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Der 1. zentrale Helfer im Kampf für das Verstehen und gegen das Vergessen: Das Baumdiagramm

Stellen Sie sich einmal einen großen Supermarkt vor. In einem solchen Einkaufsmarkt muss ein Ordnungssystem herrschen, sonst ginge er Pleite, weil der Kunde nichts fände und verschreckt den Laden verließe. Nehmen wir an, unser Supermarkt verfügte über ein Warenangebot von 10.000 Artikeln, die unsystematisch wild verstreut über die Verkaufsfläche verteilt wären, und fragen uns, was nun geschehen würde. Da der gewünschte Artikel überall und nirgends stehen könnte, wäre es rein theoretisch möglich, dass der Kunde 9.999 Artikel durchmustern müsste, ehe er seine gesuchte Ware gefunden hätte. Was der Jurastudent schon im ersten Semester an „juristischen Informationen“ im Kopf hat, überschreitet bei Weitem die Zahl von 10.000 Jura-„Waren“. Würden diese „Informationswaren Jura“ unsystematisch, rein zufällig im Studentengedächtnis gespeichert, würde der Student beim Denken, Suchen und Erinnern wahnsinnig – so wie der Supermarkt bankrott ginge. Da dies nun weder hier noch da so ist, müssen Jura und Supermarkt etwas mit System und Ordnung zu tun haben. Ja, Systeme bringen Ordnung in das Ganze!

Das Baumdiagramm ist das beste Entkomplizierungsmittel für juristische Supermärkte und damit ein juristischer „Lern-Star“. Es bringt Ordnung in das Oben und Unten, Rechts und Links der Juristerei und ist ein Kunstgriff, der das intelligente, strukturierte, Ihr nach Einfachheit und Behalten strebendes juristisches Lernen entscheidend fördern kann. Das richtige „Juralernen“ erfasst ja nie einen singulären Fall, ein einzelnes Gesetz oder ein vereinzeltes Problem, sondern immer auch ihre Einbettung in den über-, neben- und untergeordneten Systemzusammenhang. Suchen Sie diese juristische Verallgemeinerung hinter dem Speziellen, das Zusammenhängende im Zusammenhanglosen, das Abstrakte im Konkreten. Fragen Sie sich deshalb immer: „Was will mir dieses Gesetz, dieses Problem, dieser Fall über sich selbst hinaus sagen?“ – „Wofür stehen sie im juristischen System Pate?“ – „Wie ordne ich die Antworten auf diese Fragen in meine juristischen Gesamtzusammenhänge ein?“

Potente juristische Studentengehirne stärken sich nicht nur durch Lesen und Hören, sondern mehr noch durch die Systematisierung des Gelesenen und Gehörten. Sie suchen nach dem dahinterstehenden System. Als Eselsbrücke könnte der Merkspruch dienen: „Dem System Jura ist das System systemimmanent.“ Diese „Systematik“ erlaubt es, ursprungsverwandte Gesetze, Paragraphen und Rechtsinstitute trotz ihrer Abwandlungen in Sprache, Aufbau, Funktion und Stellung zu identifizieren. Je systematisierter Ihr Lernstoff, desto höher ist die Behaltensquote.

Überforderung entsteht im Jurastudium durch eine Oberflächenorientierung, wenn Sie die juristischen Inhalte als unzusammenhängende und nebeneinanderstehende Einzelteile wahrnehmen. Das führt zu Auswendiglernen ohne Verständnis und zu einem Gefühl des Verlorenseins. Sie lernen aus Angst, rein extrinsisch motiviert. Lernen Sie dagegen, in übergeordneten Zusammenhängen, verknüpfenden Netzwerken und strukturierten Hierarchien Wissen einzuordnen – wie jetzt in unseren Baumdiagrammen –, lernen Sie mehr und mehr aus Freude, tief und intrinsisch motiviert.

Es gibt keinen (!) juristischen Lernbereich, in dem Sie das „Lernwerkzeug Baumdiagramm“ nicht einsetzen können! Es gibt kein Problem oder Stoffgebiet, welches Sie nicht in der Systemdiagrammform strukturiert darstellen und sich einprägen können. Sie müssen sich nur darum bemühen und sich im Systemdiagrammdenken und Strukturieren des juristischen Lernstoffes trainieren! Jede juristische Information haftet ganz anders in Ihrem Juragedächtnis, wenn sie von einem Baumdiagramm huckepack genommen worden ist. Dieser juristische Lern-und-Verständnis-Auf-bereiter ist von allergrößter Bedeutung für Ihr juristisches Verstehen, Lernen und Behalten sowie Garant dafür, zu verhindern, dass Informationen von Ihrem Kurzzeitgedächtnis bewusst oder unbewusst nicht ins Jura-Langzeitgedächtnis transportiert oder von diesem wieder vergessen werden. Die detektivische Suche nach systematischen Gemeinsamkeiten und Unterschieden, Querverbindungen und Ankopplungen lohnt sich – Sie behalten besser!

Das Wort „System“ bedeutete ursprünglich etwas eher Konkretes: Ein aus mehreren realen Teilen zusammengesetztes und gegliedertes Ganzes (griech.: syn, zusammen; histanai, stellen). Ein „reales Puzzle“. Auf den Hochschulen versteht man unter System heute eher etwas Abstraktes: Eine geordnete „Zusammenstellung“ zusammengehöriger abstrakter Denkbestimmungen (z.B. juristischer Inhalte) zu einem relativ geschlossenen Ganzen. Ein „geistiges Puzzle“, bestehend aus Über- und Untersystemen, die innerlich miteinander verbunden sind.

Ein paar Beispiele für solche „Puzzles“?

●    Das „System Kosmos“ zerfällt in viele Galaxien-, Sonnen-, Planetenuntersysteme, die wahrscheinlich unzählig oft unter- und nebeneinander stehen, innerlich systematisch-verbunden durch die Naturgesetze.

●    Unser „System Körper“ umfasst Organ-, Gefäß-, Kreislauf-, Nervenuntersysteme, innerlich systematisch-verbunden durch physiologische Abläufe.

●    Das „System Politik“ gliedert sich hierarchisch und sachgebiets-systematisch in Staats-, Verwaltungs-, Wirtschaftsuntersysteme über-, unter- und nebeneinander, innerlich systematisch-verbunden durch ein (hoffentlich) am Gemeinwohl orientiertes Handeln.

●    Auch das „System Recht stellt ein gegliedertes Ganzes dar. Es ist so ein „reales“ wie „geistiges Puzzle“, ein Inbegriff von Begriffen, ein Ganzes von Gesetzen, Regeln, Prinzipien, Sätzen und Methoden, die durch eine gemeinsame Form und Methodik innerlich systematisch verbunden sind. Es erscheint als ein vereinigender pyramidaler Aufbau aus einfachen, sich nach oben fortgesetzt verjüngenden und komplizierenden Elementen, wie Etagen und Stockwerke, die sich neben- und übereinander lagern. Es gliedert sich nach seinen parallelen Rechtsbereichen in Öffentliches Recht, StGB, BGB und den „Rest“ immer von oben nach unten in einer hierarchisch abgestuften Begriffsfolge, der organischen Einheit des juristischen Rechtsbereichs entsprechend.


Das Verstehen dieser „Systembäume“ ist nicht nur für Astronomen, Mediziner oder Politiker bedeutsam, sondern ganz wichtig für Ihr theoretisches juristisches Verständnis. Aber auch praktisch für Ihr juristisches Lernen. Oft können Sie damit Ihre Lern- und Verstehensprobleme in einer Weise so schlau simplifizieren, dass Sie selbst verwundert vor Ihren Baumdiagrammen stehen.Die Baumdiagramme sind die wichtigsten Strukturierer für Sie, die Stars unter den juristischen Verstehens-, Behaltens- und Lernhilfen, und das ein juristisches Leben lang.

Und so funktioniert nun ein solches Baumdiagramm.

Seine Theorie heißt: Bäume pflanzen! Ihnen einen Namen geben! Äste, Zweige und Blätter mit Etiketten beschriften! Die Struktur eines Baumdiagramms kann mit der Ansicht eines Baumes aus der Froschperspektive verglichen werden. Während der „Stamm“ mit dem Namen des Themas bezeichnet wird, markieren die „Äste“ zugehörige Hauptpunkte, die „Zweige“ Unterpunkte und die „Blätter“ Feinpunkte. Die nachfolgenden vier Schritte sollen Sie zu einem ersten Verständnis führen.

  1. Schritt: Nehmen Sie einen DIN-A4-Bogen im Querformat und etikettieren Sie oben in die Mitte des Blattes das zentrale Thema.
  2. Schritt: Von Ihrem Zentrum (dem „Stamm“ Ihres Baumes) gehen Hauptäste aus, die Ihr Thema in einzelne Bereiche – Hauptpunkte – aufsplitten. Sie gewinnen eine Grobstruktur. Die Hauptäste etikettieren Sie als Hauptpunkte mit prägnanten Stichwörtern.
  3. Schritt:An die Hauptäste können weitere Zweige und Blätter angefügt werden. Sie stellen einzelne Ideen oder Ideengruppen dar. Nun werden Sie es zu schätzen wissen, ein DIN-A-Blatt im Querformat gewählt zu haben. Einzelne Stichwörter als etikettierende Bezeichnungen der Zweige genügen als Assoziation für Ihr Gedächtnis und Gehirn. Doch sollten die Etiketten von Ihnen mit Pfiff individuell und vor allem merkfähig gewählt sein.

4. Schritt:Nachdem Sie das Baumdiagramm erstellt haben, können Sie durch Nummerierungen Prioritäten setzen oder Bearbeitungsreihenfolgen festlegen.

Egal was an juristischen Problemen, Paragraphen oder Instituten auf Sie zukommt, und das werden gerade am Anfang nicht wenige sein, Sie können sich selbst immer wieder mit Ihren Baumdiagramm-System-Wegweisern in die Gesetzessystematik hineinfinden. Sie können Ihre neue Erkenntnis an die alten Erkenntnisse besser ankoppeln und Neues wie Altes in die Systeme eintäfeln und so im Gedächtnis dauerhaft fixieren.

Sie sehen, dass jeder beliebige Punkt innerhalb eines solchen systematischen Strukturbaums durch eine dreifache Blickrichtung seine Prägung erhält:

  •  Blick nach oben     –>     höhere, abstraktere Begriffe
  • Blick nach unten   –>      niedrigere, konkretere Begriffe
  • Blick zur Seite        –>      parallele, gleichgelagerte Begriffe

Schon sind Sie drin – im hierarchischen System! Es ist eine Matroschka-Technik wie bei den russischen Püppchen, orientiert am Enthaltensein von Etwas in Etwas, vom kleinen „In“-halt bis zur Vereinigung aller kleineren Behälter im Großbehälter der Rechtordnung.

Nehmen wir an, Sie sollten das „System Strafrecht“ so aufschlüsseln, dass Sie es abrufbereit behalten.

Mehr steht nicht im Allgemeinen Teil des StGB. Egal, wo und wann ein Strafrichter in deutschen Gerichtssälen zu Gericht sitzt, er hat es immer mit: Tatbestand, Rechtswidrigkeit oder Schuld, mit Täterschaft und Teilnahme, Versuch, Unterlassen oder Irrtum – jeweils kombiniert mit einem oder mehreren Tatbeständen des StGB-BT zu tun. Ganz gleich, wo Sie auch demnächst bei der Stoffvermittlung im Strafrecht stehen, Sie haben im Labyrinth des allgemeinen Teils immer Ihren roten „Ariadnefaden” in Form eines „Baumdiagramms“ in der Hand.

Und so weiter, und so weiter! Sie werden bald selbst erkennen, dass die Rechtsordnung ein festgefügter Regelraum mit immanenten Hierarchien, Parallelen und Strukturen ist, letztlich ein durch logisch erschließbare juristische Baumdiagramm-Systeme gebändigtes Gesetzeschaos.

Sie werden erkennen,

  • warum Systemdenken in Baumdiagrammen ein methodisches Zaubermittel für das kreative juristische Verstehen ist,
  • warum für das Verstehen die wichtigste Ebene der Systemhierarchie nicht die unterste, sondern die oberste ist,
  • warum Sie, je höher Sie in den Ebenen emporklettern, desto mehr vereinfachen,
  • warum ein immer wieder erneutes Abfahren der Strukturen mit dem Zeigefinger nach oben, nach unten und links und rechts nicht umständlich und „typisch schulmäßig“ ist, sondern die Sicherheit bringt, die später die Abkürzungen ermöglicht, direkt zu den Problemen auf der untersten Ebene zu gelangen, ohne sich zu verfahren,
  • warum nur über die Baumdiagramme die dasGanze überblickenden Überblicke, Durchblicke und Einblicke und damit das juristische Verständnis gewonnen werden können,
  • warum Baumdiagramme beim Juralernen auch für Sie das A und O sind.


Sie sehen, wie die „Punkte“ (Begriffe) einander einschließen und wie durch den weiteren, d.h. allgemeineren Begriff, alle unter ihm liegenden engeren Begriffe mitgedacht werden. Daher gilt das, was vom weiteren Begriff gilt, auch von allen in ihm enthaltenen. Der Jurist sucht daher zuerst die im allerobersten Begriff gedachten weitesten Begriffssphären zu bestimmen. Denn dadurch hat er dann auch alle engeren in jenem gedachten Begriff mitbestimmt und kann nun mittels Aussonderung immer engere Begriffe genauer und genauer bestimmen. Dies ist eigentlich nichts Besonderes, es ist der tatsächliche Weg jeder Wissenschaft, also auch der Rechtswissenschaft. Durch diesen Weg wird es möglich, einen „Gegenstand“ ganz zu umfassen und von allem ihm Zugehörigen Rechenschaft abzulegen. Dieser Gang vom Allgemeinen zum weniger Allgemeinen, zum immer näher Bestimmten, hin zum Besonderen, ist es, was die Wissenschaft vom Allgemeinwissen unterscheidet. Diese systematische Form, das planmäßige und geregelte Unterordnen der Begriffe ist das wesentliche und charakteristische Merkmal eben auch der Jurisprudenz. Es ist ein System von Koordination und Subsumtion, von Nebeneinander und Untereinander, von Breite und Tiefe, von Horizontal und Vertikal.

Signalisieren lässt sich diese Erkenntnis über das Baumdiagramm in den Merksprüchen:

  • Wichtiger als das Jura-Wissen selbst ist der Weg zum Jura-Wissen! Der beste Weg führt über das System Baumdiagramm!
    • Nicht nur das Produkt, sondern mehr noch der Prozess ist für das Verstehen maßgebend! Das Baumdiagramm ist das erkenntnisgewinnende prozesshafte Zu-Werke-Gehen zum Produkt „Juristisches Verständnis“!
    • Das Baumdiagramm ist der juristische Lerndietrich für die juristischen Tresore!
    • Ihre juristische Erkenntnis reift am juristischen Baum der Erkenntnis!


Nun einige Grundregeln zum Umgang mit diesem „Baum der Erkenntnis“, diesem neben dem Wiederholen zentralen Helfer im Kampf gegen das Vergessen!

  •    Schreiben Sie immer in Druckbuchstaben! Die Begriffe werden vom Auge besser wahrgenommen.
  •    Nehmen Sie kurze, prägnante, individuelle, griffige Begriffe! Sie werden als Bild von Ihnen aufgenommen und besser gemerkt. Etikett und Bild ergänzen sich!
  •    Benutzen Sie für Stamm, Ast, Zweig und Blatt vertikal (Begriff, Hauptpunkt, Unterpunkt, Feinpunkt) oder horizontal (alle Haupt-, Unter- und Feinpunkte), wenn möglich, unterschiedliche Farben! Benutzen Sie immer dieselben Farben! „Rot“ für Stämme; „Gelb“ für Äste, etc. … So lassen sich Zusammenhänge im Geäst besser verdeutlichen.
  •    Setzen Sie nicht viel mehr als 4 Ebenen ein! Ihr Gehirn weigert sich sonst mitzumachen und versenkt Ihr gesamtes System in den Orkus ewigen Vergessens.
  •    Lassen Sie Platz in jeder „Etage“! Denn: Was Ihnen später noch einfällt, lässt sich dann unschwer noch einhängen.


Den Einsatz dieser Baum- oder Systemdiagramme beherrschen nur wenige Studenten. Und doch liegen diese System-Bäume wie Gitternetze aller juristischen Komplexität, allen juristischen Denkvorgängen und Tätigkeiten zugrunde. Sie müssen lernen, alles Juristische zu systematisieren und so systematisch-horizontal und systematisch-vertikal durchdringbar und … erinnerbar zu machen. Die Kenntnis der gesetzlichen Gesamt- und Einzelbaupläne mit ihren Tatbestands-Bauelementen und Rechtsinstituten, die sich vernetzen, ankoppeln oder andocken, muss Ihnen zwangsläufig die entscheidenden Vorteile in Ihrem Lernen bringen. Und wird, wie zu erwarten, die Verflechtung dieser Bauplan-Wechselwirkungen und der oben dargestellten Assoziationsketten sehr umfangreich, dann wird auch die Aussicht auf Entflechtung ohne Kenntnis des flechtenden Netzwerkes verschwindend gering. Für das Lernen und Behalten des Gelernten ist das Anlegen solcher Ordnungen unumgänglich.

Wissen reicht in der Juristerei nicht, man muss es „verstehen“. „Verständnis“ bedeutet eine zumindest vorläufige stabile Deutung von systematischen Zusammenhängen mit der Bereitschaft zur Korrektur. Wie funktioniert „verstehen“? – Durch Phänomene wie Methodenkompetenz, Systemkenntnis, entkomplizierende Vereinfachung, Prägnanz, Sinnfälligkeit und Ordnung, eben auch durch Baumdiagramme.

Wird nun bei Ihnen diese Erkenntnis sehr früh geweckt und ihre Grundstruktur fest auf Ihrer Gedächtnisfestplatte verankert, dann wird auch die Gefahr, sich im „System Jura“ zu verlaufen, geringer. Mit solchen Systemen lernen Sie allmählich das Recht „beherrschen“ in seinen Hierarchien, seinen Tiefen (Blick nach unten), Breiten (Blick zur Seite) und Höhen (Blick nach oben) und mit seinen vielen tausend Verästelungen. Mit solchen Systemen hat man anfangs noch grobmaschige, allmählich immer feinmaschigere juristische Landkarten im Kopf und kann sich immer besser orientieren.

Viele Dozenten, die meisten Lehrbücher und insbesondere die Kommentare favorisieren nicht die Baumdiagrammtechnik, sondern das punktuell-lineare Denken. Dabei werden Gesetz für Gesetz, Tatbestandsmerkmal für Tatbestandsmerkmal, An-spruchsvoraussetzung für Anspruchsvoraussetzung, Punkt für Punkt jeweils getrennt voneinander angegangen. Diese werden dann nur durch „Herab-Blicke“ nach unten ohne systemknüpfende „Seiten-Blicke“ oder „Auf-Blicke“ abgehandelt, also ohne immer wieder (!) den Weg über die darüber oder daneben gelagerten Baumstrukturen zu nehmen. Häufig wird ein weiterer Fehlgriff getan, indem man „den Ausgangsfall“ pausenlos abbricht und variiert, so dass der Student zum Schluss den Ausgangsfall gar nicht mehr im Auge hat. Stichwort: Abwandlung bis zur Unkenntlichkeit. Der Student ahnt zwar, dass irgendeine höhere Systematik dahinterstecken muss, verbleibt aber mit sich allein gelassen in der meist unbegründeten Hoffnung, diese Systematik eines fernen Tages auch einmal zu durchschauen. Merkmal für Merkmal wird vom Dozenten oder Lehrbuch mit Mühe und Fleiß jeweils als Solitär in Linien ge-pflanzt, ohne dass sich diese isolierten und zusammenhanglosen Einzelstämme im Langzeitgedächtnis zu einem stattlichen Wald zusammenfügen.

Hier passt das Sprichwort: Der Student sieht vor lauter Bäumen (Einzelheiten) den Wald (Gesamtwerk) nicht mehr.

Nicht, dass Sie mich jetzt falsch verstehen. Ich will diese punktuelle Methode keineswegs verteufeln – auch sie hat ihre gute Seite. Der Student lernt das „handling” mit Teilstücken in Teilgebieten und gewinnt Sicherheit im Umgang mit dem Gesetz und seinen Tatbestandsmerkmalen, sofern er sich immer wieder zwingt, hineinzuschauen. Aber der große Durchblick bleibt verschwommen! Die Ausdifferenzierung in den Teilstücken verstellt den Blick auf das Ganze. Das Ganze ist aber vor seinen Teilen.

Worum es mir geht: Sie müssen bald begreifen, dass alles keine Zauberei und kein kunterbuntes Paragraphengewimmel in „Recht und Gesetz“ ist, sondern dass immer (fast immer?) Systeme dahinter stecken. Sie müssen sich möglichst schnell ein nach Systematisierung strebendes juristisches Denken angewöhnen. Das kann man lernen! Das riesige Gewimmel der für Sie neuen bürgerlich-rechtlichen, verfassungsrechtlichen oder strafrechtlichen Paragraphenwelt können Sie nur parallel systematisch (Analogie: Supermarkt: Lebensmittel – Textilien – Musik – Haushalt)  und systematisch-hierarchisch (Analogie: Supermarkt: Lebensmittel unterteilt in: Käsetheke – Wursttheke – Weine – Obst – Gemüse; Gemüse wiederum unterteilt in Kästen mit Bohnen, Möhren, Paprika; Textilien unterteilt in: Herrenmode – Damenmode – usw.) von oben nach unten und von links nach rechts denken. Der Übergang vom schulischen zum juristisch-wissenschaftlichen Denken erfordert das Erfassen dieses „System Recht“ und zuvor die Erkenntnis, dass man solche Zusammenhänge natürlich nur dann begreifen kann, wenn auch zuvor juristische Einzel-Dinge gelernt sind, zwischen denen man dann erst einen systematischen Zusammenhang herstellen kann.

Sie werden sehen, dass das bloße Vorlesungs-Hören und Literatur-Lesen Ihnen allein nicht helfen, um Jura im Gedächtnis zu behalten. Sie müssen sich schriftliche Diagramme und Übersichten entwerfen, in denen Sie dazu das juristische Detail, immer dem juristischen Gesamtgefüge zugehörig, unter- und einordnen können. Beim weiteren Lernen ist es von Vorteil, wenn man die selbst erstellten Übersichten und Diagramme vor sich hinlegt, so dass man beim Unterordnen, Einordnen und Klassifizieren des juristisch Einzelnen nie das Ganze aus dem Auge verliert. Dies ist beim juristischen Denken ein Haupterfordernis.

In jedem Problem, Fall und Gesetz steckt mehr als das real Anwesende! Denken Sie das real abwesende, aber potentiell anwesende „System Jura“ ab jetzt immer „mehr oder weniger“ mit. Das schult das juristische Verständnis. Das „Mehr oder Weniger“ gibt dabei den Ausschlag dafür, ob Sie ein guter oder schlechter Jurabeginner werden. Das Baumdiagramm-System ist der Hintergrund für jedes juristische Problem. Zunächst müssen Sie die juristischen Problemfelder  aus Vorlesung oder Lehrbuch natürlich erkennen, klar. Dann müssen Sie das erkannte Problem analysieren und optisch in unseren „Bäumen“ strukturiert darstellen! Denken Sie daran: Der Mensch ist ein Augentier. Über das Sehen ist es leichter zu denken – und zu behalten. Diese Aufnahmebereitschaft des Auges müssen Sie immer für sich ausnutzen. Sie müssen lernen, in Form solcher Systembäume die Juristerei, Ihren zu erarbeitenden Stoff, das Rechtsgebiet, das Rechtsinstitut, den Fall, das Gesetz, schlicht alles Juristische zu systematisieren. Das Auge ist noch lange aufnahmefähig, wenn der Verstand schon ermattet ist. Um sich Wissensgebiete begreiflich zu machen, müssen Sie mehr zum Auge reden. Das Mittel: der juristische Baum der Erkenntnis!

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