Es folgt der zweitwichtigste Beitrag fĂŒr Sie als Jurastudent!
Was machen die Juristen, was sonst keiner so gut macht? â Richtig, wir wissen es: Sie haben eine Fallherangehensweise. Ihr HerzstĂŒck ist die Subsumtion. Subsumtion bedeutet abstrakt die Unterordnung von Begriffen unter einen Oberbegriff (lat.: sub, unter: sumere, anwenden, nehmen). Konkret fĂŒr die Juristerei bedeutet Subsumtion ein juristisches methodisches Verfahren zur Unterordnung der Einzelteile eines Sachverhalts unter die Einzelteile des Konditionalprogramms einer Rechtsnorm. Sie ist Dreh- und Angelpunkt gutachtlicher juristischer Inszenierung. Es zĂ€hlt alles nichts, wenn es nicht im Gutachten mit seiner Subsumtion kommt!
Das will ich Ihnen anhand folgender 8 Beispiele aus dem Strafrecht verstÀndlich machen.
1. T sticht in den linken Vorderreifen des Wagens seines mit ihm verfeindeten Nachbarn N.
2. T lÀsst aus dem linken Vorderreifen des Autos des N die Luft heraus, um diesen zu Àrgern.
3. Neffe N zerlegt die goldene Uhr seines Onkels O in 186 Einzelteile und serviert ihm diese mit der Bemerkung: âDu brauchst sie nur wieder zusammenzubauen, dann geht sie wieder, Onkelchen.â
4. Sittenapostel S ĂŒberklebt ein aufreiĂerisches Filmplakat fĂŒr einen Sexfilm an den âentscheidendenâ Stellen mit schwarzem Tesafilm, verhilft der Dame somit zu einem schwarzen Bikini.
5. Neffe N dressiert wĂ€hrend eines Sanatoriumsaufenthalts seiner Tante den ihm in Obhut gegebenen Wellensittich âEmmaâ, der von dieser gelernt hatte, beim Löschen des Lichtes âGute Nacht, liebe Tanteâ zu rufen, dahingehend um, dass dieser nunmehr âGute Nacht, hĂ€ssliche Tussiâ krĂ€ht.
6. Graffiti-G besprĂŒht das Haus des Vaters seiner Freundin mit einem kĂŒnstlerisch wertvollen StrichmĂ€nnchen â allerdings gegen den Willen seines potentiellen Schwiegervaters.
7. Einbrecher E tötet den Wachhund des Villenbesitzers V durch vergiftete Fleischbrocken.
8. ZuhĂ€lter Z wirft aus Imponiergehabe im Beisein seiner âDamenâ seine goldene Uhr weg, um sich eine neue zu kaufen. Der dies beobachtende Konkurrent K zertritt aus Neid und Wut die Uhr.
Anhand dieser Beispiele sollen Ihnen Gutachten und Subsumtion in einem in acht Phasen gegliederten Arbeitsprozess ineinandergreifend im âAchtblickverfahrenâ vorgestellt werden.
1. Blick: Auf den Sachverhalt (um was gehtâs?)
2. Blick: Auf die Aufgabenfragestellung (was wollen âdieâ von mir?)
3. Blick: Auf die die Aufgabenfrage zu beantwortende Antwortnorm. Gibt es eine Strafrechtsnorm, deren Rechtsfolge mit der Fallfrage âHat sich T bzw. N, K, S, E, N und G strafbar gemacht?â korrespondiert? Daraus folgt die bekannteste aller Fragen im StGB: Wer hat sich weswegen wodurch strafbar gemacht?
Wer? Â Suche nach dem TĂ€ter! | Weswegen? Â Suche nach dem passenden Straftatbestand! | Wodurch? Â Suche nach dem passenden Lebensausschnitt! |
- Blick: Auf die Tatbestandsseite (âWennâ) mit ihren Tatbestandsmerkmalen (eliminieren)
- Blick: Auf die Auslegung jedes Merkmals (interpretieren)
- Blick: Auf die Definition jedes Merkmals (definieren)
- Blick: Auf die Ăbereinstimmung oder NichtĂŒbereinstimmung von Sachverhalt und Tatbestandsmerkmalen (subsumieren)
- Blick: Auf die Schlussfolgerung (konkludieren)
Diesen Klausurenfahrplan mit seinem âAchtblick-Verfahrenâ sollten Sie verinnerlichen! Das heiĂt: Erstens: Verstehen! â Dann: Nachahmen! â AnschlieĂend: EinĂŒben! â SchlieĂlich: Nachmachen! â Steht der Sachverhalt fest, ist die Aufgabenstellung entschlĂŒsselt und eine Antwortnorm aus dem StGB auf die Fragestellung des Falles gefunden, so beginnt die eigentliche juristische Arbeit. Man prĂŒft, ob die rechtlichen Voraussetzungen der Antwortnorm des StGB fĂŒr eine Bestrafung des TĂ€ters aufgrund des Sachverhaltes erfĂŒllt sind.
In den acht Sachverhalten kommt jeweils als gedanklicher Ausgangspunkt weiterer Ăberlegungen die Antwortnorm SachbeschĂ€digung gem. § 303 Abs. 1 StGB in Betracht. Eine Norm, die abstrakt (generell) eine Antwort gibt auf die konkrete Frage der Aufgabenstellung: strafbar oder nicht strafbar? Das Wörtchen ârechtswidrigâ ist zu streichen, da ohnehin jede strafbare Handlung rechtswidrig sein muss. Ăbrig bleiben die abstrakten gesetzlichen Tatbestandsmerkmale der SachbeschĂ€digung: (Eine) fremde â Sache â beschĂ€digen â oder â zerstören.
Hat man die Voraussetzungen dieser Antwortnorm zusammengetragen, so muss man nunmehr
-   die abstrakten herausgestanzten und durch die Auslegung und Definition konkret umgestalteten Tatbestandsmerkmale: Sache â fremd â beschĂ€digen oder zerstören
-     mit den EinzelumstÀnden des Sachverhaltes vergleichen, d.h. man muss subsumieren, also untersuchen,
- ob beide miteinander ĂŒbereinstimmen,
- ob sie sich spiegelnd entsprechen,
- ob sie zur Deckung gebracht werden können,
-    um die Rechtsfolge – die Frage des Falles (Haben sich die TĂ€ter jeweils strafbar gemacht?) – auszulösen.
Ihr Blick wandert hin und her zwischen Ihrem Sachverhalt und den gesetzlichen Merkmalen der Antwortnorm des § 303 StGB. Gelingt die Subsumtion, geht der Fall weiter. Scheitert die Subsumtion, ist der Fall beendet.
Die Anwendung einer Rechtsnorm durch Subsumtion eines Lebenssachverhaltes unter ein Gesetz beruht auf einer Denkfigur der Logik, dem syllogistischen Schluss. Das griechische Wort âsyllogismosâ bedeutet das Zusammenrechnen â und in der Tat rechnet der Syllogismus in einem einzigen Satz, dem âschlussfolgerndenâ Schlusssatz zusammen, was im Obersatz und im Untersatz gesagt worden ist.
Obersatz:Â Alle Menschen sind sterblich.
Untersatz:Â Sokrates ist ein Mensch.
Zusammenrechnender Schlusssatz:Â Also ist Sokrates sterblich.
Dies ist der berĂŒhmte aristotelische Schluss. Dass hier aus zwei Aussagen (Obersatz und Untersatz) eine neue gewonnen wird (Schlusssatz) und dass die Folgerichtigkeit (Logik) dieses Gedankenganges zwingend einsichtig ist, beruht darauf, dass Obersatz und Untersatz einen gemeinsamen Begriff aufweisen (Mensch), der bei der Schlussfolgerung eliminiert wird und im Schlusssatz nicht mehr vorkommt. Dieser sogenannte Mittelbegriff âMenschâ erlaubt die Zusammenrechnung von Ober- und Untersatz zu einer neuen Aussage. Der Schlusssatz zieht bei positiver Subsumtion lediglich die Konsequenz daraus, dass der Obersatz den Untersatz durch den Mittelbegriff umfasst, was bei negativer Subsumtion eben nicht so ist. Daran zeigt sich, dass der Schlusssatz nur die Logik, die Folgerichtigkeit, garantiert, nicht etwa die Wahrheit. Entspricht die PrĂ€misse (Obersatz) nicht der Wahrheit, ist die Schlussfolgerung zwar logisch, aber unwahr. Entspricht allerdings die PrĂ€misse der Wahrheit, ist auch die Schlussfolgerung wahr.
Obersatz: Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Alle Menschen sind dumm.
Untersatz: Â Â Â Â Â Â Â Â Â Â Sokrates ist ein Mensch.
Zusammenrechnender Schlusssatz:Â Also ist Sokrates dumm.
Das Ergebnis ist zwar logisch, aber falsch, da die PrĂ€misse (alle Menschen sind dumm) nicht stimmt; folglich stimmt auch der Schlusssatz nicht: Denn jeder Mensch weiĂ, dass Sokrates weise ist, weil er weiĂ, dass er nichts weiĂ.
Bei der Rechtsanwendung in den acht Beispielen ist nun § 303 StGB der Obersatz, der jeweilige Fall der Untersatz, der zusammenrechnende Schlusssatz ist die Feststellung, dass die Rechtsfolge eingreift (positiv) â oder auch nicht (negativ).
Obersatz: Wer eine fremde Sache beschÀdigt, wird bestraft.
Untersatz pauschal: TÀter T hat eine fremde Sache beschÀdigt (Sachverhalt).
Zusammenrechnender Schlusssatz: Also wird T bestraft.
Es sind gleich mehrere Mittelbegriffe: Sache â fremd â beschĂ€digen. Man streiche diese Wörter aus Ober- und Untersatz, setze statt des abstrakten âWerâ den konkreten âTâ ein und schon ist man beim Schlusssatz angelangt (allerdings zunĂ€chst nur im Hinblick auf den Tatbestand).
Obersatz:, wird bestraft (§ 303 StGB)
Untersatz: TÀter T hateinefremdeSachebeschÀdigt
Schlusssatz: TĂ€ter T wird bestraft
Die eigentliche Schwierigkeit bei der Subsumtion liegt in der Eliminierung des Mittelbegriffs âfremde Sache beschĂ€digenâ. Diese Schwierigkeit liegt darin, dass die Rechtsnorm des § 303 StGB, wie jede Rechtsnorm, aus mehreren einzelnen Tatbestandsmerkmalen besteht: âSacheâ â âfremdâ â âbeschĂ€digenâ. Gleiches gilt fĂŒr den âFallâ. Auch dieser besteht aus mehreren Sachverhaltsmerkmalen, die allerdings oft sehr schwer zu finden sind. Im 1. Fall z.B. sind sie einfach zu entdecken: âAutoreifenâ â âdes Nachbarn Nâ â âzerstechenâ.
Damit wird evident (einsichtig), dass es nicht möglich ist, âden Lebenssachverhaltâ pauschal unter âdie Rechtsnormâ zu subsumieren. Man muss die Rechtsnorm in ihre einzelnen Elemente zerlegen und den Sachverhalt gleichermaĂen in seine Lebensbestandteile zergliedern. Man muss den Sachverhalt und die Antwortnorm âzerdenkenâ! Nunmehr ist jeder Sachverhaltsbestandteil âseinemâ AntwortnormstĂŒckchen (Tatbestandsmerkmal) zuzuordnen und das Vorliegen jeder Voraussetzung des Gesetzes gesondert und nacheinander im Subsumtionsverfahren aufzufĂ€deln. Erforderlich ist eine mehrfache âTatbestandsmerkmal-Sachverhaltsmerkmal-Subsumtionâ mit mehrfachem schlussfolgerndem Zwischenergebnis. Der Schlusssatz, also die Rechtsfolge âT hat sich dadurch, dass … gem. § 303 StGB strafbar gemachtâ, ist das schlussfolgernde Gesamtergebnis der Summe der positiv verlaufenen schlussgefolgerten Einzelsubsumtionen.
Bei der Erarbeitung der acht FĂ€lle werden Sie merken, dass die vier Denkschritte des Gutachtens (Hypothese â PrĂ€misse â Subsumtion â Ergebnis) zwar eine Grundstruktur juristischen Denkens bilden, aber eben allein noch lange kein handwerklich brauchbares Schema fĂŒr die juristische Fallbearbeitung in einer Klausur darstellen. Sie kommen praktisch âpurâ in dieser Form ĂŒberhaupt nicht vor! Selbst im einfachsten Fall 1 sind die âglorreichen Vierâ des Gutachtenstils nicht ausreichend. Stets sind mehrere Voraussetzungen (Tatbestandsmerkmale: Sache; fremd; beschĂ€digen oder zerstören) nebeneinander zu prĂŒfen, und zwar jeweils erneut im Gutachtenstil.
- Dann steht an der Spitze der jeweiligen Teilerörterung von âSacheâ, âfremdâ, âbeschĂ€digenâ
- wiederum eine Teil-Fragestellung, also jeweils Hypothesen zu âSacheâ, âfremdâ, âbeschĂ€digenâ,
- deren Beantwortung ein jeweiliges Teil-Gutachten zu âSacheâ, âfremdâ, âbeschĂ€digenâ mit Subsumtion und Ergebnis erfordert.

Innerhalb eines juristischen Gesamt-Gutachtens sind also mehrere Gutachten notwendig (ein groĂes und mehrere kleine). Es ist ein In- und Aneinanderreihen der Einzelsubsumtionen zu einem Gesamtgutachten, ein Aufwerfen immer neuer Hypothesen mit Zwischenergebnissen, bis eine Gesamtsubsumtion mit einem Gesamtergebnis möglich ist. Es ist ein einziges âSchachtelnâ.
Â
Wir exzerzieren ein solches âGutachten-Schachtelnâ einmal anhand des 1.Falles durch, zugegebenermaĂen in epischer Breite, aber vielleicht gerade deshalb lehrreich.(Anm.: Die âFinalistenâ mögen mir verzeihen, ich baue als âKausalistâ auf).
Gesamtgutachten
(Gutachten schachteln)
Â
A        T könnte sich dadurch, dass erden Reifen des N zerstochen hat, wegen SachbeschÀdigung strafbar gemacht haben gem. § 303 Abs. 1 StGB.
           (1. Schritt des Gesamtgutachtens (Hypothese))
B        Das setzt voraus, dass er den Tatbestand des § 303 StGBrechtswidrig und schuldhaft verwirklicht hat.
(2. Schritt des Gesamtgutachtens (Untersuchungsprogramm))
C C1     Dann mĂŒsste das Zerstechen des Reifens des N zunĂ€chst die
         BeschÀdigung einer fremden Sache sein.
          (3. Schritt des Gesamtgutachtens (Subsumtion unter den Tatbestand))
           = 1. groĂes Teilgutachten


Wahnsinn? Sie haben Recht! Und ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode: die Gutachtenmethode!
So ausfĂŒhrlich wie dargestellt wird man ein Gutachten niemals schreiben. Die âGut-achtenschachtelâ sollte nur zur Demonstration dienen. Es wurde dabei gegen einen juristischen Ur-Grundsatz verstoĂen: Die Hauptsache ist, dass die Hauptsache die Hauptsache ist! SelbstverstĂ€ndlichkeiten werden als Nebensachen im Feststellungsstil dokumentiert. Auch erscheint es stilistisch zu umstĂ€ndlich, alle vier Denkschritte (groĂe und kleine Gesamt- und Teilgutachten) jeweils deutlich voneinander zu trennen und stets ausdrĂŒcklich vorzunehmen. Besonders fĂŒr den Denkschritt zwei ist es in der Regel ausreichend, auf die gesetzliche Anspruchsgrundlage durch Angabe des Paragraphen hinzuweisen und die einzelnen Tatbestandsmerkmale nicht schĂŒlerhaft aufzulisten; stattdessen wird sogleich subsumiert (dritter Denkschritt).
Bei der Einzelsubsumtion (z.B. unter âSacheâ) kommen drei Varianten in Betracht.
â Variante 1: Ein Rechtsfall kann nun so liegen, dass die Ăbereinstimmung bzw. NichtĂŒbereinstimmung von Tatbestandsmerkmal und Sachverhaltsbestandteil ohne weiteres evident ist. So ist z.B. ein Autoreifen ohne Weiteres eine Sache, eine Forderung (ein vergeistigtes Recht) dagegen wĂ€re das typische Beispiel fĂŒr eine NichtĂŒbereinstimmung.HĂ€ufig ist das VerhĂ€ltnis von Tatbestandsmerkmal und Sachverhalts-merkmal aber nicht so einfach. Die fehlende Evidenz kann auf beiden Seiten beruhen:
â Variante 2: Der zu beurteilende Lebenssachverhalt ist klar: T hat einen Vogel umdressiert (Fall 7). Nicht klar ist aber, ob der Vogel eine âSacheâ ist, und ob ein Umdressieren ein âbeschĂ€digenâ darstellt. Bei der Subsumtion kann also eine schwierige Interpretation des Tatbestandsmerkmals erforderlich sein, um sich dem klaren Sachverhalt anzunĂ€hern.
â Variante 3: Hier ist es genau umgekehrt: Klar ist die Voraussetzung: Vorsatz ist Wissen und Wollen. Nicht klar ist aber, ob ein Mann, der um seine Aids-Infektion weiĂ und mit einer Frau ungeschĂŒtzt Sex hat, dieses Wissen und Wollen im Hinblick auf eine Tötung oder Körperverletzung aufweist. Es kann also eine schwierige Interpretation des Sachverhaltes geboten sein, um sich dem klaren Tatbestandsmerkmal zu nĂ€hern.
Nun können Sie die Variante 3 getrost vernachlĂ€ssigen, da die Sachverhalte Ihrer Klausuren im Studium immer klar und unstreitig gefasst sein sollten. Umso stĂ€rker mĂŒssen Sie sich aber auf die Variante 2 konzentrieren.
Die Ăbereinstimmung von Tatbestandsmerkmal und Sachverhalt kann bei nicht evidenter Ăbereinstimmung (Vogel = Sache?; Umdressieren = beschĂ€digen?; EntlĂŒften = beschĂ€digen?; Auseinandernehmen = beschĂ€digen?; Weggeworfene Uhr = fremd?; kĂŒnstlerisches Graffiti = beschĂ€digen?) nur festgestellt werden, wenn als erstes das Tatbestandsmerkmal ausgelegt und durch eine Definition genauer und konkreter gefasst wird. Erst der ausgelegte und definierte Begriff fĂŒhrt das völlig abstrakte Tatbestandsmerkmal durch die Definition â nunmehr um seine Abstraktheit entkleidet – inhaltlich nĂ€her an die Sachverhaltsbestandteile heran. Es greift alles ineinander: Das Tatbestandsmerkmal wird durch eine Definition als Endpunkt einer durchgefĂŒhrten Auslegung fĂŒr die Subsumtion erst aufbereitet; Auslegung und Definition sind ein notwendiges Tatbestands-Aufbereitungsprogramm fĂŒr die Subsumtion. Ohne die die Tatbestandsmerkmale aufschlieĂenden Auslegungen und Definitionen ist der Subsumtionsvorgang nicht nur im Strafrecht unmöglich. Die Auslegung mĂŒndet immer in eine Definition und erfolgt stets vor der Subsumtion (A vor D vor S). Ohne Auslegungsregeln und einen gewissen Definitionenschatz ist deshalb ein vernĂŒnftiges Arbeiten in der Juristerei nicht möglich. Beide wollen Sie nicht quĂ€len, sondern Ihnen die Subsumtion erleichtern!

Im Fall 1 untersuchen Sie zunĂ€chst, ob der linke Vorderreifen als SachverhaltsstĂŒck unter das abstrakte GesetzesstĂŒck âSacheâ (TBMj) in § 303 Abs. 1 StGB zu subsumieren ist. Diese Frage können Sie aber erst beantworten, wenn Sie die Vorfrage beantwortet haben: Was heiĂt eigentlich âSacheâ im Sinne des § 303 Abs. 1 StGB? âSacheâ ist ein denkbar weiter Begriff. FĂŒr die Auslegung (Auslj) kommt es auf die Körperlichkeit an. Erst durch den Bezug auf die Körperlichkeit gewinnt das Merkmal âSacheâ festere Konturen (LĂ€nge x Breite x Höhe). In diesem Sinne definiert (Defij) der Jurist das Merkmal âSacheâ wie folgt: Eine Sache ist jeder körperliche Gegenstand (vgl. auch § 90 BGB). Ein âAutoreifenâ ist ein solcher Gegenstand (Subsuj), fĂ€llt mithin unter den Begriff âSacheâ (ZwErgj).
-   Nun wenden Sie sich dem nĂ€chsten Tatbestandsmerkmal zu, nĂ€mlich âfremdâ (TBMk). FĂŒr die Begriffsentfaltung (Auslegung) des Tatbestandsmerkmals âfremdâ kommt es auf das Eigentum an der Sache an. Erst durch diesen Bezug gewinnt dieses Merkmal feste Konturen (Auslk). Man definiert: Fremd ist eine Sache, wenn sie im Eigentum eines Dritten steht (Defik), also weder Alleineigentum des TĂ€ters noch herrenlos ist (vgl. § 959 BGB). Dieser Satz enthĂ€lt die Definition des Begriffs âfremdâ i.S. des § 303 StGB ebenso wie i. S. des § 242 StGB. Der nĂ€chste Schritt besteht nun wiederum darin, den âVorderreifen des Nâ unter die Definition des Begriffs âfremdâ zu subsumieren. EigentĂŒmer des Wagens und damit des Vorderreifens ist N, also ein anderer als der TĂ€ter T (Subsuk). Mithin handelt es sich bei dem Vorderreifen um eine fremde Sache (ZwErgk).
-   Ob T aufgrund des geschilderten Sachverhaltes den Tatbestand des § 303 Abs. 1 StGB erfĂŒllt hat, hĂ€ngt noch davon ab, ob er den Reifen durch Zerstechen âbeschĂ€digtâ hat. Dabei ist zu beachten, dass die Tathandlungen âbeschĂ€digenâ und âzerstörenâ hier alternativ und nicht kumulativ vorliegen mĂŒssen, es also ausreicht, dass der Reifen beschĂ€digt worden ist.
Nehmen wir einmal an, die TĂ€ter N und T wendeten in den FĂ€llen 2 und 3 ein, dass die Sachen jeweils Ă€uĂerlich unversehrt geblieben seien, mithin ein âSchadenâ, also eine Substanzverletzung â der wesentliche Inhalt des Wortes âbeschĂ€digenâ â gar nicht vorliege; im Ăbrigen brauche man den Schlauch (Fall 2) nur wieder aufzupumpen bzw. die Uhr wieder zusammenzusetzen (Fall 3). Diese EinwĂ€nde zeigen, dass das Tatbestandsmerkmal âbeschĂ€digenâ zunĂ€chst ausgelegt werden muss, bevor man das Herauslassen der Luft bzw. das Zerlegen der Uhr unter dieses Merkmal subsumieren kann. Die Auslegung des Merkmals âbeschĂ€digenâ hĂ€ngt vom Zweck ab, den § 303 StGB verfolgt. Schutzzweck dieses Paragraphen ist es zu verhindern, dass der Wert einer Sache fĂŒr den EigentĂŒmer herabgesetzt oder vernichtet wird, und zwar nicht nur der Substanzwert, sondern auch der Gebrauchswert. Erst durch diesen Bezug gewinnt das Merkmal âbeschĂ€digenâ seine nĂ€heren Umrisse. Die strafrechtliche Definition des Merkmals âbeschĂ€digenâ muss daher vor dem Hintergrund dieses Schutzzweckes des § 303 StGB nicht unerheblich vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichen. WĂ€hrend dieser unter âbeschĂ€digenâ in erster Linie eine Substanzverletzung versteht (z.B. zerkratzen, zerschneiden, zerstechen), definiert das Strafrecht den Begriff wie folgt: Eine Sache ist beschĂ€digt, wenn der TĂ€ter ihre Substanz verletzt oder ihre bestimmungsgemĂ€Ăe Funktionstauglichkeit nicht nur geringfĂŒgig beein-trĂ€chtigt hat.
Aber selbst diese Definitionen sind nicht immer ein Allheilmittel. Das Umdressieren eines âliebenâ Wellensittichs in einen âbösenâ Wellensittich (Fall 7) lĂ€sst sich nicht mehr ohne weiteres mit dem Begriff âbeschĂ€digenâ und seiner konkretisierenden Definition zur Deckung bringen. Es handelt sich offensichtlich um einen Problemfall. Um die Evidenz (Einsichtigkeit) herzustellen, sind Ihre Argumentation und Ihre Rhetorik gefragt. Was ist die bestimmungsgemĂ€Ăe Funktionstauglichkeit eines Wellensittichs? Das Fliegen? Seine Buntheit? Das Singen? â Auch das Sprechen? Wenn ja: Die generelle FĂ€higkeit zu sprechen (die hat er nach wie vor) oder die individuelle fĂŒr die Tante wichtige FĂ€higkeit (die hat er nicht mehr)? Ist also die bestimmungsgemĂ€Ăe Funktionstauglichkeit objektiv oder subjektiv zu bestimmen? Sie sehen: Um das Zerstechen eines Autoreifens als SachbeschĂ€digung zu erfassen, bedarf es keines langen Studiums. Um aber das Umdressieren eines Wellensittichs als eine solche BeschĂ€digung anzusehen (oder auch nicht), muss man juristisch ausgebildet sein.
Nunmehr ist es ein Leichtes, in den FĂ€llen 1, 2 und 3 die Subsumtion, d.h. den formal-logischen Schluss, zu vollziehen. T hat im Fall 1 die Substanz des Vorderreifens verletzt, mithin den Reifen âbeschĂ€digtâ. In den FĂ€llen 2 und 3 ist zwar keine substanzielle Verletzung des Reifens bzw. der Uhr eingetreten, jedoch ist die bestimmungsgemĂ€Ăe Brauchbarkeit des Reifens bzw. der Uhr beeintrĂ€chtigt worden. Somit liegt auch hier ein âbeschĂ€digenâ im Sinne des § 303 StGB vor. In den FĂ€llen 4, 5 und 6 hĂ€ngt die Lösung davon ab, was man unter âbestimmungsgemĂ€Ăem Gebrauchâ versteht: âAufreizendâ zu wirken?â Ein âlieberâ Vogel zu sein?â Als Haus kein âKunstobjektâ zu sein? Im Fall 7 ist ein Hund unter das Merkmal âSacheâ zu subsumieren, wie im Fall 8 die positive Subsumtion fehlschlĂ€gt, da die Uhr gem. § 959 BGB herrenlos geworden ist, also nicht âfremdâ ist.