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Studienaufbruch

Auf die Plätze, fertig … Moment mal! Planungsmotto: Wir fangen erst mal an, dann sehen wir weiter, ist nicht immer sinnvoll!

Das erste Semester Jura ist erreicht! Die magische Zeit zwischen Abitur und Studiums-beginn, die des lange faulenzenden Schlafens, ausgiebigen Feierns und Nichtszutunhabens, die der unbekümmerten Planlosigkeit ist durchlebt oder durchlitten. Die einzige Zeit im Leben, in der alles offen steht! Eine Zeit, in der aber auch wichtige Entscheidungen reifen mussten, sonst säßen Sie heute nicht hier, wo Sie sitzen: „Will ich studieren oder eine andere Ausbildung machen? Welche Richtung interessiert mich? Will ich weg von Zuhause? In welche Stadt? In eine WG, ein Studentenheim oder lieber allein in eine Wohnung? Wie kann ich meine Pläne finanziell realisieren?“ Irgendwann auf dieser Überlegungsschiene von Plänemachen und Pläne-über-den-Haufen-schmeißen haben Sie sich dann für Jura entschieden, für ein Studium, das Ihr Leben auf den Kopf stellt. Machen wir uns nichts vor: „Ich mach dann mal Jura“ ist schnell gesagt, aber für den unvorbereiteten Juraanfänger nur schwer in die Tat umzusetzen. Das erste Semester ist nicht zum Sich-mal-Umsehen da, sondern zum genauesten Hinsehen auf Studium und Examen. Sie werden es kaum glauben: Es ist der wichtigste Teil Ihrer Examensvorbereitung. Wir müssen den Anfang Ihres Studiums mehr vom Ende Ihres Studiums her denken und klar stellen, welch überragend wichtige Anteile im Examen davon in der Studieneingangsphase erreicht werden. Das Planungsmotto: Wir fangen erst mal an, dann sehen wir weiter, mag sich für die Planung eines kreativen Events eignen, nicht aber für die Strategie eines Jurastudiums. Ein Misserfolg im Anfang kann das Ende manch eines vielversprechenden Jurastudenten sein. Es gibt zu viele, die scheitern! Die Ursachen lassen sich fast immer auf Fehler zurückführen, die in den ersten 90 Tagen gemacht worden sind. Und auf jeden gescheiterten Jurastudenten – und das ist eine Menge – kommen noch einmal so viele, die zwar überlebt haben, denen es aber nie gelungen ist, ihr Potenzial voll zu entfalten und juristisches Selbstbewusstsein zu entwickeln. Das hat zur Folge, dass sie ständig mit Ängstlichkeit und Unsicherheit durch ihr weiteres juristisches Leben gehen müssen. Das muss nicht so sein!

 

Wichtige Fragen, die Sie sich jetzt, aber spätestens nach dem 1. Semester, in einem „Reality Check“ gewissenhaft stellen sollten und mit denen Sie ehrlich und ernsthaft mit sich selbst zu Rate gehen sollten, sind:

  • Warum will ich Jura studieren? – Passt Jura überhaupt zu mir? Es sind die Fragen nach den Motiven.

Einige Stichpunkte: Sozialprestige, breites Betätigungsfeld, gutes Geld, günstige Berufsaussichten, „was anderes fällt mir nicht ein“, Wunsch der Familie, Macht, was bin ich für ein Typ, respektive Lerntyp?

  • Ist das Jurastudium mein Wunschstudiengang, oder was kommt sonst noch in Frage? Die Fragen nach den Alternativen.

Einige Stichpunkte: Habe ich ein bestimmtes Talent, bin ich ein Gerechtigkeitsfanatiker, wie stand ich in Mathematik, Deutsch und Fremdsprachen, ein schon lange gehegter Wunsch?

  • Weiß ich, welchen juristischen Beruf ich nach dem Juraabschluss ergreifen kann und will? Die Frage nach den Perspektiven.

Einige Stichpunkte: Rechtsanwalt, Staatsanwalt, Richter, Verwaltungsjurist, Wirtschaftsjurist, Polizei, oder sonstige Behörde, Notar?

  • Wie stelle ich mir meine Studienbedingungen vor? Die Frage nach den Situativen.

Einige Stichpunkte: Wo will ich studieren, Massenuni oder kleine Universitätsstadt, zu Hause oder außerhalb, wie und wo kann ich wohnen, wie finanziere ich mein Studium?

  • Wie will ich mein Studium organisieren? Die Frage nach den Regulativen.

Auch hier einige Stichpunkte: Studienplan, akademische Freiheit, eigene Planung, Rahmung, Repetitor: ja/nein, wann mache ich welche Scheine?

  • Was spricht gegen das Jurastudium?Die Frage nach den Nachteilen.

Stichpunkte: Dominanz des Staatsexamens, Zweistufigkeit (weil in Studium und Referendarzeit gesplittet), fehlender Praxisbezug, Vermassung, Trennung von Theorie und Praxis, Juristenschwemme, zu schweres Examen, Repetitorwahn, fehlende Verschulung im Anfang des Studiums, Fehlen einer begleitenden Kontrolle, Klausurenteufelei

  • Was spricht für das Jurastudium?Die Frage nach den Vorteilen.

Denken Sie in Ruhe nach! Ihnen fällt bestimmt eine Menge ein, ganz individuell.

Auf den Anfang kommt es an! Sie können im ersten Semester alles falsch machen und alles für das weitere Studium Wesentliche verpassen. Das erste Semester ist nicht zum Umgucken da, sondern zum genauesten Hingucken. Man kann nämlich auch alles richtig machen!

 

Das Allmähliche ist die passende Gangart für das erste Semester.

Die Dozenten der ersten Anfängervorlesungen müssten die besten sein, die die Universität auf didaktischem Gebiet aufzubieten hat, hier werden die Weichen für Lust oder Frust an Jura gestellt. (Später können die schlechteren dozieren!) Das Wesentliche und daher das der ganzen Juristerei Gemeinsame sollte man hier erfahren, das erste Be-tasten, Be-greifen, An-schauen der Materie „Recht“ vollzieht sich im Anfang.

Fast alle Jurastudenten beginnen ihr Studium ohne schulische Vorkenntnisse über das Recht. Das verstärkt die ohnehin vorhandenen Unsicherheiten und Schwierigkeiten beim Studienbeginn. Die Hochschulen stellen sich auf diese Schwierigkeiten oft nur unvollkommen ein. Der Wille zum ➞ Jurastudium ist bei den Studenten meist da, was fehlt, ist der erkennbare Weg!

Es fehlt das Missing Link zwischen der Schul-Welt der frischen Abiturienten und der Lern-Welt der jungen Jurastudenten. Es fehlt das für den Aufbruch in die ➞ Juristerei notwendige juristische Orientierungswissen. Es fehlt vor allem ein Orientierungsplan und ein Orientierungsrahmen für die juristischen Entdeckungen. Der juristische Geist wird viel zu früh von der Kette gelassen und irrt ziellos umher.

Alle Juristen wissen, wie unendlich schwer das Erlernen der Juristerei ist und wie leicht man scheitern kann. Ein wesentliches Merkmal des misslungenen juristischen Anfangs ist es, wenn der juristische Problemzuwachs schneller steigt als die juristischen Problemverarbeitungskapazitäten des Studenten. Die Verzweiflung wächst! Man scheitert! Weite Kreise der jungen Juraeinsteiger sind deshalb gerade im Anfang ständig Misserfolgserlebnissen ausgesetzt. Sie verstehen wenig und werden mutlos. Hinzu kommt, dass die Anfänger sich meist selbst für dumm halten, so dass schwer verständliche, ja geradezu vorbeifliegende Informationen in ➞ Vorlesung und ➞ Literatur sie nicht nur nicht informieren, sondern darüber hinaus ihr Selbstwertgefühl beschädigen. Die „Lehrwerkstätten“ der juristischen Ausbildung lassen die Studenten nicht selten am Anfang ihres Weges alleine. Sie setzen scheinbar stillschweigend voraus, dass der Anfänger diese Fertigkeiten „irgendwie“ von selbst herausbekommt, dass es ihm zufliegt, wie er seine Energie und Zeit im Umgang mit der juristischen Anfangsmaterie wirkungsvoll einsetzt.

Der Start ins Jurastudium, gleich ob an Universität oder Fachhochschule, wird von vielen Dozenten und in vielen Einführungswerken oft so behandelt, als verstünde er sich von selbst, so dass ihn „zu erlernen“ kein Gegenstand von juristischer Bildung und Ausbildung sei. Jeder Dozent vertraut hinsichtlich der „Basics“ und der „Skills“ auf den anderen! Und der arme Student ist verlassen! Allein gelassen im juristischen Paragraphendschungel ohne ein überlebenswichtiges „survival-package“. Dem imperativen „Hurra! Jura!“ folgt sehr bald ein fragendes „Jura?“ und nicht selten ein resignierendes gescheitertes „Das war’s dann mit Jura!“. (➞ Scheitern im Erstsemester) Das Jurastudium ist ein Himmel für den, der über einen gelungenen Eintritt seine Ziele und Methoden kennen lernt, emanzipiertes Verstehen passioniert hervorbringt, Erfahrungen und Ratschläge annimmt und selbstbewusst in die Vorlesungen geht, und eine Hölle für den, der den Eintritt verpasst hat und nichts begreift.

 

Es lassen sich m.E. sechs Funktionen dieser den Anfang fundierenden Studieneingangsphase für das Jurastudium ausmachen.

 

  1. Orientierung an der Universität

Der Jurastudent muss seine neue Rolle an der Uni kennenlernen und annehmen. Dazu muss er seine Universität als Organisation, sich als „freien“ Studenten, seinen individuellen Studienaufbau und seine Wissenschaft der Jurisprudenz wahrnehmen. Eine wesentliche Aufgabe kommt dabei dem Hineinwachsen in die Hochschulgemeinschaft (Sozialisation), der allmählichen Vereinigung mit dem Fach Jura (Integration), der Begegnung mit den Lehrinhalten in Vorlesung und Literatur (Lehr-Lern-Kultur) und der Art und Weise der Präsentation und Darstellung in Klausuren (Klausurentechnik) zu.

 

  1. Einführung in den Studiengegenstand

Hier geht es um die Überblicke in den juristischen Lehrstoff des ersten Semesters, nämlich die drei Säulen Bürgerliches Recht, Strafrecht und Verfassungsrecht, und speziell um tiefere Einblicke in deren allgemeine Teile, BGB AT, StGB AT und die Grundrechte.

 

  1. Erlernen der juraspezifischen Denk- und Arbeitsweise

Dieser Teil des Studienanfangs ist der wichtigste und dient dem Erlernen der juristischen Handwerkskunst, hochtrabender der Methodik, um Lebenssachverhalt und Gesetz in problemlösende Stellung bringen zu können. Zu Deutsch: Fälle lösen zu können. Die unsichtbaren Methoden des Gutachtens und der Subsumtion machen diese Frontstellung erst sichtbar.

 

  1. Selektion

Man muss sich in dieser Statuspassage zwischen Schüler und Jurastudent kritisch überprüfen, ob die Erwartungen, die man an sich und das Jurastudium gestellt hat, der vorgefundenen Realität entsprechen. „Aufbruch oder Abbruch“ ist hier die Frage. Auch die ersten in dieser Phase geschriebenen Klausuren lassen Rückschlüsse auf den Leistungsstand zu und geben Signale über die Fähigkeiten und Fertigkeiten für Jura. Man muss testen, ob die Vorstellungen zum Jurastudium eingelöst worden sind. Die rationale Welt, wie sie unsere Juristerei beherrscht, ist nicht jedermanns Sache.

 

  1. Funktion: Juristisches Verständnis anstreben

Das „Juristische Verständnis“ geistert als verwaschener Standardbegriff bis ins Examen um den Studenten herum, ohne dass er weiß, was damit gemeint ist. Juristisches Verständnis bedeutet, den Zweck einer Norm oder einer Normengruppe verstanden, die dahinter stehenden Interessen und gesellschaftlichen Kompromisse ihrer Entstehung hinterfragt, einen Überblick über die Gesetzessystematik und die Querverbindungen der Gesetze erworben, Andockstellen im Langzeitgedächtnis geschaffen zu haben und Normen „sezieren“ zu können. Es ist die Überwölbung der Fachsäulen und kann auf sämtliche jurafachbezogenen Bereiche übertragen werden. Darum muss man sich frühzeitig bemühen.

 

  1. Funktion: Erlernen des juristischen Lernens

Alle Juristen wissen, wie schwer das Erlernen dieser „Juristerei“ ist und wie leicht man scheitern kann. Vielen Studenten fehlt es an einer klaren kurz-, mittel- und langfristigen Konzeption des Lernens und damit an einem sicheren Fundament für ihr juristisches Studium. Studienstrategien für die Juristerei und fundiertes fundierendes Wissen sind aber kein Naturprodukt, das man hat oder nicht hat. Man kann es sich aneignen!  Das juristische Studium funktioniert nicht von selbst. Man muss in ihm üben, planen, organisieren, variieren, optimieren, trainieren – kurz: viel lernen. Das Jurastudium ist eine Freude für den, der seine Ziele, Arbeitsweisen und Methoden von Beginn an gelernt hat, und es ist eine Qual für den, der ihnen widerstrebt.

 

Aber ein Trost: Der Nachteil dessen, dass man aus der Schule nichts für Jura mitbringt, ist umgekehrt auch ein großer Vorteil: Alle stehen am Start des Jurastudiums unter den gleichen Bedingungen!

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