Ist dem Vertreter eine Vollmacht erteilt worden, so kann er ohne weiteres Zutun des Geschäftsherrn für diesen Willenserklärungen abgeben und Verträge mit Wirkung für den Geschäftsherrn abschließen (§ 164 Abs. 1, 3 BGB).

 

Beispiel 1: Der geschäftsunerfahrene G möchte ein Grundstück erwerben. Er beauftragt und bevollmächtigt den M mündlich, den Kauf vorzunehmen. M schließt mit dem Verkäufer im Namen des G einen notariell beurkundeten Kaufvertrag.

 

Beispiel 2: M ist von Beruf Makler. Er möchte sichergehen, dass ihm G den Auftrag nicht wieder entzieht. Deswegen lässt er sich von G eine unwiderrufliche Vollmacht erteilen.

 

Beispiel 3: M ist selber Eigentümer eines Grundstücks. G ist auch am Erwerb dieses Grundstückes interessiert. Er gestattet dem M daher ausdrücklich, für ihn auch jenes Grundstück zu kaufen.

Wegen dieser weitreichenden Folgen könnte man annehmen, dass die bei dem Formzwang im Vordergrund stehende Warnfunktion auf die Erteilung der Vollmacht „vorverlagert“ werden müsste, weil sie die einzige Willenserklärung ist, die der betroffene Geschäftsherr zum Zustandekommen des Vertrages abgeben muss. Der Gesetzgeber hat sich dennoch für eine grundsätzliche  Formfreiheit bei der Erteilung der Vollmacht entschieden (§ 167 Abs. 2). Diese Regelung beruht auf der Tatsache, dass die Vollmacht jederzeit widerrufen werden kann (§ 168 S. 2 BGB). Der Geschäftsherr, der den Abschluss des nicht mehr gewollten Vertrages durch Widerruf der Vollmacht verhindern kann, ist nicht so gebunden wie derjenige, der ein Vertragsangebot abgegeben hat. Denn im letzteren Falle liegt die Entscheidung, ob ein Vertrag zustande kommt, nicht mehr in seinen, sondern nur noch in den Händen des Vertragspartners.

Im Beispielsfall 1 ist daher auch bei formloser Bevollmächtigung des M ein Kaufvertrag mit Wirkung für G zustande gekommen.

Aus der soeben zu §§ 167 Abs. 2, 168 S. 2 BGB angestellten Überlegung ergibt sich, dass die Formfreiheit für die Erteilung der Vollmacht nicht gelten kann, wenn der Geschäftsherr durch die Bevollmächtigung schon genauso gebunden ist, wie wenn er das Angebot oder die Annahme zu dem Vertrag erklärt hätte. Das ist ausnahmsweise dann der Fall, wenn die Vollmacht – was gem. § 168 S. 2 BGB unter gewissen Voraussetzungen zulässig ist – unwiderruflich erteilt worden ist (Beispiel 2). Dann liegt zwar noch keine Vertragserklärung (Angebot oder Annahme) vor, G kann aber, anders als im Beispiel 1, den Vertragsschluss nicht mehr verhindern. Aus diesem Grunde legt die Rechtsprechung die Vorschrift des § 167 Abs. 2 BGB einschränkend dahin aus, dass die Vollmacht zum Abschluss eines formbedürftigen Geschäftes ebenfalls in der für dieses Geschäft vorgeschriebenen Form vorgenommen werden muss, wenn sie unwider-ruflich sein soll.

Allgemein gesagt erstreckt sich der Formzwang entgegen dem Wortlaut des § 167 Abs. 2 BGB ausnahmsweise dann auf die Erteilung der Vollmacht, wenn diese in Wahrheit bereits eine Verpflichtung des Geschäftsherrn darstellt, den späteren Vertragsschluss zu akzeptieren, die Anwendung des § 167 Abs. 2 BGB nach seinem Wortlaut also zu einer Umgehung des Formzwanges führen würde. Ein Indiz für eine solche Gebundenheit kann auch die in einer Vollmacht enthaltene Befreiung von dem Verbot des Selbstkontrahierens gem. § 181 BGB sein ( Insichgeschäft), so Beispiel 3. Denn der Geschäftsherr kann in diesen Fällen – anders als sonst – nicht mehr damit rechnen, dass der Vertreter allein seine Interessen wahrnehmen wird, weil er als potentieller Geschäftspartner auch ein eigenes Interesse an dem Abschluss des Rechtsgeschäfts hat. Allerdings reicht dieses Indiz nach der Rechtsprechung für die Annahme eines Formzwanges bei der Bevollmächtigung allein nicht aus. Vielmehr ist entscheidend, ob nach den näheren Umständen des Einzelfalles die Bindungswirkung tatsächlich bereits eingetreten ist oder nicht.