Während über die Notwendigkeit der Existenz des ➞ Strafrechts zu keiner Zeit und unter keiner Gesellschaftsordnung irgendein Streit bestanden hat, stritt man von jeher erheblich über den Sinn seiner Hauptrechtsfolge, nämlich der Strafe.

 

Beispiel 1: Täter T bringt seine reiche Frau in der Absicht um, diese zu beerben. Zur Ausführung der Tat mixt er in ihren morgendlichen Frühstückskaffee ein tödliches Gift.

 

Beispiel 2: Der Fassadenkletterer F, der im Free-climbing-Stil an Hauswänden, insbesondere an Hotelfassaden, emporklettert, um in Räume einzubrechen, stürzt bei seinem letzten Diebstahl ab und verletzt sich schwer. Er ist querschnittsgelähmt und ein Leben lang an den Rollstuhl gefesselt.

 

Beispiel 3: Der ehemalige Terrorist X, der in früheren Jahren in ideologischer Verblendung auf brutalste Weise Menschen gefoltert und ermordet hatte, war in späteren Jahren untergetaucht und mit neuer Legende Direktor eines großen Warenhauskonzerns geworden. Er hatte seiner Ideologie abgeschworen und erhebliche Geldmittel in eine Stiftung zur Wiedergutmachung von Verbrechen eingebracht, lebt nun als angesehener, aktiv politisch tätiger Bürger in einer Kleinstadt als Familienvater und würde sich nie wieder zu solchen Taten hinreißen lassen.

 

Beispiel 4: Die bereits fünfmal wegen Ladendiebstahls vorbestrafte Hausfrau H wird ertappt, als sie im Begriff ist, in der Lebensmittelabteilung eines Kaufhauses eine Dauerwurst (Wert: 4 €) zu stehlen.

 

Klassisch ist die Begründung Kants (1724 – 1804) in seiner „Metaphysik der Sitten“: Selbst wenn sich die bürgerliche Gesellschaft mit aller Glieder Einstimmung auflöste (z.B. das eine Insel bewohnende Volk beschlösse, auseinanderzugehen und sich in alle Welt zu zerstreuen), müsste der letzte im Gefängnis befindliche Mörder vorher hingerichtet werden, damit jedermann das widerfahre, was seine Taten wert sind …

Bei der absoluten Schule gilt der Satz: Punitur, quia peccatum est. Lat.: Es wird bestraft, weil gesündigt worden ist.

 

 

Die herrschende Meinung vereinigt die absoluten und relativen Strafzwecke in der sog. Vereinigungstheorie (BGHSt 1, 70; 2, 200; 3, 179). Es gilt der Satz, der als Resultante der beiden klassischen Theorien bezeichnet werden kann: Punitur, quia peccatum est et ne peccetur. Lat.: Es wird bestraft, weil gesündigt worden ist und damit nicht mehr gesündigt wird.

Bei der Verhängung der Strafe durch den Richter müssen mithin alle drei Strafzwecke – Vergeltung, Generalprävention, Spezialprävention – berücksichtigt werden. Darüber besteht kein Streit mehr, gestritten wird lediglich über die Gewichtungen. Die wenigsten Fälle liegen nämlich so, dass alle drei Strafzwecke im gleichen Verhältnis zum Tragen kommen. Häufig überwiegt einer der Strafzwecke und drängt die anderen zurück.

Im Beispiel 1 stehen die Strafzwecke der Vergeltung und Sühne, der General- und Spezialprävention so etwa in gleichem Verhältnis.

Im Beispiel 2 und 3 ist offensichtlich, dass der Strafzweck der Spezialprävention ins Leere gehen würde.

Im Beispiel 4 tritt der Vergeltungsgedanke in den Hintergrund, da die Vergeltung nicht nur in Relation zur Schuld der Täterin tritt, sondern auch zum angerichteten Schaden. Der entscheidende Aspekt, dem hier die Strafe Rechnung tragen muss, ist der der Prävention, und zwar vordergründig der Spezialprävention, da dem Hang der Täterin speziell entgegen gesteuert werden muss.