Fall 1
E hat sein altes Fahrrad, das er nicht mehr haben wollte, irgendwo im Walde abgestellt. T nimmt es an sich.
- T ist nicht wegen Diebstahls zu bestrafen. Es handelt sich bei dem Fahrrad nicht um eine fremde, sondern um eine herrenlose Sache. E hat den Besitz an dem Rad in der Absicht aufgegeben, auf das Eigentum zu verzichten (vgl. § 959 BGB). Eine herrenlose Sache kann nicht Gegenstand eines Diebstahls sein.
Fall 2
Ein Fahrrad gehört T und E gemeinsam. T verkauft und übergibt es an H.
- Das Eigentum steht T und E gemeinsam zu. Im Hinblick auf das Teileigentum des E ist das Fahrrad für T eine fremde Sache. Diebstahl kann also auch an solchen Sachen begangen werden, die im Miteigentum des Täters stehen.
Fall 3
E hat seine Uhr in seiner Wohnung verlegt. Die Aufwartefrau P findet sie auf dem Bücherbord und nimmt sie an sich.
- P muss Gewahrsam des E gebrochen haben. Normalerweise bedingt tatsächliche Sachherrschaft Kenntnis des Aufenthalts der Sache, da anders eine Beherrschung nicht möglich ist. Gewahrsam besteht aber auch an Sachen, die sich in einem generell beherrschten Raum befinden. E hatte demnach an der Uhr Gewahrsam, den P gebrochen hat.
Fall 4
T und E benutzen das ihnen gemeinsam gehörende Fahrrad auch gemeinsam. T versilbert es.
- T und E haben Mitgewahrsam. T hat den gleichrangigen Mitgewahrsam des E gebrochen, eigenen Alleingewahrsam begründet und damit eine Wegnahme i.S. des § 242 StGB begangen.
Fall 5
E, von T beschwatzt, überlässt diesem das Fahrrad, ohne zu ahnen, dass T damit endgültig verschwinden will.
Hier liegt kein Gewahrsamsbruch vor. Gewahrsamsbruch bedeutet Aufhebung des Gewahrsams ohne oder gegen den Willen des bisherigen Gewahrsamsinhabers. Freiwillige Hergabe ist kein Gewahrsamsbruch, vielmehr eine Vermögensverfügung i.S.d. Betrugstatbestandes.
Fall 6
S ist in seiner Anstaltskleidung aus der Strafhaft entwichen.
- Hauptbeweggrund für S war sicherlich nicht die Aneignung der Anstaltskleidung. Die Mitnahme der verräterischen „Kluft“ war notwendigerweise der Flucht anhaftender Begleitumstand, den S hinnahm, aber keinesfalls wollte. Es fehlt der auf die Aneignung der „Kluft“ zielende direkte Wille des S. Daher fehlt die Zueignungsabsicht.
Fall 7
T nimmt dem Gastwirt G zehn Biermarken weg, die er sogleich wieder in Bier umsetzt.
- Die Sache selbst, nämlich die Biermarken, wollte T seinem Vermögen nicht einverleiben, sondern zurückgeben. Ihm ging es um den in den Marken verkörperten Sachwert, die durch sie zu erlangende Leistung. Das genügt. Zueignungsabsicht ist gegeben.
Fall 8
Drogen-Dealer F bezahlt Drogen-Oberdealer D mit einem 500-Euro-Schein im Voraus; nach Übereignung der Ware nimmt er diesen 500-Euro-Schein heimlich wieder mit.
- Der 500-Euro-Schein ist eine fremde Sache, da die schuldvertragliche Vereinbarung über den Ankauf von Drogen zwar verboten, sittenwidrig und damit nichtig (§§ 138, 134 BGB), das dingliche Erfüllungsgeschäft als wertfreie Übereignung von F an D aber wirksam war.
Fall 9
T hatte ein Auto für eine Spritztour mit Emma entwendet und im Wald stehen lassen. Am nächsten Tag kommt er zum Auto zurück und entnimmt ihm das Reserverad.
- T ist wegen Diebstahls am Auto und Unterschlagung am Reserverad strafbar.
Fall 10
Ein Soldat nimmt seinem Kameraden dessen ABC-Schutzmaske weg, um diese als Ersatz für die von ihm empfangene, aber bei einem Manöver abhanden gekommene bei der Ausmusterung auf der Bekleidungskammer abzugeben.
- Keine Zueignungsabsicht, da die Eigentümerin Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der weggenommenen ABC-Schutzmaske nicht enteignet werden sollte. Der Schadenersatzanspruch, der abgewendet werden soll, ist nicht der Sachwert der weggenommenen Maske (es liegt Betrug gem. § 263 StGB vor).
Fall 11
A lockt den Schoßhund der Witwe Bolte zu sich, um ihn als „ehrlicher Finder“ der Witwe zurückzubringen, nachdem diese, wie erwartet, eine fürstliche Belohnung für die Wiederbeschaffung ausgesetzt hat.
- Keine Zueignungsabsicht, da kein Enteignungswille, denn die Belohnung ist nicht der im Hund verkörperte Sachwert (auch hier liegt Betrug im Sinne des § 263 StGB vor).
Fall 12
T entwendet einen Porsche, um damit die „Rallye Africana“ zu fahren und danach dem Eigentümer den Wagen zurückzugeben.
- Zueignungsabsicht vorhanden und kein bloßer Gebrauchsdiebstahl, da der Porsche vor Rückgabe in einer Weise gebraucht werden sollte, die zur Funktionsuntauglichkeit des Wagens führt. Die Aneignung liegt immer im Gebrauch – die Enteignung darin, dass dem Eigentümer der wirtschaftliche Wert auf Dauer entzogen wird.