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Rücktritt vom Versuch

Der Rücktritt vom ➞ Versuch führt nach § 24 Abs. 1 S. 1 StGB zur Straflosigkeit des Alleintäters. Der Sinn der Straflosigkeit ist in einem kriminalpolitischen Zweck zu suchen. Der Gesetzgeber will dem Versuchstäter zu dem Zeitpunkt, zu dem die endgültige Rechtsgutverletzung noch nicht eingetreten ist, eine „goldene Brücke“ zur Umkehr bauen. Der Schwiegersohn, der seine Schwiegermutter töten will und mit entsicherter Waffe vor ihr steht und den nunmehr Mitleid überfällt, könnte ohne die Regelung des § 24 Abs. 1 S. 1 StGB bei Kenntnis des § 23 Abs. 2 StGB (!!) geneigt sein, die Tat auch endgültig durchzuführen. Für die Rückkehr zu gesetzestreuem Verhalten soll er trotz der begangenen versuchten Straftat gewissermaßen prämiert werden. Weder spezial- noch generalpräventive Gesichtspunkte (➞ Strafzwecke) fordern eine Bestrafung. Erstere nicht, weil sich der verbrecherische Wille als doch nicht so stark erweist, letztere nicht, weil der Täter die Gefährdung des Rechtsguts wieder beseitigt, womit der rechtserschütternde Eindruck des Versuchs entfällt.

 

Die Voraussetzungen des Rücktritts des Alleintäters vom Versuch

 

Sie sind in § 24 Abs. 1 S. 1 StGB festgelegt. Diese Bestimmung enthält zwei Alternativen und hat demgemäß zwei unterschiedliche Versuchsarten zum Gegenstand:

  • 24 Abs. 1 S. 1 StGB bestimmt, dass wegen Versuchs nicht bestraft wird, wer
  • freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt (1. Alt.) oder
  • freiwillig die Vollendung der Tat verhindert (2. Alt.).

Diese Rücktrittsregelung beruht offensichtlich auf einer Grundunterscheidung

  • zwischen einem ➞ unbeendeten Versuch („die weitere Ausführung der Tat aufgibt“)
  • und einem ➞ beendeten Versuch („Vollendung der Tat verhindert“)

mit jeweils unterschiedlichen Voraussetzungen für den Rücktritt.

 

Beispiele:

  1. § 24 Abs. 1 S. 1 1. Alt. StGB

–   Täter T hat Zyankali in der Hand, um es in den Tee des Opfers zu schütten.

–   Täter T will eine Bombe am Auto des Opfers installieren, um das Auto beim Starten zur Explosion zu bringen. Bei der Koppelung von Zünder und Zündung treten Komplikationen auf.

 

  1. § 24 Abs. 1 S. 1 2. Alt. StGB

–   Täter T hat das Zyankali bereits in den Tee des Opfers geschüttet.

–      Die Bombe ist an dem Auto des Opfers installiert und Zündung und Zünder sind gekoppelt.

 

Für die Frage, wann ein unbeendeter und wann ein beendeter Versuch vorliegt, ist allein die subjektive Vorstellung des Täters entscheidend.

  1. Unbeendet ist der Versuch, wenn es nach der Vorstellung des Täters zur Verwirklichung des Tatbestandes noch weiterer Handlungen bedarf. Es fehlt noch ein Glied in der Kausalkette.
  2. Beendet ist der Versuch, wenn nach der Vorstellung des Täters alle zur Verwirklichung des Tatbestandes erforderlichen Handlungen vorgenommen sind. Der Kausalkette letztes Glied ist eingefügt.

Hat der Täter das Gift noch in der Hand, oder ist die Bombe noch nicht endgültig geschärft, so glaubt der Täter, seinerseits noch nicht alles Erforderliche zur Tatbestandsverwirklichung getan zu haben. Befindet sich das Gift im Tee, oder ist die Bombe funktionsfähig auf die Zündung geschaltet, so bedarf es dagegen nach Meinung des Täters keiner weiteren Handlungen mehr (Motto: „Jetzt geht’s los!“). Also liegt im 1. Fall ein unbeendeter Versuch vor, folglich kommt § 24 Abs. 1 S. 1 1. Alt. StGB zur Anwendung. Dagegen handelt es sich im 2. Fall um einen beendeten Versuch mit den Rücktrittsvoraussetzungen des § 24 Abs. 1 S. 1 2. Alt. StGB.

 

Ergibt die Prüfung danach einen unbeendeten Versuch, so verschafft sich der Täter gem. § 24 Abs. 1 S. 1 1. Alt. StGB Straffreiheit, wenn er

  • die weitere Ausführung aufgibt (endgültiges Abstandnehmen) und
  • freiwillig handelt.

Ergibt die Prüfung einen beendeten Versuch, so liegt Straffreiheit gem. § 24 Abs. 1 S. 1 2. Alt. StGB nur vor, wenn

  • der Taterfolg verhindert wird
  • durch eigenes Zutun des Täters („verhindert“) und
  • der Täter freiwillig handelt.

Beim unbeendeten Versuch kann der Täter also einfach passiv bleiben – es ist nur ein freiwilliger Gegenentschluss erforderlich. Beim beendeten Versuch muss der Täter aktiv werden – es ist eine freiwillige Gegenaktivität notwendig.

 

Entscheidende Bedeutung kommt dem Merkmal der ➞  Freiwilligkeit zu.

Bei der Ermittlung der Freiwilligkeit leistet Ihnen in den meisten Fällen folgende Formel wertvolle Hilfe:

  • Sagt sich der Täter: „Ich will nicht, obwohl ich kann“, geschieht die Aufgabe des Tatentschlusses freiwillig.
  • Sagt sich der Täter: „Ich kann nicht, obwohl ich will“, geschieht die Aufgabe des Tatentschlusses unfreiwillig.

 

Beispiel 1: A lauert in einem Hohlweg auf B, um diesen zu erschießen. B betritt den Hohlweg, kommt in den Schusskreis des Gewehres des A, wittert Gefahr und dreht ab. A geht missmutig nach Hause.

 

Beispiel 2: C lauert in einem Hohlweg, um D zu erschießen. Als sich D auf Schussweite genähert hat, bekommt C Gewissensbisse, setzt die Waffe ab und geht ebenfalls nach Hause.

 

Man kann es statt in dieser von phantasievollen Studenten als sog. „Impotenzformel“ merkfähig gemachten Formel auch wissenschaftlicher – aber keineswegs besser – ausdrücken: Liegen autonome (selbstgesetzte) Motive vor, handelt der Täter freiwillig, im Fall heteronomer (fremdgesetzter) Motive unfreiwillig. Freiwilligkeit ist etwa angenommen worden bei folgenden Beweggründen: Scham, Reue, Mitleid, Zurückschrecken vor dem Straffälligwerden, Appell des Opfers, Bedenken des Mittäters. Unfreiwilligkeit ist bejaht worden in folgenden Fällen: benutzter Dietrich bricht ab, Täter wird in die Flucht geschlagen, bei Vergewaltigung lässt der Trieb nach, Schock des Täters, psychische Lähmung. Eine Wahlfreiheit entfällt auch dann, wenn die „Geschäftsgrundlage weggefallen ist“, so wenn bei einer Falschmünzerei das herzustellende Geld außer Kurs gesetzt wurde, wenn bei einem Diebstahlsversuch 1 Mio. Euro erwartet, aber nur 100 Euro tatsächlich vorgefunden werden, wenn der zu ermordende Politiker sein Amt verloren hat, oder bei einer tatsächlichen oder vermeintlichen Entdeckung des Täters.

 

Rücktritt bei Beteiligung mehrerer

 

  • Rücktritt durch Vollendungsverhinderung des Beteiligten

Beispiel: A, der den Einbrechern B und C den Tipp zum Geschäftseinbruch bei X gegeben hatte, ruft X an und warnt ihn.

 

  • 24 Abs. 2 Satz 1 StGB: Der Tatbeteiligte (vom Begriff der Beteiligten in § 24 Abs. 2 StGB werden Mittäter, Anstifter und Gehilfen erfasst – ob auch der mittelbare Täter nach § 24 Abs. 2 StGB oder nur nach § 24 Abs. 1 StGB zurücktreten kann, ist streitig) verhindert aktiv die Vollendung der Tat, und das freiwillig.
  • Rücktritt durch Verhinderungsbemühen bei Nichtvollendung ohne Zutun des Beteiligten

Beispiel: A, der seinem Freund B das Gift zur Tötung von Frau B geliefert hatte, welches jedoch zur Tötung des Opfers nicht ausreichte, hatte durch dringende aufklärerische telefonische Warnungen Frau B in ihrem Vertrauen zu ihrem Mann nicht erschüttern können.

 

  • 24 Abs. 2 S. 2, 1. Alt. StGB: Auch hier wird die Tat nicht vollendet. Die Nichtvollendung basiert aber nicht auf dem Beitrag des Rücktrittswilligen, der sich jedoch freiwillig und ernsthaft hierum bemühte. Erfasst wird insbesondere der untaugliche oder fehlgeschlagene Versuch.

Versuchsaufbau:

  1. Vorüberlegungen
  2. Tat nicht vollendet
  3. Versuch ist strafbar
  4. Tatbestand des Versuchs
  5. Der Täter hat den Entschluss, d.h. den Vorsatz, ein bestimmtes Delikt zu begehen
  6. Es liegt ein Anfang der Ausführung vor

III.   Rechtswidrigkeit des Versuchs

  1. Schuld des Täters (Restschuld)
  2. Schuldfähigkeit gem. §§ 19, 20 StGB
  3. Nichtvorliegen von Entschuldigungsgründen
  4. Unrechtsbewusstsein
  5. Rücktritt vom Versuch gem.

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