Klausurenschreiben zu erlernen, ist das praktische Ziel des juristischen Studiums, nämlich ein methodisch geleitetes, wissensbasiertes, handwerkliches Falllösen. Dabei gilt: Sie schreiben Ihre Klausuren nicht für sich, sondern für einen anderen! Deshalb legen Sie Ihre Arbeit auf den Korrektor hin an, wählen Sie eine Sprache und Form, die einer positiven Kommunikation mit ihm dienen. Sie müssen sich Ihren Korrektor durch eine ansprechende Aufmachung und Sprache „einkaufen“. Denken Sie daran, dass Ihr „Benoter“ ein geplagter Mensch ist, der schon viele schlechte Arbeiten gelesen hat, übel gelaunt und enttäuscht über sich oder die Studenten sein kann, sich seit Stunden mit unleserlich geschriebenen, schlecht oder gar nicht gegliederten Elaboraten herumschlägt und verärgert über so viel „juristischem Unsinn“ sitzt. „Hoppla – was ist denn das?“ Jetzt kommt er zu Ihrer Arbeit, die bereits durch Form, Stil, Gliederung und Sprache anspricht. Ihre pragmatische Taktik muss darin bestehen, ihn aus seiner traurigen beruflichen Situation als Korrektor herauszureißen und mit Ihrem Produkt für sich einzunehmen. 

Auch bei Klausuren gilt: „Verkaufen will gelernt sein!“ Überzeugen Sie ihn! Begeistern Sie ihn! Begeisterte und überzeugte Dozenten geben gute Noten

 

Studentenaufschrei: „Juristische Klausurenkontrollen sind Teufelei. Wie der aufschlussreiche Begriff schon lautet: Klausuren stellen‘ erinnert so verdammt an ‚Fallen stellen‘. Sie sind nur wirklichkeitsfremde Fiktionen, Exotenfälle, Imitationen des Lebens. Zeremonien zum Training, sich selbst als alleiniges Arbeitsmittel zu empfinden,  folglich unmoderne Anti-Team-Trainer. Juristische Klausuren sind Einpauker in die herrschende Meinung, damit Anpassungsinstrumente in gefängnisähnlicher, erstickender Umgebung mit patroullierenden Aufpassern in Klausuren- und Seminarsälen. Juristische Klausuren werden auch noch ohne Kommentare geschrieben, sind damit literatur- und wissenschaftsfeindlich.“ 

 

Ist wirklich etwas so Arges an einer Klausur, oder ist sie mehr verrufen als schlimm? Wir werden sehen, ob es sichere Beweisgründe für eine solche „Klausurenteufelei“ gibt. Seien Sie nicht vor der Zeit unglücklich, da jene Dinge, die Sie mit Entsetzen erfüllen (schlechte Noten), vielleicht niemals eintreffen werden. Allerdings muss man sich intensiv auf das erste „Rendezvous“ mit ihr vorbereiten! Optimale Klausuren schreiben kann nur, wer weiß, wie man sie schreibt, warum man sie schreibt, wie man sie komponiert und wie sie bepunktet werden. Einführungen in das juristische Klausurenschreiben können ohne gleichzeitige Einführung in das juristische Klausurenerstellen und Klausurenbenoten eigentlich nicht gedacht werden. ( Beurteilung juristischer Leistungen)

Ein Student, der keine Ahnung von den grundlegenden Regeln für die Strukturierung eines juristischen Sachverhalts, für eine komprimierte Lösungsskizze, von den Kriterien der Bewertung, von der Genealogie der Note, von der äußeren Form, der Klausurensprache, von dem Zeitdruck, von der Technik (Kunstgriffe) und Taktik (planvolles Vorgehen) des Klausurenschreibens hat, kann diese Aufgabe unmöglich bewältigen. Er wird stattdessen von seinen Ängsten überwältigt und scheitert. Schnell ist die Chance einer guten Klausur verspielt. Eine gute Idee, die nur im Kopf oder auf dem Konzeptpapier geblieben ist, findet keine Anerkennung. Ein Klausurenproblem darf nie etwas sein, auf das man erst nach Abgabe der Arbeit kommt. 

 

Klausuren gelingen fast mit naturwissenschaftlicher Gesetzmäßigkeit, wenn man ein streng geordnetes Verfahren einhält, um

Das Prädikatsexamen ist die Summe dieser jurastudentischen Künste.

Dann heißt es: „Verfasser präsentiert eine fehlerfreie Arbeit in Inhalt, Stil und Aufbau – sehr gut“. Methode, Wissen, Technik, Verstand und Gedächtnis reichen sich in der Klausur immer die Hand.

 

Die Informationen für dieses Gelingen und wie man sich auf eine Klausur vorbereitet und wie man mit ihr umgeht, wie sie konzipiert, nach welchen Kriterien sie korrigiert wird und welche Gründe sie dominieren, sind überlebenswichtig. In der Klausur kann man verdammt allein sein – und da kommt es darauf an, wer da allein ist!

 

Da Ihr Dozent unmöglich alle behandelten Vorlesungs- und Unterrichtsinhalte zum Gegenstand der Klausurarbeit machen kann, ist er notgedrungen gezwungen, sich auf kleine Teile des Stoffes zu beschränken. Damit ist jede Klausur nur eine Stichprobe. 

Viele Jungklausuranden leiden unter der Tendenz, handwerkliches Können, Form und Stil zugunsten der materiellen Inhalte zu ignorieren. Sie wenden den juristischen Inhalten und den die Inhalte dominierenden theoretischen Lehrbüchern eine übermäßige Aufmerksamkeit zu und übersehen die Tatsache, dass juristische Klausurenprodukte zwar aus talentierten Geistern, aber auch mit formal geschulten handwerklichen Händen gelöst werden. Klausuren unterliegen einer langen Tradition, die der Student befolgen muss, allenfalls noch modifizieren, aber niemals provokant beiseite schieben darf. Korrektoren entwickeln gerade bei Verstößen gegen Form und Stil einer Klausur manchmal eine fröhliche Mordlust. Erst kommt die Konvention, sprich die Form. Dann kommt die Kreativität, sprich der Inhalt. Das alles kann man lernen! In der Juristerei verhält es sich anders als in den Naturwissenschaften: In einer medizinisch-biologischen Klausur teilte der Dozent die Aufgabentexte aus. Nach minutenlangem Gemurmel sagte eine mutige Studentin: „Aber, Herr Professor, das sind doch dieselben Fragen wie vor zwei Jahren; daran haben Sie nichts geändert!“ Darauf der Dozent: „Stimmt! Aber die Antworten haben sich geändert!“ – Das kann Ihnen in der Juristerei so leicht nicht passieren!

Bei jeder Klausurenlösung haben Sie ein  Gutachten zu erstellen. Das ist das A und das O: 

Bei der Erstellung jedes Gutachtens sollten Sie auf diesem Wege von A nach O nacheinander folgende Schritte zum erfolgreichen Gelingen gehen:

 

  1. Schritt: Die Arbeit am Sachverhalt – Worum geht’s?
  2. Schritt: Die Aufarbeitung der Aufgabenstellung – Was wollen die von mir?
  3. Schritt: Die Suche nach der Antwortnorm – Wer will was, von wem, woraus? – Wer hat sich weswegen, wodurch strafbar gemacht?
  4. Schritt: Die Anfertigung der Lösungsskizze 
  5. Schritt: Das Schreiben der Endfassung 
  6. Schritt – Die Arbeit am Sachverhalt

 

Wichtige Zusammenfassung:

  Notfalls Sachverhalt nach der allgemeinen Lebenserfahrung auslegen.

  Untechnische, laienhafte, häufig in Anführungszeigen gesetzte Ausdrücke beachten! Sie sind ein Indiz für einen Problemschwerpunkt.

  Jede Sachverhaltsangabe ist wichtig, jede!  

  Keine Kritik am Sachverhalt“! Meist ist der Korrektor der Ersteller.

  Unterstellungen sind unzulässig.

  Hinweise „aus dem Mund“ der Parteien sind zwar unverbindlich, stellen aber oft eine verkappte Starthilfe dar.

  „Den Fall kenn ich ja“, gibt es nicht. Jeder Fall ist anders.

  Markieren Sie wichtige Passagen, aber schütten Sie kein gelbes Tintenfass aus. Markieren heißt „hervorheben“, nicht „vortäuschen“.

  Den Fall mehr durch die Brille des Erstellers betrachten. Was will er mir mit dieser Wendung juristisch abverlangen?

 

  1. Schritt – Die Aufarbeitung der Aufgabenstellung („Was wollen die von mir?“)

Aufgliederungstyp a: Aufgliederung nach Anspruchsstellern bzw. Tätern

Aufgliederungstyp b: Aufgliederung nach Rechtsfolgen (Schadenersatz, Erfüllung)

Aufgliederungstyp c:  Aufgliederung nach Sachverhaltskomplexen oder Handlungsabschnitten

Sie müssen so weit untergliedern, bis auch diese Gesamtfragen auf unsere Urformeln „Wer will was von wem woraus?“ und „Wer hat sich weswegen wodurch strafbar gemacht?“ zurückgestutzt sind. Im BGB kann das bei „Drei-Personen-Stücken“ bis zu sechs Beziehungen führen: A ./. B; A ./. C; C ./. B; C ./. A; B ./. A; B ./. C.

  „Ändert sich etwas, wenn …?“ Aufpassen bei Abwandlungsfragen! Wichtigste Prüfungsfrage für Sie: Welcher Teil des Sachverhalts soll dabei unverändert bleiben, welche Teilstücke sollen abgeändert werden? Grundsatz: Die Abwandlung zielt regelmäßig nur auf ein Problem! Sie sollen Ihren Lösungsweg unter diesem Problemaspekt überdenken. Also: Ihr Lösungsweg setzt an der Stelle Ihres Gutachtens neu an, an der sich möglicherweise etwas ändert. Dafür reicht es aus, dass Sie die Begründung modifizieren.

 

  1. Schritt – Die Suche nach der Antwortnorm 

Die Fallfrage geht immer auf  „Sein oder Nichtsein“ einer Rechtsfolge. Der Paragraph, der die gesuchte Rechtsfolge (zunächst) abstrakt enthält, ist die Antwortnorm. Sie enthält das Konditionalprogramm der Tatbestände und Rechtsfolgen der Anspruchsgrundlagen des BGB und der Tatbestände und Rechtsfolgen des besonderen Teils des StGB, die ausschließlich die Ausgangspunkte jeder juristischen Falllösung sind. Das muss immer so sein, weil nur diese Tatbestände als Antwortnormen die im jeweiligen Aufgabenteil des Falles begehrte Rechtsfolge – wenn auch nach irren Umwegen mit Stapeln von Papier – mit „ja“ oder „nein“ beantworten können. Sie stellen Voraussetzungen auf (Wenn) und enthalten eine Rechtsfolge (Dann), die sich auf das zivilrechtliche oder strafrechtliche Verhalten der Personen des zu beurteilenden Falles bezieht. Im Privatrecht heißt die Antwortnorm: Anspruchsgrundlage; im Strafrecht: Straftatbestand

Die in einer Antwortnorm des BGB oder in einem Tatbestand des StGB enthaltene Rechtsfolge darf auch nach der Subsumtion für Sie niemals das „letzte Wort“ sein. Vielmehr steht die gefundene Rechtsfolge immer unter dem Vorbehalt, dass keine weiteren vernichtenden, hindernden, hemmenden, rechtfertigenden, entschuldigenden, beschränkenden oder erweiternden Gegen-, Ausnahme-, Gegen-Gegen-Normen eingreifen. Klausuren sind immer (!) so konstruiert, dass nicht eindeutig ist, ob der Tatbestand einer Antwortnorm gegeben ist oder nicht. Die Lösung eines Falles ergibt sich (fast) nie aus nur einer, vielmehr (fast) immer aus dem Zusammenspiel mehrerer Paragraphen. Dabei kann sich das Zusammenspiel nicht nur aus der Umgebung der Antwortnorm ergeben, sondern es kann sich durch das ganze BGB oder StGB ziehen. ( Schemata für die Klausuren)

Die gefundene Rechtsfolge der Antwortnorm ist also zunächst immer nur vorläufiger Natur. Das macht ja das Gutachten so spannend! Das „(Gesamt-)Gesetz“, nach dem sich die Entscheidung Ihres Falles richtet, ist nicht identisch mit Ihrer gefundenen Antwortnorm. Es ist ein systematisches Netzwerk mehrerer aufeinander bezogener und ineinander verflochtener „(Einzel-) Paragraphen“. Das BGB und das StGB sind jeweils ein Gefüge von Rechtsnormen, in denen, wie in einem Organis-mus, die einzelnen „Organe“, die einzelnen „Paragraphen“, unterschiedliche Funktionen haben, um dem Körper „Gesetz“ in sinnvoller Ordnung zu dienen. 

 

  1. Schritt – Die Anfertigung der Lösungsskizze

Vor der Klausurenendfassung müssen Sie eine skizzenhafte Durchprüfung vornehmen. Jeder Ihrer Prüfungsschritte sollte in eine Lösungsskizze einfließen. Die erstellte Lösungsskizze ist der Dreh- und Angelpunkt Ihrer Klausur. Alles Material, das angefallen ist, sollte einem Gliederungspunkt zugeordnet werden, um sich später in einer endgültigen Lösung widerzuspiegeln.

Es ist ausgeschlossen, sofort mit der Reinschrift zu beginnen. In der Klausurenaufsicht beobachtet man immer wieder Studenten, die schon nach zwanzig Minuten ohne jedwede Lösungsskizze beginnen, das Gutachten niederzuschreiben. Man fragt sich, wie das möglich ist. Ein juristisches Genie muss am Werke sein, oder die Lösung der Aufgabe ist kinderleicht. Beides trifft nicht zu. Vielmehr hat sich der Student eine falsche Klausurtaktik angewöhnt und handelt grob fahrlässig zu seinem Nachteil. Eine gute Note ist nur dem verheißen, der seine Klausurstrategie dahin schult, der Gutachtenniederschrift den Arbeitsgang Gutachtenskizze vorzuschalten.

Nicht wenige halten das Anfertigen einer Lösungsskizze für Zeitverschwendung oder meinen, die Ausformulierung der Lösung sei zeitlich nur zu schaffen, wenn recht bald mit der Niederschrift der Endfassung begonnen werde. Diese Auffassungen sind falsch. Sie berücksichtigen nicht die Vorteile des Arbeitsvorgangs „Lösungsskizze“. 

Die Gefahr, inhaltlich die Kontrolle über Ihre Klausur zu verlieren, ist durch die Lösungsskizze von vornherein gebannt. Zeitlich und sachlich sind Sie der Bestimmende. Ihr Arbeitsstil führt das Geschehen. Und Sie wissen: Bei der nächsten Klausur wird es wieder so sein! Dank Ihrer Lösungsskizze! Die Betonung liegt hier allerdings eindeutig auf: skizzenhaft. Sie haben keine Zeit, die Klausur zweimal zu schreiben! Aber ohne Lösungsskizze ist Ihre Klausur eine Fahrt ins Blaue. Sie dient der Erstellung eines Ordnungsrahmens und – was wichtiger ist – dem richtigen Aufbau und der Schwerpunktbildung. Man kann dem Problem der Schwerpunktbildung nicht dadurch ausweichen, dass man alles in epischer Breite erörtert. Wie schon erwähnt, versteckt jeder Klausurenersteller (Zauberer) in dem Sachverhalt (Zauberzylinder) mehrere Probleme (Kaninchen), auf deren Lösung es ihm entscheidend ankommt. Das sind die Schwerpunkte! Das Wort „entscheidend“ ist wortwörtlich zu nehmen – hier entscheidet sich die Note! Es ist in der Tat eine der wichtigsten strategischen Überlegungen beim Abfassen der endgültigen Lösung, ob und wo man seine „Joker“ (Schwerpunkte) setzt. Das kann man aber erst entscheiden, wenn man den Fall sorgfältig geprüft hat. Probleme, die Sie auf den ersten Blick für „relevant“ gehalten haben, entpuppen sich nicht selten als Scheinprobleme und müssen als Schwerpunkte verworfen werden. Allerdings sollten Sie nicht die ganze Klausur vor der Reinschrift schon so durchdenken, dass Sie, eingezwängt in Ihre Lösungsskizze, Gefangener Ihres Aufrisses werden. 

Nicht selten kommen wichtige Gedanken erst beim Schreiben. Manche (z.B. Kleist) behaupten gar, denken könne man nur beim Formulieren, nicht vorher, weshalb man eine Klausur vor dem Schreiben nicht durchdenken könne. Dem ist aber nicht so, weil man bei der Erstellung der Lösungsskizze auch formuliert, wenn auch nicht ausformuliert schriftlich, so doch gedanklich skizziert. Richtig ist, dass man sich Freiheiten lassen muss, um plötzlichen Eingebungen, Ideen und Strömungen Raum geben zu können. Aber niemand wird etwas dagegen ins Feld führen können, dass man die Arbeit in ihre wesentlichen Bestandteile zerlegt, diese ordnet und strukturiert, die Probleme markiert, wenn auch nicht unbedingt schon löst, Lösungsmöglichkeiten gegeneinanderstellt, Argumente und Definitionen sammelt und festhält, sowie einen Fahrplan und ein Programm aufstellt. 

 

Die abgeschlossene Lösungsskizze gewährt auch die schnellere und stringentere logische Überprüfung des Lösungsgangs. Auf ihrer Grundlage gerät die Darstellung insgesamt geordneter, klarer, zielgerichteter. Stellenweise lässt sich über Aufbaufragen streiten. Nicht immer gibt es eine unumstößliche Logik in der Darstellungsweise. Jedoch auch dann ist es förderlich, wenn Sie sich vorweg für einen Weg entschieden haben. 

Oftmals liest man im Gutachten eine Begründung für den Aufbau, den der Verfasser legitimieren will. Dahinter verbirgt sich nicht selten Unsicherheit. Es geschieht aber auch, wenn klar ist, welches der nächste Schritt zu sein hat. Dem Korrektor wird mitgeteilt, was nunmehr aus welchem Grund zu prüfen ist. Solche Passagen sind überflüssig. Der richtige oder vertretbare Aufbau ergibt sich aus sich selbst. Es ist zu prüfen: ohne Ankündigung. Derartige Überflüssigkeiten lösen sich auf, wenn das Gutachten auf der vorgedachten Spur seines stichwortartigen Entwurfes verläuft. 

Überhaupt sind viele Arbeiten gefüllt mit Gedankenanläufen, bevor der Gedanke präzise präsentiert wird. Man darf nicht verlangen, dass der Verfasser immer sofort auf den Punkt kommt. Aber häufige unangemessene Breite ist ein Indiz dafür, dass der Verfasser sich ohne Lösungsskizze bis zu seinem Endergebnis vorgetastet hat. 

Eine Äußerlichkeit ist der stärkste Beweis:

Die besten Arbeiten sind selten die längsten!

Bei vielen Arbeiten wird alles als gleich behandelt, manchmal sogar Unproblematisches breit, Problematisches marginal: die Zuständigkeiten auf zwei Seiten, das materielle Hauptproblem in zwei Sätzen. Auch für dieses Phänomen ist Ursache, dass auf die Vorarbeit der Lösungsskizze verzichtet oder ihr zeitlich und inhaltlich nicht genügend Raum gegeben wurde. Freilich erfordert die Schwerpunktbildung auch Mut und Können. Die Gleichbehandlung von Unproblematischem und Problematischem beruht auf der Angst und Unsicherheit, möglicherweise falsch zu gewichten. 

Beispiel: Bei der Prüfung des § 242 StGB – die Diebstahlsprüfung macht offensichtlich zwei Drittel der Gesamtprüfung der Klausur aus – kommen Sie schon gleich zu Beginn zu dem Ergebnis: das TBM „fremd“ liegt für Sie wegen einer erfolgten wirksamen Anfechtung der Übereignungserklärung durch den Täter gar nicht vor: Ende der Fahnenstange? Oder: Weiterschreiben? Sie fühlen, dass weitere „Kaninchen“ bei den Tatbestandsmerkmalen „Wegnahme“ und „Zueignungsabsicht“ im Zylinder sind – was sollen Sie tun? 

 

Zunächst: In der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle ist ein Hilfsgutachten ein Indiz für eine falsche Lösung. Also überprüfen Sie sich und Ihren Geistesblitz noch einmal! Auf der anderen Seite ist das Weglassen des Hilfsgutachtens ein Zeichen für Mut und Selbstbewusstsein, da Sie von dem konzipierten Entwurf abweichen. Aber man sollte auch an die Folgen denken, wenn es schief geht. Sich im Strafrecht offensichtliche Rechtfertigungsprobleme dadurch abzuschneiden, dass man den Tatbestand mit abenteuerlicher Begründung bereits verneint, erscheint lebensgefährlich. Wenn Sie aber ein Hilfsgutachten anfertigen, dann machen Sie Nägel mit Köpfen, und markieren Sie das Hilfsgutachten deutlich als solches – und lassen Sie nicht einfach alles offen! Also: Hauptgutachten durch ein eindeutiges Ergebnis abschließen! „Also war die Sache wegen der erfolgten Anfechtung für den Täter nicht fremd.“ Dann: „Da wegen der Verneinung des Merkmals „fremd“ die weitere Problematik nicht behandelt werden konnte, unterstelle ich im folgenden fremdes Eigentum. Die weitere Prüfung erfolgt auf der Basis dieser Unterstellung.“

Folgendes drängt sich auf: Wer das Problem und dessen Lösung schon mit Blick auf das Endergebnis des Gutachtens vorbedacht hat, besitzt ein Blickfeld für mehr und tiefgreifendere Argumente. Das ist gewinnbringend, weil das Argumentationsniveau in den Problemlösungsfeldern in hohem Maße Einfluss auf die Klausurnote hat (jedenfalls haben sollte). Hinzu kommt: Die Probleme sind miteinander in ihrer Verknüpfung zu sehen. Eine Problemlösung ist oftmals eine Weichenstellung. Sie führt in neue, weitere Probleme hinein oder klammert sie aus. Wer den Blick dafür hat, dem ist vielmals geholfen. Als professioneller Klausurtaktiker sieht man nämlich, welche der ständig im Blick gehaltenen Sachverhaltsteile noch nicht in die Maschinerie der Gesetzesanwendung gelangt sind. Man erkennt, dass es im Gutachtenfortgang dazu nur kommen wird, wenn die Lösung X und nicht die Lösung Y gewählt wird. Daraus ist zu schließen, dass der Geist des Aufgabenstellers es so wollte und womöglich die Lösung X auch nur die richtige sein kann, anderenfalls größere Sachverhalts-teile zu merkwürdiger, verdächtiger Bedeutungslosigkeit verkämen. Auch dieses hilfreiche klausurstrategische Denken kann nur aufkommen, wenn das Einzelne im skizzenhaften Kontext des Ganzen gesehen wird.

 

  1. Schritt – Das Schreiben der Endfassung

Wenn Sie mit Ihrer gutachtlichen Ausarbeitung beginnen, denken Sie an das, was jeder tun muss, der etwas darstellen will: Wählen und gliedern! Darstellen heißt: Weglassen. Das Schwierigste am gelungenen Gutachten ist nun einmal das Weglassen. Aus den Sätzen Ihrer Lösungsskizze wählen Sie nur diejenigen aus, welche unentbehrlich sind, damit der Korrektor Ihnen mit Lust und Laune folgen kann. Denken Sie an Voltaire: „Das Geheimnis zu langweilen besteht da-rin, alles zu sagen.“ Was übrig geblieben ist, müssen Sie gliedern! 

Ohne Gliederung keine Klarheit. Der Mensch kann nicht zwei Gedanken auf einmal aussprechen, also muss man sie im Gutachten hintereinander anordnen. Die Art Ihrer Anordnung und das „Ausrollen“ Ihrer Gedanken ist für das Verständnis entscheidend. 

Neben der selbstverständlich stringenten gedanklichen Führung sollten Sie diese Gliederung möglichst durch Bezifferung der einzelnen Abschnitte äußerlich kennzeichnen. Für das Gliederungsbild einer juristischen Klausur gilt die Erkenntnis, dass die äußere Form Schlüsse auf die Fähigkeit des Verfassers zu straffer und klarer Gedankenführung zulässt. (Gängiges Prüfermotto: Ohne Form kein Inhalt.) Ob Sie für die Bezeichnung der einzelnen Abschnitte die Gliederung nach Buchstaben und Zahlen (I., A., 1., a., aa., 1b.) oder die moderne Form des Dezimalsystems wählen (1., 1.1, 1.2.1, 1.2.2), ist Geschmackssache. Keine Geschmackssache ist es, dass Sie den roten Faden straff spinnen. Im Regelfall kommt man mit römischen und arabischen Zahlen, lateinischen Groß- und Kleinbuchstaben aus, weiter gliedern sollte man nicht, sonst wird es übertrieben. 

Eine solche Gliederung dient auch dem Zweck, bei Denkblockaden oder Abschweifungen möglichst schnell in die eigene komplexe Aufbaustruktur zurückzufinden. Auch beim Abfassen der endgültigen Klausurenniederschrift  kann man sich immer am Leitfaden der Gliederung orientieren. Man findet in die Lösung leichter zurück, wenn man bekannte Wege gehen und die Probleme in eine vertraute Umgebung einordnen kann. Im Übrigen sollte man die groben Gliederungsabschnittsbezifferungen der Lösungsskizze in die Reinschrift übernehmen.

 

Wichtige Warnung bei der Darstellung von Streitständen in Klausuren

Es gibt keine (!) juristische Leistungskontrolle in Referat oder Hausarbeit, die nicht um ein Bündel von Streitfragen her-umkonstruiert ist. Anders verhält es sich in Klausuren: Hier liegt die Schwierigkeit eher in der Reproduktion von Wissen, in der „Arbeit pro Zeiteinheit“ und in der „klassischen“ gutachtlichen Subsumtionstechnik. Ihr Lernen bringt es nun aber mit sich, dass Sie  ständig Probleme und Streitfragen im Kopf haben und diese „mit Gewalt“ auf das Papier bringen wollen. Dadurch neigen viele Anfänger dazu, Probleme mit der Lupe zu suchen und diese dann „abzuspulen“, leider auch dann, wenn sie gar nicht vorhanden oder nicht gefragt sind. Vorsicht! Dennoch ist es auch in Klausuren unumgänglich, sich mit kontroversen Rechtsfragen („Theorien“) auseinanderzusetzen. Dabei genügt allerdings im Regelfall – im Gegensatz zu den mehr wissenschaftlichen Arbeiten – die reine Darstellung der Rechtslage. Sie müssen die klare Rechtslage nicht immer auch kritisch bewerten und Stellung beziehen zu einzelnen Problemen und Ansichten im Echo von Literatur und Rechtsprechung. Wichtig ist allerdings, dass Sie nicht dem falschen Glauben aufsitzen, mit der Behauptung sei es bei einem aufkommenden Meinungsstreit getan. Sie müssen argumentativ begründen! Auch ein noch so schönes BGH-Zitat ersetzt nicht Ihre eigene Begründung! Ihre Meinung ist gefragt, nicht (nur) die des BGH! Sie müssen argumentativ überzeugen! Die Angabe „h.M.“ hat keinen argumentativen Mehrwert. Die Angabe des Mehrheitsstatus sagt nichts über ihre Richtigkeit. Es ist ein Irrtum, dass die Bezugnahme auf die „h.M.“ etwas daran ändert, dass Sie begründen und belegen müssen. Die kommentarlose Angabe „h.M.“ oder „laut BGH“ ist falsch und sinnlos, weil Sie keine Fundstellen angeben. Sie ersetzt nicht die Begründung, warum die „h.M.“ oder die „Rspr.“ dieses Problem so oder so entscheidet. In einer Klausur wirkt eine solche Formulierung geradezu peinlich. Eine „h.M.“ verlangt nach Standpunkten der „anderen Meinungen“, sonst wäre es eine „allgemeine Meinung“. ( Argumentation)

 

Jetzt noch einiges ganz Wichtiges für die Klausurenendfassung

Contre la montre individuel wie im Einzelzeitfahren: Allein gegen die Uhr! Zeitempfinden hängt von der Intensität des Erlebnisses ab. Rennfahrerklausuren sind sehr intensiv! Das Dickicht der Fakten und Gesetze müssen Sie zeitgemäß durchqueren. Die Zeitnot ist allerdings die Zwillingsschwester der Klausur! Die Zeit plustert sich beim Lernen und staucht sich in der Klausur.

Das Zeitbudget für eine 5-Stunden (BGB/StGB-)Klausur: