Die gutachtliche Inszenierung mit Hilfe des Kraftwerkes im Innersten der Juristerei, der Sub-sumtion

Es folgt der zweitwichtigste Beitrag für Sie als Jurastudent!

Was machen die Juristen, was sonst keiner so gut macht? – Richtig, wir wissen es: Sie haben eine Fallherangehensweise. Ihr Herzstück ist die Subsumtion. Subsumtion bedeutet abstrakt die Unterordnung von Begriffen unter einen Oberbegriff (lat.: sub, unter: sumere, anwenden, nehmen). Konkret für die Juristerei bedeutet Subsumtion ein juristisches methodisches Verfahren zur Unterordnung der Einzelteile eines Sachverhalts unter die Einzelteile des Konditionalprogramms einer Rechtsnorm. Sie ist Dreh- und Angelpunkt gutachtlicher juristischer Inszenierung. Es zählt alles nichts, wenn es nicht im Gutachten mit seiner Subsumtion kommt!

Das will ich Ihnen anhand folgender 8 Beispiele aus dem Strafrecht verständlich machen.

1. T sticht in den linken Vorderreifen des Wagens seines mit ihm verfeindeten Nachbarn N.

2. T lässt aus dem linken Vorderreifen des Autos des N die Luft heraus, um diesen zu ärgern.

3. Neffe N zerlegt die goldene Uhr seines Onkels O in 186 Einzelteile und serviert ihm diese mit der Bemerkung: „Du brauchst sie nur wieder zusammenzubauen, dann geht sie wieder, Onkelchen.“

4. Sittenapostel S überklebt ein aufreißerisches Filmplakat für einen Sexfilm an den „entscheidenden“ Stellen mit schwarzem Tesafilm, verhilft der Dame somit zu einem schwarzen Bikini.

5. Neffe N dressiert während eines Sanatoriumsaufenthalts seiner Tante den ihm in Obhut gegebenen Wellensittich „Emma“, der von dieser gelernt hatte, beim Löschen des Lichtes „Gute Nacht, liebe Tante“ zu rufen, dahingehend um, dass dieser nunmehr „Gute Nacht, hässliche Tussi“ kräht.

6. Graffiti-G besprüht das Haus des Vaters seiner Freundin mit einem künstlerisch wertvollen Strichmännchen – allerdings gegen den Willen seines potentiellen Schwiegervaters.

7. Einbrecher E tötet den Wachhund des Villenbesitzers V durch vergiftete Fleischbrocken.

8. Zuhälter Z wirft aus Imponiergehabe im Beisein seiner „Damen“ seine goldene Uhr weg, um sich eine neue zu kaufen. Der dies beobachtende Konkurrent K zertritt aus Neid und Wut die Uhr.



Anhand dieser Beispiele sollen Ihnen Gutachten und Subsumtion in einem in acht Phasen gegliederten Arbeitsprozess ineinandergreifend im „Achtblickverfahren“ vorgestellt werden.

1. Blick: Auf den Sachverhalt (um was geht’s?)

2. Blick: Auf die Aufgabenfragestellung (was wollen „die“ von mir?)

3. Blick: Auf die die Aufgabenfrage zu beantwortende Antwortnorm. Gibt es eine Strafrechtsnorm, deren Rechtsfolge mit der Fallfrage „Hat sich T bzw. N, K, S, E, N und G strafbar gemacht?“ korrespondiert? Daraus folgt die bekannteste aller Fragen im StGB: Wer hat sich weswegen wodurch strafbar gemacht?

Wer?  
Suche nach dem Täter!
Weswegen?  
Suche nach dem passenden Straftatbestand!
Wodurch?  
Suche nach dem passenden Lebensausschnitt!
  1. Blick: Auf die Tatbestandsseite („Wenn“) mit ihren Tatbestandsmerkmalen (eliminieren)
  2. Blick: Auf die Auslegung jedes Merkmals (interpretieren)
  3. Blick: Auf die Definition jedes Merkmals (definieren)
  4. Blick: Auf die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung von Sachverhalt und Tatbestandsmerkmalen (subsumieren)
  5. Blick: Auf die Schlussfolgerung (konkludieren)

Diesen Klausurenfahrplan mit seinem „Achtblick-Verfahren“ sollten Sie verinnerlichen! Das heißt: Erstens: Verstehen! – Dann: Nachahmen! – Anschließend: Einüben! – Schließlich: Nachmachen! – Steht der Sachverhalt fest, ist die Aufgabenstellung entschlüsselt und eine Antwortnorm aus dem StGB auf die Fragestellung des Falles gefunden, so beginnt die eigentliche juristische Arbeit. Man prüft, ob die rechtlichen Voraussetzungen der Antwortnorm des StGB für eine Bestrafung des Täters aufgrund des Sachverhaltes erfüllt sind.

In den acht Sachverhalten kommt jeweils als gedanklicher Ausgangspunkt weiterer Überlegungen die Antwortnorm Sachbeschädigung gem. § 303 Abs. 1 StGB in Betracht. Eine Norm, die abstrakt (generell) eine Antwort gibt auf die konkrete Frage der Aufgabenstellung: strafbar oder nicht strafbar? Das Wörtchen „rechtswidrig“ ist zu streichen, da ohnehin jede strafbare Handlung rechtswidrig sein muss. Übrig bleiben die abstrakten gesetzlichen Tatbestandsmerkmale der Sachbeschädigung: (Eine) fremde – Sache – beschädigen – oder – zerstören.

Hat man die Voraussetzungen dieser Antwortnorm zusammengetragen, so muss man nunmehr

  •    die abstrakten herausgestanzten und durch die Auslegung und Definition konkret umgestalteten Tatbestandsmerkmale: Sache – fremd – beschädigen oder zerstören
  •      mit den Einzelumständen des Sachverhaltes vergleichen, d.h. man muss subsumieren, also untersuchen,
    • ob beide miteinander übereinstimmen,
    • ob sie sich spiegelnd entsprechen,
    • ob sie zur Deckung gebracht werden können,
  •     um die Rechtsfolge – die Frage des Falles (Haben sich die Täter jeweils strafbar gemacht?) – auszulösen.


Ihr Blick wandert hin und her zwischen Ihrem Sachverhalt und den gesetzlichen Merkmalen der Antwortnorm des § 303 StGB. Gelingt die Subsumtion, geht der Fall weiter. Scheitert die Subsumtion, ist der Fall beendet.

Die Anwendung einer Rechtsnorm durch Subsumtion eines Lebenssachverhaltes unter ein Gesetz beruht auf einer Denkfigur der Logik, dem syllogistischen Schluss. Das griechische Wort „syllogismos“ bedeutet das Zusammenrechnen – und in der Tat rechnet der Syllogismus in einem einzigen Satz, dem „schlussfolgernden“ Schlusssatz zusammen, was im Obersatz und im Untersatz gesagt worden ist.

Obersatz:  Alle Menschen sind sterblich.

Untersatz:  Sokrates ist ein Mensch.

Zusammenrechnender Schlusssatz:  Also ist Sokrates sterblich.

Dies ist der berühmte aristotelische Schluss. Dass hier aus zwei Aussagen (Obersatz und Untersatz) eine neue gewonnen wird (Schlusssatz) und dass die Folgerichtigkeit (Logik) dieses Gedankenganges zwingend einsichtig ist, beruht darauf, dass Obersatz und Untersatz einen gemeinsamen Begriff aufweisen (Mensch), der bei der Schlussfolgerung eliminiert wird und im Schlusssatz nicht mehr vorkommt. Dieser sogenannte Mittelbegriff „Mensch“ erlaubt die Zusammenrechnung von Ober- und Untersatz zu einer neuen Aussage. Der Schlusssatz zieht bei positiver Subsumtion lediglich die Konsequenz daraus, dass der Obersatz den Untersatz durch den Mittelbegriff umfasst, was bei negativer Subsumtion eben nicht so ist. Daran zeigt sich, dass der Schlusssatz nur die Logik, die Folgerichtigkeit, garantiert, nicht etwa die Wahrheit. Entspricht die Prämisse (Obersatz) nicht der Wahrheit, ist die Schlussfolgerung zwar logisch, aber unwahr. Entspricht allerdings die Prämisse der Wahrheit, ist auch die Schlussfolgerung wahr.

Obersatz:             Alle Menschen sind dumm.

Untersatz:            Sokrates ist ein Mensch.

Zusammenrechnender Schlusssatz:  Also ist Sokrates dumm.


Das Ergebnis ist zwar logisch, aber falsch, da die Prämisse (alle Menschen sind dumm) nicht stimmt; folglich stimmt auch der Schlusssatz nicht: Denn jeder Mensch weiß, dass Sokrates weise ist, weil er weiß, dass er nichts weiß.

Bei der Rechtsanwendung in den acht Beispielen ist nun § 303 StGB der Obersatz, der jeweilige Fall der Untersatz, der zusammenrechnende Schlusssatz ist die Feststellung, dass die Rechtsfolge eingreift (positiv) – oder auch nicht (negativ).


Obersatz: Wer eine fremde Sache beschädigt, wird bestraft.

Untersatz pauschal: Täter T hat eine fremde Sache beschädigt (Sachverhalt).

Zusammenrechnender Schlusssatz: Also wird T bestraft.

Es sind gleich mehrere Mittelbegriffe: Sachefremdbeschädigen. Man streiche diese Wörter aus Ober- und Untersatz, setze statt des abstrakten „Wer“ den konkreten „T“ ein und schon ist man beim Schlusssatz angelangt (allerdings zunächst nur im Hinblick auf den Tatbestand).

Obersatz:, wird bestraft (§ 303 StGB)

Untersatz: Täter T hateinefremdeSachebeschädigt

Schlusssatz: Täter T wird bestraft

Die eigentliche Schwierigkeit bei der Subsumtion liegt in der Eliminierung des Mittelbegriffs „fremde Sache beschädigen“. Diese Schwierigkeit liegt darin, dass die Rechtsnorm des § 303 StGB, wie jede Rechtsnorm, aus mehreren einzelnen Tatbestandsmerkmalen besteht: „Sache“ – „fremd“ – „beschädigen“. Gleiches gilt für den „Fall“. Auch dieser besteht aus mehreren Sachverhaltsmerkmalen, die allerdings oft sehr schwer zu finden sind. Im 1. Fall z.B. sind sie einfach zu entdecken: „Autoreifen“ – „des Nachbarn N“ – „zerstechen“.

Damit wird evident (einsichtig), dass es nicht möglich ist, „den Lebenssachverhalt“ pauschal unter „die Rechtsnorm“ zu subsumieren. Man muss die Rechtsnorm in ihre einzelnen Elemente zerlegen und den Sachverhalt gleichermaßen in seine Lebensbestandteile zergliedern. Man muss den Sachverhalt und die Antwortnorm „zerdenken“! Nunmehr ist jeder Sachverhaltsbestandteil „seinem“ Antwortnormstückchen (Tatbestandsmerkmal) zuzuordnen und das Vorliegen jeder Voraussetzung des Gesetzes gesondert und nacheinander im Subsumtionsverfahren aufzufädeln. Erforderlich ist eine mehrfache „Tatbestandsmerkmal-Sachverhaltsmerkmal-Subsumtion“ mit mehrfachem schlussfolgerndem Zwischenergebnis. Der Schlusssatz, also die Rechtsfolge „T hat sich dadurch, dass … gem. § 303 StGB strafbar gemacht“, ist das schlussfolgernde Gesamtergebnis der Summe der positiv verlaufenen schlussgefolgerten Einzelsubsumtionen.

Bei der Erarbeitung der acht Fälle werden Sie merken, dass die vier Denkschritte des Gutachtens (Hypothese – Prämisse – Subsumtion – Ergebnis) zwar eine Grundstruktur juristischen Denkens bilden, aber eben allein noch lange kein handwerklich brauchbares Schema für die juristische Fallbearbeitung in einer Klausur darstellen. Sie kommen praktisch „pur“ in dieser Form überhaupt nicht vor! Selbst im einfachsten Fall 1 sind die „glorreichen Vier“ des Gutachtenstils nicht ausreichend. Stets sind mehrere Voraussetzungen (Tatbestandsmerkmale: Sache; fremd; beschädigen oder zerstören) nebeneinander zu prüfen, und zwar jeweils erneut im Gutachtenstil.

  • Dann steht an der Spitze der jeweiligen Teilerörterung von „Sache“, „fremd“, „beschädigen“
  • wiederum eine Teil-Fragestellung, also jeweils Hypothesen zu „Sache“, „fremd“, „beschädigen“,
  • deren Beantwortung ein jeweiliges Teil-Gutachten zu „Sache“, „fremd“, „beschädigen“ mit Subsumtion und Ergebnis erfordert.


Innerhalb eines juristischen Gesamt-Gutachtens sind also mehrere Gutachten notwendig (ein großes und mehrere kleine). Es ist ein In- und Aneinanderreihen der Einzelsubsumtionen zu einem Gesamtgutachten, ein Aufwerfen immer neuer Hypothesen mit Zwischenergebnissen, bis eine Gesamtsubsumtion mit einem Gesamtergebnis möglich ist. Es ist ein einziges „Schachteln“.

 
Wir exzerzieren ein solches „Gutachten-Schachteln“ einmal anhand des 1.Falles durch, zugegebenermaßen in epischer Breite, aber vielleicht gerade deshalb lehrreich.(Anm.: Die „Finalisten“ mögen mir verzeihen, ich baue als „Kausalist“ auf).

Gesamtgutachten
(Gutachten schachteln)
 
A         T könnte sich dadurch, dass erden Reifen des N zerstochen hat, wegen Sachbeschädigung strafbar gemacht haben gem. § 303 Abs. 1 StGB.
            (1. Schritt des Gesamtgutachtens (Hypothese))
B         Das setzt voraus, dass er den Tatbestand des § 303 StGBrechtswidrig und schuldhaft verwirklicht hat.
(2. Schritt des Gesamtgutachtens (Untersuchungsprogramm))
C C1      Dann müsste das Zerstechen des Reifens des N zunächst die
          Beschädigung einer fremden Sache sein.
           (3. Schritt des Gesamtgutachtens (Subsumtion unter den Tatbestand))
             = 1. großes Teilgutachten


Wahnsinn? Sie haben Recht! Und ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode: die Gutachtenmethode!

So ausführlich wie dargestellt wird man ein Gutachten niemals schreiben. Die „Gut-achtenschachtel“ sollte nur zur Demonstration dienen. Es wurde dabei gegen einen juristischen Ur-Grundsatz verstoßen: Die Hauptsache ist, dass die Hauptsache die Hauptsache ist! Selbstverständlichkeiten werden als Nebensachen im Feststellungsstil dokumentiert. Auch erscheint es stilistisch zu umständlich, alle vier Denkschritte (große und kleine Gesamt- und Teilgutachten) jeweils deutlich voneinander zu trennen und stets ausdrücklich vorzunehmen. Besonders für den Denkschritt zwei ist es in der Regel ausreichend, auf die gesetzliche Anspruchsgrundlage durch Angabe des Paragraphen hinzuweisen und die einzelnen Tatbestandsmerkmale nicht schülerhaft aufzulisten; stattdessen wird sogleich subsumiert (dritter Denkschritt).


Bei der Einzelsubsumtion (z.B. unter „Sache“) kommen drei Varianten in Betracht.

Variante 1: Ein Rechtsfall kann nun so liegen, dass die Übereinstimmung bzw. Nichtübereinstimmung von Tatbestandsmerkmal und Sachverhaltsbestandteil ohne weiteres evident ist. So ist z.B. ein Autoreifen ohne Weiteres eine Sache, eine Forderung (ein vergeistigtes Recht) dagegen wäre das typische Beispiel für eine Nichtübereinstimmung.Häufig ist das Verhältnis von Tatbestandsmerkmal und Sachverhalts-merkmal aber nicht so einfach. Die fehlende Evidenz kann auf beiden Seiten beruhen:

Variante 2: Der zu beurteilende Lebenssachverhalt ist klar: T hat einen Vogel umdressiert (Fall 7). Nicht klar ist aber, ob der Vogel eine „Sache“ ist, und ob ein Umdressieren ein „beschädigen“ darstellt. Bei der Subsumtion kann also eine schwierige Interpretation des Tatbestandsmerkmals erforderlich sein, um sich dem klaren Sachverhalt anzunähern.

●  Variante 3:  Hier ist es genau umgekehrt: Klar ist die Voraussetzung: Vorsatz ist Wissen und Wollen. Nicht klar ist aber, ob ein Mann, der um seine Aids-Infektion weiß und mit einer Frau ungeschützt Sex hat, dieses Wissen und Wollen im Hinblick auf eine Tötung oder Körperverletzung aufweist. Es kann also eine schwierige Interpretation des Sachverhaltes geboten sein, um sich dem klaren Tatbestandsmerkmal zu nähern.


Nun können Sie die Variante 3 getrost vernachlässigen, da die Sachverhalte Ihrer Klausuren im Studium immer klar und unstreitig gefasst sein sollten. Umso stärker müssen Sie sich aber auf die Variante 2 konzentrieren.

Die Übereinstimmung von Tatbestandsmerkmal und Sachverhalt kann bei nicht evidenter Übereinstimmung (Vogel = Sache?; Umdressieren = beschädigen?; Entlüften = beschädigen?; Auseinandernehmen = beschädigen?; Weggeworfene Uhr = fremd?; künstlerisches Graffiti = beschädigen?) nur festgestellt werden, wenn als erstes das Tatbestandsmerkmal ausgelegt und durch eine Definition genauer und konkreter gefasst wird. Erst der ausgelegte und definierte Begriff führt das völlig abstrakte Tatbestandsmerkmal durch die Definition – nunmehr um seine Abstraktheit entkleidet – inhaltlich näher an die Sachverhaltsbestandteile heran. Es greift alles ineinander: Das Tatbestandsmerkmal wird durch eine Definition als Endpunkt einer durchgeführten Auslegung für die Subsumtion erst aufbereitet; Auslegung und Definition sind ein notwendiges Tatbestands-Aufbereitungsprogramm für die Subsumtion. Ohne die die Tatbestandsmerkmale aufschließenden Auslegungen und Definitionen ist der Subsumtionsvorgang nicht nur im Strafrecht unmöglich. Die Auslegung mündet immer in eine Definition und erfolgt stets vor der Subsumtion (A vor D vor S). Ohne Auslegungsregeln und einen gewissen Definitionenschatz ist deshalb ein vernünftiges Arbeiten in der Juristerei nicht möglich. Beide wollen Sie nicht quälen, sondern Ihnen die Subsumtion erleichtern!

Im Fall 1 untersuchen Sie zunächst, ob der linke Vorderreifen als Sachverhaltsstück unter das abstrakte Gesetzesstück „Sache“ (TBMj)  in § 303 Abs. 1 StGB zu subsumieren ist. Diese Frage können Sie aber erst beantworten, wenn Sie die Vorfrage beantwortet haben: Was heißt eigentlich „Sache“ im Sinne des § 303 Abs. 1 StGB? „Sache“ ist ein denkbar weiter Begriff. Für die Auslegung (Auslj) kommt es auf die Körperlichkeit an. Erst durch den Bezug auf die Körperlichkeit gewinnt das Merkmal „Sache“ festere Konturen (Länge x Breite x Höhe). In diesem Sinne definiert (Defij) der Jurist das Merkmal „Sache“ wie folgt: Eine Sache ist jeder körperliche Gegenstand (vgl. auch § 90 BGB). Ein „Autoreifen“ ist ein solcher Gegenstand (Subsuj), fällt mithin unter den Begriff „Sache“ (ZwErgj).

  •    Nun wenden Sie sich dem nächsten Tatbestandsmerkmal zu, nämlich „fremd“ (TBMk). Für die Begriffsentfaltung (Auslegung) des Tatbestandsmerkmals „fremd“ kommt es auf das Eigentum an der Sache an. Erst durch diesen Bezug gewinnt dieses Merkmal feste Konturen (Auslk). Man definiert: Fremd ist eine Sache, wenn sie im Eigentum eines Dritten steht (Defik), also weder Alleineigentum des Täters noch herrenlos ist (vgl. § 959 BGB). Dieser Satz enthält die Definition des Begriffs „fremd“ i.S. des § 303 StGB ebenso wie i. S. des § 242 StGB. Der nächste Schritt besteht nun wiederum darin, den „Vorderreifen des N“ unter die Definition des Begriffs „fremd“ zu subsumieren. Eigentümer des Wagens und damit des Vorderreifens ist N, also ein anderer als der Täter T (Subsuk). Mithin handelt es sich bei dem Vorderreifen um eine fremde Sache (ZwErgk).
  •    Ob T aufgrund des geschilderten Sachverhaltes den Tatbestand des § 303 Abs. 1 StGB erfüllt hat, hängt noch davon ab, ob er den Reifen durch Zerstechen „beschädigt“ hat. Dabei ist zu beachten, dass die Tathandlungen „beschädigen“ und „zerstören“ hier alternativ und nicht kumulativ  vorliegen müssen, es also ausreicht, dass der Reifen beschädigt worden ist.

Nehmen wir einmal an, die Täter N und T wendeten in den Fällen 2 und 3 ein, dass die Sachen jeweils äußerlich unversehrt geblieben seien, mithin ein „Schaden“, also eine Substanzverletzung – der wesentliche Inhalt des Wortes „beschädigen“ – gar nicht vorliege; im Übrigen brauche man den Schlauch (Fall 2) nur wieder aufzupumpen bzw. die Uhr wieder zusammenzusetzen (Fall 3). Diese Einwände zeigen, dass das Tatbestandsmerkmal „beschädigen“ zunächst ausgelegt werden muss, bevor man das Herauslassen der Luft bzw. das Zerlegen der Uhr unter dieses Merkmal subsumieren kann. Die Auslegung des Merkmals „beschädigen“ hängt vom Zweck ab, den § 303 StGB verfolgt. Schutzzweck dieses Paragraphen ist es zu verhindern, dass der Wert einer Sache für den Eigentümer herabgesetzt oder vernichtet wird, und zwar nicht nur der Substanzwert, sondern auch der Gebrauchswert. Erst durch diesen Bezug gewinnt das Merkmal „beschädigen“ seine näheren Umrisse. Die strafrechtliche Definition des Merkmals „beschädigen“ muss daher vor dem Hintergrund dieses Schutzzweckes des § 303 StGB nicht unerheblich vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichen. Während dieser unter „beschädigen“ in erster Linie eine Substanzverletzung versteht (z.B. zerkratzen, zerschneiden, zerstechen), definiert das Strafrecht den Begriff wie folgt: Eine Sache ist beschädigt, wenn der Täter ihre Substanz verletzt oder ihre bestimmungsgemäße Funktionstauglichkeit nicht nur geringfügig beein-trächtigt hat.

Aber selbst diese Definitionen sind nicht immer ein Allheilmittel. Das Umdressieren eines „lieben“ Wellensittichs in einen „bösen“ Wellensittich (Fall 7) lässt sich nicht mehr ohne weiteres mit dem Begriff „beschädigen“ und seiner konkretisierenden Definition zur Deckung bringen. Es handelt sich offensichtlich um einen Problemfall. Um die Evidenz (Einsichtigkeit) herzustellen, sind Ihre Argumentation und Ihre Rhetorik gefragt. Was ist die bestimmungsgemäße Funktionstauglichkeit eines Wellensittichs? Das Fliegen? Seine Buntheit? Das Singen? – Auch das Sprechen? Wenn ja: Die generelle Fähigkeit zu sprechen (die hat er nach wie vor) oder die individuelle für die Tante wichtige Fähigkeit (die hat er nicht mehr)? Ist also die bestimmungsgemäße Funktionstauglichkeit objektiv oder subjektiv zu bestimmen? Sie sehen: Um das Zerstechen eines Autoreifens als Sachbeschädigung zu erfassen, bedarf es keines langen Studiums. Um aber das Umdressieren eines Wellensittichs als eine solche Beschädigung anzusehen (oder auch nicht), muss man juristisch ausgebildet sein.

Nunmehr ist es ein Leichtes, in den Fällen 1, 2 und 3 die Subsumtion, d.h. den formal-logischen Schluss, zu vollziehen. T hat im Fall 1 die Substanz des Vorderreifens verletzt, mithin den Reifen „beschädigt“. In den Fällen 2 und 3 ist zwar keine substanzielle Verletzung des Reifens bzw. der Uhr eingetreten, jedoch ist die bestimmungsgemäße Brauchbarkeit des Reifens bzw. der Uhr beeinträchtigt worden. Somit liegt auch hier ein „beschädigen“ im Sinne des § 303 StGB vor. In den Fällen 4, 5 und 6 hängt die Lösung davon ab, was man unter „bestimmungsgemäßem Gebrauch“ versteht: „Aufreizend“ zu wirken?– Ein „lieber“ Vogel zu sein?– Als Haus kein „Kunstobjekt“ zu sein? Im Fall 7 ist ein Hund unter das Merkmal „Sache“ zu subsumieren, wie im Fall 8 die positive Subsumtion fehlschlägt, da die Uhr gem. § 959 BGB herrenlos geworden ist, also nicht „fremd“ ist.

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