Man bemerkt auch nur so, ob man ein Hilfsgutachten anfertigen muss. Ein Hilfsgutachten wird verfasst, wenn zusätzliche Rechtsfragen oder alternative Lösungsmöglichkeiten verfolgt werden. 

Beispiel: Bei der Prüfung des § 242 StGB – die Diebstahlsprüfung macht offensichtlich zwei Drittel der Gesamtprüfung der Klausur aus – kommen Sie schon gleich zu Beginn zu dem Ergebnis: das TBM „fremd“ liegt für Sie wegen einer erfolgten wirksamen Anfechtung der Übereignungserklärung durch den Täter gar nicht vor: Ende der Fahnenstange? Oder: Weiterschreiben? Sie fühlen, dass weitere „Kaninchen“ bei den Tatbestandsmerkmalen „Wegnahme“ und „Zueignungsabsicht“ im Zylinder sind – was sollen Sie tun? 

 

Zunächst: In der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle ist ein Hilfsgutachten ein Indiz für eine falsche Lösung. Also überprüfen Sie sich und Ihren Geistesblitz noch einmal! Auf der anderen Seite ist das Weglassen des Hilfsgutachtens ein Zeichen für Mut und Selbstbewusstsein, da Sie von dem konzipierten Entwurf abweichen. Aber man sollte auch an die Folgen denken, wenn es schief geht. Sich im Strafrecht offensichtliche Rechtfertigungsprobleme dadurch abzuschneiden, dass man den Tatbestand mit abenteuerlicher Begründung bereits verneint, erscheint lebensgefährlich. Wenn Sie aber ein Hilfsgutachten anfertigen, dann machen Sie Nägel mit Köpfen, und markieren Sie das Hilfsgutachten deutlich als solches – und lassen Sie nicht einfach alles offen! Also: Hauptgutachten durch ein eindeutiges Ergebnis abschließen! „Also war die Sache wegen der erfolgten Anfechtung für den Täter nicht fremd.“ Dann: „Da wegen der Verneinung des Merkmals „fremd“ die weitere Problematik nicht behandelt werden konnte, unterstelle ich im folgenden fremdes Eigentum. Die weitere Prüfung erfolgt auf der Basis dieser Unterstellung.“

  • Argumentationsniveau – Wenn denn ein Problem erkannt ist, sind sachliche Gesichtspunkte aufzuführen, welche für diese oder jene Lösung sprechen. Die gewählte Lösung ist zu begründen. Hier kann auf niedrigem oder hohem Argumentationsniveau gearbeitet werden. ( Argumentation)

Folgendes drängt sich auf: Wer das Problem und dessen Lösung schon mit Blick auf das Endergebnis des Gutachtens vorbedacht hat, besitzt ein Blickfeld für mehr und tiefgreifendere Argumente. Das ist gewinnbringend, weil das Argumentationsniveau in den Problemlösungsfeldern in hohem Maße Einfluss auf die Klausurnote hat (jedenfalls haben sollte). Hinzu kommt: Die Probleme sind miteinander in ihrer Verknüpfung zu sehen. Eine Problemlösung ist oftmals eine Weichenstellung. Sie führt in neue, weitere Probleme hinein oder klammert sie aus. Wer den Blick dafür hat, dem ist vielmals geholfen. Als professioneller Klausurtaktiker sieht man nämlich, welche der ständig im Blick gehaltenen Sachverhaltsteile noch nicht in die Maschinerie der Gesetzesanwendung gelangt sind. Man erkennt, dass es im Gutachtenfortgang dazu nur kommen wird, wenn die Lösung X und nicht die Lösung Y gewählt wird. Daraus ist zu schließen, dass der Geist des Aufgabenstellers es so wollte und womöglich die Lösung X auch nur die richtige sein kann, anderenfalls größere Sachverhalts-teile zu merkwürdiger, verdächtiger Bedeutungslosigkeit verkämen. Auch dieses hilfreiche klausurstrategische Denken kann nur aufkommen, wenn das Einzelne im skizzenhaften Kontext des Ganzen gesehen wird.

  • Sprache – Das oftmalige Klagelied über das sinkende Sprachniveau soll hier (noch) nicht angestellt werden Klausurensprache. Nur soviel: Die Bedeutung der sprachlichen Qualität für die Benotung sollte vom Studierenden nicht unterschätzt werden. Zum einen färben Form und Inhalt wechselseitig aufeinander ab. Zum anderen ist nicht zu leugnen, dass jeder Benotung auch eine psychologische Komponente innewohnt. Gedanken, die verständlich, klar und stilistisch gelungen formuliert sind, finden leichter geistige Zustimmung. Der Leser ist erfreut, hat keine Stirn zu runzeln und neigt eher zur Großzügigkeit. Für die Lösungsskizze gilt: Die Dinge werden zielgerichteter, knapper, genauer, geschliffener auf den Begriff gebracht, wenn sie nicht unmittelbar, sondern aus einer Phase des Vordenkens heraus für die Endfassung des Gutachtens formuliert werden.
  • Zeiteinteilung – Der häufigste Einwand gegen das Schreiben einer Lösungsskizze lautet: „Dafür haben wir keine Zeit“. Der Einwand ist verfehlt. Eine vierstündige Klausur, bei welcher der Student nicht 1,5 Stunden Zeit hat, um den Sachverhalt aufzunehmen und den Lösungsweg zu Ende zu denken, bevor die Reinschrift des Gutachtens einsetzt, ist falsch konzipiert. Das mag als Ausnahmefall vorkommen. Die richtige Bearbeitungsweise hat sich aber am Normalfall zu orientieren. Die Lösungsskizze ist kein Zeitverlust, sondern ein Zeitgewinn. Wenn der Lösungsweg vollständig oder weitgehend feststeht, ist beim Abfassen des Gutachtens bedeutend weniger Denkarbeitszeit aufzuwenden. Zu Anfang wurde gesät, jetzt wird geerntet, und zwar zügig. Weil die Lösungsspur inhaltlich gelegt ist, kann jetzt schneller, strukturierter, zielorientierter dargestellt werden. Wie von selbst verbessert sich als formale Begleiterscheinung das Sprachniveau. Wer darin geübt ist, schreibt kein längeres, sondern ein kürzeres Gutachten (ein weiterer Zeitgewinn) – und ein besseres! Testen Sie einmal, wie viele Seiten Sie in 2,5 Stunden schreiben können, wenn die Inhalte und deren Reihenfolge vorweg feststehen. Sie werden auf einen Umfang kommen, der das übersteigt, was Sie üblicherweise beim Schreiben einer Klausur zu Stande bringen. Das wird nicht nur für den Schnellschreiber gelten. Welchen Grund gibt es dann noch, auf die Zeitinvestition „Lösungsskizze“ mit ihren dargestellten Vorteilen zu verzichten? Keinen!
  • Keine Panik – Nun noch eine psychologische Facette, die Ihnen nicht fremd sein dürfte: die Paniksituation. Beim Denken und Schreiben tickt plötzlich die Uhr im Kopf mit. Man ist vorangekommen, weiß aber nicht, wie viel Arbeit noch nötig sein wird, um das Ziel zu erreichen. Die Zeit rinnt jetzt im Blut. Es kommt Hektik auf. Denkblockaden drohen. ( Klausurenstress!!) Es geht nur noch ums Grobe; da wird geholzt, die Präzision wird vernachlässigt. Die Schriftdeutschregeln spielen gar keine Rolle mehr. Der Boden für Fehler ist gelegt. Die Möglichkeit, nicht fertig zu werden, vergrößert sich von Minute zu Minute. Wohl dem, der eine Lösungsskizze vor sich liegen hat! Er kennt die Länge des Weges, weiß ständig, was er hinter und was er vor sich hat. Er kann das Tempo souverän bestimmen. Drosseln, wenn es geht, steigern, wenn es nötig ist, aber ohne Hektik und Panik. Die Gefahr, inhaltlich die Kontrolle zu verlieren, ist von vornherein gebannt. Machen Sie eine Lösungsskizze!

 

  1. Schritt – Das Schreiben der Endfassung

Wenn Sie mit Ihrer gutachtlichen Ausarbeitung beginnen, denken Sie an das, was jeder tun muss, der etwas darstellen will: Wählen und gliedern! Darstellen heißt: Weglassen. Das Schwierigste am gelungenen Gutachten ist nun einmal das Weglassen. Aus den Sätzen Ihrer Lösungsskizze wählen Sie nur diejenigen aus, welche unentbehrlich sind, damit der Korrektor Ihnen mit Lust und Laune folgen kann. Denken Sie an Voltaire: „Das Geheimnis zu langweilen besteht da-rin, alles zu sagen.“ Was übrig geblieben ist, müssen Sie gliedern! 

Ohne Gliederung keine Klarheit. Der Mensch kann nicht zwei Gedanken auf einmal aussprechen, also muss man sie im Gutachten hintereinander anordnen. Die Art Ihrer Anordnung und das „Ausrollen“ Ihrer Gedanken ist für das Verständnis entscheidend. 

Neben der selbstverständlich stringenten gedanklichen Führung sollten Sie diese Gliederung möglichst durch Bezifferung der einzelnen Abschnitte äußerlich kennzeichnen. Für das Gliederungsbild einer juristischen Klausur gilt die Erkenntnis, dass die äußere Form Schlüsse auf die Fähigkeit des Verfassers zu straffer und klarer Gedankenführung zulässt. (Gängiges Prüfermotto: Ohne Form kein Inhalt.) Ob Sie für die Bezeichnung der einzelnen Abschnitte die Gliederung nach Buchstaben und Zahlen (I., A., 1., a., aa., 1b.) oder die moderne Form des Dezimalsystems wählen (1., 1.1, 1.2.1, 1.2.2), ist Geschmackssache. Keine Geschmackssache ist es, dass Sie den roten Faden straff spinnen. Im Regelfall kommt man mit römischen und arabischen Zahlen, lateinischen Groß- und Kleinbuchstaben aus, weiter gliedern sollte man nicht, sonst wird es übertrieben. 

Eine solche Gliederung dient auch dem Zweck, bei Denkblockaden oder Abschweifungen möglichst schnell in die eigene komplexe Aufbaustruktur zurückzufinden. Auch beim Abfassen der endgültigen Klausurenniederschrift  kann man sich immer am Leitfaden der Gliederung orientieren. Man findet in die Lösung leichter zurück, wenn man bekannte Wege gehen und die Probleme in eine vertraute Umgebung einordnen kann. Im Übrigen sollte man die groben Gliederungsabschnittsbezifferungen der Lösungsskizze in die Reinschrift übernehmen.

 

Wichtige Warnung bei der Darstellung von Streitständen in Klausuren

Es gibt keine (!) juristische Leistungskontrolle in Referat oder Hausarbeit, die nicht um ein Bündel von Streitfragen her-umkonstruiert ist. Anders verhält es sich in Klausuren: Hier liegt die Schwierigkeit eher in der Reproduktion von Wissen, in der „Arbeit pro Zeiteinheit“ und in der „klassischen“ gutachtlichen Subsumtionstechnik. Ihr Lernen bringt es nun aber mit sich, dass Sie  ständig Probleme und Streitfragen im Kopf haben und diese „mit Gewalt“ auf das Papier bringen wollen. Dadurch neigen viele Anfänger dazu, Probleme mit der Lupe zu suchen und diese dann „abzuspulen“, leider auch dann, wenn sie gar nicht vorhanden oder nicht gefragt sind. Vorsicht! Dennoch ist es auch in Klausuren unumgänglich, sich mit kontroversen Rechtsfragen („Theorien“) auseinanderzusetzen. Dabei genügt allerdings im Regelfall – im Gegensatz zu den mehr wissenschaftlichen Arbeiten – die reine Darstellung der Rechtslage. Sie müssen die klare Rechtslage nicht immer auch kritisch bewerten und Stellung beziehen zu einzelnen Problemen und Ansichten im Echo von Literatur und Rechtsprechung. Wichtig ist allerdings, dass Sie nicht dem falschen Glauben aufsitzen, mit der Behauptung sei es bei einem aufkommenden Meinungsstreit getan. Sie müssen argumentativ begründen! Auch ein noch so schönes BGH-Zitat ersetzt nicht Ihre eigene Begründung! Ihre Meinung ist gefragt, nicht (nur) die des BGH! Sie müssen argumentativ überzeugen! Die Angabe „h.M.“ hat keinen argumentativen Mehrwert. Die Angabe des Mehrheitsstatus sagt nichts über ihre Richtigkeit. Es ist ein Irrtum, dass die Bezugnahme auf die „h.M.“ etwas daran ändert, dass Sie begründen und belegen müssen. Die kommentarlose Angabe „h.M.“ oder „laut BGH“ ist falsch und sinnlos, weil Sie keine Fundstellen angeben. Sie ersetzt nicht die Begründung, warum die „h.M.“ oder die „Rspr.“ dieses Problem so oder so entscheidet. In einer Klausur wirkt eine solche Formulierung geradezu peinlich. Eine „h.M.“ verlangt nach Standpunkten der „anderen Meinungen“, sonst wäre es eine „allgemeine Meinung“. ( Argumentation)

 

Jetzt noch einiges ganz Wichtiges für die Klausurenendfassung

  • Seiten nur hälftig beschreiben!
  • Rückseiten unbeschrieben lassen!
  • Zeilenabstand wahren!
  • Bandwurmsätze meiden! Ein Gedanke – ein Satz!
  • Abkürzungen auf die gängigsten reduzieren!
  • Paragraphen sind mit Absatz, Satz und Alternative zu zitieren (§ 812 I 1 1. Alt. BGB oder § 812 Abs. 1, S. 1, 1. Alt.)
  • Gesetze zitieren (§ 433 I BGB; § 25 III HGB)! Man hilft sich: Den ersten erwähnten Paragraphen „besternt“ man! (*: Alle folgenden Paragraphen ohne nähere Benennung entstammen dem BGB)
  • Gutachten gliedern, zumindest abgeschlossene Gedanken durch Absätze markieren! Auf diese Weise wird die Architektur Ihrer Klausur plastisch. Und wenn Ihr Korrektor einmal abgelenkt wird, hat er die Chance, schnell wieder „hereinzukommen“.
  • Ganze Sätze in leserlicher Handschrift formulieren!
  • Auf die Orthographie achten! Dies gilt insbesondere bei juristischen Stereotypen. Lassen Sie Fremdwörter oder lateinische Spezialausdrücke weg, deren Schreibweise Sie sich nicht sicher sind („lienietierte Assessorietät“, statt limitierte Akzessorietät; die Tatbestandserfüllung infiziert, injiziert und induziert die Rechtswidrigkeit nicht, sondern indiziert sie).
  • Denken Sie daran, den Korrektor dadurch für sich zu gewinnen, dass er die Architektur Ihres Gedankens erkennen, Gliederungen verfolgen und Sie auf Ihrer Argumentationsfahrt jederzeit begleiten kann. Er muss in jeder Zeile der Klausur wissen, wo er und warum er gerade hier steht. Er muss wissen, wo Sie herkommen und wohin Sie gehen – was Sie am allerbesten durch die Beachtung kleiner, konsequenter Schritte erreichen. 
  • Stellen Sie genügend Wegweiser auf in Form kleinerer ZWischenERGebnisse (ZwErg: „Also hat …“). 
  • Quälen Sie „Ihren Korrektor“ nicht mit großen Worten („eindeutiger Fall“; „ganz klar“; „völlig unstreitig“; „klassischer Fall von …“). Die Gefahr ist groß, mit solchen Übertreibungen die Subsumtion ersparen zu wollen. Außerdem weiß man nie so genau, was eigentlich der klassische Fall ist. Wer schreibt: „Zweifellos ist das Um-dressieren eines Kanarienvogels eine Sachbeschädigung i.S.d. § 303 StGB“, zeigt nur, dass ihm die Argumente fehlen und er zu einer Holzhammermethode greifen muss. Entweder es leuchtet sofort ein, dann genügt es, dies (ohne „zweifellos“) festzustellen – oder es leuchtet nicht ein, dann muss man seine Auffassung begründen.
  • Beachten Sie die Aufgabenstellung genau auf Punkt und Komma! Fragen Sie sich hochkonzentriert: „Was wollen die von mir?“ – Aber auch: „Was wollen die nicht von mir?“
  • Zeiteinteilung! Wenn eine Klausur vier Stunden Arbeitszeit vorgibt, dann ist sie auch inhaltlich für vier Stunden komponiert. Wenn Sie nach zwei Stunden abgeben, sind Sie im Zweifel kein Genie, sondern ein Trottel. Sie haben wahrscheinlich einige Probleme übersehen. Übrigens: Die gelebte Zeit in einer Klausur wechselt ihr Fließtempo je nachdem, ob Sie am Anfang oder am Ende der Klausur stehen. 
  • Lesen Sie den Paragraphen, den Sie anwenden wollen, vorher noch einmal genau durch! Der voreilige Schluss: „Den kenn‘ ich ja“, ist nicht selten ein Fehlschluss.
  • Die Subsumtion erfolgt nicht mit Plus- und Minuszeichen! (Für die Lösungsskizze allerdings ein optimales Hilfsmittel.)
  • Spielen Sie nicht den Minimalisten nach dem Motto: Ich weiß Bescheid, der Korrektor weiß Bescheid – wozu noch viele Worte machen? Ihr Bestreben darf es nicht sein, in arroganter Fachmannpose das Problem in einer einzigen Schlusspointe aufscheinen zu lassen, statt den Leser auf Ihren Gedankengängen mitzunehmen.
  • Evidenzbasierte Subsumtionen benötigen keinen Gutachtenstil. Basta-Stil!
  • Informieren Sie sich über das Umfeld des anzuwendenden Paragraphen (2 vor – 2 zurück-Methode) und studieren Sie alle Absätze! Nicht selten steht ja in Abs. 5 das Gegenteil von Abs. 1!
  • Starke Worte meiden. Sie drängen sich besonders bei schwachen Argumenten auf. „Was keiner weiteren Ausführung bedarf“ hat nur den Sinn, eine notwendige Begründung zu umgehen; „unzweifelhaft“ ist meist höchst zweifelhaft; „unstreitig“ soll nur den Streit kaschieren; „ständige höchstrichterliche Rspr.“ suggeriert meist fälschlich ewige Wahrheiten.
  • Name, Studentengruppe und Matrikelnummer nicht vergessen!
  • Alle Seiten nummeriert abgeben! Am nächsten Tag nachreichen zu wollen, ist regelmäßig hoffnungslos.
  • Denken Sie immer daran: Das Ende trägt die Last! Aber besser zum Schluss eine Kurzfassung als gar keine Fassung.
  • Nur Ihr eigenhändig geschriebener Klausurentext unterliegt der Korrektur! Konzepte, Gliederungen oder Hinweise im Text auf solche Konstrukte gelten als nicht vorhanden! Sollten Sie in Zeitnot geraten, dann machen Sie den nicht mehr bearbeiteten Teil der Gliederung durch deutliche Kenntlichmachung und Seitenzahlen (a, b, c …) zum integralen Bestandteil Ihrer Klausur.
  • Was Sie nicht gegen sich gelten lassen wollen, streichen Sie durch! Klammersätze unterliegen der Bewertung!
  • Paragraphen, mit denen Sie arbeiten, müssen Sie zitieren! Dass man eine Bereicherung, die ohne Rechtsgrund geleistet worden ist, kondizieren kann, sagen nicht Sie, sondern sagt das Gesetz in § 812 I 1 1.Alt BGB. Dass ein Eigentümer vom Besitzer, der kein Recht zum Besitz hat, die Herausgabe verlangen kann, ist nicht Ihre Entdeckung, sondern Aussage der §§ 985, 986 BGB!
  • Denken Sie immer daran: Erst das Tatbestandsmerkmal herausfiltern, dann die Auslegung desselben, dann die Definition, dann erst die Subsumtion unter dieselbe! 
  • Keine vorgezogenen Erörterungen (Märchenklausur: „Es war einmal der Verkäufer V, der hatte 3 Söhne …“)
  • Bedenken Sie immer, welch verheerende Wirkung formale Strukturschwächen haben: Wenn Sie die Tatbestandsmerkmale A, B und D nennen und das Merkmal C unterschlagen, haben Sie verspielt. (Z.B.: „Gem. § 242 StGB müsste T eine bewegliche Sache weggenommen haben in der Absicht …“. Das TBM „fremd“ wird einfach weggelassen.) 
  •  Keine Hinweise zum Aufbau! Der Aufbau folgt logisch aus sich selbst!
  • Laut BGH“ – „Nach der ganz herrschenden Meinung weglassen! Ihre Meinung interessiert Ihren Dozenten, nicht die des BGH oder der Literatur! Abgesehen davon ersetzt auch ein BGH-Zitat nicht das Argument!
  • Vorsicht bei Hilfsgutachten
  • Prägen Sie sich schnellstmöglich juristisch gebräuchliche Formulierungen und Termini ein und verwenden Sie diese auch! Das zeigt Professionalität! Kommt in Ihren  Gutachten ständig „also, also, also, also“ vor, so wirkt das schülerhaft. Jede Wissenschaft hat ihre Sprache – also auch die juristische. 
  • Hüten Sie sich vor Argumentations-stoppern wie: „Eindeutig“, „Unzweifelhaft“, „Klassischer Fall von …“, „Kann keinem Zweifel unterliegen“. Sie sind ein untrügliches Zeichen für jeden Korrektor, dass das, was folgt, „geschludert“ ist.
  • Lassen Sie Angstklauseln wie „wahrscheinlich“, „möglicherweise“, „dürfte wohl“, „ich glaube“ weg!
  • Nochmals: Eine Todsünde ist die „Sachverhaltsquetsche“! Dieser und nicht jener Lebensausschnitt bildet den Sachverhalt, den Sie sich nicht auf das Maß Ihres Könnens und Wissens „schönquetschen“ können.
  • Und kurz vor Schluss: Ihr Rechtsgefühl sollte weniger als Erkenntnisquelle für Klausuren, mehr als Korrekturmechanismus genutzt werden. Die Volksweisheit, dass das Gefühl oft klüger sei als der Verstand, sollte nicht am Anfang, sondern erst am Ende Ihrer Lösungsskizze gelten. 

Contre la montre individuel wie im Einzelzeitfahren: Allein gegen die Uhr! Zeitempfinden hängt von der Intensität des Erlebnisses ab. Rennfahrerklausuren sind sehr intensiv! Das Dickicht der Fakten und Gesetze müssen Sie zeitgemäß durchqueren. Die Zeitnot ist allerdings die Zwillingsschwester der Klausur! Die Zeit plustert sich beim Lernen und staucht sich in der Klausur.

Das Zeitbudget für eine 5-Stunden (BGB/StGB-)Klausur:

 

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