Die Willenserklärung des Irrenden, ein Rechtsgeschäft durch rechts(um)gestaltende Willenserklärung unwirksam zu machen, §§ 142 Abs. 1, 119 Abs. 1, Abs. 2 BGB.   ( Anfechtung)

 

Beispielsfälle: Student Felix Flott möchte von dem Gebrauchtwagenhändler Willi Windig einen VW-Cabrio kaufen.

  1. Felix bietet dem Windig versehentlich einen Preis von 5.400 €. Tatsächlich wollte er 4.500 € sagen. Mehr als 4.500 € hat Felix nicht zur Verfügung. Windig nimmt das Angebot sofort an.

 

  1. Felix fragt zunächst nach dem Preis und versteht 4.100 €, obwohl Windig „4.900  €“ gesagt hatte. Felix erklärt erfreut: „Ich nehme an!“

 

  1. Felix möchte mit dem Cabrio nur seine Chancen bei einer Kommilitonin, auf die er ein Auge geworfen hat, steigern. Ansonsten fährt er lieber geschlossene und schnellere Pkw. Kurz nach dem Kauf gibt die Kollegin ihre Verlobung mit einem radfahrenden Studenten bekannt. Für Felix bricht eine Welt zusammen – auch der Kaufvertrag?

 

  1. Felix glaubt aufgrund des 5-stelligen Kilometerzählers, der Wagen sei 91.400 km gelaufen. Tatsächlich beträgt die Laufleistung 191.400 km. Vor diesem Hintergrund nimmt Felix das für einen Kilometerstand von 91.400 km angemessene Angebot von 4.900 € des Windig an. 

 

Ist Felix in den einzelnen Fällen zur Anfechtung seiner Willenserklärung berechtigt?

 

Von einer Anfechtung wegen eines Erklärungsirrtums spricht man gem. § 119 Abs. 1 2. Alt. BGB dann, wenn der Erklärende eine Willenserklärung mit dem Inhalt, den sie tatsächlich hat, überhaupt nicht abgeben wollte. So ist es im Beispiel a., weil Felix den Preis von 5.400 € tatsächlich nicht anbieten wollte und nur versehentlich genannt hat.

Die Fälle des Erklärungsirrtums sind dadurch gekennzeichnet, dass der Erklärende sich verschreibt, verspricht, vergreift, oder sich in ähnlicher Weise „vertut“. Das heißt, er verwendet ein falsches Erklärungszeichen. Auch der versehentliche Kauf eines gelben Radioweckers anstelle des an sich gewollten roten stellt einen solchen Fall des Erklärungsirrtums dar. Der Erklärende will bei einem Erklärungsirrtum die fragliche Willenserklärung gar nicht abgeben; er weiß gar nicht, was er sagt. Der Mangel steckt im Erklärungsteil der Willenserklärung, nicht im Willensteil.

Dass ein Fall des Erklärungsirrtums vorliegt, bewirkt allein die Anfechtbarkeit der betroffenen Willenserklärung allerdings noch nicht. § 119 Abs. 1 BGB verlangt vielmehr weiter, dass „anzunehmen ist, dass der Erklärende bei Kenntnis der Sachlage und verständiger Würdigung des Falles die Willenserklärung nicht abgegeben hätte“. Das Gesetz stellt also zusätzlich darauf ab, dass der Irrtum für die Abgabe der Willenserklärung kausal gewesen sein muss. Es muss mithin anzunehmen sein, dass der Erklärende, wenn ihm der Irrtum nicht unterlaufen wäre, die betreffende Willenserklärung auch nicht abgegeben hätte.

 

Beispiel: Lydia ist begeisterte Leserin der Kriminalromane von Agatha Christie, die sie inzwischen bis auf zehn Stück alle kennt. Insbesondere fehlen ihr noch die Bände 80 und 81, die zeitweilig vergriffen waren. Obwohl sie eigentlich Band 80 bestellen will, bestellt Lydia nach Erscheinen einer Neuauflage bei einer Versandbuchhandlung Band 81, den sie bald darauf erhält. Während der Lektüre des Buches, das ihr wider Erwarten nicht gefällt, bemerkt Lydia ihren Irrtum. Kann sie ihr Kaufangebot anfechten?

 

Auch in diesem Falle liegt ein Erklärungsirrtum vor, weil Lydia den bestellten Band 81 tatsächlich nicht bestellen wollte. Dennoch kann sie ihre Willenserklärung nicht anfechten, weil anzunehmen ist, dass ihr bei der Bestellung Band 81 genauso lieb war wie Band 80, sie also in jenem Zeitpunkt die Verwechselung hätte auf sich beruhen lassen.

Im Beispielsfall a. ist dagegen die erforderliche Kausalität gegeben, weil Felix schon gar nicht die Mittel hat, den höheren Betrag auszugeben.

 

Ebenfalls zur Anfechtung berechtigt der sog. Inhaltsirrtum. Er liegt gem. § 119 Abs. 1 1. Alt. BGB vor, wenn der Erklärende zwar die fragliche Erklärung genauso abgeben will, wie er es tut, ihr aber inhaltlich eine falsche Bedeutung beimisst, also „über den Inhalt im Irrtum“ ist. Besser würden wir statt von Inhaltsirrtum von Bedeutungsirrtum reden, es wäre plastischer. Der Erklärende will bei einem Inhaltsirrtum die fragliche Willenserklärung so (!) nicht abgeben; er weiß, was er sagt – er weiß aber nicht, was er damit sagt. Der Mangel steckt im Geschäftswillensteil der Willenserklärung.

Das lässt sich am besten durch das Beispiel b. verdeutlichen: Hier liegt kein Erklärungsirrtum vor, weil Felix die Erklärung, die er abgegeben hat, so auch abgeben wollte. Felix hat zum Ausdruck gebracht, er nehme das Angebot des Windig an, und wollte dies auch. Er hat sich allerdings über die Bedeutung seiner Erklärung geirrt: Während Felix annahm, er gehe auf ein Vertragsangebot über den günstigen Preis von 4.100 € ein, hat er in Wahrheit eine Willenserklärung mit dem Inhalt: „Ich nehme das Angebot über 4.900 € an“ abgegeben. Die äußere Erklärung von „4.100 €“ war gewollt; Felix wusste aber nicht, welche Bedeutung ihr der Rechtsverkehr beimaß.

Auch ein Inhaltsirrtum berechtigt gem. § 119 Abs. 1 1. Alt. BGB den Erklärenden nur dann zur Anfechtung, wenn er für seine Erklärung kausal war.

 

Ein Beispiel für fehlende Kausalität (Abwandlung des obigen Beispiels): Nach Erscheinen der Neuauflage erhält Lydia als Stammkundin von der Versandbuchhandlung ein schriftliches Angebot, Band 81 der Krimiserie zu kaufen. Lydia meint versehentlich, ihr sei Band 80 angeboten worden, und bestellt sofort, indem sie „Ihr freundliches Angebot“ annimmt. 

 

Auch hier liegt ein Inhaltsirrtum vor, weil Lydia sich über den objektiven Inhalt ihrer Erklärung – nämlich die Annahme des Angebotes, Band 81 zu kaufen – irrt, indem sie dachte, auf ein Angebot einzugehen, das Band 80 betraf. Wiederum kann Lydia aber wegen fehlender Kausalität ihre Willenserklärung nicht anfechten, weil anzunehmen ist, dass sie ohne die Verwechslung auch Band 81 gekauft hätte.

 

Im Beispielsfall b. ist dagegen die erforderliche Kausalität gegeben, weil ohne Anhaltspunkte hierfür nicht angenommen werden kann, dass Felix 800 € und damit fast ein Fünftel mehr als die von ihm angenommene Summe von 4.100 € aufzubringen bereit gewesen wäre.

 

Zur Abgrenzung: Es ist schon teuflisch schwierig, den einen Irrtum vom anderen abzugrenzen. 

 

Beispiel: Das Reisebüro schickt Jupp Schmitz ein Sonderangebot über zwei Reisen zu: 1. Südamerika im Bus, 2. Südafrika im Bus. Preis jeweils 2000 €. Jupp schreibt prompt zurück:

 

Variante 1:  „Ich buche die Südamerikareise.“ Er dachte, es handele sich dabei um Florida!

Variante 2: „Ich buche die Südafrikareise.“

Er wollte schreiben: „Südamerikareise“.

 

Während Jupp in Variante 2 die Erklärung „Südafrikareise“ überhaupt nicht abgeben wollte, sich nur verschrieben hatte, wollte er in Variante 1 die Erklärung „Südamerikareise“ sehr wohl äußerlich abgeben, allerdings nicht mit dieser Bedeutung (südamerikanischer Kontinent), sondern mit dem Inhalt „Florida“ (Süden der U.S.A.); er wollte sie nicht so (!) abgeben, wie der Verkehr, das Reisebüro, sie verstehen musste, nämlich „südamerikanischer Kontinent“.

Hier eine Gegenüberstellung: 

Der Unterschied mag auch deutlich werden an den verschiedenen Voraussetzungen, die in den Beispielsfällen a. und b. nötig sind, um Felix auf seinen Irrtum aufmerksam zu machen: Während es im Fall a. ausreichen würde, Felix darauf hinzuweisen, er habe 5.400 € (und nicht 4.500 €) als Angebot genannt, genügt im Fall b. der Hinweis nicht, er habe das Angebot des Windig angenommen, weil ihm das selbst klar ist. Hier muss Felix darüber hinaus aufgeklärt werden, dass das Angebot nicht 4.100 €, sondern in Wahrheit 4.900 € lautete.

Die Unterscheidung zwischen beiden Arten des Irrtums kann im Einzelfall schwierig zu treffen sein. Denn jeder Erklärungsirrtum erfüllt zugleich auch die Tatbestandsvoraussetzungen des Inhaltsirrtums: Wer sich verschreibt – Erklärungsirrtum! –, weiß eben nicht, welchen Inhalt seine Erklärung hat. Der Erklärungsirrtum ist also ein Unterfall des Inhaltsirrtums. Da die Rechtsfolgen beider Irrtumsarten identisch sind, kann nicht selten dahinstehen, ob der spezielle Fall des Erklärungsirrtums oder der Grundfall des Inhaltsirrtums vorliegt.

 

Der Eigenschaftsirrtum

Mit den soeben erläuterten Fällen des Erklärungs- und des Inhaltsirrtums sind alle Irr-tumsfälle erfasst, die bei der Abgabe der Willenserklärung auftreten.

Zu erörtern bleiben die Fälle des Irrtums bei der im Vorfeld der Willenserklärung erfolgenden Willensbildung. Hierzu zählt der Motivirrtum. Der Motivirrtum berechtigt grundsätzlich nicht zur Anfechtung der Willenserklärung. Dies hat seinen Grund insbesondere darin, dass sonst nahezu schrankenlos Rechtsgeschäfte nachträglich für nichtig erklärt werden könnten, was das Prinzip der Rechtssicherheit in einer nicht zu vertretenden Weise einschränken würde. So hat im Beispiel c. Felix nicht die Möglichkeit, seine Vertragserklärung anzufechten und damit den Kaufvertrag unwirksam werden zu lassen. 

Eine wichtige Ausnahme vom Grundsatz der Unanfechtbarkeit des Motivirrtums stellt der sog. Eigenschaftsirrtum dar. Gemäß § 119 Abs. 2 BGB berechtigt nämlich auch der „Irrtum über solche Eigenschaften der Person oder der Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden“, zur Anfechtung. Der Eigenschaftsirrtum ist ein Unterfall des Motivirrtums. Er betrifft alle Beweggründe (Motive) des Erklärenden, die sich auf verkehrswesentliche Eigenschaften der Person oder der Sache beziehen.

Als verkehrswesentliche Eigenschaften einer Sache sind alle diejenigen Merkmale anzusehen, die aus allgemeiner Sicht ihren Wert erhöhen. Kurz: alle wertbildenden Faktoren. Ein Beispiel bildet Fall d.: Felix wusste, dass er erklärt, er kaufe einen Wagen für 4.900 €; er wusste auch, was er damit erklärt, so dass ein Inhalts- oder Erklärungsirrtum ausscheidet; Wille und Erklärung fielen nicht unbewusst auseinander. Er ist jedoch zu dieser – an sich korrekten – Willenserklärung „bewogen“, „motiviert“, worden, durch die Annahme, das Auto sei erst 91.400 km gelaufen. Dieses Motiv war falsch! Ob der Wagen aber 91.400 km oder 100.000 km mehr gelaufen ist, stellt wegen der damit verbundenen Abnutzung nach allgemeiner Anschauung einen wertbildenden Faktor dar. Es liegt somit ein Eigenschaftsirrtum vor. Eine verkehrswesentliche Eigenschaft bilden z.B. auch die Echtheit eines Kunstwerkes sowie die Bebaubarkeit eines Grundstückes, die Größe, das Material, die Qualität, die Herkunft, das Alter oder die Quantität einer Ware.

Welche Eigenschaften einer Person als verkehrswesentlich anzusehen sind, hängt von der Art des abgeschlossenen Geschäftes ab. Maßgeblich ist dabei, ob gerade bei solchen Geschäften nach der allgemeinen Verkehrsanschauung die fragliche Eigenschaft des Betroffenen für den Erklärenden von Bedeutung ist (Geschlecht, Alter, Sachkunde, Vertrauenswürdigkeit, Gebrechlichkeit).

 

Beispiel: Vermieter V schließt einen langfristigen Mietvertrag mit M über ein möbliertes Zimmer. Anschließend erfährt er, dass M mehrfach wegen Betruges und Diebstahls vorbestraft ist. Das strafrechtliche Vorleben des M stellt eine verkehrswesentliche Eigenschaft seiner Person i.S. des § 119 Abs. 2 BGB dar. Denn die Aufrechterhaltung eines Mietverhältnisses kann dem Vermieter nur zugemutet werden, wenn dieser sicher sein kann, dass die vermieteten Sachen nicht gestohlen werden und der Mietzins entrichtet wird.

 

Demgegenüber hätte V als Verkäufer kein Anfechtungsrecht, wenn er in einem Bargeschäft dem M z.B. ein Fernsehgerät verkauft hätte, weil es nach der allgemeinen Verkehrsanschauung für einen Verkäufer, der sein Geld erhalten hat, regelmäßig ohne Bedeutung ist, ob der Käufer früher Diebstähle und Betrügereien begangen hat.

Verkehrswesentlich sind die Eigenschaften dann, wenn sie entweder ausdrücklich oder zumindest stillschweigend zum Vertragsinhalt gemacht worden sind, wenn sie also im „Verkehr“ und nicht nur subjektiv von einer Partei als „wesentlich“ angesehen werden.

In den Fällen des Eigenschaftsirrtums ist weitere Voraussetzung für das Anfechtungsrecht des Erklärenden, dass der Irrtum für seine Erklärung kausal war. Das ergibt sich nicht nur aus Sinn und Zweck des Anfechtungsrechtes, sondern auch indirekt aus dem Wortlaut des § 119 Abs. 2 BGB: Dieser stellt den Eigenschaftsirrtum nämlich ausdrücklich dem Inhaltsirrtum gleich, für den § 119 Abs. 1 BGB dieses Erfordernis aufstellt (§ 119 Abs. 2 i.V. mit § 119 Abs. 1 BGB).

 

Damit ergeben sich folgende Prüfungspunkte für den Anfechtungsgrund Irrtum:

  1. § 119 Abs. 1 1. Alt. BGB: Inhaltsirrtum
  2. Irrtum über die Bedeutung der Erklärung
  3. Bei Abgabe der WE
  4. Kausalität zwischen a. und b.

 

  1. § 119 Abs. 1 2. Alt. BGB: Erklärungsirrtum
  2. Irrtum in der Erklärungshandlung
  3. Bei Abgabe der WE
  4. Kausalität zwischen a. und b.

 

  1. § 119 Abs. 2 BGB: Eigenschaftsirrtum
  2. Irrtum im Motiv
  3. Über wertbildende Faktoren, also Eigenschaften der Sache oder der Person
  4. Bei Abgabe der WE
  5. Verkehrswesentlichkeit
  6. Kausalität zwischen a., b., c. und d.

Liegt einer der dargelegten Irrtumsfälle, die zur Anfechtung berechtigen, vor, so bildet er den Anfechtungsgrund. 

Auslegung geht vor Anfechtung

 

Für alle Fälle des Irrtums ist noch der wichtige Grundsatz zu erörtern, wonach vor einer etwaigen Anfechtung der Willenserklärung wegen Irrtums zunächst eine Auslegung der Willenserklärung zu erfolgen hat, sofern die Umstände hierfür Anlass geben. Eine Missachtung dieses Grundsatzes kann durch eine verfehlte, weil überflüssige Prüfung der Irrtumsanfechtung zur Unbrauchbarkeit wesentlicher Teile einer Klausur führen. Die Anfechtung einer Willenserklärung kann erst nach ihrer Auslegung bejaht werden.

 

Beispiel: Bei einem Autokaufanbahnungsgespräch fragt K den V nach dem Preis und versteht „4.100 €“, obwohl V „4.900 €“ gesagt hatte. K erklärt erfreut: „Ich nehme an!“

 

Das zutreffend erarbeitete Ergebnis, wonach ein Inhaltsirrtum vorliegt, setzt voraus, dass die Erklärung von K inhaltlich tatsächlich von dem abweicht, was er erklären wollte. Die knappe Erklärung von K darf in ihrer ausführlichen Fassung also nicht lauten: „Ich kaufe den Wagen für 4.100 €“. Denn dann hätte er ja gerade das zum Ausdruck gebracht, was er zum Ausdruck bringen wollte. „4.100 €“ wäre dann eine Ablehnung des Angebots von „4.900 €“ gewesen, verbunden mit einem neuen Angebot. Was der Inhalt der tatsächlich erklärten Willenserklärung ist, ist – sofern der Wortlaut nicht eindeutig ist – nach den Grundsätzen der §§ 133 BGB und 157 BGB durch Auslegung zu ermitteln. Erst wenn diese Auslegung die Irrtums-konstellation (unbewusstes Abweichen von Wille und Erklärung) ergibt, ist Raum für eine Anfechtung.

Im Beispielsfall ist die Auslegung der Annahmeerklärung von K notwendig, weil die Erklärung „Ich nehme an“ keine Willenserklärung darstellt, die allein aus ihrem Wortlaut heraus verständlich wäre. Erst eine Berücksichtigung der Gesamtumstände, insbesondere des Inhaltes der vorangegangenen Angebotserklärung des V über den Preis von 4.900 €, ergibt, dass die Erklärung von K nur als Annahme des Vertragsangebotes zu diesem höheren Preis von 4.900 € verstanden werden kann. Denn: Vertragserklärungen sind als empfangsbedürftige Willenserklärungen gem. §§ 133, 157 BGB so auszulegen, wie sie der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen durfte. ( Auslegung von Willenserklärungen) Entscheidend ist also nicht, welche Bedeutung K seinen Worten „Ich nehme das Angebot an“ beigemessen hat (4.100 €), sondern wie V sie vernünftigerweise verstehen musste (4.900 €). Aus diesem Grunde lautet die Erklärung von K in ihrer ausführlichen Form vom objektiven „Empfängerhorizont V“ her: „Ich nehme Ihr Angebot an, mir den Wagen für 4.900 € zu verkaufen.“ Sie weicht mithin von seinem wahren Willen ab und berechtigt K zur Anfechtung der Erklärung.

Die vorstehenden Überlegungen gehen von der Grundlage aus, dass das Angebot des V über 4.900 € lautet. Dies ist allerdings nicht selbstverständlich, weil es sich bei dem Vertragsangebot gem. § 145 BGB um eine empfangsbedürftige Willenserklärung handelt und der Empfänger – hier K – die Erklärung mit dem Inhalt 4.100 € wahrgenommen hat.

Die Anwendung des vorstehend hervorgehobenen Grundsatzes bestätigt jedoch die Richtigkeit der Prämisse: Maßgeblich ist danach nämlich nicht, wie K die Erklärung verstanden hat, sondern wie er sie gem. §§ 133, 157 BGB nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte von seinem Empfängerhorizont aus verstehen musste. Angesichts des klaren Wortlauts des Angebotes, der für eine Auslegung schon gar keinen Raum lässt, musste K daher die Erklärung des V als ein Angebot über 4.900 € verstehen.

 

Irrtum bei Abschluss des Verpflichtungsgeschäftes

Regelmäßig irrt sich der Erklärende nur beim Abschluss des Verpflichtungsgeschäftes. Demgegenüber basiert der Abschluss des anschließenden – oder gleichzeitig vorgenommenen – Verfügungsgeschäftes (z.B. die Übereignung) zumeist nicht (auch) auf dem Irrtum, sondern lediglich darauf, dass ein – zunächst – wirksames Verpflichtungsgeschäft vorliegt, das zu erfüllen ist.

 

Beispielsfall: Bereits bei Abschluss des Kaufvertrages übereignet der Gebrauchtwagenhändler Windig im obigen Fall d. Felix Flott den VW-Cabrio durch Einigung und Übergabe gem. § 929 S. 1 BGB. Anschließend erfährt Felix den wahren Kilometerstand und erklärt die Anfechtung. – Wer ist Eigentümer des Pkw?

 

Nachdem der Wagen zunächst Windig gehört hatte, ist Felix durch Übereignung gem. § 929 S. 1 BGB Eigentümer geworden. Er hat das Eigentum anschließend auch durch die Anfechtung nicht verloren: Ein Anfechtungsgrund besteht nämlich nur für den Kaufvertrag, weil nur für seinen Abschluss auf Seiten von Felix der Eigenschaftsirrtum bezüglich der Laufleistung kausal war. Demgegenüber besteht für die Einigungserklärung im Rahmen der Übereignung kein Anfechtungsgrund: Sie beruht nämlich allein darauf, dass ein wirksamer Kaufvertrag bestand, der von Felix u.a. durch die Annahme des Übereignungsangebotes zu erfüllen war. Hieran ändert wegen des Abstraktionsprinzips auch die Tatsache nichts, dass beide Geschäfte gleichzeitig – und auf jeder Seite durch nur eine einzige Erklärung – abgeschlossen wurden.

Dasselbe gilt für das Eigentum an dem von Felix für den Wagen bezahlten Geld.

Beide Vertragspartner haben jedoch einen Anspruch auf Rückgewähr des Eigentums (Windig an dem Wagen, Felix an dem Geld) aufgrund von § 812 Abs. 1 S. 1 BGB, weil den erbrachten Leistungen – inzwischen – der Rechtsgrund fehlt. Der Kaufvertrag, der ursprünglich Rechtsgrund für die Übereignung gewesen war, ist nämlich durch die wirksame Anfechtung der Willenserklärung von Felix rückwirkend unwirksam geworden, § 142 BGB.

Abweichendes gilt allerdings nach herrschender Meinung, wenn Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft ausnahmsweise als ein einheitliches Rechtsgeschäft i.S. von § 139 BGB anzusehen sind. 

 

Irrtum bei Abschluss des Verfügungsgeschäftes

Der Irrtum kann sich aber auch gerade auf die Einigungserklärung im Rahmen des Verfügungsgeschäftes beziehen. Das ist z.B. der Fall, wenn sich der Verkäufer nicht schon bei Abschluss des Kaufvertrages, sondern erst später bei der Auswahl der zu übereignenden Ware irrt. Übereignet etwa ein Verkäufer anstelle der gekauften 100 Schraubendreher der Marke „Drehleicht“ Typ „K“ versehentlich ebenso viele Schraubendreher des höherwertigen Typs „KX“, so liegt ein Erklärungsirrtum vor. Dieser Irrtum betrifft aber nur die Übereignung, weil er bei Abschluss des Kaufvertrages noch nicht aufgetreten ist. Der Verkäufer ist daher zur Anfechtung der Übereignung, nicht aber des Kaufvertrages berechtigt. Er kann deshalb nach erfolgter Anfechtung die Rückgabe der gelieferten Schraubendreher des Typs „KX“ gem. § 985 BGB verlangen, bleibt aber zur Erfüllung des Kaufvertrags bzgl. Typ „K“ verpflichtet. 

 

Abweichend von den oben zur Anfechtung wegen Irrtums aufgestellten Grundsätzen erstreckt sich das Anfechtungsrecht in den Fällen des § 123 BGB nicht selten auf das Verpflichtungs-   u n d   das Verfügungsgeschäft, weil die Täuschung oder Drohung sowohl bei Abschluss des Verpflichtungsgeschäftes als auch noch bei der – zumeist gleichzeitig erfolgenden – Vornahme des Verfügungsgeschäftes vorliegt.

 

Beispiel: Hat Rudi im obigen Beispiel auf Drohen von Felix, die Alkoholfahrt anzuzeigen, diesem ein Darlehen über 1.000 € gewährt und sogleich ausgezahlt, so führt die spätere Anfechtung seiner Willenserklärung sowohl zur Nichtigkeit des Darlehensvertrages als auch der Übereignung des Geldes.