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Die Geschäftsfähigkeit: Wer kann Rechtsgeschäfte selbstständig vornehmen?

Im Gegensatz zur Rechtsfähigkeit, die lediglich einen statischen, eher passiven, Zustand beschreibt („Träger von Rechten und Pflichten zu sein“), beschreibt die Geschäftsfähigkeit die Möglichkeit, selbst eine Änderung der Rechtslage vorzunehmen. Ist jemand geschäftsfähig, also in der Lage, Rechtsgeschäfte wirksam vorzunehmen, so kann er eben durch deren Abschluss eine bestehende Rechtslage ändern.

Können also Max und Moritz, die durch ihre Geburt die Rechtsfähigkeit erlangt haben, auch rechtlich bedeutsame Handlungen vornehmen? Können sie Vertragsangebot und Vertragsannahme wirksam abgeben und empfangen? Können sie für Rechtshandlungen verantwortlich gemacht werden, wenn z.B. Max auf seiner Nachhausefahrt gleich einen Unfall „baut“? – Ja! Wenn sie denn „geschäftsfähig“ bzw. „delikts-fähig“ sind.

Die Geschäftsfähigkeit ist die Fähigkeit, Rechtsgeschäfte wirksam vorzunehmen.

Auch bei der Geschäftsfähigkeit ist zwischen natürlichen und juristischen Personen zu unterscheiden. Nichtrechtsfähige Personenvereinigungen kommen demgegenüber nicht in Betracht, weil ihnen schon die vorrangig notwendige Fähigkeit fehlt, Träger von Rechten und Pflichten zu sein.

Die juristischen Personen sind ausnahmslos geschäftsunfähig.

Dies erklärt sich ohne weiteres daraus, dass sie als lediglich rechtstheoretische Gebilde (e.V., Aktiengesellschaft oder GmbH) selbst keine Handlungen vornehmen oder Erklärungen abgeben können. Alle juristischen Personen müssen vielmehr, um am Rechtsleben teilnehmen zu können, vertreten werden, und zwar regelmäßig durch eine oder mehrere natürliche Personen, ihre Organe. Wie das geschieht, wird in dem Kapitel über die Vertretung darzulegen sein. Wenn die juristische Person wirksam vertreten ist, spielt die Frage der Geschäftsfähigkeit keine Rolle mehr. Das Gesetz verleiht der betreffenden Personenvereinigung nämlich gerade mit dem Ziel Rechtsfähigkeit, dass sie am Rechtsleben teilnehmen kann. Die juristischen Personen können daher – immer ihre wirksame Vertretung durch ihre Vertretungsorgane vorausgesetzt – unbeschränkt am Rechtsleben teilnehmen.

Unsere folgenden Erläuterungen befassen sich aus diesem Grunde ausschließlich mit den natürlichen Personen.

Auch die natürlichen Personen sind nicht etwa alle unbeschränkt geschäftsfähig.

Dies bedarf keiner näheren Begründung, wäre doch sonst z.B. jeder Vierjährige in der Lage, sein Dreirad einem Freund zu schenken, und könnte jeder Geisteskranke für ihn völlig nutzlose Geschäfte tätigen und so sein Vermögen verschleudern.

  • Das Gesetz macht die Geschäftsfähigkeit des Menschen zu seinem Schutz in erster Linie von dem Erreichen eines bestimmten Alters abhängig.
  • Auch wenn der Betreffende das für die Geschäftsfähigkeit notwendige Alter erreicht hat, ist er dennoch – auch hier zu seinem Schutz – nicht geschäftsfähig, wenn er an einer bestimmten krankhaften Beeinträchtigung seiner Geistestätigkeit leidet.


Im Überblick: Das BGB unterscheidet bei einer stillschweigend zugrunde gelegten Handlungsfähigkeit zwischen Geschäftsfähigkeit und Deliktsfähig-keit.

Nimmt man die Verästelungen feiner vor, so gelangt man zu folgender Übersicht:

Liest man die aufgewiesenen Paragraphen nach, so stellt man schon eine Korrespondenz zwischen beiden Spielarten der Handlungsfähigkeit fest.



Das Erreichen der Geschäftsfähigkeit

Der Mensch erlangt die uneingeschränkte Geschäftsfähigkeit erst mit der Volljährigkeit. Dies ergibt sich allerdings nicht ausdrücklich aus dem Gesetz. Das Gesetz geht vielmehr stillschweigend von der Geschäftsfähigkeit des Volljährigen aus und regelt umgekehrt nur die Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit des Minderjährigen. Die Volljährigkeit tritt gem. § 2 mit der Vollendung des 18. Lebensjahres ein.

Juristisch interessanter ist der vorhergehende Zeitraum, in dem der Heranwachsende noch minderjährig ist. Außer der Geschäftsunfähigkeit (§ 104 Nr. 1) sieht das Gesetz in § 106 für eine bestimmte Altersstufe des Minderjährigen nämlich noch die beschränkte Geschäftsfähigkeit vor, die deshalb einen Schwerpunkt der nachfolgenden Erörterungen bildet, weil sie juristisch der einzige wirklich schwierige Altersabschnitt ist und vom Gesetzgeber mit einer genialen Idee ausgestattet worden ist.

Die sich auf diese Weise ergebende Dreiteilung der „Geschäftsfähigkeit“ stellt sich wie folgt dar:

●    Bis zur Vollendung des 7. Lebensjahres ist das Kind geschäftsunfähig (§ 104 Nr. 1).

●    Nach der Vollendung des 7. Lebensjahres ist der Minderjährige beschränkt geschäftsfähig (§ 106).

●    Mit der Erreichung der Volljährigkeit ist der dann Erwachsene (voll) geschäftsfähig (§ 2).


Im Überblick:

Diese Abstufung verfolgt den Zweck, dem Minderjährigen entsprechend seiner reifemäßigen Entwicklung ein langsames Hereinwachsen in die Fähigkeit zu ermöglichen, alleinverantwortlich am Rechtsleben teilzunehmen. Das ist ohne Zweifel nur in einer sehr groben Einteilung gelungen, wie schon der unterschiedliche Reifegrad eines gerade 7-jährigen gegenüber einem gerade noch 17-jährigen zeigt. Eine noch weitere Unterteilung wäre jedoch, wie die nachfolgenden Ausführungen deutlich machen dürften, nicht mehr praktikabel.

Der nachfolgende Eingangsfall „Tante Lydia“ soll im aufziehenden Paragraphensturm über der Geschäftsfähigkeit Navigationshilfe leisten.

„Tante Lydia“

Das Ehepaar Jupp und Emma Schmitz hat drei Kinder, nämlich den 6-jährigen Fritz, die 14-jährige Ottilie und den am 24.08.10 geborenen und am heutigen Tage, 24.08.28, seinen 18. Geburtstag feiernden Karl. Zu diesem Fest ist auch die reiche, aber äußerst geizige Tante Lydia, eine Schwester des Jupp, zum Kaffeetrinken eingeladen. Als die Kaffeetafel zu Ende ist, ruft Tante Lydia die drei Kinder zu sich und erklärt: „Ich will Euch etwas schenken und zwar jedem 2 €. Bin ich nicht großzügig?“ Obwohl die Eltern ihren Kindern ausdrücklich verboten hatten, von Tante Lydia irgendein Geschenk anzunehmen, greifen die Kinder zu. Bei der Verabschiedungszeremonie erfährt Tante Lydia von dem vorlauten Fritz, dass die Eltern sie als „geizige alte Schachtel“ bezeichnet und den Kindern jedwede Geschenkannahme streng untersagt hatten. Sie ist darüber so erbost, dass sie auf der Stelle von Fritz, Ottilie und Karl das jeweilige Geldstück herausverlangt, das diese noch in den Händen halten. Die drei Kinder weigern sich mit dem Bemerken: „Geschenkt ist geschenkt! Wiederholen ist gestohlen!“

Wir werden in den nachfolgenden Darstellungen begutachten, ob Tante Lydia jeweils von Karl, von Fritz und von Ottilie das 2-€-Stück zu Recht herausverlangen kann.


1. Die Geschäftsfähigkeit eines volljährigen Menschen

Hat jemand, wie Karl, die Volljährigkeit erreicht, ist er also mindestens 18 Jahre alt (§ 2), so geht das Gesetz – ohne dies ausdrücklich zu regeln – davon aus, dass der Betreffende uneingeschränkt geschäftsfähig ist. Checken wir das mit dem „Tante-Lydia-Fall“ gegen.


Lydia gegen Karl

A. Tante Lydia könnte von Karl gem. § 985 die Herausgabe des 2 €-Stückes verlangen.

Dann müsste Tante Lydia Eigentümerin und Karl Besitzer ohne Recht zum Besitz gem. § 986 Abs. 1 S. 1 sein.

Ursprüngliche Eigentümerin war Lydia. Sie hat jedoch gem. § 929 S. 1 das Eigentum am Geld durch wirksame Einigung mit Karl, Übergabe an ihn, Einigsein und ihre vorhandene Berechtigung als Eigentümerin verloren, wenn Karl an seinem Geburtstag schon volljährig und damit geschäftsfähig war. Die für das Erreichen der Volljährigkeit maßgebliche Frist von 18 Jahren beginnt mit dem Tag der Geburt, hier am 24.8.10 und zwar gem. § 187 Abs. 2 S. 2 um 0.00 Uhr und endet somit gem. § 188 Abs. 2 2. Alt. am 23.08.28 um 24.00 Uhr. Also war Karl am 24.08.28 fähig, die für die Einigung notwendigen Willenserklärungen von Angebot und Annahme selbst wirksam abzugeben.

Also ist Lydia nicht mehr Eigentümerin. Lydia kann von Karl die Herausgabe des Geldes nicht gem. § 985 verlangen.


B. Tante Lydia könnte von Karl gem. § 812 Abs. 1 1. Alt. die Rückübereignung des 2 €-Stückes verlangen.

Das setzt voraus, dass Karl „etwas“ durch die „Leistung“ der Lydia „ohne Rechtsgrund“ erlangt hat.

Zwar hat Karl das Eigentum und den Besitz als ein Etwas, also vermögensrechtliche Positionen am Geld, durch die Leistung der Lydia erlangt. Diese Vermögensverschiebung erfolgte jedoch mit Rechtsgrund, nämlich aufgrund eines wirksamen Schenkungsvertrages gem. §§ 516 Abs. 1, 518 Abs. 1 S. 1, Abs. 2. Die fehlende Form wurde durch die wirksame Vornahme der Übereignung gem. § 929 S. 1 (s.o.) geheilt (sog. Handschenkung).

Also kann Lydia von Karl gem. § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. die Rückübereignung des Geldes nicht verlangen.

Der Grundsatz, dass man mit 18 Jahren als Volljähriger uneingeschränkt geschäftsfähig ist, erfährt eine Ausnahme durch die Regelung des § 104 Nr. 2, der bestimmte Fälle einer geistigen Erkrankung betrifft.

Geschäftsunfähig ist nach dieser Vorschrift auch der Volljährige unter folgenden Voraussetzungen: Er muss sich gerade bei der Abgabe seiner Willenserklärung in einem Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befinden, der seine freie Willensbestimmung ausschließt und seiner Natur nach nicht nur vorübergehend ist.

Die missverständliche Formulierung des § 104 Nr. 2 stellt also zwei Voraussetzungen auf:

●    Der Betroffene muss zum einen an einem dauerhaftenKrankheitszustand leiden, und zum anderen muss – was nicht selbstverständlich ist –

●    seine Erkenntnisfähigkeit gerade im Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung aufgrund dieser Krankheit ausgeschlossen gewesen sein.


Die Unterschiedlichkeit der beiden Anforderungen soll am Beispiel der phasenweisen geistigen Erkrankung deutlich werden:

Ist jemand etwa dauerhaft manisch-depressiv erkrankt, so ist er nur in solchen Phasen der Erkrankung geschäftsunfähig, in denen er krankheitsbedingt die Tragweite seiner Erklärungen nicht erkennen kann. Befindet er sich demgegenüber in einer Phase geistiger Klarheit, sog. lucidum intervallum, d.h. lichter Augenblick, so ist er auch voll geschäftsfähig.

Voraussetzung der Geschäftsunfähigkeit ist in diesen Fällen also  immer, dass der Betreffende (wie der manisch-depressive Mensch) auf Dauer erkrankt ist. Handelt es sich bei der krankhaften Beeinträchtigung der Geistestätigkeit demgegenüber lediglich um einen vorübergehenden Zustand, so kommt eine Geschäftsunfähigkeit überhaupt nicht in Betracht § 104 Nr. 2 a.E., auf dessen Fallkonstellation sogleich zurückzukommen sein wird).

Der Vollständigkeit halber sei hinzugefügt, dass unter den Voraussetzungen des § 104 Nr. 2 ein Mensch selbstverständlich auch dann geschäftsunfähig ist, wenn er zwischen sieben und 18 Jahre alt ist, also ohne die Krankheit beschränkt geschäftsfähig wäre.


2. Willenserklärungen von und gegenüber Geschäftsunfähigen

●    Gibt ein Geschäftsunfähiger, wie Fritz (§ 104), eine Willenserklärung ab, so ist diese gem. § 105 Abs. 1 nichtig. Der Gesetzgeber gibt diesem Personenkreis mit der Rechtsfolge aus § 105 Abs. 1 den besten juristischen Schutz, den er überhaupt geben kann: Seine Willenserklärungen lösen, egal ob vorteilhaft oder nachteilhaft, keine Rechtsfolgen aus. Punktum!

●    Durch diese gesetzliche Regelung wird die Richtigkeit der obigen Definition der Geschäftsfähigkeit („Fähigkeit, Rechtsgeschäfte wirksam abzuschließen“) bestätigt. Jede andere Rechtsfolge wäre mit ihr nicht vereinbar.

●    Wird eine empfangsbedürftige Willenserklärung nicht von, sondern gegenüber einem Geschäftsunfähigen abgegeben, so greift die Regelung des § 131 Abs. 1 ein: Die Willenserklärung ist nicht etwa auch unwirksam, sie wird aber erst wirksam mit Zugang bei dem „gesetzlichen Vertreter“ des Geschäftsunfähigen.

●    Der Geschäftsunfähige wird also mit dem bestmöglichen juristischen „Rundumschutz“ versehen: Von ihm geht nichts ab (§ 105 Abs. 1) und ihm geht nichts zu (§ 131 Abs. 1). Mehr kann der Gesetzgeber für ihn einfach nicht tun.


Wer geschäftsunfähig ist, hat im Regelfall (Ausnahmen sind im Falle des § 104 Nr. 2 denkbar) einen gesetzlichen Vertreter, der an seiner Stelle und mit Wirkung für ihn am Rechtsverkehr teilnimmt. Bei den Minderjährigen sind regelmäßig gem. § 1629 Abs. 1 i.V. mit § 1626 Abs. 1 die Eltern gesetzliche Vertreter und in besonderen Fällen an ihrer Stelle gem. § 1793 ein Vormund. Schauen Sie doch einfach mal nach in diesen familienrechtlichen Vorschriften, es lohnt!

Diese Regelung reicht zum Schutze des Geschäftsunfähigen aus: Wird nämlich die Willenserklärung erst mit Zugang bei seinem gesetzlichen Vertreter wirksam, so kann dieser, wie jeder andere voll Geschäftsfähige, der am Rechtsleben teilnimmt, auch frei entscheiden, ob er – allerdings mit Wirkung für den von ihm vertretenen Geschäftsunfähigen – auf die Willenserklärung eingehen soll oder nicht, also z.B. ein in ihr enthaltenes Vertragsangebot annimmt oder ablehnt. Die einschneidendere Rechtsfolge der völligen Nichtigkeit der Willenserklärung, wie sie § 105 Abs. 1 für die durch den Geschäftsunfähigen abgegebene Willenserklärung anordnet, gebietet der Schutz des Geschäftsunfähigen beim Wirksamwerden durch Zugang also nicht.

Demonstriert werden soll das „Geschäftsunfähigenprogramm“ wiederum am „Tante-Lydia-Fall“!

Lydia gegen Fritz

A.  Tante Lydia könnte von Fritz gem. § 985 die Herausgabe des Geldstückes verlangen.

Das setzt voraus, dass Lydia Eigentümerin ist und Fritz Besitzer ohne Recht zum Besitz i.S. von § 986.

1.    Ursprüngliche Eigentümerin war Lydia. Sie könnte ihr Eigentum gem. § 929 S. 1 an Fritz verloren haben.

       Dann müsste zwischen ihr und Fritz eine Einigung stattgefunden haben, das Geldstück müsste übergeben worden sein, zum Zeitpunkt der Übergabe müssten sich beide noch einig gewesen sein und Lydia müsste Berechtigte, d.h. verfügungsbefugte Eigentümerin gewesen sein.

a.  Die Einigung ist ein dinglicher Vertrag und setzt sich gem. § 151 S. 1 aus wirksamem Angebot und wirksamer Annahme, die inhaltlich und zeitlich deckungsgleich sein müssen, zusammen.

aa.    Ein vollständiges, präzises und mit Rechtsbindungswillen abgegebenes Angebot von Lydia zur Übertragung des Eigentums hat vorgelegen.

ab.   Das Angebot ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung. Um im Rechtsverkehr wirksam zu werden, müsste es gem. § 130 Abs. 1 Fritz zugegangen sein. Da es sich um eine nicht verkörperte Willenserklärung unter Anwesenden handelt, geht es wirksam zu mit Vernehmen. Zwar hat Fritz das Angebot vernommen, jedoch könnte § 131 Abs. 1 einem Wirksamwerden des Angebots entgegenstehen. Das setzt voraus, dass Fritz geschäftsunfähig ist und das Angebot nicht seinen Eltern als dessen gesetzliche Vertreter (§§ 1629 Abs. 1, 1626 Abs. 1) wirksam zugegangen ist. Geschäftsunfähig ist gem. § 104 Nr. 1, wer nicht das 7. Lebensjahr vollendet hat. Fritz ist 6 Jahre alt, also geschäftsunfähig. Auch ist seinen Eltern das Angebot nicht zugegangen. Dazu müsste es von Tante Lydia an diese gerichtet gewesen sein, ein rein zufälliges Mithören genügt nicht.

          Also ist das Angebot gem. §§ 131 Abs. 1, 104 Nr. 1 nicht wirksam geworden.

ac.    Im Übrigen wäre die Annahmeerklärung des Fritz gem. §§ 104 Nr. 1, 105 Abs. 1 nichtig gewesen.

          Also ist kein wirksamer Einigungsvertrag zwischen Lydia und Fritz zustande gekommen, folglich hat Lydia ihr Eigentum am Geldstück nicht gem. § 929 S. 1 verloren, also ist Lydia Eigentümerin geblieben.


2.   Weiterhin müsste Fritz Besitzer sein. Besitzer ist gem. § 854 derjenige, der die tatsächliche Herrschaftsgewalt ausübt. Besitz ist kein Rechts-, sondern ein tatsächliches Verhältnis. Nötig ist die Erlangung der tatsächlichen Gewalt und ein Besitzbegründungswille. Dieser Wille ist kein rechtgeschäftlicher Wille, sondern ein natürlicher Wille, so dass die Geschäftsfähigkeit nicht Voraussetzung für den Besitzerwerb ist. („Ist das Fritzchen noch so klein, kann es doch Besitzer sein“). Fritz übt die tatsächliche Herrschaftsgewalt über das Geldstück aus und sein Wille ist reif genug, um sich auf diese Sachherrschaft richten zu können (natürlicher Wille).

       Also ist Fritz Besitzer des Geldstückes gem. § 854.


3.   Letztlich dürfte Fritz gegenüber der Eigentümerin Tante Lydia kein Recht zum Besitz i.S. von § 986 Abs. 1 S. 1 zustehen. Ein solches Besitzrecht könnte sich aus einem wirksamen Schenkungsvertrag gem. § 516 ergeben.

       Ein Vertrag könnte gem. § 151 durch wirksames Angebot, wirksame Annahme und inhaltliche wie zeitliche Deckungsgleichheit zustande gekommen sein.

a.  Ein vollständiges, präzises und mit Rechtsbindungswillen abgegebenes Angebot zum Abschluss eines Schenkungsvertrages ist konkludent (§§ 133, 157) im Darreichen des Geldstückes zu sehen.

b.  Dieses Angebot ist jedoch gem. § 131 Abs. 1, 104 Nr. 1 nicht wirksam geworden, da Fritz – wie oben dargelegt – nicht geschäftsfähig ist.

c.   Im Übrigen wäre auch die Annahmeerklärung des Fritz gem. § 104 Nr. 1, 105 Abs. 1 unwirksam.

Also ist zwischen Lydia und Fritz kein wirksamer Schenkungsvertrag gem. § 516 zustande gekommen.

Also hat Fritz gegenüber Lydia kein Recht zum Besitz gem. § 986 Abs. 1 S. 1.

Also kann Lydia von Fritz die Herausgabe des 2 €-Stückes gem. § 985 verlangen.


B.  Tante Lydia könnte von Fritz gem. § 812 Abs. 1 S. 1 die Herausgabe des Geldstückes verlangen.

Das setzt voraus, dass Fritz durch die Leistung der Anspruchstellerin Lydia etwas ohne Rechtsgrund erlangt hat.

1.   Ein „Etwas“ ist jede vermögenswerte Rechtsposition. Wie oben angezeigt, hat Fritz (zwar nicht das Eigentum, aber) den Besitz an dem Geldstück erlangt. Der Besitz stellt, wie man den Vorschriften über die Miete unschwer entnehmen kann, eine vermögenswerte Rechtsposition dar.

2.   Eine Leistung ist jede bewusste und zweckgerichtete Vermehrung fremden Vermögens (im Regelfall: Vertrag). Lydia hat zum Zwecke der Erfüllung des vermeintlich wirksamen Schenkungsvertrages Fritz den Besitz am Geldstück verschafft, mithin geleistet.

3.   Schließlich müsste diese Vermögensverschiebung am Besitz ohne Rechtsgrund erfolgt sein.

       Als Rechtsgrund käme ein wirksamer Schenkungsvertrag gem. § 516 in Betracht.

       Wie oben gezeigt, ist ein solcher wegen des Fehlens eines wirksamen (zugegangenen) Angebots seitens der Lydia nicht zustande gekommen, §§ 131 Abs. 1, 104 Nr. 1.

Also hat Lydia Fritz den Besitz am Geldstück ohne Rechtsgrund geleistet.

Also kann Lydia gem. § 812 Abs. 1 S. 1 von Fritz die Herausgabe des Erlangten, nämlich den Besitz, verlangen.



3.   Die Wirksamkeit von Verträgen mit beschränkt Geschäftsfähigen

Nachdem soeben die Fragen der Wirksamkeit von Willenserklärungen, die von oder gegenüber einem Geschäftsunfähigen und von oder gegenüber einem Geschäftsfähigen abgegeben wurden, abgehandelt worden sind, soll nunmehr die gleiche Frage für die Gruppe der beschränkt Geschäftsfähigen erörtert werden.

Dabei ist zu unterscheiden zwischen Willenserklärungen, die Bestandteil eines einseitigen Rechtsgeschäftes (dazu später), und solchen, die Bestandteil eines zweiseitigen Rechtsgeschäftes, also eines Vertrages, sind. Mit diesen haben wir uns zunächst zu beschäftigen.

Schließt ein beschränkt Geschäftsfähiger, also etwa eine Minderjährige wie Ottilie, die mindestens 7 aber noch keine 18 Jahre alt ist, einen Vertrag, so ist dieser gem. §§ 106, 107 nur dann sofort wirksam, wenn

●    die Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters zur Abgabe der Willenserklärung vorliegt oder

●    der beschränkt Geschäftsfähige lediglich einen rechtlichen Vorteil durch seine Willenserklärung erlangt.


Durch diese Regelungen versucht der Gesetzgeber, dem unterschiedlichen Schutzbedürfnis des nur beschränkt Geschäftsfähigen Rechnung zu tragen: In allen Fällen, in denen er eine Verpflichtung eingeht oder für ihn aus sonstigen Gründen das Geschäft nicht lediglich rechtlich vorteilhaft ist, bedarf er der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters (der ihn ja rechtlich „beschützt“). Bringt die Willenserklärung des beschränkt Geschäftsfähigen ihm dagegen lediglich einen rechtlichen Vorteil ein, so ist sie sogleich uneingeschränkt wirksam. Er braucht in diesem Fall ja keinen Schutz, da sie ausschließlich (lediglich) vorteilhaft sein muss.


Beispiel: Der 15-jährige Benjamin Blitz erhält die Erlaubnis seiner Eltern, sich von seinem ersparten Geld ein Fahrrad zu kaufen.

a. Benjamin kauft im Geschäft des Fahrradhändlers Siegfried Speich von diesem ein Fahrrad der Marke „Tretmühle“, an dem noch am selben Tage eine Gangschaltung montiert werden soll. Kann Benjamin am nächsten Tag die Auslieferung der „Tretmühle“ verlangen?

b. Im Geschäft des Herrn Speich entschließt sich Benjamin, anstatt des Fahrrades ein Mofa der Marke „Feuerstuhl“ von dem Geld zu erwerben. Beide werden sich auch hier einig, und Benjamin fährt mit dem Feuerstuhl nach Hause. Wer ist Eigentümer des Mofas?

●  Die Einwilligung

Gibt der gesetzliche Vertreter des beschränkt Geschäftsfähigen (also gem. § 1629 Abs. 1 die Eltern oder gem. § 1793 der Vormund) seine  Einwilligung zum Abschluss des Vertrages, so kann der beschränkt Geschäftsfähige anschließend wie ein uneingeschränkt Geschäftsfähiger den betreffenden Vertrag wirksam abschließen. Dieses findet seine Begründung darin, dass der notwendige Schutz des beschränkt Geschäftsfähigen durch die für den gesetzlichen Vertreter bestehende Möglichkeit gewährleistet ist, vorher eine verantwortliche Entscheidung darüber zu treffen, ob er durch die Erteilung der Einwilligung den wirksamen Abschluss des Geschäftes durch den beschränkt Geschäftsfähigen ermöglichen will oder nicht.

Unter einer Einwilligung ist die vorherige Zustimmung des gesetzlichen Vertreters zur Abgabe einer bestimmten Willenserklärung zu verstehen, unter Genehmigung die nachträgliche Zustimmung. Entgegen dem allgemeinen Sprachgebrauch werden im juristischen Sinne die Begriffe „Einwilligung“ und „Genehmigung“ sehr präzise nur für die Fälle der vorherigen oder nachträglichen Zustimmung gebraucht (§§ 183, 184, 185). Eine Einwilligung des gesetzlichen Vertreters im Sinne des § 107 liegt also nur dann vor, wenn der gesetzliche Vertreter vor Abschluss des Geschäftes seine Zustimmung erteilt hat.

Ein Beispiel für das Vorliegen der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters bildet der obige Fall mit der „Tretmühle“: Die Eltern als gesetzliche Vertreter von Benjamin (§ 1629 Abs. 1) haben diesem vor Abschluss des Vertrages mit Siegfried Speich den Kauf des Fahrrades gestattet, dem Abschluss des Kaufvertrages also zugestimmt.

Benjamin kann die Lieferung (Übergabe und Übereignung) des Fahrrades gem. § 433 Abs. 1 verlangen, weil durch die Abgabe übereinstimmender Willenserklärungen zwischen ihm und Speich ein Kaufvertrag über das Fahrrad zustande gekommen ist.

Benjamin ist zwar als 15-jähriger gem. §§ 2, 106 nur beschränkt geschäftsfähig; seine Vertragserklärung (Angebot oder Annahme) ist jedoch jeweils wirksam, weil die Einwilligung seiner gesetzlichen Vertreter vorlag, §§ 433, 183, 182.

●  „Lediglich rechtlich vorteilhaft“

Ebenfalls wirksam sind Willenserklärungen von beschränkt Geschäftsfähigen, denen zwar nicht eine Einwilligung ihres gesetzlichen Vertreters zugrunde liegt, durch die der beschränkt Geschäftsfähige jedoch „lediglich einen rechtlichen Vorteil“ erlangt (§ 107). „Lediglich“ bedeutet: nur, weiter nichts als, ausschließlich.

  • Durch eine Willenserklärung erlangt der Erklärende einen lediglich rechtlichen Vorteil, wenn er eine für ihn günstige Rechtsposition erwirbt, ohne zugleich eine rechtliche Verpflichtung einzugehen.
  • Umgekehrt: Rechtlich nachteilig sind Willenserklärungen, durch die der beschränkt Geschäftsfähige eine schuldrechtliche Verpflichtung eingeht oder einen Rechtsverlust aus seinem Vermögen herbeiführt.


In diesem Zusammenhang müssen Sie streng das Abstraktionsprinzip anwenden! Dies bedeutet, dass für die Frage, ob das Rechtsgeschäft dem Erklärenden neben einem rechtlichen Vorteil auch rechtliche Nachteile einbringt, das Verpflichtungs- und das Verfügungsgeschäft streng isoliert zu untersuchen sind.

Dies sei Ihnen am obigen Beispiel „Feuerstuhl“ erläutert:

  • Nachdem ursprünglich Speich Eigentümer des Mofas gewesen war, ist Benjamin gem. § 929 S. 1 Eigentümer geworden, wenn neben der Übergabe eine wirksame Einigung zwischen beiden vorliegt. Beide waren sich einig, dass das Eigentum an dem Mofa auf Benjamin übergehen solle. Die Einigungserklärung von Benjamin ist jedoch gem. § 107 nur dann wirksam, wenn er durch sie lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt, weil die ansonsten notwendige Einwilligung (§ 183) der Eltern von Benjamin nicht vorliegt. Diese waren zwar mit dem Erwerb eines Fahrrades, nicht jedoch eines Mofas einverstanden.


Benjamin erlangt tatsächlich lediglich einen rechtlichen Vorteil, da er durch die (abstrakte) Übereignung nach § 929 Eigentümer des Mofas wird, also einen ausschließlichen Vermögenszuwachs erfährt, ohne dass er unmittelbar und gerade durch die Übereignung auch einen rechtlichen Nachteil in Kauf nehmen müsste.

Ob Benjamin durch seine Willenserklärung lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt, ist allein bezogen auf die Übereignung und nicht etwa auf das gesamte Geschäft (Kaufvertrag, Übereignung des Geldes etc.) zu prüfen.

  • Demgegenüber ist der von der Übereignung getrennt zu prüfende Kaufvertrag für Benjamin wegen der schuldrechtlichen Zahlungsverpflichtung aus § 433 Abs. 2 rechtlich nachteilig, also gem. § 107 nicht lediglich rechtlich vorteilhaft; den Kaufvertrag über den „Feuerstuhl“ kann er also nicht alleine (ohne Eltern) bewerkstelligen.


Dies alles ist eine Auswirkung der juristischen Zirkusnummer „Abstraktionsprinzip“! Das Prinzip besagt ja, dass die Eingehung einer schuldrechtlichen Verpflichtung und die Erfüllung dieser Verpflichtung, also insbesondere die Wirksamkeit von Verfügungsgeschäften, im Rahmen juristischer Beurteilungen immer voneinander „getrennt“ behandelt werden müssen und die Wirksamkeit des einen Rechtsgeschäftes nicht Voraussetzung für die Wirksamkeit des anderen Rechtsgeschäftes ist. Dies gilt auch dann, wenn – was in der täglichen Rechtspraxis überaus häufig ist – die Geschäfte gleichzeitig und durch ein und dieselbe Erklärung vorgenommen werden, also wie bei den sog. Bargeschäften des täglichen Lebens in einem Akt zusammenfallen.

Eine Vielzahl von folgenschweren Fehlern in Klausuren gerade im Zusammenhang mit der Geschäftsfähigkeit beruht auf der Vernachlässigung dieses Grundsatzes.

Noch einmal, ich wiederhole mich hier bewusst: Benjamin erlangt tatsächlich lediglich einen rechtlichen Vorteil durch die Übereignung; er wird nämlich Eigentümer des Mofas, ohne dass er gerade durch die Übereignung auch einen rechtlichen Nachteil in Kauf nehmen müsste. Als nicht lediglich vorteilhaft ist zwar die Verpflichtung von Benjamin anzusehen, den Kaufpreis zu begleichen, diese Verpflichtung ist jedoch Bestandteil des schuldrechtlichen Verpflichtungs-(Kauf-)vertrages und nicht der sachenrechtlichen Übereignung des Mofas. Benjamin ist somit gem. § 929 S. 1 Eigentümer des Mofas geworden.

Demgegenüber kann Speich die Bezahlung des Mofas gem. § 433 Abs. 2 nicht verlangen, weil – wie sich aus dem Vorstehenden ergibt – ein wirksamer Kaufvertrag zwischen ihm und Benjamin nicht zustande gekommen ist. Dieser bringt nämlich mit der Verpflichtung, den Kaufpreis zahlen zu müssen, für Benjamin wegen § 433 Abs. 2 nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil.

Die Erörterung der – naheliegenden – Frage, ob Speich aus § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. die Rückübereignung des „Feuerstuhls“ verlangen kann, oder welche Rechte ihm sonst zustehen, kennen Sie schon. Sie soll Ihnen zur eigenständigen Arbeit im Anschluss an diesen Beitrag aber zur Wiederholung (Wieder(hervor)holung) überlassen bleiben.



Merken Sie sich bitte: Bei der Beurteilung der Frage, ob der beschränkt Geschäftsfähige durch eine Willenserklärung lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt, kommt es allein auf rechtliche und nicht etwa auf wirtschaftliche Vorteile an. Dies beruht auf Gründen der Rechtssicherheit und führt z.B. dazu, dass im obigen Fall b. der Kaufvertrag mit Siegfried Speich auch dann nicht wirksam zustande gekommen wäre, wenn etwa das als Sonderangebot für 150 € angebotene Mofa in Wahrheit einen Wert von 700 € hätte.

Bei der Prüfung eventueller rechtlicher Nachteile ist schließlich zu beachten, dass diese nur dann der Wirksamkeit der Willenserklärung entgegenstehen, wenn sie unmittelbar  aus dem Abschluss des Rechtsgeschäftes herrühren.

So kann z.B. der Patenonkel dem Benjamin Blitz zu Weihnachten einen Rauhhaardackel schenken, obwohl Benjamin als Hundehalter für diesen Hundesteuer zu zahlen hat und mit der Tierhalter(gefährdungs)haftung des § 833 überzogen werden kann. Der Abschluss des Schenkungsvertrages kommt auch ohne Einwilligung der gesetzlichen Vertreter wirksam zwischen dem Patenonkel und Benjamin zustande, weil Benjamin aus § 516 Abs. 1 lediglich einen Anspruch auf Übereignung des Hundes erlangt, nicht aber eine rechtliche Verpflichtung übernimmt. Die Verpflichtung zur Zahlung der Hundesteuer sowie die Gefährdungshaftung des § 833  folgen erst  mittelbar  aus seiner späteren Stellung als Hundehalter und bleiben daher in diesem Zusammenhang bei der unmittelbaren rechtlichen Vorteilserlangung in Form des Eigentums am Dackel außer Betracht.

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