Man kann den ➞ Gesetzen neben dem ➞ Konditionalprogramm auch noch auf eine andere Art die Zunge lösen! Dazu bedient man sich der Seziertechnik. Wenn Sie die äußerst komprimierten, häufig mehrere Alternativen enthaltenden Gesetzesformulierungen in ihren jeweiligen Wenn-Dann-Segmenten nicht auf Anhieb verstehen, in denen manchmal auch noch neben der Regel die Ausnahme sprachlich eingewoben ist, „sezieren“ Sie die Paragraphenungeheuer! Alphabetisieren Sie die Normen auf ein Ihnen verständliches Sprachniveau herunter, und Sie werden sehen, die Gesetze verlieren schlagartig an Kompliziertheit. Sie haben einen Paragraphen dann begriffen, wenn Sie ihn in seine kleinsten Einzelteile zerlegen und wieder zusammenbauen können.
Beispiel aus dem Allgemeinen Teil des BGB
Als Beispiel einer solchen „Gesetzesentschlüsselungstechnik“ möge der § 181 BGB dienen, über den Einigkeit besteht, dass ihn auf Anhieb niemand versteht. Machen Sie „mehr“ aus dem Paragraphen! Aus eins mach drei! Wir spielen jetzt Gesetzgeber und formulieren ihn um, indem wir seine Alternativen zu neuen Paragraphen bündeln, „§§ 181a, 181b, 181c BGB“, und ihn so neu gestalten:
- § 181 a: Ein Vertreter kann im Namen des Vertretenen mit sich im eigenen Namen ein Rechtsgeschäft nicht vornehmen (➞ Insichgeschäft).
- § 181 b: Ein Vertreter kann im Namen des Vertretenen mit sich als Vertreter eines Dritten ein Rechtsgeschäft nicht vornehmen (Mehrfachvertretung).
- § 181 c: In Abweichung der §§ 181 a, 181 b kann ein Vertreter selbstkontrahieren oder eine Mehrfachvertretung doch vornehmen, wenn
- es ihm gestattet ist oder
- das Rechtsgeschäft ausschließlich in der Erfüllung einer Verbindlichkeit besteht oder
- es rechtlich lediglich vorteilhaft ist (ständige Rechtsprechung).
Beispiel aus dem Strafrecht
Wenn Sie im Strafrecht zu § 267 StGB (➞ Urkundenfälschung) gelangen, ein gesetzgeberisches Meisterwerk an sprachlicher Dichte, nehmen Sie sich zunächst genügend Zeit, diese Norm zu studieren. Versuchen Sie einmal, aus den drei Alternativen dieses Straftatbestandes drei selbständige Paragraphen zu texten. Schnell und mit kreativer Entdeckerfreude haben Sie die fiktiven „§§ 267 a, 267 b, 267 c StGB“ erschlossen.
- § 267 a: Wer zur Täuschung im Rechtsverkehr eine unechte Urkunde herstellt, wird bestraft.
- § 267 b: Wer zur Täuschung im Rechtsverkehr eine echte Urkunde verfälscht, wird bestraft.
- § 267 c: Wer zur Täuschung im Rechtsverkehr eine unechte oder verfälschte Urkunde gebraucht, wird bestraft.
Nunmehr stellen Sie die Tatbestandsmerkmalspakete zusammen und arbeiten die Gemeinsamkeiten und Unterschiede heraus:
- § 267 a: Urkunde – zur Täuschung im Rechtsverkehr – unechte herstellen.
- § 267 b: Urkunde – zur Täuschung im Rechtsverkehr – echte verfälschen.
- § 267 c: Urkunde – zur Täuschung im Rechtsverkehr – unechte oder verfälschte gebrauchen.
Sie sehen, wie sich die sezierten Normen von selbst öffnen und ihren Inhalt preisgeben. In Zukunft können Sie mit der Seziertechnik und dem Konditionalprogramm selbst die Gesetze „sezieren“, aufschlüsseln oder umprogrammieren, kurz und klein stutzen oder anwachsen lassen. Der Charme dieser Gesetzesaufschlüsselungstechnik besteht darin, dass sie so einfach funktioniert. Sie werden sie nie mehr vergessen.
Beispiel aus dem Sachenrecht
Zur Überprüfung des Gelernten wollen wir jetzt § 873 Abs. 1 BGB in die „§§ 873 a, 873 b, 873 c, 873 d und 873 e BGB“ sezieren. Wir erarbeiten ganz stur für jede „verkeilte“ Alternative das jeweilige sezierte Konditionalprogramm!
- § 873 a: „Zur Übertragung des Eigentums an einem Grundstück ist die Einigung des Berechtigten und des anderen Teils über den Eintritt der Rechtsänderung und die Eintragung der Rechtsänderung in das Grundbuch erforderlich.“
- § 873 b:„Zur Belastung eines Grundstücks mit einem Rechte ist die Einigung … und die Eintragung … erforderlich.“
- § 873 c:„Zur Übertragung eines belastenden Rechtes (vgl. § 873 b) ist die Einigung … und die Eintragung … erforderlich.“
- § 873 d: „Zur Belastung eines belastenden Rechtes (vgl. § 873 b) ist die Einigung … und die Eintragung … erforderlich.“
- § 873 e: „Die Paragraphen 873 a bis 873 e gelten nicht, wenn das Gesetz ein anderes vorschreibt.“
Sie stellen jetzt gleich viel besser als vorher fest, was die Alternativen des § 873 Abs. 1 BGB verbindet und was sie trennt.