Das Erinnerungsvermögen ist ein sehr wichtiges Kapital des Jurastudenten. Der Kampf im Jura ist immer gleichzeitig ein Kampf ums Speichern von „Etwas“ und damit ein Kampf gegen das Vergessen und für das Erinnerungsvermögen. Zur effektiven Speicherung von juristischen Informationen haben Sie als Student neben Ihren externen Speichern der Gesetzestexte im „Schönfelder“, in Büchern, Kommentaren und Mitschriften – wie jeder andere Organismus auch – zwei interne Informationsspeicher, nämlich Ihr Genom und Ihr Gedächtnis. 

Da juristische Kenntnisse und Fähigkeiten beim Menschen nun einmal nicht vererbt werden, muss das juristischen Wissen und das könnerhafte Schreiben von Klausuren und Hausarbeiten in jedem Studentenleben neu erworben, das heißt gelernt werden. Jurastudenten sind Gedankensammler! Schon das „Lesen“, diese Uraktivität des Studenten, ist eine Art Sammeln. Beide Wörter, „Lesen“ und „Sammeln“ bedeuten ursprünglich ohnehin dasselbe, nämlich das Heraussortieren von Dingen, die es wert sind, aufbewahrt zu werden. Noch heute wird von der „Weinlese“ gesprochen. Und eine Art juristischer Weinlese ist auch das Sammeln der Gedanken eines Lehrbuches oder einer Vorlesung, die es wert sind, als geistige Früchte in seinem Gedächtnis aufbewahrt zu werden.

Für den Studenten gibt es im Laufe des Jurastudiums zwei Arten von Gedankensammlungen:

Seit langer Zeit genießen die Gedanken der ersten Sorte ein besonders hohes Prestige. Leonardo da Vincis kühnem Satz, der die Rechtfertigung für alles freie Denken enthält, kann man sich hörbar seufzend nur anschließen: „Wer im Streite der (juristischen) Meinungen sich auf die (juristische) Autorität beruft, der arbeitet mit seinem Gedächtnis anstatt mit seinem Verstand.“ Für einen jungen Jurastudenten ist es aber entgegen dem großen Leonardo sehr vernünftig, wenn er zunächst fremde Gedanken von Autoritäten sammelt und diese juristische Gedankenernte als Jurawissen in die Scheuer seines Gedächtnisses einfährt. 

 

Jeder Mensch hat drei Gedächtnisstufen zum Speichern. Bevor eine der wichtigen juristischen Informationen (ein Vertrag kommt zustande durch …; Notwehr setzt voraus …) in Ihrem Langzeitgedächtnis abgespeichert werden kann, trifft sie zunächst auf Ihr Ultrakurzzeitgedächtnis. Dieser Gedächtnisteil hat nur eine einzige Funktion: Er entscheidet darüber, ob die Nachricht für Sie wichtig oder unwichtig ist. Kommt er zu dem Ergebnis „wichtig“, leitet er sie weiter an Ihr Kurzzeitgedächtnis, wo sie erneut abgeprüft wird, bevor sie an den beiden Türstehern vorbei endgültig ins Langzeitgedächtnis gelangt. Kommen Ihre Kurzzeitgedächtnisse als Wächter zu dem Ergebnis „unwichtig“, dann wird die Information gelöscht, sie kommt nicht ins Langzeitgedächtnis. Die Folge ist, dass Sie sich nie mehr an diese vielleicht doch „wichtige“ Nachricht (Vertrag; Notwehr) erinnern können. 

Beide Kurzzeitgedächtnisse müssen von Ihnen nun überwunden werden, wenn Sie beim Lernen des „Zustandekommens eines Vertrages“ oder der „Notwehr“ Erfolg haben wollen. Die Kurzzeitgedächtnisse arbeiten unerbittlich, um als Filter und Barriere Ihr Gehirn vor einer Informationsüberflutung zu schützen. Wenn Sie jede Information, die Sie z.B. als Autofahrer benötigen, um unfallfrei zur Hochschule zu gelangen (Auto von rechts, Auto von links, Ampel auf Rot, Fußgänger von vorn) nicht sofort nach Gebrauch wieder löschen würden, wäre Ihr Gehirn mit einem Ballast nunmehr nutzloser Informationen zugemauert. Sie führen gegen den nächstbesten Baum! Das Löschen und Rausschmeißen haben die Funktion, Ihre begrenzten Speicherkapazitäten wieder freizumachen. Ihr Kurzzeitgedächtnis hat nämlich nur ein sehr begrenztes Fassungsvermögen.

Das so überlebensnotwendige löschende Vergessen ist nun für den lernenden Jurastudenten leider sehr nachteilig. Die beschränkte Aufnahmekapazität der Kurzzeitgedächtnisse drängt nämlich respektlos auch auf das Vergessen des juristisch Gelernten in der „Absicht“, durch das Rausschmeißen der Voraussetzungen des „Zustandekommens eines Vertrages“ oder der „Notwehr“ Platz zu schaffen für die „Anfechtung dieses Vertrages“ oder den „Notstand“. 

Das Kurzzeitgedächtnis braucht nun Zeit, um zu prüfen, ob z.B. die Ausführungen Ihres Dozenten in der Vorlesung wichtig, also weiterleitungswürdig sind, oder ob sie dem Vergessen anheim fallen sollen. Von einer festen und dauerhaften Fixierung im Langzeitgedächtnis kann während dieser Prüfungsphase keine Rede sein. Der Dozent redet ganz einfach am Gedächtnis seiner Studenten vorbei! 

 

Beispiel:  Nehmen wir an, Sie hörten in der Vorlesung das Wort „Vertrag“ (Info von außen) und erinnern sich, dass Sie vor vier Wochen die Voraussetzungen und Strukturen der vertraglichen 6-Säulen-Theorie (im Jurawissensgedächtnis) gelernt und in einer Falllösung schematisiert hatten (Ihr Klausurenprogrammgedächtnis). Die Info von außen trifft also auf Daten von innen! Folgen?

 

Findet das in der Vorlesung gehörte und nunmehr in Ihrem Arbeitsspeicher zur Prüfung liegende externe Datum „Vertrag“ (quasi auf Ihrer Gedächtnishand) innere Daten, mit denen es sich koppeln kann, so wird es durch den Bestand der langfristigen Erinnerungen aktualisiert. Eselsbrücke für Sie: „Man hört nur, was man weiß!“

All das müssen Sie für Ihr Juralernen weiter nutzbar machen durch das assoziative Lernen. Doch zuvor noch ein kleines Beispiel für die Selektion Ihres Kurzzeitgedächtnisses.

 

Beispiel:  Schauen Sie jetzt bitte nicht auf Ihren „Schönfelderdeckel“ und beantworten nur die Frage: Was steht auf dem Einbanddeckel? Haben Sie Schwierigkeiten mit der Beantwortung der Frage, obwohl Sie schon hundertmal darauf geschaut haben? Inzwischen haben Sie sicherlich nachgeschaut, wie der Einbanddeckel gestaltet ist. Noch eine Frage – wieder ohne hinzuschauen: Wie viele Farben prangen auf dem Umschlag? Möglicherweise haben Sie bei dem Blick nach der Beschriftung die Farben des Einbanddeckels nicht registriert. „Sie bemerken nur, was Sie aktuell interessiert“. Ja! Gnadenlos, dieses UKZG!!

 

Man kann viel dafür tun, dass das Kurzzeitgedächtnis nichts Wichtiges wegfiltert und nicht blockiert, dass die Barrieren vor dem Langzeitgedächtnis überwunden werden, der Arbeitsspeicher ordnungsgemäß weiterleitet, Ihre Gedächtniszeitspeicher als Team optimal zusammenspielen und wichtige Informationen nicht dem ewigen Vergessen anheim fallen. Der Kampf um das Lernen ist immer ein Kampf gegen das Vergessen und für das richtige Lernen des juristischen Lernens. ( Lernen des juristischen Lernens Baumdiagramm)

In Ihr Gedächtnis führen zwei Eingänge für das juristische Lernen. Die Lerntheoretiker unterscheiden zwischen den Lernkanälen Hören und Sehen. Sie lernen also über die Sinne „Ohr“ (= Vorlesung) und „Auge“ (= Lehrbuch) nach gehörten oder gelesenen Worten und Bildern. Die weiteren drei Sinne Fühlen, Riechen und Schmecken spielen nur atmosphärische Helferrollen beim Lernen, der „sechste“ Sinn hilft manchmal vor der Klausur als der berühmte „richtige Riecher“ ihres Inhalts. Ihr Ziel muss es nunmehr sein, das, was Sie an Informationen über Ihr „Vorlesungs-Ohr“ und Ihr „Lehrbuch-Auge“ aufnehmen, so schnell wie möglich in Ihr Gedächtnis zu transportieren und in Ihrem „Jura-Langzeitgedächtnis“ so dauerhaft wie möglich derart zu verankern, dass es Ihnen im entscheidenden Moment der Klausur jederzeit einsprungbereit und abrufbar zur Verfügung steht. „Fix“ und „fertig“ muss Jura in Ihr Gedächtnis! Trotz Computerdateien und Computerdokumentationen gibt es Situationen, in denen juristische Informationen zu einem Zeitpunkt abgerufen werden müssen, zu dem eben keine Möglichkeit externer Speicherabrufung nutzbar zur Verfügung steht, für Sie als Jurastudent die naheliegendsten: Klausur und Examen! Hier müssen Sie sich ausschließlich auf Ihr Gedächtnis verlassen – Ihren internen Jura-Speicher. Wissen „so mir nichts dir nichts“ abzurufen per Mouseclick aus externem Speicher wäre zwar schön, aber klappt in der Klausur eben nicht, da Sie keine Kommentare benutzen dürfen.