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Diebstahl

Grundtatbestand des Diebstahls ist § 242 StGB.

Beispiel:  T nimmt das Fahrrad des O, das dieser vor einem Geschäft unverschlossen abgestellt hat, an sich und fährt damit weg in der Absicht, es zu behalten.

 

In Betracht kommt eine Bestrafung nach § 242 StGB wegen Diebstahls. § 242 StGB ist der praktisch wichtigste Tatbestand des Strafrechts. Rund zwei Drittel der Kriminalität (ohne Straßenverkehrsdelikte) sind Diebstahlskriminalität. Beim Diebstahl handelt es sich um ein archetypisches Delikt, welches bereits im 7. Gebot des Dekalogs der Bibel Eingang gefunden hat. Daraus erklärt sich vielleicht die häufig zu beobachtende Überbewertung dieses Eigentums-Delikts gegenüber einer oftmals milderen Beurteilung der Betrugs-Vermögenskriminalität. Im germanischen Recht wurde zwischen Diebstahl – heimliche, schimpfliche Wegnahme: Strafe durch den unehrenhaften Galgen (!) – und Raub (vgl. § 249 StGB) – offene, ehrliche Wegnahme: Strafe durch das ehrenwerte Schwert (!) – unterschieden. 

Im benachbarten Umfeld des § 242 StGB gibt es einige wichtige weitere Tatbestände:

  1. § 243 StGB bringt eine Strafschärfung für solche Fälle, bei denen regelmäßig eine erhöhte kriminelle Energie des Täters vorherrscht (widerlegbare Vermutung) und man deshalb von einem Diebstahl in einem besonders schweren Fall spricht. Der moderne Gesetzgeber verwendet hier eine Regelbeispieltechnik (vgl. „in der Regel“) für besonders schwere Fälle, die eine Änderung des Strafrahmens gegenüber § 242 StGB auslösen. Es handelt sich um eine Strafzumessungsregel. Dabei ist zu beachten, dass trotz Erfüllung eines Regelbeispiels ein schwerer Fall ausscheiden wie umgekehrt auch ohne Erfüllung eines Regelbeispiels ein schwerer Fall gegeben sein kann. Die Indizwirkung wäre etwa bei einem Einbruchsdiebstahl in ein Lebensmittelgeschäft aus akuter Not (§ 243 Abs. 1 Nr. 1 StGB) widerlegt wie umgekehrt bei einem einfachen Diebstahl durch einen Amtsträger, bei einem Diebstahl besonders hochwertiger Gegenstände oder beim Diebstahl der symbolträchtigen Fahne einer Nation oder einer Weltanschauungsvereinigung zu bejahen. De facto stehen die Regelbeispiele freilich den echten Tatbestandsmerkmalen nahe, was sich insbesondere daran zeigt, dass die Tat unter die einzelnen (Strafzumessungs-)Merkmale des § 243 StGB wie bei jenen subsumiert werden muss. Diese Regelbeispieltechnik gibt es auch in den §§ 240 Abs. 4, 263 Abs. 3, 267 Abs. 3 und 292 Abs. 2 StGB.
  2. § 244 StGB betrifft als Qualifizierung besonders gefährliche Formen des Diebstahls, nämlich zum einen den Diebstahl mit Waffen oder gefährlichen Werkzeugen (Nr. 1), zum anderen den Bandendiebstahl (Nr. 2) und schließlich den Wohnungseinbruchsdiebstahl (Nr. 3).

Sowohl bei § 244 StGB als auch bei § 243 StGB bietet sich regelmäßig Gelegenheit zur schulmäßigen Subsumtion.

 

Zu Ihrem Eigenstudium:

Können zwei Personen eine Bande sein?

Kann ein Polizist unter Beisichführen seiner Dienstpistole (Schusswaffe) einen einfachen Diebstahl begehen?

Ist ein Zirkuszelt ein Gebäude?

Ist eine Insel ein umschlossener Raum?

Ist ein Einkriechen ein Einsteigen?

Ist der Ersatzschlüssel im Kellerfenster ein falscher Schlüssel?

Ist das Aufbrechen der Tür mit einem Stemmeisen ein Nachschlüsseldiebstahl (mit einem nicht zur ordnungsgemäßen Öffnung bestimmten Werkzeug)?

Erfüllt die regelwidrige Beeinflussung der Spielautomatik eines Glücksspielautomaten § 243 Abs. 1 Nr. 1 StGB?

Fällt eine Kirchenbank, Geld in Opferstöcken oder gar der Opferstock selbst unter die Tatmodalität des Kirchendiebstahls gem. § 243 Abs. 1 Nr. 4 StGB?

Ist der Diebstahl des berühmten Originalwerkes von Paul Anselm Feuerbachs „Betrachtungen über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeitspflege“ von 1821 aus der Gerichtsbibliothek des Oberlandesgerichts ein Fall des § 243 Abs. 1 Nr. 5?

Erfüllt ein Dieb, der einen Blinden oder Gelähmten um seine Habe bringt, die Tatmodalität des § 243 Abs. 1 Nr. 6 StGB?

 

  1. § 246 StGB – Unterschlagung – unterscheidet sich vom Diebstahl dadurch, dass beim Diebstahl ein Gewahrsamsbruch erfolgt (Wegnahme) und objektiv keine Zueignung nötig ist (die bloße Absicht genügt), bei der Unterschlagung es gerade an einem solchen Gewahrsamsbruch fehlt, dafür aber objektiv eine Zueignung erfolgen muss. Zueignung bedeutet die Manifestation der Zueignungsabsicht. § 246 StGB ist bewusst als sog. Auffangtatbestand für alle Formen rechtswidriger Zueignung ausgestaltet, die nicht nach anderen Normen strafbar sind (Subsidiaritätsklausel).
  2. § 247 StGB – Haus- und Familiendiebstahl – stellt sowohl für den Diebstahl in allen seinen Formen (also auch für § 243 und § 244 StGB) als auch für die Unterschlagung bei bestimmten persönlichen Beziehungen zwischen Täter und Verletztem den Strafantrag als Verfolgungsvoraussetzung auf, insbesondere bei Angehörigen i.S. von § 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB.

 

Zu Ihrem Eigenstudium:  Der Angeklagte hatte eine Frau in betrügerischer Absicht bewogen, mit ihm zusammenzuleben (Heiratsschwindler). Unter Vorwänden verschiedener Art hatte er von ihr Geld erschwindelt und sie auch bestohlen. Liegt zwischen beiden eine häusliche Gemeinschaft i.S. der §§ 247, 242, 263 Abs. 4 (!) StGB vor mit der Folge, dass die Tat nur bei Vorliegen eines Strafantrages verfolgt werden kann?

 

  1. § 248a StGB – Diebstahl geringwertiger Sachen – berücksichtigt die Bagatellkriminalität, indem die Vorschrift als Verfolgungsvoraussetzung grundsätzlich einen Strafantrag verlangt. Die Grenze der Geringwertigkeit liegt heute bei ca. 40 Euro; entscheidend ist der Verkehrswert und nicht der Materialwert.
  2. § 248b StGB regelt einen Fall des sog. Gebrauchsdiebstahls. Der bloße Gebrauch einer fremden Sache ohne Zueignungswillen (also kein Fall von § 242 StGB) ist nach dem Strafgesetzbuch nur in zwei Fällen strafbar: § 248b StGB, unbefugter Gebrauch eines Kraftfahrzeuges oder Fahrrades, und § 290 StGB, unbefugter Gebrauch von Pfandsachen durch den öffentlichen Pfandleiher. Hauptbeispiel für diese Bestimmung ist die unbefugte „Spritzfahrt“ mit dem Auto.
  3. § 248c StGB stellt ein strafrechtshistorisches Denkmal dar. Das Reichsgericht hatte sich in einer berühmten Entscheidung geweigert, den Elektrizitätsdiebstahl nach § 242 StGB zu bestrafen, weil Elektrizität auch unter Heranziehung sämtlicher  Auslegungsmethoden keine Sache sei. ( Auslegung von Gesetzen) Es hatte in der Anwendung des § 242 StGB auf Elektrizität einen Verstoß gegen das Analogieverbot im Strafrecht gesehen (vgl. RGSt 32, 165). Um die Lücke zu schließen – denn Strom wurde durch Anzapfen fremder Leitungen ja „gestohlen“ -, wurde im Jahre 1900 ein Sondertatbestand geschaffen und unter § 248c StGB in das Strafgesetzbuch eingeführt.

 

Zu Ihrem Eigenstudium:

  • Ist § 248c StGB gegeben, wenn der Untermieter – Student S – entgegen der Vereinbarung mit seinem Vermieter seine Hifi-Anlage in Betrieb setzt?
  • Ist § 248c StGB auch dann erfüllt, wenn S nicht – wie vereinbart – die Anlage um 23.00 Uhr ausschaltet, sondern die ganze Nacht durchlaufen lässt? (Im ersten Fall: ja; im zweiten Fall: nein.)

 

Zurück zum Ausgangsfall:

Durch die Mitnahme des Fahrrades könnte sich T wegen Diebstahls gem. § 242 StGB strafbar gemacht haben. Das setzt voraus, dass er eine fremde bewegliche Sache in der Absicht weggenommen hat, dieselbe sich rechtswidrig zuzueignen.

Zum Tatbestand des Diebstahls gehören:

die beabsichtigte Zueignung muss rechtswidrig sein ( Rechtswidrigkeit)

Diebstahl – von Fall zu Fall

 

Fall 1:  E hat sein altes Fahrrad, das er nicht mehr haben wollte, irgendwo im Walde abgestellt. T nimmt es an sich.

 

  • T ist nicht wegen Diebstahls zu bestrafen. Es handelt sich bei dem Fahrrad nicht um eine fremde Sache, sondern um eine herrenlose Sache. E hat den Besitz an dem Rad in der Absicht aufgegeben, auf das Eigentum zu verzichten (vgl. § 959 BGB). Eine herrenlose Sache kann nicht Gegenstand eines Diebstahls sein.

 

Fall 2:  Ein Fahrrad gehört T und E gemeinsam. T verkauft und übergibt es an H.

 

  • Das Eigentum steht T und E gemeinsam zu. Im Hinblick auf das Teileigentum des E ist das Fahrrad für T eine fremde Sache. Diebstahl kann also auch an solchen Sachen begangen werden, die im Miteigentum des Täters stehen.

 

Fall 3:  E hat seine Uhr in seiner Wohnung verlegt. Die Aufwartefrau P findet sie auf dem Bücherbord und nimmt sie an sich.

 

  • P muss Gewahrsam des E gebrochen haben. Normalerweise bedingt tatsächliche Sachherrschaft Kenntnis des Aufenthalts der Sache, da anders eine Beherrschung nicht möglich ist. Gewahrsam besteht aber auch an Sachen, die sich in einem generell beherrschten Raum befinden. E hatte demnach an der Uhr Gewahrsam, den P gebrochen hat.

 

Fall 4:  T und E benutzen das ihnen gemeinsam gehörende Fahrrad auch gemeinsam. T versilbert es.

 

  • T und E haben Mitgewahrsam. T hat den gleichrangigen Mitgewahrsam des E gebrochen, eigenen Alleingewahrsam begründet und damit eine Wegnahme i.S. des § 242 StGB begangen.

 

Fall 5:   E, von T beschwatzt, überlässt diesem das Fahrrad, ohne zu ahnen, dass T damit endgültig verschwinden will.

 

  • Hier liegt kein Gewahrsamsbruch vor. Gewahrsamsbruch bedeutet Aufhebung des Gewahrsams ohne oder gegen den Willen des bisherigen Gewahrsamsinhabers. Freiwillige Hergabe ist kein Gewahrsamsbruch, vielmehr eine Vermögensverfügung i.S.d. Betrugstatbestandes. ( Betrug)

 

Fall 6:  S ist in seiner Anstaltskleidung aus der Strafhaft entwichen.

 

  • Hauptbeweggrund für S war sicherlich nicht die Aneignung der Anstaltskleidung. Die Mitnahme der verräterischen „Kluft“ war notwendigerweise ein der Flucht anhaftender Begleitumstand, den S hinnahm, aber keinesfalls wollte. Es fehlt der auf die Aneignung der „Kluft“ zielende direkte Wille des S. Daher fehlt die Zueignungsabsicht.

 

Fall 7:  T nimmt dem Gastwirt G zehn Biermarken weg, die er sogleich wieder in Bier umsetzt.

 

  • Die Sache selbst, nämlich die Biermarken, wollte T seinem Vermögen nicht einverleiben, sondern zurückgeben. Ihm ging es um den in den Marken verkörperten Sachwert, die durch sie zu erlangende Leistung. Das genügt. Zueignungsabsicht ist gegeben.

 

Fall 8:  Drogen-Dealer F bezahlt Drogen-Oberdealer D mit einem 500-Euro-Schein im Voraus; nach Übereignung der Ware nimmt er diesen 500-Euro-Schein heimlich wieder mit.

 

  • Der 500-Euro-Schein ist eine fremde Sache, da die schuldvertragliche Vereinbarung über den Ankauf von Drogen zwar verboten, sittenwidrig und damit nichtig (§§ 138, 134 BGB), das dingliche Erfüllungsgeschäft als wertfreie Übereignung von F an D aber wirksam war. ( Abstraktionsprinzip)

 

Fall 9:  T hatte ein Auto für eine Spritztour mit Emma entwendet und im Wald stehen lassen. Am nächsten Tag kommt er zum Auto zurück und entnimmt ihm das Reserverad.

 

  • T ist wegen Diebstahls am Auto und Unterschlagung am Reserverad strafbar.

 

Fall 10:  Ein Soldat nimmt seinem Kameraden dessen ABC-Schutzmaske weg, um diese als Ersatz für die von ihm empfangene, aber bei einem Manöver abhanden gekommene Maske bei der Ausmusterung auf der Kleiderkammer abzugeben.

 

  • Keine Zueignungsabsicht, da die Eigentümerin Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der weggenommenen ABC-Schutzmaske nicht enteignet werden sollte. Der Schadenersatzanspruch, der abgewendet werden soll, ist nicht der Sachwert der weggenommenen Maske. Aber: Es liegt Betrug gem. § 263 StGB vor.

 

Fall 11:  A lockt den Schoßhund der Witwe Bolte zu sich, um ihn als „ehrlicher Finder“ der Witwe zurückzubringen, nachdem diese, wie erwartet, eine fürstliche Belohnung für die Wiederbeschaffung ausgesetzt hat.

 

  • Keine Zueignungsabsicht, da kein Enteignungswille, denn die Belohnung ist nicht der im Hund verkörperte Sachwert. Auch hier liegt Betrug im Sinne des § 263 StGB vor.

 

Fall 12:  T entwendet einen Porsche, um damit die „Rallye Africana“ zu fahren und danach dem Eigentümer den Wagen zurückzugeben.

Zueignungsabsicht vorhanden und kein bloßer Gebrauchsdiebstahl, da der Porsche vor Rückgabe in einer Weise gebraucht werden sollte, die zur Funktionsuntauglichkeit des Wagens führt. Die Aneignung liegt immer im Gebrauch – die Enteignung darin, dass dem Eigentümer der wirtschaftliche Wert auf Dauer entzogen wird.

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