Unter einer juristischen Lerneinheit versteht man eine abgeschlossene zweistündige Lernphase. Sie liefert die Kriterien für die zieladäquate Verlaufsform Ihrer Wochenplanziele und Ihrer Tagesplanziele. Durch deutlich hervortretende Zäsuren in der Abfolge „portionierter“ Lerneinheiten gewinnt der ➞ Studienalltag seine Kontur. Machen Sie sich dabei eine wichtige Erfahrung zunutze: Das „Streben nach Abgeschlossenheit des Vorgenommenen“ ist ein auch im studentischen Gedächtnis tätiges Grundprinzip menschlichen Handelns: Man will Leistungen zum Abschluss bringen. Gerade eine Zwei-Stunden-Lerneinheit ist ein solches nach Abgeschlossenheit strebendes Ziel. Das macht sie so wertvoll. Setzen Sie sich solche effektiven, aber erreichbaren Ziele! Ihr Agieren an Ihrem Arbeitsplatz muss in einer solchen Zwei-Stunden-Lern-„Portion“ eine innere Bewegtheit, eine Spannung, eine gewisse Dramatik für Sie entwickeln.
- Zuerst die motivierende Eröffnung mit ihren anregenden Momenten.
In dieser öffnenden Phase geht es um Ihre Aktivierung. Sie sollten sich in dieser Zeit in eine Erwartungshaltung versetzen, die kurz, konzentriert und logisch zwingend zum Stoff ist, ohne wesentlichen Kraft- und Zeitverbrauch mit sich zu bringen.
Stellen Sie dazu die folgenden vier Fragen:
- Was weiß ich schon über dieses von mir zu bearbeitende juristische Gebiet?
- In welchem rechtlichen, systematischen Zusammenhang steht es?
- Was interessiert mich daran besonders?
- Was weiß ich von dem Umfeld?
Beispiel: Sie wollen das „Zustandekommen eines Vertrages“ lernen.
Zu 1. „Was weiß ich über das Gebiet des Vertragsrechts?“
Verträge, Verträge …? Schon oft gehört! Kaufvertrag, Mietvertrag, Erbvertrag, Übereignungsvertrag! – Gesellschaftsvertrag! – Ehevertrag! Scheidungsvertrag! Der Vertrag scheint ein wichtiges Steuerungs- und Gestaltungsmittel des Privatrechts zu sein. Aber wie kommt er genau zustande? Der Zweck eines Kaufvertrages mit einem Verkäufer V ist es, einen Rechtserfolg herbeizuführen, nämlich dem Käufer den Anspruch auf Eigentumsverschaffung aus § 433 Abs. 1 BGB und V den Anspruch auf den vereinbarten Kaufpreis zu verschaffen, § 433 Abs. 2 BGB. Dieser Rechtserfolg tritt ein, weil er von beiden so gewollt ist und weil die Rechtsordnung diesen Rechtserfolg in § 433 BGB anerkennt. Die Handlungen, die diesen Rechtserfolg herbeiführen, sind die Willenserklärungen: Angebot und Annahme, die Achse des Vertrages.
Zu 2. „In welchem rechtlichen Zusammenhang steht der Vertrag?“
Er steht generell im allgemeinen Teil des BGB (§ 145 ff. BGB)! Dieser enthält die gemeinsamen Grundlagen für alle privatrechtlichen Lebens-(Rechts-)Verhältnisse, das Basis-Wissen, also die vor die Klammer des Privatrechts gezogenen Zankäpfel. Er gilt damit für alle folgenden vier (mit HGB fünf) (mit Arbeitsrecht sechs) Bücher.
Zu 3. „Was interessiert mich am Vertrag besonders?“
Wenn das BGB die Regeln über das Zustandekommen eines Vertrages vor die Klammer zieht und diese um den Begriff des Rechtsgeschäfts in § 145 ff. BGB gruppiert, dann gelten diese Regeln ja für jeden Vertrag – egal ob im Schuldrecht, Sachenrecht, Familienrecht oder im Erbrecht. Alle Verträge kommen auf die gleiche Art und Weise zustande? Das müssen ja tolle Regeln sein, die den Vertrag und damit das „Vertragen“ im Recht hervorbringen.
Zu 4. „Was weiß ich schon von dem Umfeld des Vertrages?“
Habe ich schon Assoziationsglieder, Pakete oder Kommoden, an die ich anknüpfen, andocken könnte? Welche Schubladen sind schon aufgefüllt, welche Pakete gepackt? Jetzt folgt die Einordnung. (➞ assoziatives Lernen)
Tipps zur Aktivierung für Ihre Eröffnung:
- Konzentrieren Sie sich! Stimmen Sie sich ein! „Ich will jetzt etwas Neues lernen.“
- Inhaltsverzeichnis des Lehrbuchs/ Skripts aufschlagen und das Gebiet dort aufsuchen! Nehmen Sie die Konfrontation mit dem neuen Gegenstand vor! Um was soll es gehen?
- Zwei Kapitel davor – zwei Kapitel dahinter nur in den Überschriften lesen! In welchem systematischen Zusammenhang steht das Neue?
- Lerneinheit in Ihre „Jura-map“ einpassen! Was hat „das Neue“ für einen Platz in meinem „Jura-System-Diagramm“? Blick nach oben, Blick nach unten, Blick zur Seite!
- Unbedingt Gesetz aufschlagen (sollte aufgeschlagen neben Ihnen liegen bleiben)! Wo steht es?
- Einschlägige Paragraphen vorweg genau mit dem Zeigefinger lesen und auseinandernehmen ➞ Seziertechnik
- Tatbestandsmerkmale und Rechtsfolge (➞ Konditionalprogramm) herausarbeiten! Wenn was vorliegt, tritt was ein?
- In welchem Abschnitt und Titel des Gesetzes stehen die neuen Paragraphen? (Gesetzliche Systematik!)
- Fragen Sie schon mal ganz leise nach dem Grund des neuen Lernstoffes. Was soll das bringen?
- Nun folgt die Anspannungsphase.
Es kommt der Höhepunkt der Lerneinheit, auf dem man mit dem neuen Lehrstoff durch das „Bekanntschaftsarrangement“ seines Lehrbuchs/ Skripts zusammenkommt – mal besser geführt, mal schlechter. In diesem Moment der Anspannungsphase muss man sich mit den neuen Lehrinhalten vertraut machen. Dabei genügt eine oberflächliche Behandlung nicht. Wenn man hier nicht ehrlich und verantwortlich sich selbst gegenüber vorgeht, ist die Chance für eine ergiebige Sachbegegnung verpasst. Es geht nicht ohne Verweilen, ohne Abziehen der Gedanken von allem anderen, zumindest für eine Zeit lang. Ohne ein konzentriertes Versenken in die neue Materie klappt es nicht!
Tipps für die Begegnung mit dem Neuen:
- Höchste Konzentrationsphase! (Tunnelblick!)
- Lehrbuch oder Skript langsam lesen, Zeile um Zeile ohne Eile, Wort um Wort; am besten mit begleitendem, öfter verweilendem Zeigefinger! (Zeigefingerlernen)
- Markierungen farblich vornehmen! (Buntstiftlernen)
- Jedes unbekannte Fremd- oder Fachwort im Duden nachschlagen! (Lexikalernen.)
- Auch deutsche Wörter, die Tatbestandsmerkmale sind, im etymologischen Lexikon suchen! Aber immer nur das eine Wort, nicht etwa noch zehn weitere. Von Interesse ist nur Ihr Pensum! Das „Etymologische“ ist wichtig, um sämtliche begrifflichen Komponenten des Tatbestandsmerkmals zu erfassen, seinen Wortkern und seinen Worthof. (Herkunft der TBMe)
- Sämtliche erwähnten Paragraphen lesen! („Den kenn ich ja“, gibt es nicht.)
- Ständig den Blick zum Gesetzestext halten und den Lehrbuchtext am Gesetzestext messen und kontrollieren! Das Gesetz ist als Zentralgestirn, um das alles Lernen kreist, immer der Mittelpunkt Ihrer Lerneinheit – Sie sein ständiger Begleiter. Was Sie aus dem Gesetz nehmen können, das nehmen Sie; das „Unsichtbare“ und „Ewige“ nehmen Sie aus der Methode!
- Eindringliche Auseinandersetzung mit dem Zweck des zu lernenden Rechtsinstitutes. „Was soll das?“; „Wozu ist das gut?“; „Hätte ich das als Gesetzgeber auch so gemacht?“ (Ratio des Gesetzes)
- Schwierige Sätze dreimal lesen! (Verweilen statt eilen.)
- Nach einem Abschnitt innehalten und reflektieren! Grund: Der Lehrinhalt des Abschnitts soll sich zur allgemeinen Erkenntnis verdichten, sich setzen, sich vertiefen. Machen Sie mal die Augen zu! (Stillphase)
- Wiederholen Sie das Gelesene im Selbstgespräch zur Ergebnissicherung! Hierbei entdecken Sie Verständnisschwierigkeiten, hier werden Sie veranlasst, Verdeutlichungs-versuche zu starten. Fragen Sie sich selbst ab! (Lerndialog)
- Erstellen Sie eine eigene Gliederung – nicht etwa ein Protokoll – des Gelesenen unter Zuhilfenahme des Lerntextes. (Rahmen Sie alles in ein Schema!)
- Zwingen Sie sich zur Anlegung eines System-Baumdiagramms. Bestimmt, es geht immer! Lassen Sie einen Erkenntnisbaum wachsen! (Baumdiagramm)
- Rekapitulieren Sie die Tatbestandsmerkmale und Rechtsfolgen mit ihren begrifflichen Inhalten! (Wiederholung)
- Überhöhen Sie das Gelernte durch einen Merkspruch, eine Eselsbrücke. (Langzeitgedächtnis!)
- Vergleichen Sie das Gelernte mit Bekanntem, Ähnlichem! Nehmen Sie bewusst Vergleiche vor! (Parallelen suchen)
- Stellen Sie die Rechtsfolge der Norm noch einmal klar heraus! (Blick auf das „Dann“)
- Zum Schluss steht der Lernabschluss – der Abschwung
Hier überragt die Kontrollfrage: „Kann ich jetzt über das in der Anspannungsphase juristisch Gelernte frei verfügen?“ „Ist der Nebel über diesem Paragraphenfeld klarer geworden?“ Hier müssen Sie vor sich selbst ganz ehrlich Rechenschaft ablegen, ob Sie sich den juristischen Lerngegenstand zu „eigen“ gemacht haben, ob er wirklich Ihrem Langzeitgedächtnis „gehört“, so dass Sie zukünftig frei darüber verfügen können. Lesen Sie noch einmal die durchgenommenen Paragraphen nach, lassen Sie sie auf der Zunge zergehen. Vielleicht sind Sie motiviert für eine weiterführende Entdeckungsreise. Wenn ja, dann nehmen Sie jetzt den grauen „Palandt“-Kommentar oder den rosaroten „Schönke-Schröder“ zur Hand und stöbern ein bisschen über das Gelernte darin herum.
- Eine Pause haben Sie sich jetzt verdient.
Zwei Stunden sind vorbei – eine Lerneinheit ist beendet. Nicht nur effektives Lernen will gelernt sein, sondern auch effektives Pausenmachen. Je strikter man die Pausen einhält, desto mehr nimmt die Zahl der unbewussten Pausen – kurzes Abschalten lässt sich eben nie vermeiden – ab. Zum anderen kommt bei genauer Pausenplanung eine gewisse Endspurtmentalität vor der Pause hinzu, die Sie beim Lernabschluss noch einmal auf Höchstleistung bringt. Am Anfang jeder Pause machen Sie sich dann klar, dass Sie einen Teil Ihres Jura-Tages-Lernprogramms hinter sich gebracht haben.