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Vermögensschaden i.S.v. § 263 StGB

ist die Differenz des ➞ Vermögens vor und nach der ➞ Vermögensverfügung. Das abstrakte Merkmal muss in seine zwei Komponenten, Vermögen (1) und Schaden (2), zerlegt werden.

 

  1. Zunächst zum Vermögen

Vermögen ist die Summe aller geldwerten Güter nach Abzug der Verbindlichkeiten; so der heute vertretene rein wirtschaftliche Vermögensbegriff. Im Gegensatz dazu stand lange Zeit der rein juristische Vermögensbegriff, wonach zum Vermögen nur Güter zählten, die einer Person von Rechts wegen zustehen.

 

Beispiele:

  • Toni prellt den Dieb Dieter um seine durch Einbruch erlangte Beute, indem er sich als ein vom Eigentümer Beauftragter ausgibt, der die Beute für diesen abholen soll (der „geprellte Dieb“).
  • Dealer Fritz bezahlt den Oberdealer Franz bewusst mit einem falschen 200-Euro-Schein.

 

Problematisch ist hier, inwieweit ein Vermögensschaden angenommen werden kann, wenn dem Opfer der rechtswidrige Besitz an gestohlenem Gut durch Täuschung entzogen wird (Beispiel 1) oder wenn das Opfer um eine nichtige (vgl. §§ 138, 134 BGB), rechtlich gar nicht durchsetzbare Forderung geprellt wird (Beispiel 2). Die Vermögensverfügung des Dieter liegt in der Besitzüberlassung an Toni, die des Franz im Unterlassen der Geltendmachung des Anspruchs auf den Kaufpreis aus dem Drogengeschäft. Die entscheidende Frage ist, ob dem rechtswidrigen Besitz bzw. dem nichtigen Anspruch ein Vermögenswert zukommt. Der Unterschied zwischen juristischem und rein wirtschaftlichem Vermögensbegriff wird hier deutlich. Nach dem juristischen Vermögensbegriff scheidet Betrug jeweils aus, da beide Positionen den Opfern nicht von Rechts wegen zustehen. Argument: zivilrechtlich ungeschützte Positionen (der rechtswidrige Besitz; die nichtige Forderung) können danach auch strafrechtlich keinen Schutz durch § 263 StGB erfahren. Nach dem wirtschaftlichen Vermögensbegriff gibt es kein strafrechtlich ungeschütztes Vermögen. Argument: Ein Verzicht auf den strafrechtlichen Vermögensschutz führe zur Selbstjustiz in Verbrecherkreisen. Allein der wirtschaftliche Vermögensbegriff wird heute von der Rechtsprechung vertreten, was auch dem Betrug als reinem Vermögensdelikt eindeutig entspricht. Mithin ist ein Betrug gegenüber dem Dieb im Hinblick auf die erbeuteten Sachen möglich. Allerdings kommt nichtigen Forderungen grundsätzlich kein in Geld zu veranschlagender Vermögenswert zu, da auch rein wirtschaftlich betrachtet einer rechtlich nicht existenten Forderung kein Vermögenswert zuerkannt werden kann. Der Rechtsprechung, die bei nichtigen Forderungen (Dirnen- und Dealerforderung und weitere Ganovenforderungen) auf die faktische Realisierbarkeit der Forderungen abstellt, kann nicht gefolgt werden, da sie die Gewalt honoriert.

Beispiel: Bei einer öffentlichen Müllanlagenbauausschreibung sticht T durch falsche Behauptungen über seinen aussichtsreichsten Mitbewerber M diesen gegenüber der städtischen Vergabestelle aus und erhält den Zuschlag (Dreiecksbetrug – Getäuschter und Verfügender identisch; Verfügender und Geschädigter nicht identisch).

 

Zum Vermögen zählen nur solche Positionen, die einen wirtschaftlichen Wert verkörpern. Über die Zugehörigkeit zum Vermögen und über den effektiven Wert der einzelnen Vermögensgegenstände entscheiden allein objektive wirtschaftliche Maßstäbe. Neben rechtlichen Anwartschaften (aus Eigentumsvorbehalt, Sicherungseigentum oder Vorkaufsrecht) kommt auch tatsächlichen Anwartschaften ein Vermögenswert zu, jedenfalls dann, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Vermögenszuwachs zu erwarten ist. Das ist bei dem aussichtsreichsten Mitbewerber M im obigen Beispiel der Fall. Seine Aussicht auf Erhalt des Zuschlags ist soweit konkretisiert, dass der Geschäftsverkehr ihr schon für die Gegenwart einen wirtschaftlichen Wert beimisst. Die übrigen Wettbewerber allerdings sind nicht geschädigt, da bei ihnen nur vage Hoffnungen ohne wirtschaftlichen Wert vorhanden waren.

 

  1. Nun zum Schaden

Ein Schaden liegt vor, wenn wirtschaftlich betrachtet der Gesamtwert des Vermögens vermindert wurde, wenn also eine Differenz des Vermögens als Ganzes vor und nach der Verfügung festgestellt werden kann. Dazu ist es empfehlenswert, eine Saldierung vorzunehmen.

Beispiel: T hat dem E ein Rad gestohlen und veräußert es an den gutgläubigen D.

 

T hat den D über seine Eigentümerstellung getäuscht und ihn dadurch zu einer Vermögensverfügung, nämlich zur Zahlung des Kaufpreises, veranlasst. Der Schaden des D besteht darin, dass er für den Preis keine angemessene Gegenleistung erlangt hat. Denn er ist wegen § 935 BGB nicht Eigentümer des Rades geworden. Sein ➞ guter Glaube (§ 932 BGB) nutzt ihm nicht, weil das Rad gestohlen war. Eine Saldierung ergibt, dass D den Kaufpreis verloren, dafür aber nur den Besitz am Rad erlangt hat. Die Gegenleistung für den Kaufpreis ist aber nicht der Besitz, sondern das Eigentum. Folglich lässt sich eine Differenz des Vermögens als Ganzes konstatieren. Da T das Rad selbst gestohlen hat, ist er sowohl wegen ➞ Diebstahls als auch wegen ➞ Betruges zu bestrafen. Er schädigt verschiedene Personen, einmal den Eigentümer, zum anderen den D und begeht damit eine doppelte Rechtsgutverletzung.

Beispiel: T nimmt bei B einen Kredit auf. Er hat von Anfang an nicht die Absicht, das Geld zurückzuzahlen, obwohl er dazu in der Lage wäre.

 

Bei Kreditgeschäften liegt ein Schaden nicht nur bei Zahlungsunfähigkeit, sondern auch dann vor, wenn ein zahlungsfähiger Schuldner zahlungsunwillig ist. Fehlt nämlich der Zahlungswille, so ist die Darlehensforderung (§ 488 BGB) gefährdet, weil der rechtzeitige und vollständige Eingang der Darlehenssumme beeinträchtigt wird. Nach den maßgebenden Anschauungen des Wirtschaftsverkehrs ergibt eine Saldierung, dass der weggegebenen Darlehensvaluta ein konkret gefährdeter, kaum realisierbarer Rückzahlungsanspruch gegenübersteht. Ein Schaden kann also auch schon in einer Vermögensgefährdung bestehen, sofern sie ausreichend konkret ist.

Beispiel: E hat dem T sein Rennrad geliehen. T veräußert es an den gutgläubigen D.

 

Dieser Fall, der sich rein äußerlich kaum vom obigen Fahrrad-Fall unterscheidet, weist dennoch große Abweichungen gegenüber jenem auf. T hat zunächst eine Unterschlagung gem. § 246 StGB begangen. Er hat sich eine fremde Sache, die er in Alleingewahrsam hatte, rechtswidrig zugeeignet.

 

Ob er auch einen Betrug gegenüber D verwirklicht hat, hängt davon ab, ob dieser einen Vermögensschaden erlitten hat. Eine Saldierung ergibt, dass D als Äquivalent für den Kaufpreis das Eigentum am Rad gutgläubig erworben hat gem. §§ 929, 932 BGB, da ein Fall des § 935 BGB hier ausscheidet. Es liegt kein Abhandenkommen vor, da der Besitz am Rad mit Willen des E aus seinem Vermögen ausgeschieden ist. Mithin stehen sich zunächst Leistung und Gegenleistung als gleichwertig gegenüber. Dennoch kann man einen für § 263 StGB ausreichenden Schaden konstruieren, allerdings nicht mit der sogenannten ➞ Makeltheorie. Nach dieser Theorie stehen sich Leistung (Kaufpreis) und Gegenleistung (Eigentum) nicht als vollwertig gegenüber, da das erworbene Eigentum aufgrund des gutgläubigen Erwerbs „sittlich bemakelt“ sei. Der Betrug ist aber ein gegen das Vermögen gerichtetes Delikt und kann nicht mit moralischen Kriterien begründet werden. Ein Schaden ließe sich nur feststellen, wenn eine konkrete Vermögensgefährdung besteht, die einem Vermögensschaden gleichzusetzen ist. Eine solche Gefährdung könnte darin gesehen werden, dass D von E gem. § 985 BGB auf Herausgabe des Rades verklagt werden könnte. Das Eigentum, um das der Eigentümer erst kämpfen muss, kann zwar juristisch, nicht aber wirtschaftlich als vollwertiges Äquivalent angesehen werden. Da wegen der Beweislastverteilung in § 932 Abs. 2 BGB (die Bösgläubigkeit hat derjenige zu beweisen, der sie behauptet) das Prozessrisiko des gutgläubigen Erwerbers nicht größer ist als das eines jeden anderen Eigentümers auch, dessen Eigentum unberechtigterweise bestritten wird, liegt jedenfalls im Normalfall keine konkrete Gefährdung vor. Anders wäre zu entscheiden, wenn D das Eigentum unter Umständen erworben hätte (Hehlerlokal, auffallend niedriger Preis), die dazu führten, dass er mit großer Wahrscheinlichkeit den Prozess verlöre.

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