ist ein jedem Gesetz eingeborenes Programm, nach welchem jede juristische Vorschrift zu unterteilen ist in ihren Voraussetzungs- und ihren Rechtsfolgeteil (Konditional, lat.: bedingend, wenn …, dann …). 

 

Was ist eigentlich das Wesen der sich unserem Blick gleichermaßen darbietenden wie leider auch immer wieder entziehenden Gesetze? Und wie löst man ihnen die Zunge? – Gesetze sind die Führer im gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Leben. Sie sind der Mittelpunkt unseres rechtsstaatlich-gesellschaftlichen Koordinatensystems, ich wiederhole mich hier gern, und komplizierte sprachliche Konstrukte.

 

Sie müssen sich von Anfang an darum bemühen, Gesetze aufregend und mit Entdeckerfreude zu erleben. Sie sollten sich bald in einen einfühlsamen Übersetzer der Gesetze, in einen Dolmetscher des Gesetzgebers verwandeln – dies mit dem alleinigen Ziel, die Gesetze zu verstehen und die Spannungen zwischen Ihren Fällen und dem Gesetz zu entschärfen, wenn nicht gänzlich aufzulösen. Das geht tatsächlich! Wen das juristische Arbeiten mit dem Gesetz und immer hart am Gesetz erst einmal durch „begreifenden“ Erfolg infiziert hat, der ist geimpft gegen die angebliche Trockenheit und Langweiligkeit der Rechtswissenschaft und die angeprangerte Unverstehbarkeit ihrer Gesetze

 

Das wichtigste Wesensmerkmal für die Führung der Gesellschaft durch die Gesetze ist das ihnen eingeborene Konditionalprogramm, einfacher ausgedrückt: ihr „Wenn-Dann-Grundsatz“. Wer ihn verstanden hat, hat schon viel verstanden! – Wenn der Voraussetzungsteil  vorliegt, dann tritt der Rechtsfolgenteil in Kraft. 

 

Das Wort Konditionalprogramm setzt sich zusammen aus den Wörtern „konditional“ (lat.: bedingend) und „Programm“  (griech.: vorgesehener Ablauf, Konzeption). Aus der Funktion des Gesetzes, Regeln zu „setzen“, um Konflikte zu vermeiden oder zu beheben, die im Zusammenleben der Menschen eintreten können, folgt zwingend diese „bedingende Konzeption“ des Gesetzes. Deshalb müssen sie so sein, wie sie sind, denn Gesetze zielen als die Instrumente zur Steuerung von Recht immer auf die Begründung von Rechtsfolgen ab. 

 

Diese fundamentale Erkenntnis des Konditionalprogramms gilt für alle Gesetze, lässt sich aber gut an dem einprägsamen Gebiet des Strafrechts verdeutlichen. Sie wissen schon, dass sich die rechtlichen Voraussetzungen für eine Bestrafung aus den Tatbeständen des besonderen Teils des Strafgesetzbuches ergeben. Die Grundstruktur sämtlicher dieser Paragraphen lautet immer gleich: „Wenn du das und das tust oder unterlässt, dann wirst du mit dem und dem bestraft.“ Um dieses „Das und Das“ geht es in der Lehre vom Tatbestand, in der Lehre der Rechtswidrigkeit und in der Lehre der Schuld, um das „Dem und Dem“ bei den Rechtsfolgen der Freiheitsstrafe oder Geldstrafe. Und genauso spielt sich dieses Programm im BGB ab: „Wenn Du das und das tust, dann kannst Du das und das verlangen“ oder „dann bist Du zu dem und dem verpflichtet“.

 

Einige Beispiele:

 

Ein solcher Konflikt wird nun in der Weise behoben, dass in einem anzuwendenden Rechtssatz, hier: 

 

ein Konditionalprogramm enthalten ist, das für den Fall des Eintritts eines bestimmten Tatbestandes (1. Teil: Voraussetzungsteil oder Wenn-Teil) eine ausgleichende Rechtsfolge als Konsequenz „setzt“ (2. Teil: Rechtsfolgeteil oder Dann-Teil). „Rechtsfolge“ ist das, was aus dem „Recht“, konkret aus dem Einzelgesetz, „folgt“, was also die Rechtsordnung ihren rechtsunterworfenen Bürgern zu be-„folgen“ aufgibt.

 

Jeder „Fall“ – bald jede Ihrer Klausuren eben – wird am Ende immer eine Fragestellung bereit halten, die auf Bestehen oder Nichtbestehen einer solchen Rechtsfolge gerichtet ist (sonst wäre es eben kein „Fall“ geworden). 

 

Für den rechtsanwendenden Studenten ist „Recht“ ja immer dann gegeben, wenn die Rechtsfolgen für die Fragen seiner Klausur: „Hat sich T strafbar gemacht?“ – „Kann A von B eine Leistung verlangen?“  – „Kann sich X mit einer Verfassungsbeschwerde gegen das staatliche Handeln wehren?“ 

aus den Voraussetzungen eines Gesetzes des StGB, des BGB oder der Verfassung ausgelöst werden können. Das ist dann der Fall, wenn die Voraussetzungen eines Straftatbestands des StGB, einer Anspruchsgrundlage des BGB oder einer Rechtsverletzung des Grundgesetzes erfüllt sind. 

 

Also, wir halten fest: Den Gesetzen des BGB und des StGB liegt die Normstruktur des konditionalen Wenn-dann-Programms zugrunde. Das heißt: 

 

Die Rechtsnorm, die die gesuchte Rechtsfolge jedes juristischen Falles abstrakt enthält, ist die Antwortnorm. Eine Antwortnorm ist ein Spezialgesetz, aus dem die Rechtsfolge (Dann), die in der straf- oder zivilrechtlichen Aufgabenstellung verlangt wird, selbst und unmittelbar aufgrund des Sachverhaltes hergeleitet werden kann (s.u. 4.3). 

 

 

Es ist Aufgabe und Zweck der Rechtsordnung, das menschliche Zusammenleben zu regeln. Das konkrete Mittel zu diesem Zweck der Regelung ist die einzelne Rechtsnorm, das Gesetz. Es stellt die Voraussetzungen auf und enthält eine Rechtsfolge, die sich auf das Verhalten von Personen bezieht, wobei insbesondere Gebote und Verbote normiert werden. Ein Teil dieser Rechtsordnung ist das StGB, ein anderer das BGB.

Wenn Moni den Tatbestand des Diebstahls rechtswidrig und schuldhaft erfüllt hat (Deliktsaufbau: Tatbestand, Rechtswidrigkeit, Schuld) – dann wird sie bestraft. Antwortnorm ist § 242 StGB.

 

Wenn Max den Moritz rechtswidrig und schuldhaft am Körper verletzt hat (Tatbestandsvoraussetzungen) – dann muss er die entstandenen Kosten bezahlen. Antwortnorm ist § 823 Abs. 1 BGB.

 

Wenn Susanne mit Bäcker Kraus einen wirksamen Kaufvertrag abgeschlossen hat – dann muss sie den vereinbarten Kaufpreis zahlen. Antwortnorm ist § 433 Abs. 2 BGB.

 

Wenn als erste Voraussetzung für das Vorliegen eines Straftatbestandes die haargenaue Erfüllung sämtlicher Tatbestandsmerkmale des besonderen Teils des Strafgesetzbuches und für das Vorliegen einer Anspruchsgrundlage im BGB die hundertprozentige Erfüllung sämtlicher Anspruchsvoraussetzungen erforderlich ist, so kann das selbstverständlich nicht heißen, dass der Tatbestand im Einzelnen die konkrete Straftat der konkreten Täterin „Moni“ beschreiben muss oder die Anspruchsgrundlage genau den zu entscheidenden zivilrechtlichen Fall für „Moritz“ oder „Bäcker Kraus“ festlegt. 

 

„Wenn Moni der Steffi die Brieftasche aus der Handtasche zieht, um das Geld zu verjubeln, dann wird sie mit Gefängnis bestraft.“ 

Statt „Moni“ steht im Gesetz: „wer“; statt „Steffi“: „einem anderen“; statt „Steffis Brieftasche“ heißt es: „eine fremde bewegliche Sache“; statt „aus der Handtasche zieht“: „wegnimmt“; statt „um es zu verjubeln“ lautet es: „in der Absicht, sie sich rechtswidrig zuzueignen“. 

 

Statt „Max“ heißt es abstrakt: „wer“; statt „Moritz“ „einen anderen“; statt „schwer verletzt“ heißt es: „den Körper und die Gesundheit … verletzt“; statt „durch Missachtung der Vorfahrt“ steht geschrieben: „vorsätzlich oder fahrlässig“ und „widerrechtlich“; statt „Krankenhauskosten und Verdienstausfall“ heißt es: „Ersatz des daraus entstehenden Schadens“.

 

Statt „Susanne“ steht im Gesetz: „der Käufer“; statt „Bäcker Kraus“: der „Verkäufer“; statt „zwei Brötchen“: „eine Sache“; statt „1 €“: „den Kaufpreis“; statt „dann muss sie zahlen“: „ist verpflichtet, den Kaufpreis zu zahlen“.

 

Kein Gesetzgeber könnte sämtliche Fälle, die das Leben so schreibt, vorausdenken – immer wieder müsste er sich durch die Wirklichkeit korrigieren lassen. Also wählte man für die Rechtsnormen sowohl auf der Voraussetzungs- als auch auf der Rechtsfolgenseite abstrakte und generalisierende Begriffe, da Gesetze als allgemeine Regeln notwendig von den konkreten Umständen des Einzelfalles (deshalb abstrakt) und den handelnden Personen (deshalb generalisierend) absehen müssen. Es gibt kein Gesetz, das gerade und genau für den konkreten Fall „Moni“, „Moritz“ oder „Bäcker Kraus“ geschaffen ist. Allerdings gibt es verschiedene Grade von Abstraktheit. Unsere modernen Gesetze zeichnen sich durch eine starke Abstraktion aus. Aus dieser notwendigen abstrakt-generalisierenden Begrifflichkeit der Normen folgt notwendig, dass die Voraussetzungen des Gesetzes zur Anwendung auf den konkreten „Fall“ ausgelegt, entfaltet und definiert werden müssen. Diese Arbeit ist eine Hauptaufgabe des Juristen und wir werden sie gleich kennen lernen. Der Preis für die Abstraktheit ist eben, dass kein Gesetz so genau formuliert werden kann, dass sich damit jeder Fall, der irgendwann auftaucht, ohne weiteres lösen lässt. Das konkrete Leben bricht immer wieder mit „Monis“, „Susannes“ und „Mäxen“ in die abstrakten Gesetze ein. Das Recht hat ständig und ausschließlich mit einbrechendem Leben zu tun – mit Fällen. Sie, ausschließlich sie, füttern den täglichen Entscheidungsapparat für die Rechtsprechung in den Gerichten. Dabei sind Recht und Gesetz Gefangene der jeweiligen Zeit. Der Schwerpunkt der Rechtsentwicklung liegt weder in der Gesetzgebung, noch in der Rechtswissenschaft, noch in der Rechtsprechung, sondern in der pulsierenden Gesellschaft selbst. Und unsere Gesetze reagieren und regieren immer mit dem gleichen Programm: Wenn – dann! Wenn – dann! Wenn – dann; ihrem Konditionalprogramm.

Man kann den Gesetzen auch noch auf eine andere Art als mit dem Konditionalprogramm die Zunge lösen! Dazu bedient man sich einer List in Form einer Seziertechnik. Sie ist raffiniert einfach und einfach raffiniert!