Tipp 1  Verlassen Sie ein Lernplateau immer erst dann, wenn Sie es im juristischen Griff haben.

 

Es ist manchmal deprimierend zu sehen, wie viel des juristisch Gelernten bei den Studenten immer wieder verpufft. Der Hauptfehler des Jurabeginners beim Lernen besteht darin, dass der  Student ein Lernplateau verlässt, obwohl er seinen Inhalt als Lernender noch gar nicht begriffen, geschweige denn durchdrungen hat. Beim Lernen muss ein lastendes „Wissens-Plateau“ auf ein belastbares tragendes „Wissens-Plateau“ geschichtet werden. Anderenfalls fällt alles Erlernte immer wieder jämmerlich in sich zusammen. Es ist eine Studentechnik.

Bildlich dargestellt zeigt sich die juristische Ausbildung wie folgt:

Lernplateau 1 (Recht, Rechtsordnung, unsere Jurasprache, unsere Methoden, das Konditionalprogramm und die Systeme der Gesetze) und Lernplateau 2 (Gutachtentechnik in StGB und BGB, Anspruchsgrundlagen §§ 433 Abs. 2, 985, 812 Abs. 1 BGB, Abstraktionsprinzip) müssen fest gefügt sein, bevor man dieses Lernplateau verlässt, um auf ihm tragend aufzubauen. Viele brechen aber auf Lernplateau 1 oder 2 viel zu früh ab, obwohl sie erst die Vorstufe des Lernplateaus erreicht haben, was sie aber nicht erkennen. Die Folge: Schon auf Lernplateau 3 (AT StGB und AT BGB) bricht das Gebäude mangels Stabilität und Festigkeit der Plateaus 1 oder 2 ein – die 1. Klausur geht daneben! – Das muss nicht sein! Nichts Halb-, Schief- oder gar Nichtverstandenes darf mehr vorhanden sein, die notwendigen methodischen Fertigkeiten müssen eingeübt sein, Sie müssen sich mit „Hand auf’s Herz“ selbst kontrolliert haben, dann, aber auch wirklich erst dann, dürfen Sie auf das dritte Lernplateau.

Tipp 2  Das Gesetz steht am Anfang und Ende! In der Klausur haben Sie nur das Gesetz zur Hand, und nur, wer schon beim Lernen mit dem Gesetz arbeitet, findet sich auch in der Klausur darin gut zurecht.

 

Bevor Sie ein neues juristisches Rechtsinstitut angehen, abstrahieren Sie es von allen momentan unwichtigen Details und lesen Sie zunächst mit dem Zeigefinger mehrmals nur das Gesetz! Ziehen Sie alles Unwichtige ab! Steigen Sie ein ins Gesetz! Öffnen Sie das Gesetz mit dem „Konditionalprogramm“! Wenn-Dann! Präparieren Sie mit der „Seziertechnik“ die einzelnen Bausteine der Tatbestandsmerkmale heraus! Was will das Gesetz regeln? Was ist sein télos (Zweck)? Was seine Tatbestandsmerkmale?

Tipp 3  Geben Sie Ihrem studentischen Leben ganz schnell eine Verfassung, eine Rahmung! Fangen Sie endlich an mit dem wirkungsvollen Lernen von Jura! Planen und organisieren Sie richtig! 

 

Entwickeln Sie ein Gespür für das, was möglich ist, aber auch für das, was unmöglich ist! Teilen Sie den Tag ein! Ein Drittel Arbeit; ein Drittel Freizeit; ein Drittel Schlaf! Lächerlich? Nein! Disziplin! – Abschreckend? Mag sein! Muss aber sein!

Tipp 4  Disziplinieren Sie sich! Disziplin ist es, was einen guten Jurastudenten von einem schlechten Jurastudenten unterscheidet.

 

Disziplin heißt eine Verabredung mit sich selbst treffen und diese auch einhalten. Konzentrieren Sie sich auf erreichbare Ziele! Die nächste Klausur ist die schwerste analog der Fußballerweisheit: Der nächste Gegner ist immer der schwerste! Dabei müssen Sie kein Musterkind, kein Ordnungsfanatiker und Arbeitswütiger werden und auch kein Vollkommenheitsapostel. Aber ein bisschen Ordnungssinn, Perfektionismus, Disziplin, Fleiß steckt doch in jedem. Halten  Sie diese Tugenden für Ihre juristische Ausbildung aus! Ohne die Sekundärtugenden geht es nicht. Arbeiten Sie mehr, tiefer, ernsthafter, fleißiger und ausgewogener! Und: Wenn der Körper am Schreibtisch ist, dann bitte auch der Kopf. Entweder beide da – oder beide weg.

Tipp 5  Machen Sie mal Pause! Denken Sie nicht immer: „Erst wenn alle juristischen Arbeiten erledigt sind, gönne ich mir mein Vergnügen.“

 

Das wird nie der Fall sein! Es gibt immer etwas zu vervollkommnen, noch ein Skript, noch ein Lehrbuch, noch eine vorbereitende Klausur. Lernen ist anstrengend! Entspannen Sie sich!

Tipp 6 „Heben“ Sie alles in Ihrer „Juristischen Lern-Plateau-Pyramide“ „auf“! Jeder juristische Wissensgewinn bedarf des Vorwissens, jede Lern-Erfahrung bedarf der Vorerfahrung, jede Denk- und Arbeitsmethode baut auf einer Vorgängerin auf, jede Klausuren-Technik fußt auf erprobter Vortechnik.

 

Sie müssen immer bemüht sein, unter keinen Umständen erfahrungsresistent zu werden.

dürfen keinesfalls preisgegeben werden. Wissen, Erfahrung, Methodik, Lernregeln und Technik müssen vielmehr sämtlich Plateau auf Plateau als Lern- und Entscheidungshilfen für weitere Erkenntnis- und Erfahrungsgewinnung aufgestapelt werden. So führen Sie sich bald über verschiedene Entwicklungsstufen zum „juristischen Menschen“ nach dem Prinzip: Eins nach dem anderen.

 

Tipp 7   Keine Ihrer erfolgreich „beendeten“ 2-Stunden-Lerneinheiten darf jemals in sich selbst zurückkehren.

 

Sie muss immer eine Aufwärtsdrehung enthalten, ihr „Ende“ ist stets der „Anfang“ einer neuen juristischen Ausbildungsschraube, die dem Wissens-, Methoden- und Erfahrungsmehrgewinn entspricht. Das ist der Ratscheneffekt: Es geht nur vorwärts, niemals zurück! Alles wird „aufgehoben“.

 

Tipp 8  Haben Sie keine Angst vor sich selbst, keine Angst vorm Alleinsein. „Mir fällt die Decke auf den Kopf“ ist eine ständige Ausrede von Studenten, die schnell raus wollen, weil sie Angst haben, in sich selbst nichts anderes zu finden als ständige beängstigende Unruhe.

 

Diese Studenten tun Dinge den ganzen Tag, die sie eigentlich gar nicht tun wollten. Es handelt sich dabei vorwiegend um reine Ablenkungsmanöver und eine Flucht vor der einzig notwendigen Aktivität: arbeiten und studieren. Korrigieren Sie Ihren Drang nach „weg vom Skript“ durch einen Hang „hin zum Skript“!

 

Tipp 9  Entwickeln Sie eine Niederlagenkultur. Kein Jura-Student kommt ohne Niederlagen aus. Es ist kein Fehler, Fehler zu machen, wenn man daraus lernt.

 

Man kann jeden Fehler machen, wenn möglich aber nur ein einziges Mal. Denken Sie nicht immer: „Die anderen sind besser, talentierter, begabter.“ Es sieht bei den anderen vielleicht alles leicht und lässig aus. In Wirklichkeit fällt auch ihnen in der Juristerei nichts in den Schoß. Sie arbeiten hart für ihren Erfolg, lassen sich ihre Anstrengungen aber häufig nicht anmerken. Sie sind nicht „begnadeter“, sie sind ganz einfach fleißiger als Sie. Auch Sie schaffen das, wenn Sie Ihre Energie konzentriert in das „Projekt Jura“ stecken.

 

Tipp 10  Lernen Sie, „nein“ zu sagen. Dies ist erfahrungsgemäß sehr schwer, aber auch ungemein wichtig für ein erfolgreiches Lernen.

 

Jeder will gefallen, ist ein wenig gefallsüchtig und mit „Ja“ gefällt man nun einmal (vermeintlich?) mehr als mit „Nein“. In vielen steckt ein Helfertyp, ein Nächsten-liebender, der immer helfen will. Im Anfang der Juristerei brauchen Sie überwiegend sich selbst! Ihre Energie und Kraft müssen Sie auf Ihr juristisches Studium konzentrieren! Sie müssen sich jetzt helfen – und helfen lassen! Erkennen Sie Ihren eigenen Wert beim Lernen, schaffen Sie sich Ihre täglichen Lernerfolge, dann brauchen Sie nicht dauernd bestätigt zu werden!

 

Tipp 11  Totstellen nützt jetzt gar nichts. Setzen Sie sich in die erste Reihe im Hörsaal! Reißen Sie Ihre „Schönfelder-Barriere“ ein! Verkriechen Sie sich bei Nichtverstehen von Jura nicht in die Furche. Greifen Sie an!

 

Niemand hat alles gleich verstanden. Wenn Sie nach Hause kommen, entwickeln Sie einen Hang zum Eremiten, zum Stubengelehrten! Mit dem ständigen „Das mach ich gleich“ – ist es vorbei. Gleich ist jetzt! Setzen Sie die Prioritäten anders! „Ich habe keine Zeit zum Lernen von Jura“ gehört ebenfalls der Vergangenheit an. Keine Zeit haben, gibt es nicht. Alles ist eine Frage Ihrer Priorisierungsfähigkeit.

 

Tipp 12  Werden Sie zum eigenen Entdecker neuer juristischer Lern-Ideen, werden Sie zum kleinen Forscher, zum Erfinder von Skizzen und Diagrammen!

 

Jedes Skript, jedes Buch, jede Lehrveranstaltung, jeder Fall ist dafür ein weites Feld.

Tipp 13  Lassen Sie Ihr generelles Misstrauen fahren gegen alles, was Professor heißt!

 

Neigen Sie nicht dazu, in diese Personen Feindschaft, Ablehnung und immer nur negative Gedanken hinein zu projizieren. Dafür gibt es keinen Anlass.

 

Tipp 14  Werden Sie zum Sammler von juristischem Gedankengut! Ein aktiver Lerner ist wie ein Sammler immer tätig.

 

Er ist niemals fertig und wird auf seinem langen Weg ständig durch eingesammelte Lernerfolge belohnt und durch Lernwiderstände nur angespornt. Funktionieren Sie Ihre frühere kindliche Sammelleidenschaft ganz einfach um! Betreiben Sie Jura mit der gleichen Passion! Sammeln Sie Wissen! Sammeln Sie Methodik! Sammeln Sie Erfahrung! Sammeln Sie Fälle! So werden Sie Ihr eigener Autor! Der Titel Ihres Sammelbandes: „Mein eigenes Skript“. Lehnen Sie diesen Rat nicht gleich als „viel zu mühsam“, „unmöglich zu schaffen“ ab! Sie müssen den neuen Stoff in Ihre bereits geschaffenen eigenen Denkstrukturen einstellen, ihn in Ihre eigene um Einfachheit und Klarheit bemühte Sprache übersetzen, ihn dem eigenen Sprachschatz und Wortempfinden anpassen. Sie müssen ihn mit Ihren eigenen optischen Hilfsmitteln, Ihren Kommoden und Baumdiagrammen, aufbereiten, systematisieren, fixieren und ihn mit einem „Beispielsfall auf Normalfallniveau“ unterlegen, ihn an Ihr Vorwissen ankoppeln und ihn in Ihre Strukturen eintäfeln. Wenn Sie diesen Weg zu Ihrer archivierenden Kollektion mitgehen, dann unterliegen Sie nicht mehr der Illusion, den Stoff gelernt zu haben, und ihn nicht mehr zu vergessen, sondern Sie haben ihn gelernt und werden ihn nicht mehr vergessen. Neben dem Lösen von Klausuren ist das die wichtigste Lernaktivität: die „sammelnde“ Erstellung Ihres originären, ureigenen Skripts als Ihr „Grundmedium“. Neue gesammelte Informationen aus anderen Büchern, der Rechtsprechung oder aus Vorlesungen können Sie zu jeder Zeit in Ihr Grundmedium „Mein eigenes Skript“ übernehmen.

Tipp 15  „Er“-arbeitung des Stoffes durch seine „Be“-arbeitung am Fall! Klausuren, Klausuren, Klausuren! Ergreifen Sie jede Gelegenheit beim Schopf, in der Ihnen Klausuren zum Schreiben oder Durcharbeiten angeboten werden. Klausurenschreiben lernt man durch Klausurenschreiben!

 

Neben dem Hören und Sehen verfügen Sie nämlich über einen dritten Lernkanal, der von den Meisten viel zu wenig genutzt wird: das aktive Handeln! Durch Handeln können Sie die vor einer Informationsüberflutung schützenden Barrieren des Kurzzeitgedächtnisses am Besten überwinden.  Eben: Use it, or lose ist! Learning by doing! Was für einen Sportler oder Musiker selbstverständlich ist, nämlich das Lernen durch Training, sollte auch für Sie zur ewigen Regel werden. Es muss Ihnen gelingen, sich selbst von der Vorlesungs- und Lehrbuchlesepassivität zur Fallbearbeitungsaktivität zu führen. Sie müssen juristisch „arbeiten“, indem Sie den Fall juristisch „bearbeiten“, ihn sich durch Aktivität erschließen, „erarbeiten“, aneignen und ihn sich so beherrschbar machen. Trainieren Sie am Fall! Rezepte und Regeln entstehen aus Erfahrung, d.h. aus erinnerten Ergebnissen über Versuch und Irrtum. Hier eine Erfahrung, die Sie sich immer wieder selbst bestätigen können: Der Versuch: „Ich will eine juristische Vorlesung nach einem Tag rekonstruieren.“ Der Irrtum: „Ich muss leider feststellen, dass sehr wenig hängen geblieben ist.“ Nach einem Tag verfügen Sie nur noch über Erinnerungsinseln. Nach einer Woche? – Nach einem Monat? – Alles weg! Die Vergessenskurve rast dramatisch in den Keller, sie neigt sich gegen Null. – Wie oft noch? – Aus Versuch und Irrtum wird Ihre Erfahrung: „Den Wirkungsgrad kann ich erhöhen, wenn ich den Lernkanal „Hören“ mit dem Lernkanal „Sehen“ kombiniere, also Vorlesung einerseits und Skripten, Lehrbücher sowie meine in der Vorlesung gefertigten Aufzeichnungen andererseits durcharbeite.“ Eine weitere Steigerung erreichen Sie durch aktives Tun, z.B. die eben anempfohlene Erstellung eines eigenen Skripts und … die Fallbearbeitung. Versuchen Sie es: Sie merken sich 10 % von dem, was Sie hören, 20 % von dem, was Sie lesen, 60 % von dem, was Sie lesen und hören, 70 % von dem, worüber Sie selbst sprechen und 90 % von dem, was Sie selbst ausprobieren und ausführen. Das aktive juristische Lernen durch die Anwendung des Rechtsstoffes auf den praktischen Fall ist daher unentbehrlich. Sie müssen „problemorientiertes Lernen“ (Theorie) mit „fallorientiertem Falltraining“ (Klausurenpraxis) kreuzen. Alle Gesetze und Rechtsinstitutionen lassen sich zwar in Vorlesungen oder Lehrbüchern ab-strakt erschließen (Erkläre es mir!), behalten werden sie aber nur unter Zuhilfenahme von konkreten Beispielsfällen in Übungen (Zeig es mir!). Sie verstehen aber alles erst dann, wenn Sie selbst etwas machen und Fälle lösen (Lass es mich tun!). Man höre die Weisheit der alten Chinesen: Erkläre es mir, und ich vergesse es! Zeig es mir, und ich erinnere es! Lass es mich tun, und ich habe es verstanden! Diesen Nachweis durch die Lernpsychologen der „alten Chinesen“ müssen Sie sich zunutze machen. Den Wissenschaftler mag’s ärgern, er kann es nicht ändern.

 

Tipp 16  Übersetzen Sie fremde juristische Texte in Ihre eigene Sprache! Aktives Lernen bedeutet auch, alle einzuspeichernden Informationen möglichst in die eigene Darstellung zu übersetzen.

Lehrende und Lernende besitzen im Anfang verschiedene Begriffswelten. Deshalb sollten Sie von Anfang an den mitgeteilten Stoff aus der fremden Jurawelt in Ihre eigene Sprachwelt übersetzen. Ihre Jurawelt muss entstehen! Denken Sie an Ihre eigene Autorenschaft zum eigenen Skript!

Tipp 17  Erkennen Sie die Strukturen hinter den Formulierungen! Arbeiten Sie die juristischen Strukturen heraus, die sich hinter allen juristischen Texten verbergen.

 

Mitunter fällt das schwer. Manche Autoren oder Dozenten – ganz zu schweigen vom Gesetzgeber – setzen ihren Ehrgeiz daran, die von ihnen gebildeten Strukturen hinter Worten und Tiraden möglichst zu verstecken. Finden Sie hinter dem Gesagten in Vorlesung, Buch und Gesetz das Gemeinte! Erkennen Sie die systematischen Strukturen hinter den Formulierungen der juristischen Autoren!

 

Tipp 18  Bilden Sie sich Ihre eigenen Strukturen! Angesichts unterschiedlicher Strukturen in verschiedenen juristischen Lernmedien wird Ihnen bald deutlich werden, dass Sie nicht einfach vorhandene Strukturen blind übernehmen können, sondern eigene bilden müssen.

 

Sie müssen mit Ihren eigenen Baumdiagramm-Strukturen arbeiten. Ihr entscheidendes Richtigkeitskriterium ist dabei Ihre Überzeugung von der Stimmigkeit der von Ihnen selbst gebildeten Strukturen. Diese können am Anfang ruhig laienhaft, naiv, möglicherweise sogar falsch sein. Das macht nichts! Entscheidend ist, dass Sie etwas haben, was Sie während der Vorlesung oder der Lektüre aktiv gegen den Vortrag des Dozenten oder den Text des Buches halten können. Sie haben im Unterschied zu vielen Jura-Kommilitonen ein eigenes Erkenntnisprogramm – Ihr Baumdiagramm. Sie sind ein aktiver, Strukturen bildender Zuhörer oder Leser. Sie sind neugierig, ob Ihre Strukturen stimmen oder ob Sie etwas falsch gemacht haben. Sie haben Spannung, Entdeckerfreude und Neugier an und auf Strukturen. Sie werden die juristische Vorlesung und die Literatur strukturiert optimal ausschöpfen und den Wirkungsgrad Ihres Jura-Lernens durch aktives Lernen und strukturierte „Bearbeitung“ des Jura-Stoffs auf 90 % steigern.

 

Tipp 19  Eröffnen Sie sich verschiedene Zugänge zu Ihrem Stoff! Binden Sie sich nicht an einen Autor! Arbeiten Sie bei einer schwierigen juristischen Figur mit mehreren Medien gleichzeitig.

 

Benutzen Sie nicht nur Lehrbücher, sondern auch Kommentare und Skripten. Dann werden Sie sehen, dass verschiedene Autoren oftmals verschiedene Strukturen bilden. Das ist zunächst verwirrend, aber notwendig. Eingespeicherte Informationen sollen vieldimensional miteinander verknüpft werden und dadurch vielseitig abrufbar gemacht werden.

Tipp 20   Ganz wichtig! Orientieren Sie sich an Normalfällen! Vom Normalfall zum Extremfall geht der Weg – nicht umgekehrt! Jahr für Jahr ergehen in Deutschland zwischen zwei bis drei Millionen Gerichtsentscheidungen. Veröffentlicht werden nur die 20.000 Exoten und besprochen dann in Fachzeitschriften nur die 500 Oberexoten. Deshalb denkt der Student, die ganze Jurawelt bestehe nur aus ihnen.

 

Fragen Sie sich immer nach der zugrundeliegenden Normalität. Denken Sie sich selbst Normalfälle aus. Beschreiben Sie diese nicht in abstrakten Worten, sondern als konkrete Geschichten. Trainieren Sie die Fähigkeit, jedem Problemfall den zugrundeliegenden Normalfall gegenüberzustellen. Der Problemfall schärft den Blick für das Unübliche! Der Normalfall soll aber Ihr Prägestock für das Übliche sein! Entwickeln Sie zu jedem und allem Ihren eigenen farbigen Fall – mit Ihnen als Hauptdarstellerauptdarstelle, Ihren Verwandten, Bekannten und Freunden in den Nebenrollen.

Am Anfang muss immer der kleine überschaubare ➞ Normalfall des zu erlernenden Rechtsinstituts die juristische Studentenwelt beherrschen! Nicht der Problemfall! Der „kleine Normalfall“ ist übrigens auch der Fall, der bei der Schaffung der Tatbestandsmerkmale der Gesetze durch den Gesetzgeber Pate gestanden hat, nicht der Exot, der an oder auf der Grenze des Gesetzes liegt; liegt er jenseits der Grenze des einen Gesetzes, ist er fast schon der Normalfall des benachbarten Gesetzes.

Dieser Grenzgängerfall regiert nun leider in den Lehrsälen und Lehrbüchern nahezu uneingeschränkt. Er gehört für den juristischen Anfänger aber in den Giftschrank! Der unerfahrene Dozent beginnt, wenn er überhaupt in die Niederungen eines Falles zur Erläuterung des § 303 StGB herabsteigt, mit dem exotischen Problem, ob es sich bei der sprachlichen Umdressur eines fremden Wellensittichs um Sachbeschädigung handelt oder nicht („Wellensittichumdressierungsfall“), der erfahrene Dozent mit dem Normalfall „Zerstechen eines Autoreifens“. Erkennen Sie den Unterschied? Ersterenfalls ist fast jedes Merkmal des Tatbestandes problematisch (Vogel = Sache?; Umdressur = beschädigen?), zweitenfalls alles stinknormal. Keinem Medizinstudenten würde es einfallen, das Herz-Kreislauf-System an den Bypassoperationen zu erlernen, keinem Turner, eine Riesenfelge zu turnen, bevor er nicht den einfachen Umschwung beherrscht, keinem Bergsteiger, sofort den Mount Everest zu erklimmen. Der Normalfall ist Ihre sichere Heimat! Von der können Sie immer ausgehen, um „draußen“ den Ernstfall zu erproben, und zu der können Sie immer wieder zurückfinden.

 

Tipp 21  Lernen Sie nichts auswendig! Das Auswendiglernen ist auf wörtliches Reproduzieren gerichtet, das in der juristischen Ausbildung nicht – oder fast nicht – vorkommt.

 

Allenfalls kann man sich die wortgetreue Wiedergabe einiger grundlegender wichtiger ➞ Definitionen im BGB und Strafrecht vorstellen. Sinnlos lernt ein Student, wenn er auswendig lernend die Bedeutung des Gelernten nicht begreift.

Es darf nie soweit kommen, dass Sie Ihr juristisches Studium ausschließlich als ein memorierendes Gedächtnisphänomen begreifen, statt sich ständig um den Sinngehalt, die Systeme und das Zusammenhangwissen des Juristenstoffes zu bemühen. Das heißt nun nicht, dass Sie kein Einzelwissen lernen müssen. Aber bitte immer vor dem Hintergrund der Frage, wofür Sie die Einzelteile einmal im Ganzen des Systems werden gebrauchen können. Das Hochziel der Gesamtschau ist ohne die Vorbedingung des Einzelwissens nicht zu haben. Einzelwissen ist von Ihnen schlicht zu akzeptieren: Die Bausteine des Zustandekommens eines Vertrages müssen Sie ebenso parat haben, wie die Voraussetzungen der Anfechtung. Die Elemente der Aufrechnung ebenso abrufen können, wie die Tatbestandsmerkmale des Diebstahls oder der Notwehr. Aber eben nicht in Form eines „Quizwissens“ als reines herausgerissenes Benennungswissen oder Faktenwissen, sondern immer als Verschränkung zwischen einprägendem und weiterdenkendem Lernen, um aus den Einzelelementen das Gesamtgefüge aufbauen zu können. Es wird niemals in einer gekonnten Aufgabenstellung für Sie lauten: Nennen Sie die Bestandteile eines Vertrages. Oder: Unter welchen Voraussetzungen kann ein Vertragsteil einen Vertrag anfechten? Oder: Was ist ein Verpflichtungsgeschäft? Vielmehr wird von Ihnen erwartet, aus dem Sachverhalt die Notwendigkeit der Prüfung dieser Einzelteile zu erkennen und mit einer geschult formenden Kreativität in methodischem Zuwerkegehen zu einem Ganzen zu verbinden, indem Sie das Gesetz analysieren (sezieren), „sauber“ subsumieren und alles im Gutachten synthetisieren. Dabei haben Sie gegenüber allen Leidensgenossen in anderen Prüfungen oder Klausuren einen ganz entscheidenden Vorteil: Sie führen Ihren externen Wissensspeicher immer bei sich und können nachschauen. Niemand kann ihn Ihnen wegnehmen. Es ist das Gesetz! Fast alle Tatbestandsmerkmale und Rechtsfolgen, die Sie wissen müssen, stehen im Gesetz – wenn Sie mit ihm richtig zu arbeiten gelernt haben.

Also: Des „auswendigen“ Lernens sollten Sie sich als Jurastudent schämen! Gerade die juristische Ausbildung ist hierin etwa der medizinischen weit überlegen. Auf über 220 Knochen oder 2500 Muskeln kann man eben nicht durch Nachdenken kommen – man muss sie schlicht registrierend pauken! Die Gesetze aber in ihre Einzelelemente zerlegen, diese Komplexität reduzieren und wieder reproduzieren, das kann man mit Methode und dem Gesetz alleine. Da muss man nichts „auswendig“ lernen.

Tipp 22  Üben Sie sich früh in der Lernübertragung! Juristisches Lernen ist immer auch Transferlernen. Ein tumbes Lernen, das auf genaue Reproduktion beschränkt ist, sollte es bei Ihnen nicht geben.

 

Ein Konzept, das davon ausgeht, ständiges dressierendes Wiederholen allein führe  schon irgendwann zum juristischen Verständnis und automatisiertes, mechanisches Wissen bringe den Erfolg, ist nicht das, was der gute Jurastudent lernen muss. Er muss lernen, selbst Beziehungen zwischen den Paragraphen herzustellen, Gelerntes immer wieder in unbekanntem Zusammenhang anwenden zu können. Sie müssen eben stets mehr lernen als Sie lernen: die Lernübertragung, den Lerntransfer. Dieser Transfer erfordert, Ihr vorhandenes Wissen ständig neu für sich arbeiten zu lassen. Die Erkenntnis, dass etwas Gelerntes übertragen werden kann, ist Ihnen sicher nicht neu. Neu ist Ihnen aber vielleicht, dass in der juristischen Ausbildung fast alles nur Transfer ist. Die primäre Lernsituation, losgelöst von der sekundären Anwendungssituation im Fall – und jeder Fall ist eben anders – gibt es nicht. Deshalb müssen Sie sehr früh erkennen, dass jede singuläre Lerneinheit immer über sich hinausweisen muss und auf Anwendung mittels einer Transferleistung für einen anderen Zusammenhang in einem anderen Fall harrt. Wer nur nachahmend den gleichen Fall in gleicher Weise lösen kann, wird im Examen durchfallen, und das zu Recht. Er wartet auf die gepaukten Fälle A, B und C; und wenn die Fälle A1, B1 und C1 geprüft werden, muss er passen.

Sie lernen nicht ziellos vor sich hin, sondern dafür, an einem bestimmten Prüfungstag X das an den Lernalltagen T1, T2 und T3 gelernte Wissen W1, W2 und W3 in den Klausuren K1, K2 und K3 auf andere, mehr oder weniger ähnliche Fälle F1, F2 und F3 übertragen zu können. (➞ Transferlernen als Lernhilfe)

 

Tipp 23  Entwickeln Sie die Jura-Klausurenproblem-Detektoren! Jede Problemlösung kennt zwei Elemente: die Entscheidung und deren Begründung. Nur: Voraussetzung ist natürlich immer, dass Sie das Problem, um dessen Lösung Sie ringen müssen, überhaupt als solches erkennen.

 

Das Problem vieler Klausuranden ist: „Ich kenne das Problem (z.B. Anfechtung), habe im Fall aber nicht erkannt, dass die Erklärung: „Die Sache will ich nicht mehr!“ eine Anfechtungserklärung war.“ Dafür benötigen Sie die „Jura-Klausuren-Problemdetektoren“! Ohne Problem keine Lösung, irgendwie logisch. Bei diesem Vorgang des Erspürens und Freilegens der Fallprobleme hilft Ihnen ungemein die Beherrschung des Gutachtenstils und der Subsumtionstechnik: Schrittchen vor Schrittchen setzen, und Sie stolpern – fast – von selbst über die Probleme. Aber eben nicht immer, nur fast! Wenn nicht, müssen Sie sie aufstöbern. Einen Königsweg für dieses „Findeverfahren“ gibt es nicht – es sei denn, Sie sind der König der Problementdecker. Aber es gibt sie, diese Spürhunde für Probleme, die sofort den Finger auf die Wunde des Falles legen. Die „Hier-liegt-ein-Problem-Typen“ sind aber selten – wir sollten nicht davon ausgehen, dass Sie dieser Crème de la crème der Juristen angehören. Wir sollten vielmehr die Annahme zugrunde legen, dass Sie zu jener Kategorie von Studenten zählen, die ein solides Repertoire an Begriffen, Methoden, Strategien, Fällen, Wissen und Können aufbauen müssen, aus dem sie zunächst das Problemerkennen und dann das Problemlösen schöpfen können. Dieses Arsenal gilt es, durch „Training am Fall“ aufzurüsten, um es im Ernstfall zu reaktivieren und zu mobilisieren.

Als Klausurenschreiber müssen Sie spezielle Detektoren entwickeln, die auf Sachver-haltspunkte in Klausuren reagieren. Funktioniert diese nur durch Training zu erwerbende Hardware, dann entschlüsseln Sie die verschlüsselten Sachverhaltsvarianten.

Funktioniert sie nicht, entschlüsseln Sie sie nicht. Ihr Denksystem passt also entweder gut zur Klausurensachverhaltswelt, oder es passt schlecht – Sie „fangen“ die Klausuren-fliegen – oder Sie „fangen“ sie nicht. Ihr Klausurandendetektor muss sich entwickeln, weil er Ihnen als Klausurenschreiber Entdeckungen erlaubt, die prädikatsförderlich sind. Auch hier: Ihr Studentendetektor bringt die Klausurenwelt eigentlich erst hervor. Das Heer der „mangelhaft“ und „ausreichend“ benoteten Kandidaten hat diesen „Detektor juristischer Klausurenprobleme“ nicht oder nicht genügend ausgebildet. Dieser „detektivische Entdecker“ kommt nicht von selbst auf Ihre „juristische Netzhaut“. Er muss sich allmählich entwickeln. Wie? Nur durch konditionierendes Training, durch Schreiben und intensives Durchmustern von Alt-Klausuren. Der Klausurener-steller mag seinen Sachverhalt konstruieren, wie er will – Ihre trainierten Problem-Piloten entdecken die Konstrukte.

 

Tipp 24  Werfen Sie die juristische Flinte nicht zu früh ins Korn! Geben Sie nicht zu früh auf!

 

Eine Eingewöhnungsphase in die fremde Juristerei von einigen Monaten ist durchweg normal. Eine Studienkrise, ein Motivationsloch hat jeder einmal. (➞ Studienabbruch)

Tipp 25  Der alte schulische A.D.A.M. (Alles durch Anweisung machen) ist tot! Es lebe die akademisch mündige E.V.A. (Eigenverantwortliches Aneignen).