Argumentationen sind Höhepunkte in jedem Leistungsnachweis. Meinungsstreite argumentatorisch darzustellen, müssen Sie als Jurastudent schnell erlernen! Es ist die Aufgabe, die vielen im ständigen Informationsaustausch befindlichen Studenten am leichtesten erscheint und die am schwersten zu erfüllen ist. Kein Tummelplatz für Sprücheklopfer!
Zu einem Großteil besteht alle professionelle juristische Arbeit aus Argumentieren: (Argumentation: lat.: stichhaltige Entgegnung, Beweisgrund)
- Argumentieren, um Streit zu schlichten
- Argumentieren, um einen Streit anzuheizen
- Argumentieren, um einen Angeklagten zu entlasten
- Argumentieren, um einen Angeklagten zu belasten
- Argumentieren, um ein Gesetz zu verteidigen
- Argumentieren, um ein Gesetz zu Fall zu bringen
- Argumentieren, um einer Mindermeinung zur Mehrheitsmeinung zu verhelfen
- Argumentieren, um den Angriff einer Mindermeinung abzuwehren
- Argumentieren, um ein Urteil klageabweisend oder freisprechend zu begründen
- Argumentieren, um ein Urteil klagezusprechend oder verurteilend zu begründen
Aber nicht erst der Berufsjurist wird mit der Argumentationskunst konfrontiert, sondern schon der Jurastudent wird dazu herausgefordert. Im Grunde kann Ihnen niemand eine wohl gegliederte Argumentationslehre liefern. Nach dem Lehrbuch zu argumentieren, ist nicht möglich. Die Vielfalt der Fälle, Gesetze und damit der Argumente ist unendlich. Sie sind hier in Ihren schöpferischen Fähigkeiten und Ihrer Rhetorik angesprochen. Zahl und Art von Argumentationsqualitäten sind unbegrenzt: kreative Qualitäten; Fantasie; die Fähigkeit, Zusammenhänge herzustellen und die vielen Facetten komplexer Sachverhalte zu erkennen, Urteile oder Sachthemen von allen Seiten auszuleuchten; pointiert zu formulieren; zu analysieren und argumentativ wieder zu synthetisieren. All das spielt beim professionellen Argumentieren eine entscheidende Rolle.
Die Juristerei ist reich an Meinungsstreiten und argumentatorischen Rechtfertigungen, deren Darlegung und Darstellung daher schon früh von Ihnen beherrscht werden sollten. Die reine Beschreibung der nackten Rechtslage genügt bei einem Problem in keinem Fall einer wissenschaftlichen Leistung, gleichgültig, ob Sie eine Klausur oder eine Hausarbeit schreiben oder ein Referat vorbereiten. Sie müssen darüber hinaus bei einer Streitfrage die Rechtslage immer auch kritisch bewerten und Stellung beziehen zu einzelnen Problemen und Ansichten. Es ist in wissenschaftlichen Arbeiten unumgänglich, sich mit Meinungen (sog. „Theorien“) auseinanderzusetzen. Kontroverse Rechtsfragen müssen Sie argumentativ bewältigen und entscheiden! Dabei ist es nun ein Irrglaube, bei wissenschaftlichen Arbeiten gehe es darum, eine möglichst große Zahl von objektiven, subjektiven und gemischt objektiv-subjektiven Theorien darlegen zu müssen nach dem Motto: „Je mehr Meinungsstreitigkeiten, desto besser die Note.“ Vor bloßem „Theoriegeklapper“ warne ich dringend. Das Ausschütten von streitigen Rechtsfragen (sog. „Probleme“) ohne Anbindung an ein Tatbestandsmerkmal oder den Fall lässt Ihre wissenschaftliche Arbeit mit Sicherheit misslingen.
Es gibt keine (!) juristische Leistungskontrolle in Referat oder Hausarbeit, die nicht um ein Bündel von Streitfragen herumkonstruiert ist. Nicht viel anders verhält es sich auch in Klausuren: Hier liegt die Schwierigkeit zwar eher in der Reproduktion von materiellem Wissen, in der „Arbeit pro Zeiteinheit“ und in der „klassischen“ gutachtlichen Subsumtionstechnik. Dennoch ist es auch in Klausuren unumgänglich, sich mit kontroversen Rechtsfragen argumentativ auseinanderzusetzen. Sie müssen die klare Rechtslage nicht immer auch kritisch bewerten und Stellung beziehen zu einzelnen Problemen und Ansichten im Echo von Literatur und Rechtsprechung. Wichtig ist allerdings, dass Sie nicht dem falschen Glauben aufsitzen, mit der Behauptung „diese Frage ist streitig“ sei es bei einem aufkommenden Meinungsstreit getan. Sie müssen stichhaltig begründen und entscheiden! Auch ein noch so schönes BGH-Zitat ersetzt nicht Ihre eigene Begründung! Ihre Meinung ist gefragt, nicht (nur) die des BGH! Sie müssen argumentativ überzeugen! Die Angabe „h.M.“ hat keinen argumentativen Mehrwert. Die Angabe des Mehrheitsstatus sagt nichts über ihre Richtigkeit. Es ist ein Irrtum, dass die Bezugnahme auf die „h.M.“ etwas daran ändert, dass Sie begründen und belegen müssen. Die kommentarlose Angabe „h.M.“ oder „laut BGH“ ist falsch und sinnlos, weil Sie in der Klausur ja keine Fundstellen angeben. Sie ersetzt nicht die Begründung, warum die „h.M.“ oder die „Rspr.“ dieses Problem so oder so entscheidet. In einer Klausur wirkt eine solche Formulierung geradezu peinlich. Eine „h.M.“ verlangt nach Standpunkten der „anderen Meinungen“, sonst wäre es eine „allgemeine Meinung“.
Aber Vorsicht! Ihr Lernen bringt es mit sich, dass Sie ständig Probleme und Streitfragen im Kopf haben und diese „mit Gewalt“ auf das Papier bringen wollen. Dadurch neigen viele Anfänger dazu, Probleme mit der Lupe zu suchen und diese dann „abzuspulen“, leider auch dann, wenn sie gar nicht vorhanden oder nicht gefragt sind. Also Vorsicht!
Stoßen Sie also bei einem Tatbestandsmerkmal auf ein hohes Hindernis, müssen Sie das Rechtsproblem fokussieren, herausschälen und gut präsentieren. Sie müssen nun erörtern, „warum“ hier „was“ streitig ist. In einem solchen Fall finden sich immer mindestens zwei Ansichten, die sich widersprechen; oft kommt noch die „berühmte“ dritte, vermittelnde Meinung hinzu (objektive Theorie; subjektive Theorie; gemischt objektiv-subjektive Theorie).
Dann müssen Sie argumentieren! Wie? – Argumentieren heißt streiten! Streiten mit sich selbst, nicht selten in einem Scheingefecht über Wörter, Ziele und Intentionen des Gesetzes. Ohne Ihre anempfohlene Lösungsskizze verlören Sie sich dabei in Zeit und Raum.
Für Ihre Argumentationskunst in einer Klausur, einer Hausarbeit oder einem Referat kommen zwei Möglichkeiten in Betracht:
- Zum Einen die so genannte lineare oder Kettenargumentation.
Sie reihen nur das aneinander, was für Ihre Meinung spricht und lassen den Rest (die störenden Gegenmeinungen) ganz einfach weg. (So argumentieren Interessenvertreter und Eltern) Dafür spricht – weiterhin – darüber hinaus – schließlich – letztlich. Das Grundmuster der linearen Argumentation bildet die Kette. Argument reiht sich an Argument unter Unterschlagung der Gegenargumente. – Die bloße lineare Aneinanderreihung von Argumenten bei der Kettenargumentation wurde schon in der Antike als langweilig empfunden. Ihr wurde darum die Dialektik zur Erforschung der Wahrheit durch These – Antithese – Synthese entgegengesetzt. Vor allem Sokrates brachte die Kunst der Dialektik (dialektiké téchne, griech.: Kunst der [besonders wissenschaftlichen] Gesprächsführung) zur Blüte. Seine berühmte Streitgesprächsführung durch Fragen verstand er als geistige Hebammenkunst, Mäeutik, durch welche er Gedanken, mit denen der Dialogpartner „schwanger geht“, hervorbringen und zur Wahrheit führen wollte.
- Zum Anderen die so genannte dialektische Argumentation.
Hier tasten Sie sich durch Aufweis und Überwindung von gegensätzlichen Standpunkten zur Problemlösung vor. Sie zeigen, dass Sie noch unentschlossen sind und stellen Ihr zweifelndes „Ich“ zweifelnd dar. Dafür spricht – dagegen steht; einerseits – andererseits; man könnte – dem widerspricht. Bei dieser Argumentationsart des Überwindens von Gegensätzen spielen Sie nicht den leidenschaftlichen Scheuklappen-Verfechter der Meinung X unter Ausblendung der Meinung Y, vielmehr nehmen Sie die Rolle des neutralen, vergleichenden Beobachters eines lediglich von Ihnen aufgezeigten Streits zwischen X und Y ein. Nur die dialektische Argumentation (Einerseits-Andererseits-Methode) kommt für den Jurastudenten als methodisch sauber und nicht manipulativ arbeitender „Hausarbeiten- und Klausurenschreiber“ in Betracht.
Aber denken Sie bei aller Begeisterung daran: Auch jede noch so gute Argumentationskette oder dialektische Argumentation muss irgendwann einmal zum Abschluss kommen und gestoppt werden. Anderenfalls hätten wir ein Argumentations-Perpetuum-mobile. Wo die rechte Stelle ist für den Abbruch? – Ja, das machen die juristische Argumentationskunst, die Übung und Erfahrung aus, die zu erwerben Sie gerade dabei sind! Übrigens: Mit unfairen Tricks, Schnickschnackrhetorik, Diskutantenhokuspokus oder Überrumpelungsstrategien hat das alles nichts zu tun, nur mit einer strukturierten Vorgehensweise und Diskussionstechnik.
Als Argumentationsarten kann man drei Grundtypen unterscheiden und bewerten, nämlich:
1. Die rationale Argumentation:
- ihre Basis sind Fakten;
- ihre Mittel sind Fälle, Tatsachen, Zahlen, Statistiken;
- ihr Ziel ist der Verstand.
2. Die ethische Argumentation:
- ihre Basis sind Werte;
- ihre Mittel sind Begriffe, Grundsätze, Normen, Moral;
- ihr Ziel ist das Gewissen.
Fakten und Werte spielen häufig zusammen. Fakten bilden den Ausgangspunkt aller Werte; Werte wiederum eröffnen die Möglichkeit, Fakten miteinander zu vergleichen.
3. Die plausible Argumentation:
- ihre Basis sind Einsichtigkeiten, die wahrscheinlichen Wahrheiten;
- ihre Mittel sind Erfahrungssätze (Empirie), Pauschalisierungen, Bauchgefühle, Zitate;
- ihr Ziel ist das Gefühl.
Einsichtigkeiten und Empirie dienen der Abkürzung von Endlosdiskussionen.
Man könnte jede juristische Diskussion (natürlich auch jede andere) beispielhaft verwenden, um diese drei Grundtypen der Argumentation zu suchen und nachzuweisen. Auch Ihnen werden sie bald ständig begegnen. Sie sollten diesen Nachweis immer wieder, auch etwa bei der Lektüre von BGH-Entscheidungen, bewusst suchen und üben, wobei zu bedenken ist, dass die drei Grundtypen sich häufig überschneiden.
Alle drei Grundtypen können aber auch sträflich missbraucht werden. Das liegt bei der Plausibilitätsargumentation (lat.: plausibilis, Beifall verdienend) als Überrumpelungsstrategie und bei ethischen Argumenten (griech.: ethikos, sittlich) mit der Moral- und Religionskeule auf der Hand. Es trifft aber leider auch für rationale Argumente (lat.: rationalis, vernünftig) zu, und hier sogar im besonderen Maße. Nichts kann wirkungsvoller manipuliert werden als eine Statistik oder eine Zahl. Wer Zahlen oder reale Beispiele verwendet, beruft sich auf die nackte Realität, ohne dass seine Angaben in der mündlichen Fachdiskussion sofort nachprüfbar sind. Man kann ja hier sogar unverschämt lügen und damit selbst Experten schachmatt setzen. Auch ein Zitat ist nicht jederzeit frei nachprüfbar. Mit Zitaten kann man Argumente totschlagen, Gleiches gilt im Übrigen für die „herrschende Meinung” und die „ständige Rechtsprechung”.
Ein paar Gedanken zum Aufbau Ihrer Argumentation:
- Die Argumente sollten nach ihrer Überzeugungskraft angeordnet werden. Hier bieten sich zwei Wege der Darstellung an:
- Sie beginnen mit dem stärksten Argument und enden mit dem schwächsten. Gefahr: die Adressaten werden zunächst gepackt, dann enttäuscht!
- Sie beginnen mit dem schwächsten Argument und enden mit dem stärksten. Gefahr: Ihre Adressaten werden gelangweilt und verstimmt.
- Zu empfehlen ist es, mit starken Argumenten zu beginnen und die schwächeren im Schatten der Eingangsargumentation folgen zu lassen.
- Gut ist es, wenn Sie die Argumente der Gegenseite abtun können als: unzulässig, in sich widersprüchlich, unbeachtlich, grob unbillig, absurd (wider die Vernunft).
- Geschickt ist es, jeweils einem Pro-Argument das passende Contra-Argument entgegenzustellen, statt die Pro- und Contra-Argumente jeweils en bloc zu präsentieren, da auch die Aufnahmefähigkeit und das Erinnerungsvermögen Ihrer Korrektoren begrenzt sind.
Am besten geht man bei der Darstellung eines Meinungsstreits in drei Schritten vor:
- Der erste Schritt zeigt auf, worum sich der Streit dreht:
- Wo ist im Sachverhalt und/oder im Gesetz der ganz konkrete Aufhänger?
- Einzelmeinungen werden geschildert und der Sachverhalt jeweils danach (!) bewertet.
- Führt das Ergebnis des Meinungsstreits zu unterschiedlichen Lösungen, folgt der zweite Schritt. Anderenfalls ist hier Schluss mit der „Streiterei“, denn es gibt ja gar keinen Streit.
- Den zweiten Schritt bereitet man wie folgt auf:
An die Spitze kommt die „feindliche“ Meinung, der man sich nicht anschließen will.
- „Feindliche“ These (Streitsatz) vorstellen und begründen.
- Sachverhalt darunter subsumieren.
- Ergebnis für den Fall darlegen.
Es folgt die „sympathischere“ Meinung, der man sich anschließen könnte, aber konkret nicht anschließen will.
- „Sympathischere“ These vorstellen und begründen.
- Sachverhalt darunter subsumieren.
- Ergebnis für den Fall darlegen.
- Im dritten Schritt folgt die „eigene“ Meinung, der man folgen will. Hier schließt man ab.
- Kritikpunkte vortragen gegen die „feindlichen“ und die „sympathischeren“, aber letztlich sämtlich abzulehnenden Ansichten. Deutlich machen, warum man diesen Meinungen nicht folgen will.
- Eigene Meinung vorstellen. Ausführen, warum man der „eigenen“ Meinung den Vorrang einräumt. Sachverhalt subsumieren und das Ergebnis präsentieren. Das gilt allerdings nur, wenn die Meinungen im konkreten Fall unterschiedliche Subsumtionsergebnisse nach sich gezogen haben. Ein Meinungsstreit bedarf ja nur dann der Entscheidung, wenn die verschiedenen Ansichten zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.
- Sie legen dar, warum Sie die „eigene“ Meinung überzeugender finden als die anderen. Wenn Sie sich ohne eigenes Argument aus dem Problemfeld stehlen, verlieren Sie gar eine Note. Nach dieser erfolgten Weichenstellung im Gutachten weitermarschieren! Auf zum nächsten Meinungsstreit!
Trennen Sie Ihre Ansicht als eigene selbstständige Stellungnahme unbedingt von dem eigentlichen Meinungsstreit. Sie beziehen hier ausschließlich Stellung. Dabei müssen Sie jedes Argument klar und vernünftig, nachvollziehbar und präzise formulieren, damit man Ihnen folgen kann. Ohne gelungene Leitfragen, Überleitungen und Zusammenfassungen wird Ihre Darstellung eine Fahrt ins Blaue, da man nicht erkennt, wo die Reise hingeht und vor allem nicht, an welchem Ort der „Reise zum Meinungsstreitziel“ Sie sich gerade befinden. Wenn Sie etwa eine Reisegruppe von Köln nach Hamburg begleiten, geht es nun einmal nicht über Koblenz. Sämtliche Ausführungen zu Oberhausen, Essen, Dortmund und Bremen sind wichtig, nicht aber Einzelheiten zu Koblenz. Man darf Ihren Gedankengang nie in Zweifel ziehen und muss am Ende Ihrer Argumentationsreise das Gefühl haben, nur zustimmen zu können, falls Sie nicht bewusst, z.B. in einem Referat, zum Widerspruch auffordern. Ein „Gedankenort“ muss sich deshalb an den vorangegangenen „Gedankenort“ anschließen, ohne dass Sie einen „Gedankensprung über Koblenz“ begehen dürfen.
Argumentation im mündlichen Diskurs
In jeder mündlichen Fachdiskussion müssen Sie in der Regel aus dem Stegreif argumentieren.
Dabei hilft Ihnen sowohl bei abwehrender als auch bei angreifender Argumentation die sogenannte Standpunktformel im Urteilsstil. Mit dieser 5-Punkte-Standpunkt-Formel S.A.L.Z.A. haben Sie für jeden Beitrag einen „kleinen roten Faden“, mit dem Sie Ihre Gedanken ordnen können:
1. S-tandpunkt oder „Meine Meinung on the top“.
„Meiner Meinung nach ist … „; „Mein Standpunkt ist folgender: …“
2. A-rgumente
„Denn“: 1. …,
„Denn“: 2. …,
„Denn“: 3. …“
3. L-ebendige Beispiele
„Ich möchte das deutlich machen an zwei Beispielen“
- Beispiel: …..
- Beispiel: …..
4. Z-usammenfassung
„Also … “
5. A-ufruf
„Wir sollten vielleicht einmal überlegen, ob …“
Auch hier sollten Ihre Argumente wie in der schriftlichen Argumentation nach ihrer Überzeugungskraft angeordnet werden.
Einige wenige, aber wirkungsreiche Stichpunkte zum Meinungsstreit auf Ihre Merkliste:
- Leider neigen viele Studenten erstmal dazu, Streitstände zwischen Rechtsprechung und Literatur einfach auswendig zu lernen. Das ist unklug! Man sollte sich stattdessen von Anfang an darum bemühen, das ihnen zugrundeliegende Fundamentalproblem zu verstehen.
- Nochmal, weil es so wichtig ist: Ein Meinungsstreit darf nur dann für die Entscheidung aufbereitet werden, wenn die Lösung von der Entscheidung der Rechtsfrage abhängt. Eine Erörterung über die Relevanz des Streitstandes („Relevanzprüfung“) für Ihre Arbeit darf sich in Ihrer Klausur oder Hausarbeit selbst nicht finden – diese Prüfung spielt sich nur in Ihrem Kopf ab: Ist die kontroverse Rechtsfrage nämlich bedeutungslos für Ihre Arbeit, gehört sie nicht in die Arbeit; hängt die Lösung von der Entscheidung des Meinungsstreites ab, dann ergibt sich das aus Ihrer Darstellung von selbst. Auch setzen umfangreiche Erörterungen zu Streitständen, die nicht ergebnisrelevant sind, falsche Schwerpunkte und sind nicht selten überflüssig. Warum einen Streit austragen, wenn alle dafür oder dagegen sind, es also gar keinen „Streit“ um „Meinungen“ gibt? Es war dann nur eine Scheinweiche.
- Führen die verschiedenen Auffassungen allerdings zu unterschiedlichen Ergebnissen, muss man sich entscheiden, da sich den unterschiedlichen Meinungen im Regelfall unterschiedliche Lösungswege anschließen. Ist das Problem relevant und damit entscheidungserheblich, müssen Sie erkennen lassen, dass Sie sich eine eigene Meinung zu dem Problem- und Streitstand gebildet haben.
- Sich hinter der „herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung“ zu verstecken, ist keine tragfähige Begründung. „Ich folge der h.M.!“ – Ja, warum denn?
- Es ist unverzichtbar, immer erst mit dem Gesetz, dann erst gegen das Gesetz zu argumentieren. Ein ganz wichtiger Punkt!
- Eine „herrschende Meinung“ (h.M.) muss in einer Hausarbeit in der Quantität der Belege erkennbar werden. Sie ist ein Bollwerk, das nicht so leicht zu erstürmen ist.
- Übrigens: Eine „M.M.“ ist keine „Mindermeinung“, sondern die „Meinung der Minderheit“. Sie ist nicht minderwertig, sondern in der Minderheit.
- Eine einzelne BGH-Entscheidung genügt keinesfalls, schon gar nicht, wenn die andere Ansicht (a.A.) mit zehn Zitaten dokumentiert wird. Eine „allgemeine Meinung“ (allg.M.) braucht nicht in ganzer Breite zitiert zu werden. Es genügt: „Stellvertretend nur …“ – „Für viele …“ – „Zuletzt …“ – „Dagegen erkennbar nur …“
- Rechtsansichten müssen in der Hausarbeit immer in Fußnoten durch Zitate belegt werden! Dabei ist die Darstellung des Rechtsstreits im Spiegel der Meinungen von Ihrer eigenen Stellungnahme deutlich zu trennen, es darf keine Verwischungen geben.
- Wichtig ist, dass Sie nicht dem falschen Glauben aufsitzen, mit der Behauptung sei es in einer wissenschaftlichen Arbeit getan. Sie müssen begründen! Notwendig ist immer die Begründung, das Argument (lat.: arguere, behaupten, deutlich machen, beweisen).
- Auch ein noch so schönes BGH-Zitat ersetzt nicht Ihre eigene Begründung! Ihre Meinung ist gefragt, nicht nur die des BGH! Sie müssen argumentativ überzeugen!
- Stoßen Sie bei einem Tatbestandsmerkmal auf ein Rechtsproblem, müssen Sie dieses herausschälen, indem Sie nun erörtern, warum hier „etwas“ streitig ist. In einem solchen Fall finden sich immer mindestens zwei Ansichten, die sich widersprechen; oft kommt noch die „berühmte“ dritte, vermittelnde Meinung hinzu (objektive Theorie; subjektive Theorie; gemischt objektiv-subjektive Theorie). Haben Sie zahlreiche unterschiedliche Meinungen, sollten Sie diese bündeln und zusammenfassen.
Und nun viel Freude beim juristischen „Streiten“.