(lat.: norma, Regel, Maßstab) unterteilt man in:
- Allgemeine Normen: Regeln und Maßstäbe des Handelns
- Soziale Normen: Empirisch feststellbare Verhaltensweisen einer Gesellschaft, die erwartet werden und denen man zu entsprechen hat (Brauch, Sitte)
- Moralische Normen: Individuell für verbindlich erklärte sittliche Handlungsorientierungen
- Technische Normen: Allgemein gebräuchliche Standards (Meter, DIN = Deutsche Industrienorm)
- Rechtliche Normen: Diese sind Gesetze oder Rechtsvorschriften und teilen sich in vollkommene und unvollkommene Normen:
- · Vollkommene rechtliche Normen sind solche Gesetze, die, wenn ihre ➞ Tatbestandsmerkmale vorliegen, unmittelbar eine zivilrechtliche Rechtsfolge (➞ Anspruchsgrundlage) oder strafrechtliche Sanktion (➞ Straftatbestand) auslösen.
- · Unvollkommene rechtliche Normen sind solche Gesetze, die, falls ihre Voraussetzungen vorliegen, nicht selbst und unmittelbar die Fallfrage beantworten, sich vielmehr immer auf eine „vollkommene“ Rechtsnorm beziehen. Sie sind ausschließlich im Verbund mit einer Anspruchsgrundlage oder einem Straftatbestand sinnvoll, sie wirken nur mittelbar über diese auf Lebenssachverhalte ein.
Rechtshindernde rechtliche Normen sind unvollkommene Normen, die bestimmen, dass die aufgrund einer vollkommenen Norm an sich eintretende Rechtsfolge bei einer bestimmten Fallkonstellation doch nicht eintritt. Wenn der Vertrag z.B. gegen ein gesetzliches Verbot verstößt – dann ist der Vertrag nichtig (vgl. § 134 BGB). Wenn ein Geschäftsunfähiger eine Willenserklärung abgibt (vgl. § 104 BGB) – dann ist seine Willenserklärung grundsätzlich nichtig (vgl. § 105 Abs. 1 BGB). Wenn eine vorgeschriebene Form nicht eingehalten wird – dann ist das Rechtsgeschäft eben unwirksam (vgl. § 125 BGB). (➞ Einwendungen)
Rechtsvernichtende rechtliche Normen sind unvollkommene Normen, die bestimmen, dass die aufgrund einer vollkommenen Rechtsnorm entstandene Rechtsfolge zum Erlöschen gebracht wird. Während also die rechtshindernden Normen die vollkommenen Normen, die Anspruchsgrundlagen, schon in ihrer Entstehung hindern, setzen die rechtsvernichtenden Normen eine vollkommene Norm zunächst voraus, um sie nach ihrer Entstehung zu vernichten. Wenn der geschuldete Kaufpreisanspruch erfüllt worden ist (vgl. § 433 Abs. 2 BGB) – dann erlischt der Anspruch (vgl. § 362 Abs. 1 BGB). Wenn ein wirksamer Vertrag wirksam angefochten wird – dann wird der Vertrag rückwirkend nichtig (vgl. § 142 Abs. 1 BGB). (➞ Einwendungen)
Rechtshemmende rechtliche Normen sind die dritte Gruppe der unvollkommenen Normen. Sie bestimmen, dass die aufgrund einer vollständigen Rechtsnorm entstandene und noch bestehende Rechtsfolge (keine rechtshindernde und keine rechtsvernichtende Norm liegt vor) ausnahmsweise in ihrer Durchsetzbarkeit gehemmt ist. Wenn die Forderung gestundet ist auf Grund einer Stundungsvereinbarung gem. §§ 311, 241 BGB – dann: keine Durchsetzbarkeit. Wenn die Forderung verjährt ist – dann: keine Durchsetzbarkeit (vgl. § 214 BGB). (➞ Einreden)
- · Schließlich: Wenn das Gesetz ein Tatbestandsmerkmal nicht in einer vollkommenen oder unvollkommenen Norm selbst definitorisch bestimmt (was nur ganz selten der Fall ist), sondern hierfür Ausfüllungsnormen einführt, hat das Entlastungs- und Verkürzungsfunktion. Beispielsweise werden alle Vorschriften, in denen – wie in § 823 Abs. 1 BGB – das Verschulden eine Rolle spielt, dadurch entlastet, dass §§ 276-279 BGB das Verschulden allgemein und für weitere Fälle definieren. Ähnliches gilt für den in sämtlichen Schadenersatznormen vorkommenden Begriff des Schadens, der in § 249 ff. BGB näher bestimmt ist. Gleiches gilt für den Begriff des Vertrages. So sind in allen vertraglichen Anspruchsgrundlagen – wie z.B. in § 433 Abs. 1 und 2 BGB – die Voraussetzungen für die Rechtsfolge normiert, indem das Zustandekommen eines jeden Vertrages in § 145 ff. BGB für das restliche BGB entlastend zusammengestellt wird.
Bei der Lösung von Rechtsfällen kommt nun dieses gesetzliche Gefüge von vollständigen und unvollständigen Rechtsnormen als geradezu perfektes System immer zur Anwendung. (➞ Schemata für die Klausuren) Jeder Rechtsfall enthält eine Fragestellung, die immer auf das Bestehen oder Nichtbestehen einer Rechtsfolge gerichtet ist. Diejenige Rechtsnorm, die die gesuchte Rechtsfolge abstrakt enthält, ist die ➞ Antwortnorm oder vollkommene Rechtsnorm, weil sie bei Vorliegen ihrer Voraussetzungen selbst und unmittelbar die Fallfrage beantwortet. Daneben gibt es diejenigen Rechtsnormen (s.o.), die die vorweggeprüfte Rechtsfolge der Antwortnorm von Anfang an ausschließen oder einschränken oder nachträglich wieder zum Wegfall bringen oder der Durchsetzbarkeit der Rechtsfolge entgegenstehen.
Beispiel für diese plastische Struktur der Gesetze: Student R verspricht dem Korrekturassistenten A für eine gute Note 3000 €. A benotet die mit schwersten Fehlern behaftete Arbeit mit „gut“ und verlangt die 3000 €. R weigert sich zu zahlen.
Anspruchsgrundlage für A ist § 631 Abs. 1 BGB.
Voraussetzungen (Wenn) sind: 1. Ein Werkvertrag 2. R muss Besteller sein und 3. A muss Unternehmer sein. Dem ist so.
Rechtsfolge (Dann) tritt ein: Werklohn muss von R an A gezahlt werden.
Aber: Anspruchshindernde Gegennorm tritt mit ihrem Konditionalprogramm auf den Plan: § 138 Abs. 1 BGB
Voraussetzungen (Wenn): 1. Ein Rechtsgeschäft (Werkvertrag) 2. Ist sittenwidrig. Ohne nähere Subsumtion: Dem ist so.
Rechtsfolge (Dann) tritt ein: Werkvertrag ist nichtig (nicht existent).
Gesamtrechtfolge für A’s Begehr: R muss keine 3000 € zahlen.
Wenn man jetzt noch die Methoden des ➞ Gutachtens, der ➞ Seziertechnik, der → Auslegung, des Definierens und Subsumierens beherrscht, ist man ein fast perfekter Erstsemestler.