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Vorlesung

Viele Studenten klagen: „Eine von allen Studenten gemachte schlechte Lehr- und Lernerfahrung ist die häufig am Ohr vorbeirauschende Vorlesung.“ „Die Bedeutung der meisten Anfängervorlesungen ist, dass sie für die Studenten keine Bedeutung haben.“ „Katastrophale Vorlesung“, „Chaos“, „Verlorene Zeit“, „Da liest man besser gleich das Lehrbuch“. – Wirklich? Das sollte nicht so sein! Die Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden wird leider von altersher von zwei scheinbar unumstößlichen Glaubensbekenntnissen zusammengehalten. Dozenten glauben: Studenten sind dumm, die Studenten glauben: Dozenten halten schlechte Vorlesungen. Beide Glaubensbekenntnisse beruhen aber auf unausrottbaren Vorurteilen.

Natürlich ist die Vorlesung keine Plauderei, aber sie muss auch kein Grabgesang sein. Auch ist es eine Fehlannahme vieler Dozenten, dass Gedanken umso gescheiter sind, je umständlicher sie formuliert sind. „How does law work“ und nicht nur „What is law“ müsste mehr unterrichtet werden. (Anm.: Das haben übrigens die Repetitoren erkannt!)

Man sollte sich an den juristischen Fakultäten eingestehen, dass so manche juristische Vorlesung im Vorlesungsverzeichnis des ersten Semesters Sirenengesängen gleicht und es leider nicht genügend Mastbäume gibt, die Jurastudenten daran festzubinden. Auch sollte man sich eingestehen, dass die ständig für die „Güte“ der Vorlesungen ins Feld geführte Überfüllung der Anfängervorlesungen auf Unwissenheit der Studenten über deren Nutzen beruht und ihrer vermeintlichen Erwartung, etwasvom Prof“ über die Klausur zu erfahren. Fast immer eine Fehlannahme. Im Regelfall kann man sich darauf verlassen, dass alles, was der Professor in der Vorlesung sagt, schon irgendwo gedruckt steht. Deshalb ist im Grunde die traditionelle Vorlesung seit Gutenbergs Erfindung der Buchdruckkunst im Jahre 1465 eigentlich überflüssig. Bevor Bücher gedruckt werden konnten, musste sich jeder Student durch die Mitschrift der Lesung, bei der der Professor sein Buch „vorlas“, sein eigenes Lehrbuch erstellen. Wer ein Buch besitzen wollte, musste sich selbst eines schreiben. Die Zeiten sind längst vorbei – man muss kein neues Lehrbuch anhand der Vorlesung mehr erstellen.

Und dennoch ist es in der juristischen Vorlesung leider auch heute oftmals noch so, dass die Bücher des Professors durch zwei Köpfe hindurch zu Büchern des Studenten werden. Vom Manuskript des „Vorlesers“ führt der Weg durch den ablesenden Dozentenkopf  hin zum rezeptiven Studentenkopf, dann aufgeschrieben in Ringbüchern oder neuerdings auch Tablets. Die Vorlesung muss mehr bringen als ein Lehrbuch! Das tut sie aber nur dann, wenn man die Vorlesung nicht gedankenverloren, zur Passivität verdammt, sondern aktiv beteiligt besucht, wenn man die Passivität zur Aktivität ummünzt. Nur lieb lächeln, wenn man nichts versteht, ist nicht die effektivste Nutzung der Vorlesung. Aufmerksames Zuhören kann aktivere Arbeit sein als aktives Reden. Bienenfleißiges Mitpinnen, Ungeordnetes in den Laptop hämmern oder umtriebig Notizen anfertigen sind eben keine Aktivitäten, sondern Scheinaktivitäten. Vorlesungen bringen den Effekt einer wirkungslosen Zuckerpille, eines Placebos, wenn man sie nicht für sich optimiert. Und schlimmer: Ein diffuses Gefühl des Nichtverstehens und eine daraus resultierende Angst bleiben meist zurück. Wie ein leichter Kopfschmerz ist es immer da, wenn man nur zuhört und wenig versteht. Wäre das Ganze ein Comicstrip, erschienen über den Köpfen der meisten Studenten große Fragezeichen. Das Studentenfeindlichste kann man in dem Anfängersemester schnell lokalisieren: Die Feindaufklärung entdeckt die Vorlesung. Kein Jurastudent braucht eine Anfängervorlesung, die kein Abiturient versteht, die nur als das „Vorlesen“ eines Manuskripts oder als das „Herunterbeten“ eines zum x-ten Male gehaltenen Frontalvortrages daherkommt.

Klar! Die besten Vorlesungen sind die, bei denen jeder ➞  Jurastudent glaubt, er hätte sie auch selbst halten können. Sternstunden für jeden – aber kaum zu finden. Zu finden sind eher weniger gelungene Vorlesungen: Didaktische und rhetorische Autodidakten tragen im Vor-Lese-Stil vor, im Wesentlichen resistent gegen moderne Kenntnisse über Lehren und Lernen, in der Eindimensionalität des Lernkanals Ohr („Hörsaal“!!). Sie werden im ersten Semester vor einer großen Masse von Studenten in Großhörsälen abgehalten, ohne Interaktionen, sind abstrakt, meist hoch komplex, mit Details überfrachtet, die von Studenten nicht eingeordnet werden können.

 

Dennoch erfasst komischerweise gerade die juristischen Studienbeginner ein lemminghafter Drang, in diese Art der Lehrveranstaltung zu rennen. Sie stürzen sich mit blindem Enthusiasmus über die Anfängervorlesungsklippen! Warum die Jurastudenten so kritiklos rennen? – Es scheint an dem Glauben an die „Hypothese vom anscheinend Wahren“ zu liegen. Diese enthält die Erwartung, dass ähnliche Ereignisse unter ähnlichen Bedingungen wiederkehren würden, sich daher wiedererwarten und vorhersehen ließen. Der Jurastudent kennt auf seinem bisherigen Ausbildungsweg die Schule mit den dazugehörigen Lehrern und erwartet, dass sich – da er ja immerhin in diesem „Lernsystem Schule“ erfolgreich sein Abitur bestanden hat – ein ähnlicher Erfolg im „Lernsystem Hochschule“ wiederholen werde. Er schließt bei seiner Metamorphose vom Schüler zum Jurastudenten von der sich bestätigt habenden Prognose „In diesem Gymnasium habe ich bei dem Lehrangebot ‚Unterricht’ mit diesen Lehrern mein Abitur gemacht“ auf die Wahrscheinlichkeit der Folgeprognose „In dieser Hochschule mache ich bei dem Lehrangebot ‚Vorlesung’ mit diesen ➞ Professoren und Dozenten meinen juristischen Abschluss.“ Man sei gewarnt: Wer sich am Anfang nur auf die Vorlesung verlässt, ist verlassen! Die Vorlesung ist nur 10 % der Antwort auf das Jurastarterproblem.

 

Die Verantwortung in der Vorlesung für das richtige Lernen ruht nämlich nicht einseitig auf den Professorenschultern, sondern liegt auch bei Ihnen. Diese Verantwortung kann Ihnen niemand abnehmen. Zum Lernen in der Vorlesung gehören eben immer zwei: der Dozent, der die Information liefert und der Student, der sich aktiv einschaltet und aus den Informationen für sich persönlich seine eigene Erfahrung und Erkenntnis ableitet, der seine eigenen, selbstgesteuerten Lernpfade pilgert. Betrachten Sie die Vorlesung als eine „Zeitgenossenschaft“ mit Ihrem Professor. Ohne diese Umsetzung von fremdgesteuerter Vorlesung in selbstgesteuerte juristische Erfahrungs- und Wissensbildung ist die Vorlesung für die Katz! Das eigentliche Lernen findet in Ihnen statt. Sie leisten immer die Hauptarbeit. Der Professor sollte allerdings für die notwendigen systematischen Verknüpfungen und Einbettungen sorgen, so dass Sie den neuen Stoff unschwer in Ihr bestehendes Wissensnetz einweben können. Tut er das nicht, müssen Sie es aktiv selber tun! (➞ Assoziatives Lernen  Systematisierung Lernen des juristischen Lernens)

Eine systematische Einführung in die Kunst der Optimierung einer Vorlesung wird im Anfang der juristischen Ausbildung leider nicht geliefert. Sie rauschen an den Studenten im Regelfall unverstanden vorbei. So einfach, so schlimm, so bekannt!

 

Das Paradestück unserer Ausbildung an den juristischen Fakultäten ist die sog. „Große Vorlesung“, eine Massenveranstaltung in den Kernbereichen der Rechtsordnung. Diesem Wahnsinnswissen, was in diesen Veranstaltungen auf die armen Erstsemest(l)er zuströmt, ist kein Student gewachsen, im Übrigen auch kein Dozent.

Der Student kann in den ersten Vorlesungen außer ungeordneten und unverstandenen Wissensdaten nichts erfassen. Das einfachste juristische Vokabular fehlt ihm und sein rechtswissenschaftliches Niveau ist nahezu Null. Diese „Große Vorlesung“ ist ein Kardinalhindernis auf dem Weg einer guten Juraausbildung, denn sie verschwendet wertvolle Ressourcen aufseiten der Hochschullehrer, der Steuerzahler und besonders der Studenten, denn viele von ihnen gehen der Juristerei gleich hier verloren.

 

Wie sollte die „große Vorlesung“ sein? – Und was ist die „Große Vorlesung“ genau?

  • Praxisnah! Ist sie nicht. Zu theoretisch und abstrakt.
  • Klausurorientiert! Ist sie nicht. Allenfalls strukturlose Kleinst-Fällchen zur Illustration ohne harte Subsumtionsarbeit.
  • Wissenschaftlich ist sie nicht. Es wird im Wesentlichen reiner Pflichtstoff gelesen, ohne Lehre und Forschung zu verbinden.
  • Didaktisch! Ist sie nicht. Bei der Masse von Stoff und Studenten und der mangelhaften diesbezüglichen rechtsdidaktischen Bildung der Dozenten auch unmöglich.
  • Leidenschaftlich! Ist sie nicht. Weil von einem Professor, der zum siebten, achten oder neunten Mal seine Vorlesung „liest“, keine Leidenschaft mehr zu erwarten ist.

Was ist sie dann? – Eigentlich überflüssig in dieser Form!! Wie gesagt: Manche Vorlesungen werden so zu leeren und gespenstigen Abstraktionen, da oft der genaue emotionale und geistige Zugriff auf die leibhaftige Zielgruppe der Erstsemestler fehlt.

Strukturkonserative Hochschullehrer sträuben sich gegen Reformen dieser Form der Vorlesungen, weil sie dann nicht mehr wie bisher in bequemer Art (BGB AT zum x-ten Male „gelesen“) und den Studenten gegenüber in rücksichtsloser Weise ihre „Lehrverpflichtung“ abspulen können. (Anm.: Viele betrachten die Lehre in der Tat als „Pflicht“ und nicht als „Recht“.)

 

Und dennoch kann ich Ihnen nur empfehlen: Betrachten Sie die Vorlesung als eine „Zeitgenossenschaft“ mit Ihrem Professor. Sie kommen nicht um sie herum. Allerdings: Ohne eine von mir nunmehr anempfohlene Umsetzung von fremdgesteuerter Vorlesung in selbstgesteuerte juristische Erfahrungs- und Wissensbildung ist die Vorlesung für die Katz! Das eigentliche Lernen findet immer in Ihnen statt. Sie leisten immer die Hauptarbeit. Der Professor sollte allerdings für die notwendigen systematischen Verknüpfungen und Einbettungen sorgen, so dass Sie den neuen Stoff unschwer in Ihr bestehendes Wissensnetz einweben können. Tut er das nicht, müssen Sie es aktiv selber tun!

 

Was also tun in der Vorlesung? – „Etwas tun!“ – Vielleicht der wichtigste Grundsatz für einen erfolgreichen Vorlesungsstart! Begnügen Sie sich nicht mit der Rolle des passiven Zuhörers, sondern bringen Sie sich aktiv in die Vorlesung ein. Das rein passive Zuhören in Ihren Vorlesungen ist die ineffektivste Art, Jura zu studieren. Vordergründig ist so ein Verhalten zwar bequem, für beide Seiten des Katheders, weder der Dozent noch der Student werden gefordert. Aber für Sie ist es reine Zeitverschwendung!

 

Versuchen Sie den Gewinn aus den Vorlesungen für sich zu optimieren! – Alles ist schwer, bevor es leicht wird! Wer mitmachen will, findet Wege zur Vorlesungsoptimierung, wer nicht will, findet Gründe, sie nicht mitzugehen. 400 Studenten im Hörsaal? – Schlimm, aber wichtiger als solche für Sie nicht änderbare Oberflächenmerkmale ist es, wie ausdauernd und, vor allem, wie intensiv und aufmerksam Sie Ihrer Vorlesung folgen und wie ernst Sie die folgenden Vorschläge nehmen.

 

Hier die 15 wichtigen Vorschläge zu Ihrer aktiven Vorlesungsoptimierung. Ich verspreche Ihnen: Sie werden nie mehr Nichts verstehen!

  1. Bemühen Sie sich von Beginn der Vorlesung an um die Frage, die Ihnen der Dozent konkret beantworten soll.

 

Sie müssen von Anfang an die Probleme deutlich vor Augen sehen, um deren Lösung in der Vorlesung gerungen wird. Sie müssen wissen, wohin die Reise gehen wird, sonst kommt das Thema in Ihrer Kurzzeitgedächtnis-Erkenntniswelt gar nicht erst an; die Kurzzeitgedächtnisse arbeiten brutal. (➞ Gedächtnis) Wenn Sie nach einer Vorlesung auf die Frage Ihrer schwänzenden Kollegen „Worüber hat der Professor denn heute geredet?“ verdrießlich antworten müssen: „Das hat er gar nicht gesagt!“, ist die Vorlesung eine Fahrt ins Blaue gewesen – vertane Zeit. Sie wussten gar nicht, wohin Ihr Professor unterwegs war. Deshalb müssen Sie die Vorlesung optimieren! Eine Vorlesung ist nur mit Vor- und Nachbereitung fruchtbar, sonst sitzt man nur Zeit ab. Sie müssen eine Reiseroute haben!

 

  1. In Vorlesungen ist das einfachste Mittel für Ihr aktives Lernen das Mitschreiben. Das sollten Sie aber sinnvoll tun: nicht Satz für Satz, sondern strukturiert.

 

Jetzt denken Sie bitte nicht: Der ist ja aus der Zeit gefallen! Ich habe schon mitbekommen, dass es still geworden ist in manchem Hörsaal, nur das leise Tippen auf dem Laptop oder dem Tablet ist zu hören. Zwischendurch rascheln ein paar Blätter bei den wenigen Studenten, die sich noch mit einem Stift Notizen machen. Tastatur schlägt Stift? – Schlägt Zeitgeist den praktischen Nutzen? Nein! Solange es noch Stift und Papier gibt, sollten Sie Ihre Vorlesungsmitschriftbögen (s.u.) ausdrucken und vollschreiben. Schließlich ist Ihre Handschrift viel persönlicher als ein eingetippter Text, ein Stück Ihrer selbst, und zweitens können Sie Ihre Notizen besser sortieren, leichter Ergänzungen an den richtigen Stellen machen, mit schnell gezogenen Strichen, Markierungen und Pfeilen Ihre Gedanken ordnen. Deshalb: Bleiben Sie beim Mitschreiben und nicht beim Mittippen.

Wenn Sie viel mitschreiben, tragen Sie viel Papier nach Hause. Sie haben das Gefühl, etwas geleistet zu haben. Es ist ja so verführerisch, Seite um Seite vollzukritzeln und sich zu belügen: „Zu Hause, zu Hause – da werde ich alles lernen“. Man tut es nicht! Die studentische Weisheit: „Pinn ich – dann bin ich“ taugt für Sie nicht. Die Vorlesung ist kein passives Rumhocken und kein simples unstrukturiertes Festhalten der gesprochenen Sätze des Dozenten. Nicht sammeln, stapeln und abheften heißt die Devise, sondern gewichten, wägen, sortieren und zuordnen. Es will geduldig geübt werden. Lernen besteht nicht nur aus Neugierde! Es verlangt auch Ausdauer, Übung und handfeste Arbeit! Da ist Routine notwendig, Rhythmisierung unvermeidbar und hilfreich! Alle Menschen haben eine Vorliebe für Rituale, sie verleihen ihnen Sicherheit. Die wiederkehrende, festgelegte Ordnung Ihrer Mitschriften ist ein solches Ritual. Es hilft Ihnen, sich zurechtzufinden. Auf die räumliche Ordnung Ihrer Aufzeichnungen müssen Sie sich verlassen können, soll Ihre juristische Anfängerwelt nicht ins Wanken geraten. Haben Sie die Vorlesungsinfos irgendwo extern gespeichert, ohne sie wiederzufinden, entlasten Sie die Mitschriften überhaupt nicht. Gewöhnen Sie sich deshalb von Anfang an eine einheitliche Mitschrift an, bei der das Datum ebenso seinen festen Platz hat wie der Name des Dozenten und die Überschrift seiner Thematik. Also die Frage, um die es hier und heute konkret geht, um das Ziel, zu dem man unterwegs ist. Bemühen Sie sich, auch wenn es schwer fällt, groß und deutlich zu schreiben. Freilich, nicht jeder hat eine Schönschreibschrift, aber das ist auch gar nicht nötig. Zumindest jedoch müssen Ihre Aufzeichnungen für Sie ohne Lupe lesbar sein, damit Ihre Schrift Ihnen nicht selber Rätsel aufgibt. Anderenfalls können Sie das hektische Mitschreiben gleich ganz sein las-sen. Weiterhin müssen Sie die Notizzettelmethode aufgeben und für jede Vorlesungsreihe einen gesonderten Sammelordner anlegen. Unübersichtliche Zettelwirtschaft und Mitschriften auf dem nächstbesten Papier sind nutzlos. Derartige Notizen haben die Eigenschaft, sich zu verflüchtigen, denn oft sind sie spurlos verschwunden. Und sollten sie zufällig doch wieder auftauchen, kann man sich überhaupt nicht mehr daran erinnern, in welchen Zusammenhang sie gehören. Damit Ihnen das nicht passiert, probieren Sie doch einmal folgende Methode aus: Fertigen Sie sich nach eigenem Gutdünken Spezialbögen an, auf denen Sie mit System und Pfiff ein Gerüst zu dem besprochenen Stoff aufbauen. Gut notiert ist halb gelernt! Das hat nach einer gewissen Eingewöhnungsphase drei ganz wichtige, unschätzbare Vorteile, nämlich

 

  • erstens, dass Sie besser mitdenken können,
  • zweitens, dass Sie in Ihrem Kopf ein immer gleiches Abbild schaffen, und
  • drittens, dass Ihnen dieses Gerüst beim Nacharbeiten zu Hause wertvolle Hilfe leistet.

 

Folgende Vorlesungsmitschrift könnte Ihr Vorlesungslernen rhythmisieren:

Die Ziffern  bis ƒ dienen der selbstverständlichen Feststellung: Wer hat wann
über was gesprochen? – Wenn Ihnen zum ersten Mal alle Ihre Zettel bei einer Vollbremsung gänzlich durcheinander geraten sind, wissen Sie, wie wichtig Ziffer ist. Ziffer ist nicht ohne Probleme: Jede Vorlesung weist eine innere Struktur auf; diese gilt es zu finden, auch wenn es manchmal sehr schwer fällt! Gelingt es Ihnen nicht, den roten Faden in der Vorlesung zu entdecken, müssen Sie ihn in der Nacharbeit suchen. Orientieren Sie sich dabei an der Gesetzessystematik, an den Paragraphen und an Tatbestandsmerkmalen. Gleichzeitig zwingen Sie sich dabei, Ihre Notizen auch wirklich anzuschauen, wodurch Sie sich eine bestmögliche Wiederholung sichern. Diese Kolumne muss zum Inhaltsverzeichnis Ihrer Vorlesung werden! Ihr Motto lautet: Ordnung und Struktur. Auch ist das Gebot der Verknappung ganz wichtig. Denn je mehr Nebensächliches Sie hier festhalten, desto schwerer fällt es Ihnen, die wirklich wichtigen Punkte klar vor dem geistigen Auge zu sehen. In Ziffer müssen die Punkte auf den Punkt gebracht werden!  Ziffer weist das größte Problem auf: Was soll ich mitschreiben? Zunächst gilt: Die Kunst, alle zu langweilen, besteht darin, alles zu sagen. Das gilt für Ihren Professor! Die Kunst, nichts zu begreifen, besteht darin, alles mitzuschreiben. Das gilt für Sie als Studenten! Das liegt ganz einfach daran, dass Sie Ihr Gedächtnis und insgesamt Ihr Gehirn beim wortgetreuen Schreiben total ausschalten und sich zum tumben Stenographen, zum Federhalter Ihres Professors degradieren. Die Wissenschaft hat festgestellt, dass bei der wortprotokollarischen Aufzeichnung 90 % der Wörter für Ihre Erinnerungszwecke unnötig sind. Sie brauchen sie einfach nicht! Die satzförmigen Notizen haben nur zur Folge, dass Sie wertvolle Zeit damit vergeuden:

  • Es ist sinnlos, Wörter niederzupinseln, die keinen Wert für Ihr Langzeitgedächtnis haben!
  • Es ist noch sinnloser, dieselben unnötigen Wörter wiederzusuchen und zu lesen!
  • Es ist absolut sinnlos, ständig mühsam nach denjenigen Wörtern, die Schlüsselfunktionen für Sie haben, im Wirrwarr Ihrer Aufzeichnungen zu fahnden.

Zuviel Mitschreiben verhindert das Mitdenken. Nicht wahllos Wort für Wort, sondern nur Wesentliches ist zu notieren. Diesen Blick für die Scheidung von unwesentlich und wesentlich müssen Sie schulen, Sie brauchen ihn für Ihr gesamtes juristisches Leben. Wer gut unterscheidet, lernt auch gut! Das Stichwort für Ziffer lautet: Inhalt. – Ziffer dient der Sammlung eigener Erkenntnisse und Ergänzungen sowie offen gebliebener Fragen: · Wo steht das besprochene Thema in meinem Begleitlehrbuch? (Skriptum gilt auch!) · Wie ordne ich es in die Gesamtstruktur ein? (➞ SystematisierungBaumdiagramme!) · Was findet sich dazu im Gesetz? (Das ➞ Gesetz ist der Anfang und das Ende der Juristerei!) · Wie ist dieses Gesetz aufgebaut? (Modell ➞ Konditionalprogramm, ➞ Seziertechnik!) · Gelingt mir die einwandfreie ➞ Subsumtion oder komme ich (wo?) ins Stolpern? · Welche ➞ Rechtsprechung gibt es dazu? · Was interessiert mich daran am meisten? · Ist das Thema einer Vertiefung in der ➞ Literatur wert? · Kleiner Übungsfall im Gutachtenstil gefällig?

 

  1. Achten Sie in der Vorlesung auf Gliederungen des Professors!

 

Wenn er sagt: „Die Frage lässt sich in drei Unterpunkte unterteilen“, notieren Sie unter Ziffer … Ihres Mitschriftbogens „1., 2., 3.“ mit genügend großem Abstand und fügen dann die Kernaussagen stichwortartig ein!

  1. Stimmen Sie sich auf die Vorlesung ein, indem Sie den durchzunehmenden Stoff schon einmal grob vorbereiten!

 

Je intensiver Ihre Vorbereitung, desto besser blicken Sie durch. Sie sollten ganz einfach wissen, was in der nächsten Vorlesung auf dem Programm steht und sich im Lehrbuch einarbeiten. Schon sind Sie aktiv! Hauptsache, Sie haben einen roten Faden an der Hand, Sie haben sich motiviert, Sie sind gespannt, empfangsbereit. Wo kommt „er“ her – Wo will „er“ hin.

 

  1. Hören Sie richtig zu! Versuchen Sie von Beginn an, Wesentliches von Unwesentlichem zu trennen!

 

Auch Professoren sagen manchmal Unwesentliches. Konzentrieren Sie sich auf Strukturen – nicht auf schöne Formulierungen. Die Vorlesung muss im Moment verstanden werden – es gibt kein Zurückblättern mehr, nur das Nachblättern zu Hause.

  1. Fragen Sie stets: „Was ist gefragt?“! Und: „Was will er mir damit sagen?“

 

  1. Ihre Vorlesungsmitschrift sollten Sie grundsätzlich noch am selben Tage, spätestens am Folgetage, überdenken, nachbereiten und in Reinschrift übertragen, denn dies bedeutet den notwendigen Wiederholungs- und Einprägeeffekt.

 

Hier haben Sie noch die Chance zu rekonstruieren, in wenigen Tagen ist das Gehörte für immer verloren, weg, ganz einfach weg. (➞ Vergessen) Die Verankerung der Lerninhalte im Langzeitgedächtnis ist eben umso intensiver, je mehr Wahrnehmungskanäle Sie aktivieren. Beschriebene Blätter in Ihrem Ordner nützen gar nichts – der Inhalt muss ins Langzeitgedächtnis. Mitschreiben und in Reinschrift übertragen öffnen bei Ihnen drei Eingangskanäle: Hören, Schreiben und Sehen des Geschriebenen! Mitschreiben – lochen – abheften ist nicht Ihr Stil.

 

  1. Setzen Sie auch in der Vorlesung Baumdiagramme ein! Jedes Gelernte besteht nun einmal aus vorhandenen Kenntnissen und dem neuen, bisher fremden Material.

 

Wichtig ist die Verknüpfung. Übersetzen Sie die komplizierten Strukturen Ihres Professors in Ihre eigene Struktur! (➞ Assoziatives Lernen Baumdiagramm)

  1. Benutzen Sie Kurzzeichen für die Vorlesungsmitschrift!

 

Etwa so: Def. = Definition; Sub. = Subsumtion; Rspr. = Rechtsprechung; h.M. = herrschende Meinung; Prof. = eigene Meinung des Professors; z.B. = Beispielsfall; K = Kernaussage; Up = Unterpunkt; Arg. = Argument; ? = unklar, fraglich; ! = super, leuchtet ein; § = s. im Gesetz nach; P = Problem.

  1. Als äußere Form empfiehlt sich die Loseblattsammlung per Ordner oder Ringbuch.

 

Diesen Tipp müssen Sie mit dem vorgeschlagenen, besonders übersichtlich angelegten Modell einer optimalen Vorlesungsmitschrift paaren. Vorlesungsbogen hinter Vorlesungsbogen heften und nummerieren!

  1. Reihen Sie einmal die jeweils ersten Teile der folgenden Gegensatzpaare aneinander, und Sie werden sehen: Genau so muss Ihre Mitschrift sein – die komplementären Begriffe überlassen Sie den Professoren!

 

Kurze Sätze – lange Schachtelsätze; bekannte Wörter – unbekannte Wendungen, Fremdwörter; Umgangssprache – Gelehrtensprache; Verständlichkeit – Kompliziertheit; Anschaulichkeit – Abstraktheit; Struktur – Zusammenhanglosigkeit, Unübersichtlichkeit; Normalfall – Exot; Gesamtgliederung mit Unterteilungen – Wirrwarr; wesentlich, wichtig – nebensächlich, unwichtige Einzelheiten; Kürze, Prägnanz – Weitschweifigkeit, abirrende Darlegungen; lebensnahe Beispiele – unpersönliche Nüchternheit; erfrischende Passagen – Trockenheit.

  1. Neue Begriffe müssen Sie immer notieren, damit Sie sie zu Hause anhand Ihrer Nachschlagewerke klären können.

 

Gerade in der Anfängervorlesung werden Sie damit überhäuft. (➞ Literatur)

  1. Suchen Sie nach der Struktur in der Vorlesung! Selbst die Vorlesung des schlechtesten Professors muss eine Struktur haben – diese gilt es zu entdecken.

 

Vorlesungen sind manchmal Veranstaltungen, die in der Abstraktion der Begrifflichkeit verharren.

Sie müssen manchmal Detektiv spielen, was konkret gemeint ist. Je intensiver Ihre Suche, desto ertragreicher ist der Besuch der Vorlesung für Sie. Drei Fragen sollten Sie deshalb unbeirrbar von Anfang an in jeder Vorlesung bewegen:

  • Woran knüpft das Thema an?
  • Wohin geht „er“?!

Zu welchem Ziel wird das Thema fortgeführt?

  • Wo steht „er“ jetzt?!

Welchen Platz nehmen die Einzelheiten im Gesamtbild („System“) der juristischen Materie ein?

Die Beantwortung dieser drei Fragen ist wichtig für Sie, damit Sie nicht irgendwo im Nirgendwo auf dem zivilrechtlichen oder strafrechtlichen Vorlesungsozean herumlavieren und verloren gehen. An irgendeinem Punkt steht „der Prof“, von irgendeinem Punkt kommt „der Prof“ und zu irgendeinem Punkt will „der Prof“ hin! Diese Antworten müssen Sie der Vorlesung abtrotzen.

 

  1. Suchen Sie immer wieder das Gesetz auf! Die Nomologie, d.h. die harte Arbeit am Gesetz (gr.: nómos), muss in jedem juristischen Unterricht, in jeder juristischen Vorlesung viel stärker in den Vordergrund treten!

 

In der juristischen Ausbildung geht es überall und immer und immer wieder um die Anwendung, ➞ Auslegung, Erklärung von und den Umgang mit dem Gesetz. Es ist das Zentralgestirn, um das alles andere kreist!

 

  1. Wenn Ihnen etwas unklar ist, haken Sie nach! Haben Sie dabei keine Angst, den Professor zu nerven.

 

Zum einen ist es schließlich sein Job, die Fragen der Studenten zu beantworten, zum anderen sind den Professoren aktiv mitarbeitende Studenten in der Regel lieber als eine passive Zuhörerschaft, bei der der Professor nie weiß, ob er verstanden wurde oder nicht. Ihr Vorteil: Sie lernen von vornherein, über juristische Probleme fachlich und vor Publikum zu kommunizieren, eine entscheidende Schlüsselqualifikation aller (guten) Juristen. Natürlich kostet es am Anfang große Überwindung, in einer Vorlesung mit dutzenden oder gar hunderten von Zuhörern den Finger zu heben und etwas zu fragen. Man will sich nicht vor den Kommilitonen blamieren! Häufig wird es aber so sein, dass der Punkt, den Sie gerade ansprechen, auch vielen anderen im Saal unklar war, die sich jedoch nicht zu fragen trauen. Es gilt: Die scheinbar einfachsten Fragen sind häufig die besten! Also: Keine Angst vor Fragen! Vorlesungen, die keine Gelegenheit für Rückfragen bieten oder in denen Sie vom Professor deshalb unhöflich behandelt werden, sollten Sie ohnehin meiden.

  1. Eine Vorlesung ist nur mit Nachbereitung fruchtbar, sonst sitzt man nur Zeit ab.

 

Der schnellen Denkwelt des juristischen Hörsaals müssen Sie mit Hilfe Ihres Mitschriftbogens die langsamere Denkwelt Ihrer Studierstube entgegensetzen, welche durch ihre Langsamkeit die Schnelligkeit kompensiert. Inhalte, die unmittelbar im Begriff sind, Ihre Kurzzeitspeicher wieder zu verlassen, können nur so im Langzeitgedächtnis verdrahtet werden. Arbeiten Sie die Vorlesungen nach, ganz wichtiger Tipp!

  1. Abschließende Frage: „Wie kann ich meine bisherigen hinderlichen Vorlesungsgewohnheiten abbauen und mich an die neuen Vorschläge heranwagen?“

 

Sagen Sie sich ganz einfach:

  • „Ich probiere das mit den Vorlesungsmitschriftbogen jetzt einmal zwei Wochen lang aus! Mal sehen, wie das ist!“ · „Ich versuche, in jeder Vorlesung die ihr eingeborene Gliederung und Struktur zu erkennen – und mag sie noch so versteckt sein!“ · „Ich orientiere mich an den 3 Fragen: Woher kommt ‚er‘, wo steht ‚er‘, wohin geht ‚er‘ anhand meines aufgelisteten kartographischen Erfassungsmittels!“ · „Ich bereite mich mal eine halbe Stunde vor und arbeite mal eine Stunde nach. Zeit hätte ich ja!“

 

  1. Ein letzter Tipp: Quälen Sie sich nie durch Vorlesungen, die Sie überhaupt nicht verstehen. Sie behalten einfach nichts. Reine Zeiträuber! Gehen Sie aus dem Hörsaal! Das allein ist die richtige Tat.

 

Vorlesungsplan für das 1. Semester

(➞ Rechtsgebiete im Grundstudium)

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