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Gutachten – die Methodik der Fallbearbeitung

Sie müssen begreifen, dass alles keine Zauberei und kein kunterbuntes Paragraphengewimmel in „Recht und Gesetz“ ist, sondern dass immer (fast immer) Systematisierung und Methode dahinter stecken. Möglichst schnell sollten Sie sich ein nach Methodik strebendes juristisches Denken angewöhnen. ( Gutachten Subsumtion und Gutachten) Das kann man lernen! Die systematische Methodik der Juristerei nimmt wie jede andere wissenschaftliche Methode auch das Merkmal der Allgemeingültigkeit für sich in Anspruch. So wie es in den Naturwissenschaften Grundgesetze gibt, so gibt es auch Allgemeingeltendes für den Umgang mit Gesetzen, so verschieden der Zusammenprall von Gesetz und Sachverhalt im BGB, StGB oder Staats- und Verfassungsrecht auch nach Zeit und Ort und Inhalt sein mag. Auch dort, wo die Gesetze auf moderne individuelle Menschen und moderne Gesellschaften mit ihren soziologisch unterschiedlichsten Gruppen treffen, begeben sich die Systematik und Methodik auch in der Juristerei nicht ihres Anspruchs auf Allgemeingültigkeit. Dieser Anspruch hat den Sinn, dass unter gleichen Verhältnissen überall das Gleiche gilt.

Das Klausurergebnis ist dann ein Erkenntnisurteil – fast nach Maßgabe der exakten Naturwissenschaften -, wenn die juristischen Methoden des Gutachtens auf das juristische Wissen bei einem unstreitigen Sachverhalt exakt angewendet werden. Die Juristen können alle „Fälle“ mit ein und derselben Methode behandeln, der Einheitsmethode des Gutachtens! Überall, wo eine juristische Lösung gesucht wird, ist es das Gutachten, das da mitsucht. Das Gutachten ist ein juristisches Betriebsgeheimnis! 

 

Die juristische Gutachten-Methodik ist die Summe der Folgerungen und Denktätigkeiten, welche dem juristischen Arbeiten seine Richtigkeit sichert. Es ist das Handwerk, nach dem die Juristen mit der Unzahl von Gesetzen und Fällen durch nur eine Methode fertig werden. 

 

Diese durchzieht wie ein goldener Faden die Juristerei, ist der treue Begleiter bis zum Examen und behauptet sich immer wieder aufs Neue gegen die Vielheit der Gesetze und Fälle. Sie verleiht das gleichmäßige und damit gerechte Vollziehen und die logische Richtung der Denkbewegungen um Gesetz, Sachverhalt und fallbezogene Subsumtion. Das Gutachten liefert das Präzisionsinstrument zur Fallbearbeitung und die Präsentationsform der Darstellung. Es verbürgt damit insgesamt den Erfolg einer Klausur.  

 

In der Juristerei hat man es immer mit zwei gegeneinander in Stellung gebrachten Denkgegen-ständen und einer Denkoperation zu tun, nämlich: 

 

  • Denkgegenstand 1: das Gesetz, eingebunden in das Rechtssystem
  • Denkgegenstand 2: der Sachverhalt, eingebunden in das Alltagsleben.

Bei dieser Frontstellung von Denkgegen-stand 1 „Gesetz“ und Denkgegenstand 2 „Sachverhalt“ bleibt es bei den Juristen aber nicht stehen. Das wichtigste Betätigungsfeld für einen Juristen ist das Auflösen dieser Frontstellung, die versöhnende Passung der zwei Denkgegenstände „Gesetz“ und „Sachverhalt“ durch eine

Denkoperation: die sog. Subsumtion

Das ist das Fremdwort für das operative Zurdeckungbringen beider Denkgegenstände. Oder: die Unterordnung eines Sachverhaltes unter eine Rechtsnorm.

 

Gutachten und Subsumtion gehören als wichtigste Teile zur juristischen DNA. Jura braucht den Fall, das Gesetz und das „Deckungsverfahren“ der Subsumtion! Der Fall war und ist der entscheidende Auslöser für Gesetz und Subsumtion in Studium und Praxis. Die Fälle stammen aus dem Leben der Menschen, die Gesetze aus der Hand des Gesetzgebers. Da die Kombinationskunst des Lebens unerschöpflich ist, ist auch die Kombinationskunst der Gesetze und sind auch die Operationen der Subsumtion unerschöpflich. Wegen der „ewig neuen Fälle“ ist ja auch die Schaffung eines „ewigen Rechts“ unmöglich. Die unzähligen Fälle sind gesetzlich nicht zu fassen, weder durch die reichste konkrete Kasuistik noch durch die abstrakteste sprachliche Verdichtung. Jeder Fall ist eben anders! Aber: die Methode ist immer gleich! Niemals wird in einer Ihrer juristischen Klausuren Wissen nur „abgeladen“, sondern Wissen wird immer „angewendet“. Und das geschieht mit der Methode des Gutachtens.

Eine Klausur besteht aus der Schilderung eines mehr oder weniger langen und mehr oder weniger komplizierten Lebensausschnitts (Schilderung von Geschehnissen = Sachverhalt), an den sich eine Aufgabenstellung (sog. Bearbeitervermerk) anschließt. Um eine solche Klausur gut zu bestehen, sind juristische Kenntnisse zwar notwendig, aber nicht nur. Beherrscht werden müssen auch die gutachtlichen Kenntnisse, die erforderlich sind, um das juristische Wissen auf die erzählte Geschichte – den konkreten Sachverhalt – anwenden zu können. Voraussetzung dafür ist dreierlei:

Im Sachverhalt diejenigen Passagen als Probleme (juristischer Ausdruck für Fragestellungen) zu erkennen, die gezielter rechtlicher Erörterung bedürfen. Man mag die Irrtumsanfechtung in all ihren Facetten beherrschen; wenn man aber nicht erkennt, dass sie konkret in Betracht kommt, bleibt das Wissen über den Irrtum brach liegen.

  • Die erkannten rechtlichen Probleme methodisch sauber unter Zeitdruck in einem Gutachten auf den Sachverhalt anzuwenden.
  • Handwerkliches Können, Form und Stil für die Präsentation des Gutachtens. Die Qualität eines Gutachtens steigt dadurch, dass es gut geschrieben ist. 

 

Schluss: Der Klausurand muss aus dem Sachverhalt diejenigen Anknüpfungstatsachen herausfiltern, die mit der Methode des Gutachtens aufgegriffen werden müssen. 

Der Kern jeder juristischen Arbeit ist das Gutachten! Der Kampf um Qualität ist in der Juristerei immer ein Kampf um das Gutachten. 

 

Gutachtlich zu arbeiten – das heißt, juristisch zu arbeiten!

Den juristischen Gutachtenstil zu beherrschen – das heißt, das juristische Denken zu beherrschen!

Den juristischen Gutachtenstil zu verbessern – das heißt folglich, das juristische Denken zu verbessern! 

Alle Ratschläge für diese gutachtliche juristische „Hebammenkunst“ hören sich in der abstrakten Beschreibung in Lehrbüchern und Vorlesungen immer so himmlisch einfach an, werden aber teuflisch kompliziert, wenn der Student versucht, sie praktisch zu realisieren. 

 

Vergleichen Sie bitte einmal die folgenden vier Holland-Wochenendplanungen der Freundinnen Sabine, Susanne, Sandra und Steffi miteinander!

Sabine:

„Am Wochenende könnte ich nach Holland ans Meer fahren.

Das setzt voraus, dass ich Geld habe, dass ich Zeit habe und dass mein Freund mitfährt.

Mein Freund hat Lust, ich habe Zeit, da meine Klausuren gerade vorüber sind,
aber ich habe kein Geld mehr.

Also kann ich am Wochenende nicht nach Holland ans Meer fahren.“

Susanne:

„Am Wochenende fahre ich nach Holland ans Meer.

Denn mein Freund hat Lust, ich habe Geld und Zeit.“

Sandra:

„Am Wochenende fahre ich nach Holland ans Meer. Basta!“

Sandra:

„Am Wochenende fahre ich nach Holland.“

Freund: „Ich würde ja mitfahren, aber hast du überhaupt Zeit?“

Steffi: „Ja, meine Klausuren sind gerade geschrieben.“

Freund: „Hast du denn auch Geld für eine solche Fahrt?“

Steffi: „Verdammt, nein, ich habe mir ja gerade den neuen Tennisschläger gekauft.“

Freund: „Dann kannst du auch nicht am Wochenende nach Holland fahren!“

Steffi: „Oh, das ist schade!“

 

Alle Vier hatten ein Problem: Sie wollten am Wochenende nach Holland. Dieses Problem musste gelöst werden. Eine Problemlösung hat zwei Elemente:

Sie enthält eine Begründung (Lust/Geld/ Zeit)

Sie führt zu einem Ergebnis (ich fahre / ich fahre nicht)

Dazu gibt es drei Möglichkeiten der Darstellung:

Erstens: Gutachtenstil 

Das Gutachten folgt prinzipiell der Denkform, in der die Lösung erarbeitet wird, d.h. man geht von der Fragestellung aus („Kann ich am Wochenende nach Holland fahren?“) und entwickelt den Gedankengang zum Ergebnis hin. Der Gutachtentechnik liegt eine Funktionsweise juristischer Schlussfolgerungen zugrunde. Es handelt sich 

um die Anwendung allgemeiner Sollens-Sätze 

auf konkrete Lebensausschnitte („Fälle“). 

 

Um aus einem allgemeinen Sollens-Satz (z.B.: „Du sollst bei Unglücksfall Hilfe leisten“) auf einen konkreten Fall (Beispiel 1: „Autocrash“, Beispiel 2: „Ehestreit“) bezogene Folgerungen zu gewinnen („Muss Jupp Schmitz Hilfe leisten?“), hat man sich eines logischen Schlusses bedient, den man seit Aristoteles „Syllogismus“ nennt, weniger klassisch: Deckungsarbeit. Es ist ein handwerkliches (methodisches) Verfahren, mit dem man auf überzeugende Weise Antworten zu allen moralischen und rechtlichen Fragen findet. 

 

Beispiel 1: Muss Jupp bei einem Autounfall Hilfe leisten?

 

Bei Unglücksfällen sollst (musst) Du Hilfe leisten. (Sollens-Satz)

Jupp Schmitz kommt an einem Autounfall vorbei. (Lebensausschnitt)

Ein Autounfall ist ein Unglücksfall. (Deckungsarbeit)

Also soll (muss) Jupp Schmitz Hilfe leisten. (Schlussfolgerung)

 

Beispiel 2: Muss Jupp Schmitz bei Ehestreitereien Hilfe leisten?

 

Bei Unglücksfällen sollst (musst) Du Hilfe leisten. (Sollens-Satz)

Jupp Schmitz kommt an einem Ehestreit vorbei. (Lebensausschnitt)

Ein Ehestreit ist kein Unglücksfall. (Deckungsarbeit)

Also soll (muss) Jupp Schmitz keine Hilfe leisten. (Schlussfolgerung)

 

Die gewonnenen Aussagen sind zwar trivial, das Verfahren dagegen genial! Nach diesem Verfahren läuft der größte Teil juristischer Arbeit ab. 

 

Zurück nach „Holland“! Da zunächst nur die Fragestellung bekannt ist („Kann ich nach Holland fahren?“) und das Ergebnis noch gesucht wird („Ich fahre/ich fahre nicht“), verläuft der Gedankengang so, dass von der Fragestellung ausgegangen und Schritt für Schritt zum Ergebnis hin gefolgert wird. Würde man aufgefordert, dies schriftlich darzustellen, wäre der Leser sehr daran interessiert, die Gedankenfolge so dargelegt zu bekommen, wie sie sich entwickelt hat. Der Leser ist bei dem entwickelnden Denken des gutachtlich arbeitenden Studenten gleichsam „live“ dabei. Dadurch kann er den Gedankengang des „Gutachters“ genau nachvollziehen. Das nennt man „ein Gutachten anfertigen“. Diesem gedanklichen Vorgehen entsprechen gewisse Eigenarten der sprachlichen Formulierung („es könnte“ – „also“), weshalb man vom „Gutachtenstil“ spricht.

 

Das Denken in der Form des Gutachtenstils vollzieht sich in folgenden vier Denkschritten (wir nennen das mal Vier-Takt-Motor):

 

Hypothese

Gutachtliche Zielformulierung: „Es könnte“

Es wird ein bestimmtes, die Fragestellung beantwortendes Ergebnis als möglich hingestellt (hypothetisches Ergebnis).

„Am Wochenende könnte ich nach Holland fahren!“

Aufstellung eines Untersuchungsprogramms

Gutachtliche Strukturierung: „Das setzt voraus“

Es werden nunmehr die Voraussetzungen (sämtliche!) gesucht, bei deren Vorliegen man zu dem vorgeschlagenen Ergebnis (Holland) kommt.

Das setzt voraus, dass mein Freund Lust hat und ich Geld und Zeit habe.“

Subsumtion

Gutachtliche Inszenierung: „Hat mein Freund Lust? Habe ich Geld und Zeit?“

In Ausführung des bekannt gegebenen Untersuchungsprogramms wird jetzt geprüft, ob die Voraussetzungen auch tatsächlich vorliegen. Das Auge wandert hin und her zwischen den einzelnen Voraussetzungen des Untersuchungsprogramms und den tatsächlichen Gegebenheiten. Die Realität spiegelt sich in den Prämissen:

  • „Des Freundes Lust: ja/nein“
  • „Meine Zeit: ja/nein“
  • „Mein Geld: ja/nein“

Gelingt die spiegelnde Entsprechung – gelingt die Subsumtion (positive Subsumtion). Scheitert die Entsprechung – scheitert die Subsumtion (negative Subsumtion).

 

Ergebnis

Gutachtliche Zielkontrolle: „Also ja oder nein“. Der letzte Schritt besteht darin, das Ergebnis der Prüfung, der Subsumtion, festzustellen. Durch das Ergebnis wird die Ausgangshypothese, die Fragestellung, bestätigt (wissenschaftlich: verifiziert) oder widerlegt (wissenschaftlich: falsifiziert).

„Also kann ich nach Holland fahren“ (alle Voraussetzungen passen), oder:

„Also kann ich nicht nach Holland fahren“ (mindestens eine Voraussetzung passt nicht). 

Für den Gutachtenstil ist symptomatisch:

  • Die Hypothese wird mit Wendungen vorgestellt wie:
  • könnte nach Holland fahren
  • möglicherweise fahre ich nach Holland
  • kommt eine Hollandfahrt in Betracht
  • ist zu prüfen, ob ich nach Holland fahre
  • fraglich ist, ob ich nach Holland fahren kann.

Das folgt daraus, dass man es bis zum vierten Denkschritt nur mit einem hypothetischen Ergebnis zu tun hat, ein Umstand, der bei der Formulierung des Gutachtens sprachlich deutlich gemacht werden muss.

Das Ergebnis wird eingeleitet durch:

  • also
  • somit
  • folglich
  •  daraus folgt

Es ist der Schlussstein des Gutachtens.

Zweitens: Urteilsstil 

Im Urteilsstil wird ein feststehendes Ergebnis begründet. Das Ergebnis der Überlegungen wird vorangestellt und die Begründung nachgeliefert, aus der dann hervorgeht, warum das Ergebnis „Ich fahre“ – oder – „Ich fahre nicht“ richtig ist. Beim Urteil fällt die für das Gutachten typische Hypothese (Fragestellung) weg. Stattdessen   wird sogleich das Ergebnis an die Spitze gestellt. Deshalb reichen beim Urteil drei Denkschritte aus (Drei-Takt-Motor):

Mitteilung des Ergebnisses

„Ich fahre am Wochenende nach Holland.“

Benennung der Voraussetzungen, aus denen das Ergebnis hergeleitet wird

„Denn mein Freund hat Lust, ich habe Zeit und Geld.“

Subsumtion unter die Voraussetzungen

∙∙ Zur Lust meines Freundes:

„Denn mein Freund möchte gerne ans Meer und mit mir zusammen sein.“

∙∙ Zum leidigen Geld:

Denn ich habe von meinem Monatswechsel noch 300 Euro übrig.“

∙∙ Zur fraglichen Zeit:

„Denn ich habe die letzte Klausur gerade hinter mich gebracht.“

Für den Urteilsstil ist symptomatisch, dass die Sätze mit „denn“ verbunden sind,
d e n n  es wird ja nur begründet.

 

Drittens: Feststellungsstil 

Eine Feststellung wird lediglich getroffen („Basta“), aber nicht begründet. „Ich fahre am Wochenende nach Holland“

Fertig!

Um beispielsweise festzustellen, dass ein Buch eine „bewegliche Sache“ im Sinne des Diebstahls-tatbestandes des § 242 StGB ist, genügt ein einziger Satz: „Ein Buch ist eine bewegliche Sache (Ein-Takt-Motor) (Basta!). Man darf kein einziges Wort der Begründung hinzufügen. Würden Sie fortfahren: „Es ist nämlich ein körperlicher Gegen-stand, der transportiert werden kann“, würde man Ursache und Wirkung verwechseln. Dass ein Buch eine bewegliche Sache ist, weiß man nicht, weil man den Sachbegriff auslegt, sondern umgekehrt, weil der abstrakte Begriff „bewegliche Sache“ anhand von typischen Dingen wie Buch, Auto, Geldschein, Silberlöffel, Teppich gebildet worden ist. Die Präsentationsform Feststellungsstil („Basta-Stil“) sollte man häufiger verwenden. Es ist eine normale Präsentationsform. Die meisten juristischen Dinge sind nämlich glücklicherweise unproblematisch. Entgegen der landläufigen Meinung gilt das auch für Klausuren

Wenn man eine juristische Arbeit schreibt, muss man imstande sein, die jeweils richtige Auswahl unter diesen drei verschiedenen Präsentationsformen zu treffen:

 

Aber: Das Ergebnis kann natürlich auch beim Urteil und der Feststellung erst dann an die Spitze gestellt werden, wenn die Begründung und das Ergebnis feststehen. Der gedankliche Weg hin zu dem Ergebnis ist nur in der methodischen Denkform des Gutachtens möglich. Jedem Urteil und jeder Feststellung ist deshalb notwendig ein – im Kopf wohl überlegtes – Gutachten vorausgegangen.

Sie wachsen so ganz von alleine allmählich in das „Gutachtenschreiben“ hinein! Sehr schnell werden Sie die Fähigkeit erwerben, zwischen der lediglich festzustellenden Normalität und den Problemen in der Klausur zu unterscheiden und werden imstande sein, Ihre gutachtliche Präsentationsform an die jeweilige Situation anzupassen. 

Klar ist: Der Gutachtenstil ist äußerst aufwendig – Urteils- und Feststellungsstil sind äußerst ökonomisch! Das heißt übersetzt für Klausuren:

  •  Unmittelbar Evidentes, also Offenkundiges, was direkt einleuchtet, ist Nebensache: Also „Basta-Stil“. 
  • Mittelbar Evidentes, was nicht direkt einleuchtet, ist Hauptsache: Also „Gutachtenstil“.

 

Zurück zu Sabine, Susanne, Sandra und Stefanie:

 

  • Sabine ist im Gutachtenstil zu Werke gegangen.
  • Susanne hat den Urteilsstil bevorzugt. 
  • Sandra wandte den Feststellungsstil an.

Stefanie  ist eine Chaotin! Sie hat das Ergebnis vorangestellt (Urteil), ohne zuvor ein gedankliches Gutachten angefertigt zu haben. Wenn sie sich nicht schleunigst um den vorwärtsentwickelnden Gutachtenstil bemüht, wird sie um viel Frust im Leben im Allgemeinen und im juristischen Leben im Besonderen nicht herumkommen. „Erst denken – dann sprechen“, sagt der weise Volksmund und trifft den Nagel auf den juristischen Kopf. Erst das Ergebnis herauszuposaunen, um dann feststellen zu müssen, dass es an allen Ecken und Enden an den Voraussetzungen hapert, ist eine Eselei. (  Subsumtion und Gutachten Gutachten und Subsumtion im BGB)

Was problematisch und was unproblematisch ist, was also im Gutachten- und was im Feststellungsstil darzulegen ist, können Sie als juristischer Anfänger nicht wissen!! Erst der Fortschritt im juristischen Lernen mit seiner einhergehenden Routinisierung und Schulung im Fällelösen und Klausuren-schreiben wird die Fähigkeit bei Ihnen ausbilden, Wesentliches von Unwesentlichem zu scheiden, Probleme, auf die es dem Klausurenersteller ankommt, zu erkennen, Nebensächliches durch den Feststellungsstil als Nebensächliches kenntlich zu machen und Schwerpunkte durch den Einsatz des Gutachtenstils herauszuarbeiten. Auch erscheint es stilistisch zu umständlich, alle vier Denkschritte (große und kleine Gesamt- und Teilgutachten) jeweils deutlich voneinander zu trennen und stets ausdrücklich vorzunehmen. Besonders für den Denkschritt zwei ist es in der Regel ausreichend, auf die gesetzliche Anspruchsgrundlage durch Angabe des Paragraphen hinzuweisen und die einzelnen Tatbestandsmerkmale nicht schülerhaft aufzulisten. Stattdessen wird sogleich subsumiert (dritter Denkschritt).

 

Ein guter Rat: In Ihren Klausuren „sollen“ Sie laut Expertenmeinung nur in diesem Gutachtenstil schreiben. Einer der größten Fehler beim Klausurenschreiben soll angeblich darin bestehen, den verpönten Feststellungsstil zu verwenden. Das stimmt aber so nicht! Wollte man den höchst aufwendigen Gutachtenstil konsequent durchhalten, so bedürfte man nicht 4, sondern 12 Stunden für eine Klausur; man käme nicht mit zwanzig Seiten Klausurentext aus, sondern die Ausarbeitungen würden auf den Umfang eines Epos anschwellen. Allein der Normalfall 1 würde ausformuliert gut und gerne ein Dutzend Seiten füllen. Dass man sein Klausurenwerk dennoch in der gebotenen Zeit und der gebotenen Kürze vollenden kann, liegt an folgendem Trick: Alles, was unproblematisch und fraglos ist, was also kein vernünftiger Mensch in Zweifel ziehen würde, wird als einfache Feststellung geschrieben, so ganz ohne Subsumtion

Das „Gutachtenschreiben“ verführt dazu, den Feststellungsstil zu unterdrücken. Klausuren enthalten zwar immer vier bis sechs Probleme. Aber der überwiegende Teil ist unproblematisch und muss daher als einfache Feststellung im Feststellungsstil präsentiert werden. Feststellungen erfordern nur einen geringen Aufwand. Diese Präsentationsform ist daher zeitlich und räumlich äußerst ökonomisch. Sie erleichtert nicht nur dem Klausuranden das Leben, sondern auch dem Prüfer. Das wird sich in einer guten Benotung auswirken. Die Präsentationsform „Feststellung“ ist freilich ungewohnt. Sie klingt nicht wie der übliche juristische Gebetsruf, und deshalb neigen die Klausuranden dazu, die offenkundigen Feststellungen in ihren Klausuren mit juristisch klingenden Gutachtengarnierungen zu versehen. Hierin liegt die tiefere Ursache dafür, dass die meisten Klausuranden in ihren Klausuren mit der Zeit nicht zurechtkommen. Es ist nicht die Aufgabe des Klausuranden, alles und jedes zu problematisieren und sich damit in Zeit und Raum zu verlieren. Man könnte den „unproblematischen Rest“ auch einfach ganz fallen lassen, bestünde nicht die große Gefahr, die Gesamtstruktur der Klausur aus dem Auge zu verlieren. Die Plastizität, die Prägnanz, die Anschaulichkeit der Klausurendarstellung – mit einem Wort: die Ordnung – ginge verloren. Man benutzt die nackten „Basta-Teile“ lediglich der Vollständigkeit halber als verbindende Zwischenschritte auf dem Weg zu einer geschlossenen, formvollendeten Lösung. Keine Angst: Sie wachsen so ganz von alleine allmählich in das „Gutachtenschreiben“ hinein! Sehr schnell werden Sie die Fähigkeit erwerben, zwischen der lediglich festzustellenden Normalität und den Problemen in der Klausur zu unterscheiden. Klar ist: Der Gut-achtenstil ist äußerst aufwendig – Urteils- und Feststellungsstil sind äußerst ökonomisch! Das heißt übersetzt für Klausuren:

  •  Unmittelbar Evidentes, also Offenkundiges, was direkt einleuchtet, ist Nebensache: Also „Basta-Stil“. 
  • Mittelbar Evidentes, was nicht direkt einleuchtet, ist Hauptsache: Also „Gutachtenstil“.

 

Nehmen wir ein Beispiel: T lässt aus den Autoreifen seines Nachbarn N die Luft heraus. 

 

Niemand hätte den geringsten Zweifel an der „Sachqualität“ und „Fremdheit“ des Autoreifens. Also stellt man lapidar fest: „Bei dem Autoreifen des Nachbarn N handelt es sich um eine für T fremde Sache.“ (Basta!) Jetzt erst wird auf den Gutachtenstil umgeschaltet. Denn das Tatbestandsmerkmal „beschädigen“ ist offensichtlich problembehaftet im Falle der „Entlüftung“ eines Autoreifens. 

 

Noch ein guter Rat: Die Präsentationsform „Gutachten“ birgt vier gravierende Gefahren, vor denen man sich hüten muss: Sie verführt 

  • erstens dazu, den Sachverhalt bei der Subsumtion zu wiederholen, 
  • zweitens das Gesetz bei den Prämissen ständig abzuschreiben und zu wiederholen.

Beides sind sinnlose Beschäftigungen. Der Prüfer kennt beides! Er ärgert sich, wenn er solche nicht zielführenden Ausführungen lesen muss. 

  • drittens, abstrakte Abhandlungen, losgelöst vom konkreten Fall (Besinnungsaufsatz), zu (im besten Fall) juristischen Themen zu unterbreiten
  • und viertens, die Arbeit am und mit dem Gesetz zu vernachlässigen.

Sie müssen wissen: Sämtliche juristischen Fälle spielen sich ab jetzt für Sie immer vor dem gleichen Hintergrund ab. Der Gutachtenstil und die Subsumtionstechnik mit ihren Helfern der Auslegungs- und Definitionslehre bilden die weiße Folie, vor der die Schattenspieler A, B und C Ihrer juristischen Fälle ihre strafrechtlichen Tragödien oder ihre privatrechtlichen, mehr oder weniger querulatorischen Rechtsschauspiele für Sie aufführen. Ihre Präzisionsinstrumente bestehen ab jetzt immer mehr ihre zivilrechtlichen und strafrechtlichen Bewährungen!

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