ist neben der Handlung das zweite ➞ ungeschriebene Tatbestandsmerkmal, um das alle strafbegründenden Tatbestände zu ergänzen sind. Bei den Erfolgsdelikten (➞ Deliktsarten) muss eine Verbindung geschaffen werden zwischen der Handlung und dem Erfolg. Dieses Bindungsstück liefert die Kausalität (lat.: causa, Ursache). Die Kausalität ist der ursächliche Zusammenhang zwischen Tathandlung und Erfolg. In nahezu allen praktischen Fällen ist die Kausalität (wie auch die Handlung) völlig unproblematisch und in der ➞ Klausur mit keinem Wort zu erwähnen.
Beispiel: Toni verletzt bei einer Wirtshausschlägerei vorsätzlich den Otto. Auf dem Weg zum Arzt wird O von dem Kraftfahrer K angefahren. O muss ins Unfallkrankenhaus. Dort vermutet man fälschlich eine Blinddarmreizung. Die von Dr. Heil angeordnete und durchgeführte Operation führt zu einer Sepsis (Blutvergiftung), da die Krankenschwester Svenja unsaubere Instrumente zugereicht hatte. O stirbt an dieser Sepsis. Die Obduktion ergibt, dass O schwer krebskrank war und ohnehin nur noch wenige Stunden zu leben gehabt hätte. – Wer ist hier strafbar?
Fraglich könnte sein, ob das Handeln des Toni ursächlich für den Erfolg der Tötung des Otto geworden ist. Voraussetzung für die Erfüllung des Tatbestandes des § 212 Abs. 1 StGB ist zunächst, dass die Tätlichkeit des T (Handlung) für den Tod des O kausal wurde.
Ursächlich für einen Erfolg (hier: Tod des O) ist jede Bedingung, die nicht hin-weggedacht werden kann, ohne dass der konkret eingetretene Erfolg entfiele. Diese ➞ Äquivalenztheorie oder auch Bedingungstheorie hebt darauf ab, ob die Handlung des Täters eine Bedingung für den Erfolg ist, wobei verschiedene Bedingungen gleichwertig (lat.: äquivalent) sind. Kausal im Sinne dieser Formel sind T, K, Dr. H, S und letztlich … sogar die Erzeuger von T geworden, da ihre Handlungen jeweils nicht hinweggedacht werden können, ohne dass der Tod (Erfolg) des O entfiele. Es kommt also darauf an, ob die Kausalkette zwischen der Handlung des in Betracht kommenden Täters und dem konkreten Erfolg besteht. Ob ein ähnlicher Erfolg auch auf andere Weise durch andere Ursachen eingetreten wäre, ist unerheblich. Der Totschläger kann sich nicht darauf berufen, dass sein Opfer wenige Stunden später ohnehin gestorben wäre. Es besteht mithin ein Verbot des Hinzudenkens von Reserveursachen. Der Arzt, der einem Sterbenden eine Überdosis Morphium gibt (Euthanasie, griech.: schöner Tod), ist Verursacher des vorzeitigen Todes und nach § 212 StGB strafbar, auch wenn der Patient kurz darauf ohnehin verstorben wäre. Hinter dieser juristischen Formel der Kausalität verbirgt sich die naturwissenschaftliche Definition der Ursächlichkeit.
Die Verletzungshandlung des T kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass der in der Person des O eingetretene konkrete Todeserfolg entfiele. Obwohl damit der Tatbestand des § 212 Abs. 1 StGB erfüllt und – in Ermangelung eines ➞ Rechtfertigungsgrundes – auch die Rechtswidrigkeit gegeben ist, wäre T wegen Totschlags nur zu bestrafen, wenn er den Todeserfolg auch vorsätzlich herbeigeführt hätte. Da man nach dem Sachverhalt hiervon nicht ausgehen kann, hat sich T nicht gem. § 212 Abs. 1 StGB strafbar gemacht. Man sieht deutlich, dass das Strafrecht sich diese sehr weitreichende Kausalitätstheorie leisten kann, damit hier klare Ergebnisse erzielt werden können und weil das Korrektiv für die Weite und Uferlosigkeit der Definition in der Schuld gefunden wird, nämlich über die Schuldformen Vorsatz und Fahrlässigkeit.
Beispiel: A schwört in einem Zivilprozess wissentlich falsch. Seine Aussage wird aber vom Gericht bei der Urteilsfindung nicht berücksichtigt.
A ist wegen Meineides nach § 154 StGB zu bestrafen. Der Meineid wird schon durch das falsche Schwören erfüllt, ohne dass es auf einen Erfolg (z.B. eine Beeinflussung des Gerichts, ja überhaupt nur die Kenntnisnahme durch das Gericht) ankommt. Der Tatbestand des Meineides wird durch eine bloße Tätigkeit erfüllt (Tätigkeitsdelikt). (➞ Deliktsarten)
Hier sieht man den Unterschied zum Totschlag (§ 212 Abs. 1 StGB). Beim Totschlag tritt zur Tätigkeit des Täters noch ein besonderer Erfolg in der Außenwelt hinzu, der erst die Strafbarkeit auslöst (Erfolgsdelikt). Das Kausalitätsproblem entsteht lediglich bei Erfolgsdelikten. Die Kausalität hat nur die Aufgabe, aus der Vielzahl der in Betracht kommenden Handlungen diejenigen aufzufinden, die den unwerten Erfolg herbeigeführt haben und für eine strafrechtliche Ahndung in Betracht kommen. Die Korrektur erfolgt über die Schuld!
Interessante Kausalitätsvariationen:
Variation 1: Die Kausalität muss wie jedes Tatbestandsmerkmal nachweisbar sein
Beispiel: Der wissentlich an Aids erkrankte Toni schläft ohne Kondom mit der Studentin Emma. Drei Monate später wird festgestellt, dass Emma HIV-positiv ist.
Eine Bestrafung des T wegen vollendeter gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 223, 224 StGB (in der Alternative der das Leben gefährdenden Behandlung) scheitert an der Kausalität. Der Beischlaf (die Körperverletzungshandlung) müsste eine nicht hinweg-zudenkende Bedingung für die Gesundheitsbeschädigung der E gewesen sein. Diese Kausalität muss, wie jedes andere Tatbestandsmerkmal auch, nachgewiesen werden. Sie ist zwar wahrscheinlich, aber der Nachweis ist nach dem momentanen Stand der medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnis nicht zu erbringen. Es ist nämlich nicht auszuschließen, dass E auf anderem Wege infiziert worden ist oder schon zum Zeitpunkt des ungeschützten Geschlechtsverkehrs erkrankt war. Mithin lässt sich nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit sagen, dass dieser Beischlaf ursächlich für die Körperverletzung war. In Betracht kommt allerdings versuchte gefährliche Körperverletzung.
Variation 2: Doppelkausalität
Beispiel: Die beiden Neffen Max und Jupp schicken unabhängig voneinander ihrem Patenonkel Oskar je einen Liter besten französischen Rotwein mit Gift. O vermischt den Inhalt beider Flaschen zu einem Punsch und trinkt zwei Liter. Keines der Gifte alleine reichte aus, den O vom Leben zum Tod zu befördern, wohl aber im Zusammenwirken.
Hier ist der jeweils unabhängig voneinander gesetzte Tatbeitrag eines jeden einzelnen schon für sich allein nach der Äquivalenztheorie eine nicht hinweg denkbare Bedingung. Dass er allein zur Erfolgsherbeiführung nicht ausgereicht hätte, ist unerheblich. Bei einer Mehrheit von ineinandergreifenden Ursachen ist jeder der Beteiligten für den ganzen Erfolg Urheber. Das ergibt sich nach der Äquivalenztheorie schon aus der Gleichwertigkeit aller Bedingungen. Sowohl Max als auch Jupp haben den Tatbestand des § 211 StGB (heimtückisch) erfüllt.
Abwandlung: Die Giftmengen in den Litern von Max und Jupp reichten jede für sich allein schon zur Tötung des Oskar aus.
In diesem Fall muss die Äquivalenztheorie zum ersten Mal kapitulieren, da hier jeweils das Zuschicken des Giftes von Max oder Jupp wegdenkbar ist, ohne dass der Erfolg entfiele. Man könnte daher der Auffassung sein, Max und Jupp nur wegen versuchten Mordes strafbar sind. Die Besonderheit besteht hier aber darin, dass zwar jede der beiden Ursachen für sich allein, nicht aber beide zusammen hinweg gedacht werden können, ohne dass der Erfolg entfiele. Hier muss die Bedingungsformel Konzessionen machen und ist zu ändern: Von mehreren Bedingungen, die zwar alternativ, nicht aber kumulativ hinweggedacht werden können, ohne dass der Erfolg entfiele, ist jede für den Erfolg ursächlich. Somit ist das Zuschicken des Weines sowohl durch Max als auch durch Jupp kausal für den Tod des O. Beide sind wegen vollendeten Mordes strafbar.
Würde O bei der Abwandlung beide vergifteten Flaschen zusammenschütten, ließe sich aber nicht feststellen, welches Gift schneller gewirkt hat, so wäre – da zwischen Vollendung und Versuch ein Minusverhältnis besteht – jeder der beiden Neffen über den Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ (lat.: in dubio pro reo) nur wegen versuchten Mordes zu bestrafen. Gleiches würde gelten, wenn O nur eine Flasche des Weins tränke, es sich aber nicht mehr feststellen ließe, welche.
Variation 3: Außerhalb jeder Erfahrung liegende Kausalität
Beispiel: Neffe Jupp will seinen Patenonkel Oskar vom Leben zum Tode befördern, um ihn zu beerben. „Es träumt ihm“, dass, wenn O heute spazieren ginge, er vom Blitz getroffen würde. Also überredet Neffe Jupp seinen Onkel O heute zu einem Spaziergang. Tatsächlich schlägt der Blitz in O ein.
Die Überredung durch Jupp ist eine nicht hinwegdenkbare Bedingung für den Tod des Oskar. Das konsequente Ergebnis der Äquivalenztheorie wäre also, den Tatbestand des § 211 StGB zu bejahen und, da auch kein Rechtfertigungsgrund eingreift und Jupp den Tod des Onkels gewollt hat, ihn wegen vollendeten Mordes zu bestrafen.
Ein wahrlich sonderbares Ergebnis. Wäre dieser Fall nämlich vollendeter Mord, dann müsste Jupp auch wegen versuchten Mordes bestraft werden, wenn Onkel O glücklich mit dem Hut in der Hand von dem Spaziergang zurückkehrt. Das ist absurd!
Also muss sich die weite Äquivalenztheorie zurücknehmen. In den Fällen völlig unwahrscheinlicher Kausalität, wenn ohne den zufällig eingetretenen Erfolg nur von einem abergläubischen Versuch die Rede sein könnte (Teufelsbeschwörung, Totbeten, Behexen etc.), muss ein strafrechtlich relevanter Ursachenzusammenhang geleugnet werden. Es wird also auch hier von den Vertretern der Äquivalenztheorie der Tatbestand verneint.
Variation 4: Überholende Kausalität
Beispiel: Nur der Neffe Max hat O eine Flasche vergifteten Wein geschickt. O trinkt die Flasche aus. Während das Gift im Körper des O zu wirken beginnt, erscheint der Neffe Jupp und erschießt O.
Voraussetzung für die Bestrafung wegen eines vollendeten Deliktes ist stets, dass die Handlung bis zum Eintritt des Erfolges fortgewirkt hat, dass sie tatsächlich mitursächlich geworden ist. Ausgeschlossen ist der Kausalzusammenhang daher dann, wenn ein späteres Ereignis diese Fortwirkung beseitigt und unabhängig von der Handlung eine neue Ursachenreihe eröffnet und den Erfolg herbeiführt. Man kann hier bildlich von einer sog. überholenden Kausalität sprechen. Da eine zweite, von Jupp verursachte Kausalkette schon vorher den Tod des O auslöste, kann Max nicht wegen vollendeten Mordes, sondern nur wegen versuchten Mordes gem. §§ 211, 22, 23 StGB bestraft werden. Die Handlung des Max ist nicht kausal. Wäre die Erschießungshandlung des Jupp nicht gewesen, so wäre O zwar an dem Gift des Max gestorben, jedoch später. Abzustellen ist aber auf den konkreten Erfolg: früherer Tod durch die Kugel. Jupp ist strafbar wegen vollendeten Mordes nach § 211 StGB, Max wegen versuchten Mordes.
Variation 5: Atypische Kausalität
Beispiel 1: Jupp, der Max töten will, schlägt ihn mit einer Eisenstange nieder. Anschließend wirft er den vermeintlich toten Max in einen Kanal, um einen Unfall vorzutäuschen. Erst durch das Ertrinken im Kanal tritt der Tod des Max ein.
Beispiel 2: Terrorist Thomas will den Politiker P mit einer Autobombe töten. Die Bombe geht jedoch zu früh hoch. P wird nicht verletzt, erliegt jedoch vor Schreck über die Explosion einem Herzinfarkt.
Da der jeweilige Erfolg (Tod durch Ertrinken/Tod durch Herzinfarkt) noch auf der von Jupp bzw. Thomas gesetzten Ursache beruht, handelten die beiden Täter kausal im Sinne der Äquivalenztheorie. Allerdings hatten sich beide einen anderen Kausalverlauf vorgestellt, nämlich Tod durch Erschlagen bzw. Tod durch die Bombe. Hier stellt sich die Frage, ob ein atypischer Geschehensverlauf noch vom Vorsatz umfasst wird oder nicht. Da die Kausalität Tatbestandsmerkmal ist (ungeschriebenes), könnte ein Tatbestandsirrtum gem. § 16 StGB vorliegen – ein Problem, das zur Irrtumslehre gehört ➞ Irrtum im Strafrecht.
Variation 6: Aufpfropfungen im Kausalverlauf
Beispiel: Tony will O töten, um ihn zu berauben. Er verletzt O durch einen Schuss und raubt den für tot gehaltenen O aus. Nachdem er die Walstatt verlassen hat, kommt Jonny vorbei und gibt dem noch röchelnden O den Gnadenschuss.
Der von Tony in Gang gesetzte Kausalverlauf wirkte noch fort. Erst der Schuss des Tony veranlasste Jonny zum Gnadenschuss. Für die Kausalität ist es ohne Bedeutung, wenn der Erfolg (auch) deshalb eintritt, weil ein Dritter eine weitere Bedingung „aufpfropft“. Der Schuss kann eben nicht hinweggedacht werden, ohne dass … Im Gegensatz zur „überholenden“ Kausalität wirkt die gesetzte Ursache hier fort, während sie dort „abbricht“. (Eine andere Frage ist es, ob § 16 StGB eingreift; wohl zu verneinen.) T etwa strafbar nach § 212 StGB?
Variation 7: Lehre von der objektiven Zurechnung
Beispiel: Kehren wir zum Ausgangsbeispiel zurück. Die Frage ist noch offen, wie strafrechtlich mit T sowie K, Dr. H und S zu verfahren ist.
Klar ist, dass der (unendlich) weit gefasste Kausalitätsbegriff der Äquivalenztheorie eines strafbeschränkenden Korrektivs bedarf; unklar ist, wie und wo im Deliktsaufbau eine solche Korrektur zu erfolgen hat.
- Nach der Rechtsprechung ergeben sich die notwendigen Beschränkungen erst bei den Schuldformen Vorsatz und Fahrlässigkeit. T sowie K, Dr. H und S haben sämtlich den Tatbestand des Totschlags erfüllt, aber sämtlich nicht vorsätzlich gehandelt. Ob § 222 StGB in Betracht kommt ist Tatfrage. (Korrekturen an anderer Stelle hat die Rechtsprechung lediglich bei den Fahrlässigkeitsdelikten vorgenommen.)
- Nach der Lehre von der sog. „objektiven Zurechnung“ wird im Schrifttum mit ganz unterschiedlichen Ansätzen versucht, entsprechende Einschränkungen schon im Tatbestand vorzunehmen. Nach ihr ist die äquivalente Kausalität zwar notwendige, aber nicht allein ausreichende Bedingung. Um dem Täter den Erfolg „zurechnen“ zu können, muss er die Conditio-sine-qua-non-Formel erfüllen und zusätzlich eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen haben, die sich im konkreten tatbestandlichen Erfolg realisiert haben muss (Schaffung eines rechtlich missbilligten Risikos). Demzufolge muss eine Zurechnung ausscheiden, wenn weit entfernt liegende Ursachen für den Erfolg kausal sind (Zeugung des Mörders durch Vater und Mutter), oder die vorgenommene kausale Handlung nicht rechtlich zu missbilligen ist (Herstellung von Gift durch die Pharmaindustrie, das zur Vergiftung der Schwiegermutter eingesetzt wird), oder wenn außerhalb jeder Erfahrung liegende Kausalabläufe zum Erfolg führen (s.o.). Diese Lehre bezieht mithin in den Tatbestand neben der Handlung und Kausalität ein weiteres ungeschriebenes TBM ein, nämlich das der objektiven Zurechnung des Erfolges.
Die Rechtsprechung verdient den Vorzug, da für die neuere Lehre mit Ausnahme bei den Fahrlässigkeitsdelikten (Wortlaut des § 222 StGB: „… Durch Fahrlässigkeit verursacht …“) keine erkennbare Notwendigkeit besteht. (➞ Objektive Zurechnung)